Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 1 AR 10/21 (2)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 15.09.2021
Aktenzeichen 1 AR 10/21 (2) ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0915.1AR10.21.2.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten nach Bosnien und Herzegowina zur Strafverfolgung wegen der ihm in dem Haftbefehl des Amtsgerichts Bijeljina vom 15. Januar 2019 (Az.: 80 OK 100155 18 Kps) zur Last gelegten Tat ist zulässig.

Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird angeordnet.

Gründe

I.

Mit auf diplomatischen Weg übermitteltem Ersuchen begehren die bosnisch-herzegowinischen Justizbehörden unter Bezugnahme auf einen Haftbefehl des Amtsgerichts in Bijeljina vom 15. Januar 2019 (Az.: 80 OK 100155 18 Kps) die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafverfolgung wegen schweren Diebstahls nach Art. 226 Abs. 1 Nr. 1 des bosnisch-herzegowinischen Strafgesetzbuchs mit einer Strafandrohung von bis zu acht Jahren Freiheitsstrafe. Unter den über das Justizministerium von Bosnien-Herzegowina und das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland an das Bundesamt für Justiz übermittelten Unterlagen befindet sich ein Schreiben des Richters bei dem Amtsgericht Bijeljina vom 07. September 2020, in dem garantiert wird, dass im Fall der Auslieferung der Verfolgte seine Haftstrafe in einem Gefängnis verbüßt, das die Bedingungen der Europäischen Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04. November 1950 und die Europäischen Gefängnisregeln vom 11. Januar 2011 erfüllt, sowie, dass die deutsche Konsularvertretung den Verfolgten jederzeit im Gefängnis besuchen kann.

Nach der deutschen Übersetzung der übermittelten Anklageschrift der Bezirksstaatsanwaltschaft in Bijeljina vom 25. September 2018 wird dem Verfolgten vorgeworfen, am 12/13. Februar 2018 in Bijeljina in ein Wohnhaus eingebrochen zu sein, indem er das Badezimmerfenster einschlug und sodann das Haus betrat. Entsprechend zuvor gefasstem Entschluss, sich unrechtmäßig zu bereichern, soll er einen Elektroherd, einen Kühlschrank, mehrere Töpfe, Besteck, Kleidungsstücke und andere Gegenstände sowie Goldschmuck aus dem Haus entwendet haben. Der entstandene Schaden soll circa 3.000 BAM betragen. Die Tat ist nach Art. 226 Abs. 1 Nr. 1 des bosnisch-herzegowinischen Strafgesetzbuchs als Einbruchdiebstahl mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu acht Jahren strafbar, Verfolgungsverjährung tritt gemäß Art. 95 Abs. 1 Nr. 4, 96 Abs. 1 des bosnisch-herzegowinischen Strafgesetzbuchs vorbehaltlich ihrer Unterbrechung am 16. Februar 2028 ein.

Der Verfolgte wurde am 26. Juli 2020 aufgrund eines zunächst auf dem Interpolweg übermittelten Auslieferungsersuchens vorläufig festgenommen. Mit Beschluss vom 05. August 2020 (Az.: 1 AR 15/20) ordnete der Senat die vorläufige Auslieferungshaft gegen ihn an. Nachdem die bosnisch-herzegowinischen Justizbehörden bis zum 03. September 2020 die Auslieferungsunterlagen nicht übermittelt hatten, wurde der Verfolgte auf entsprechende Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg wieder freigelassen. Der Senat hob den Auslieferungshaftbefehl am 07. September 2020 auf.

Unter dem 28. September 2020, bei dem Senat über das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Justiz und die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg am 29. März 2021 eingegangen, übermittelte das Justizministerium von Bosnien und Herzegowina die Auslieferungsunterlagen. Insbesondere wurden vorgelegt:

- der dem Ersuchen zugrundeliegende nationale Haftbefehl des Amtsgerichts in Biejeljina vom 15. Januar 2019 (Az.: 80 OK 100155 18 Kps) samt der darin in Bezug genommenen Anklageschrift der Bezirksstaatsanwaltschaft in Biejeljina vom 25. September 2018 (Az.: T 14 O KT 0021754 18)

- der internationale Haftbefehl des Amtsgerichts in Bijeljina vom 22. Juni 2020 (Az.: 80 OK 100155 Kps)

- das Auslieferungsersuchen des Justizministeriums von Bosnien und Herzegowina vom 09. September 2020

- die Zusicherung des Amtsgerichts in Bijeljina vom 07. September 2020 zur EMRK-konformen Unterbringung des Verfolgten im Fall seiner Auslieferung

- ein Auszug aus dem Strafgesetzbuch der Republika Srpska mit den anzuwendenden Strafvorschriften

- eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung und

- weitere Identifizierungsunterlagen einschließlich eines Fingerabdrucks und eines Lichtbilds.

Aus diesen Unterlagen ergibt sich derselbe Tatvorwurf gegen den Verfolgten, der Gegenstand der ursprünglichen Interpol-Ausschreibung war.

In Ansehung dieser Unterlagen erließ der Senat auf entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg am 19. April 2021 Auslieferungshaftbefehl gegen den Verfolgten. Dieser wurde am 22. Mai 2021 erneut vorläufig festgenommen und befindet sich seither in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg a. d. H. – seit dem 07. Juli 2021 verbüßt er, voraussichtlich bis zum 23. November 2021, im Verfahren der Staatsanwaltschaft Potsdam (Az.: 4101 Js 34855/18 V) eine Ersatzfreiheitsstrafe. Am 23. Mai 2021 wurde er vor dem Amtsgericht Potsdam sowie am 22. Juni 2021 vor dem Amtsgericht Brandenburg a. d. H. richterlich vernommen. Ein Dolmetscher für die serbische Sprache war dabei jeweils nicht anwesend.

