Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 15.09.2021 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 23/21 (S) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0915.1AR23.21S.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Gegen den Verfolgten wird die Auslieferungshaft angeordnet.
I.
Mit auf dem diplomatischen Weg übermitteltem Auslieferungsersuchen vom 16. August 2021 ersucht die Generalstaatsanwaltschaft der Republik Kasachstan um die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafverfolgung. Dem Ersuchen liegt ein Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Fachgerichts der Stadt Nur-Sultan vom 28. Oktober 2020 (Az.: 71795-19-00-2-3m/5746) zugrunde.
Nach der deutschen Übersetzung des Auslieferungsersuchens wird dem Verfolgten Folgendes zur Last gelegt:
„Herr A.K. S… wird wegen des Begehens des schweren Vorsatzdelikts aus Gewinnsucht gegen Eigen bei den folgenden Umständen angeklagt.
Im September 2019 er in der Stadt (X) befindlich ist, hat er eine Absicht der gesetzwidrigen Bereicherung verfolgt. Er hat einen Vorsatz zur Besitzergreifung fremder Sache durch die Täuschung und den Vertrauensmissbrauch gehabt.
Am 12. September 2019 hat Herr A. K. S… als Einzelunternehmer (nachfolgend genannt - EU) unter dem Namen «…» und «…» GmbH bei der Verwaltung für staatliche Einkünfte in der Stadt (X) angemeldet, wo er als alleiniger Gründer und Direktor in einer Person aufgetreten war. Herr A.K. S… hat ein Büro Nr. … in der Stadt (X), in der … Straße …, BC «…» unter dem Vorwand der Beschaffung eines Arbeitsplatzes für Bürger Kasachstans, unabhängig von ihrer Ausbildung und mit einem hohen Gehalt von 2000 bis 5000 Euro pro Monat in EU-Ländern, nämlich Litauen, Norwegen, Deutschland, Dänemark und Finnland gemietet.
Da er keine reale Möglichkeit gehabt hat, den Staatsangehörigen Kasachstans einen Arbeitsplatz in den europäischen Ländern zu vermitteln, hat er eine Werbung für «Beschaffung eines Arbeitsplatzes in den europäischen Ländern» auf die Websites und in sozialen Netzwerken wie «Instagram» und «Olx» (im Folgenden «Soziale Medien») zur Umsetzung seiner kriminellen Absichten und zur Anlockung möglichst vieler Menschen angezeigt. Herr A.K. S… hat spezielle Broschüren mit dem Namen des Landes (Holland), der vakanten Stelle (Verpacker für Produkten an der Fabrik), der Alterskategorie (für Männer und Frauen von 18 bis 65 Jahren) und dem Gehalt für die ausgewählte Stelle (ab 2200 bis 3200 Euro), den Arbeitsbedingungen (der Arbeitgeber stellt den Transport zur und von der Arbeit kostenlos zur Verfügung. Die Unterbringung erfolgt durch den Arbeitgeber in sehr komfortablen und modernen Mobilheimen) als das Anschauungsmaterial angefertigt und ausgedruckt.
Nachdem hat Herr A.K S… einen verschleierten Vertrag über die Erbringung der Visadienstleistungen mit den Bedingungen, die nicht der Realität entsprechen, abgeschlossen. Nach der Unterzeichnung des Vertrags hat er aus geldgierigen Motiven gehandelt, hat er eine Zahlung in Höhe von .1150 Euro (die Zahlung erfolgte in "Tenge" zum Eurokurs zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses) erhalten. Dann hat er fiskalische oder weiche Schecks ausgegeben. Das Geld wurde an Herrn A.K. S… persönlich oder per Überweisung über die Anwendung "Kaspi KZ" einbezahlt.
Dies vorausgeschickt, dass Herr A.K. S… durch Täuschung und Untreue mit der Absicht der am Anfang den vertraglichen und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen nach der Beschaffung des Arbeitsplatzes in Europa nicht nachzukommen ist, hat das Geld von den Betroffenen (in der Anzahl von 68 Personen) gestohlen und nach eigenem Gutdünken verwendet, wodurch den Betroffenen ein materieller Schaden in Höhe von 1150 Euro entstanden ist.“
Die Taten sind gemäß Art. 190 Ziff. 1, 3 des kasachischen Strafgesetzbuchs als Betrug zum Nachteil mehrerer Personen strafbar und mit Freiheitsstrafe von drei bis zu sieben Jahren bewehrt. Verfolgungsverjährung tritt nach Art. 71 des Strafgesetzbuchs der Republik Kasachstan zehn Jahre nach Tatbegehung, sonach nicht vor September 2029 ein.