Der Verfolgte ist Analphabet. Im Hinblick hierauf nahm der Senat den „Haftprüfungsantrag“ der Beiständin des Verfolgten vom 24. Juni 2021 zum Anlass, diesen in Anwesenheit einer Dolmetscherin erneut anzuhören und ihm die Anklageschrift der Bezirksstaatsanwaltschaft Bijeljina vom 25. September 2018, den Beschluss des Amtsgerichts Bijeljina vom 15. Januar 2019, die Anordnung desselben Gerichts vom 22. Juni 2020 über den Erlass eines internationalen Haftbefehls, den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 19. April 2021 und die Haftfortdauerentscheidung vom 30. Juni 2021 in serbischer Sprache mündlich bekannt zu machen. Nach Erläuterung des Ablaufs des vereinfachten Auslieferungsverfahrens sowie des Inhalts und der Wirkung des Grundsatzes der Spezialität erklärte der Verfolgte, mit einer Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden zu sein und auf den Spezialitätsgrundsatz nicht zu verzichten.

Die Beiständin des Verfolgten beantragt für diesen, den Auslieferungshaftbefehl vom 19. April 2021 aufzuheben, hilfsweise, ihn gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, die Auslieferung des Verfolgten nach Bosnien und Herzegowina zur Strafverfolgung wegen der ihm in dem Haftbefehl des Amtsgerichts Bijeljina vom 15. Januar 2019 (Az.: 80 OK 100155 18 Kps) zur Last gelegten Tat für zulässig zu erklären und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen. Die Verfahrensbeteiligten hatten jeweils Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Der Senat entscheidet gemäß den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg. Die Auslieferungsvoraussetzungen liegen vor, Auslieferungshindernisse sind nicht ersichtlich und der weitere Vollzug der Auslieferungshaft erweist sich als erforderlich und angemessen.

1. Die gemäß §§ 29, 30, 32 IRG veranlasste Prüfung ergibt, dass die Auslieferung des Verfolgten nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist, §§ 3 Abs. 1 und 2, 10 Abs. 1 und 2 IRG.

a) Das Auslieferungsersuchen ist entsprechend den Vorgaben des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbK) in Verbindung mit Art. 5 des Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 (2. ZP-EuAlÜbk) sowie der Anlage Länderteil zur RiVaSt auf dem diplomatischen Geschäftsweg übermittelt worden. Es genügt auch inhaltlich den Anforderungen an die Anordnung von Auslieferungshaft.

b) Die mit dem Haftbefehl des Amtsgerichts Bijeljina übermittelte Anklageschrift vom 25. September 2018 enthält eine zureichende Darstellung des dem Verfolgten zur Last gelegten Sachverhalts, sie gibt insbesondere in ausreichender Weise Auskunft über Tatzeit, Tatort und Tathandlung des Verfolgten und ermöglicht so die Subsumtion unter die nach bosnisch-herzegowinischem Recht anzuwendenden und die deutschen Strafvorschriften.

c) Die Auslieferungsfähigkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk ist zu bejahen. So ist die beiderseitige Strafbarkeit des dem Ersuchen zugrunde liegenden Tatvorwurfs zu bejahen – nach deutschem Recht unterfällt der dem Anklagevorwurf zugrundeliegende Sachverhalt als Einbruchsdiebstahl den Bestimmungen der §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Tat wird sowohl nach bosnisch-herzegowinischem als auch nach deutschem Recht im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bestraft. Verfolgungsverjährung ist nach beiden Rechtsordnungen nicht eingetreten. Schließlich handelt es sich ersichtlich nicht um eine politische oder militärische Straftat (Art. 3 ff. EuAlÜbk).

d) Die seitens des Verfolgten gegen seine Auslieferung vorgebrachten Einwendungen greifen nicht durch. Zwar hält sich der Verfolgte seit sieben Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sein Aufenthaltsstatus ist indessen ungeklärt, der Verfolgte ist lediglich geduldet. Vertiefte soziale Bindungen in Deutschland sind nicht ersichtlich. Die in Burg (Sachsen-Anhalt) wohnhafte Lebensgefährtin des Verfolgten verfügt ebenfalls nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit. Das gemeinsame dreijährige Kind lebt in einer Pflegefamilie, mangels Vaterschaftsanerkennung pflegt der Verfolgte keinen Kontakt zu seinem Sohn. Anlässlich seiner Anhörung vor dem Senat gab der Verfolgte an, seine Eltern und sein Bruder lebten in Bosnien, sein Onkel, seine Tante und seine Schwester hingegen in Deutschland. Er beaufsichtige tagsüber deren Kinder. Vertiefte soziale Bindungen, die diejenigen zur Verwandtschaft in seinem Heimatland überwiegen, ergeben sich daraus nicht. Über einen festen Arbeitsplatz oder Vermögen in Deutschland verfügt der Verfolgte nicht.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Im Fall seiner Verurteilung hat der Verfolgte mit einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, von der ein starker Fluchtanreiz ausgeht. Über gefestigte soziale Bindungen, die diesem Fluchtanreiz entgegenwirken könnten, verfügt er, wie bereits ausgeführt, nicht.

Weniger einschneidende Maßnahmen, insbesondere Meldeauflagen, bieten nicht die nach § 25 Abs. 1 IRG erforderliche Gewähr, dass der Zweck der Auslieferungshaft durch sie erreicht werden könnte.

3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht bei der gegebenen Sachlage der Fortdauer der Auslieferungshaft gegen den Verfolgten nicht entgegen.