Auf der Grundlage einer zuvor erfolgten Interpol-Fahndung wurde der Verfolgte am 10. Juli 2021 auf dem Flughafen … in … vorläufig festgenommen. Am 11. Juli 2021 wurde er vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen richterlich vernommen und aufgrund einer Festhalteanordnung dieses Gerichts vom selben Tag in die Justizvollzugsanstalt … verbracht. Dort befindet er sich seither.
Bei seiner richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen erklärte sich der Verfolgte nach Belehrung mit seiner Auslieferung an die Republik Kasachstan im vereinfachten Verfahren ausdrücklich einverstanden und betonte, er wünsche so schnell wie möglich ausgeliefert zu werden. Auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität verzichtete der Verfolgte nicht.
Mit Beschluss vom 14. Juli 2021 ordnete der Senat, weil die erforderlichen Auslieferungsunterlagen noch nicht vorlagen, die vorläufige Auslieferungshaft an.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt nunmehr, gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft anzuordnen.
II.
Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg. Die Voraussetzungen der Auslieferungshaft nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG liegen vor.
Der Auslieferungsverkehr mit der Republik Kasachstan ist auf vertragsloser Grundlage möglich (Nr. 1.1 RiVASt Anlage II – Länderteil, Republik Kasachstan).
Die benötigten Auslieferungsunterlagen liegen zwischenzeitlich vor. Der ersuchende Staat hat mit Verbalnote der Botschaft der Republik Kasachstan in Deutschland vom 26. August 2021, sonach auf diplomatischem Wege, das Auslieferungsersuchen des Stellvertretenden Generalprokurators der Republik Kasachstan vom 16. August 2021 mit den Anlagen „Beschluss über die Qualifikation der Tat eines Verdächtigen in Abwesenheit“ des Oberuntersuchungsführers der Abteilung für Inneres der Vermittlungsverwaltung des Rechtsdepartments der Stadt Nur-Sultan vom 02. August 2021, Unterlagen zur Identität des Verfolgten einschließlich der Nummer seines kasachischen Passes und eines Lichtbildes, die Entscheidung des Ermittlers der Ermittlungseinheit der Bezirkspolizeibehörde Saryarka der Stadt Nur-Sultan vom 04. Juni 2020 „zur Anerkennung als Verdächtiger (in Abwesenheit)“, die „Entscheidung zur Erklärung einer internationalen Fahndung“ des Ermittlungsrichters bei dem interdistriktalen Sonderuntersuchungsgericht der Stadt Nur-Sultan vom 02. Dezember 2020 und den (nationalen) Haftbefehl des Ermittlungsrichters vom 28. Oktober 2020 (Az.: Nr. 71795-19-00-2-Zm/5746) übermittelt. Hieraus ergeben sich die erforderlichen Angaben zur Identität des Verfolgten und zu der ihm zur Last gelegten Tat.
Die Auslieferung des Verfolgten zum Zweck der Strafverfolgung erscheint nicht von vornherein unzulässig, § 15 Abs. 2 IRG. Gründe, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Auslieferungsfähigkeit nach § 3 IRG ist gegeben. Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten wären auch nach deutschem Recht strafbar, namentlich als gewerbsmäßiger Betrug im Sinne des § 263 Abs. 1, Abs. 3 Ziff. 1 StGB (§ 3 Abs. 1 IRG). Sie sind sowohl nach dem Strafgesetzbuch der Republik Kasachstan als auch nach deutschem Strafrecht mit einer Freiheitsstrafe bedroht, deren Höchstmaß ein Jahr übersteigt (§ 3 Abs. 2 IRG). Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten. Auslieferungshindernisse sind nicht ersichtlich.
Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 15 Abs. 1 Ziff. 1 IRG. Der Verfolgte hat im Verurteilungsfall angesichts des durch Art. 190 Ziff. 1 und 3 des Strafgesetzbuchs der Republik Kasachstan eröffneten Strafrahmens von Freiheitsstrafe zwischen drei und sieben Jahren mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dies stellt einen erheblichen Fluchtanreiz dar. Weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Auslieferungshaft bieten nicht die gemäß § 25 Abs. 1 IRG erforderliche Gewähr, dass der Zweck der Auslieferungshaft auch durch sie erreicht werden könnte. Der Verfolgte verfügt in Deutschland über keinerlei soziale Bindungen, die geeignet wären, der Fluchtgefahr entgegenzuwirken.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht bei der gegebenen Sachlage weder der Anordnung noch dem Vollzug der Auslieferungshaft entgegen.