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Entscheidung 6 L 411/21.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 6. Kammer Entscheidungsdatum 29.09.2021
Aktenzeichen 6 L 411/21.A ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2021:0929.6L411.21.A.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 5 EGRL 115/2008, § 34 AsylVfG 1992, § 71a AsylVfG 1992, § 59 AufenthG, § 60a Abs 2b AufenthG

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Gründe

I.

Der Antragsteller, nach eigenen Angaben russischer Staatsangehörigkeit, reiste über Polen in der Bundesrepublik Deutschland und stellte dort am 28. Mai 2015 einen Asylantrag.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab, da der Antragsteller zuvor bereits in Polen einen Asylantrag gestellt habe. Das Klageverfahren vor dem erkennenden Gericht blieb erfolglos (VG 6 K 4079/15.A). Am 19. Februar 2020 wies der derzeitige Prozessbevollmächtigte gegenüber dem Bundesamt darauf hin, dass die Überstellungsfrist abgelaufen sei und beantragte Akteneinsicht in die Asylakte. Am 28. August 2020 hob das Bundesamt den Überstellungsbescheid auf, da die Überstellungsfrist abgelaufen sei.

Die polnischen Behörden teilten am 6. Oktober 2020 dem Bundesamt auf dessen Anfrage folgende Informationen zum Antragsteller mit:

Stage of asylum procedure:

- Application of asylum: 13.10.2010

- Decision: 13.12.2011 refusal of the refugee status. Refusal of the subsidiary protection, refusal of the tolerated stay and expulsion (second instance)

- Application for political asylum: 19.02.2015

- Refusal to grant asylum application in Poland: 22.09.2015

Auf die Anhörungsschreiben an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers und den Antragsteller selbst erinnerte der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 3. März 2021 auf seinen weiterhin unerledigten Akteneinsichtsantrag. Eine Begründung des Asylantrags erfolgte nicht.

Mit Bescheid vom 5. Mai 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziff. 1), stellte weiter fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziff. 2) und forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er in die Russische Föderation abgeschoben, wobei die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt wurde (Ziff. 3). Ferner befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 4). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, der Asylantrag sei unzulässig. Der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung läge nicht vor. Weder durch den Antragsteller noch durch seine juristische Vertretung seien Gründe geltend gemacht worden, die es ermöglichen würden von einer zu Gunsten des Antragstellers geänderten Sachlage auszugehen. Von einer individuellen Betroffenheit und die zu einer Schutzgewährung führenden Befürchtungen könne nicht ausgegangen werden. Hierzu fehle es bereits an einem substantiierten Sachvortrag.

Mit Schreiben vom übersandte das Bundesamt einen kompletten Ausdruck der Asylverfahrensakte an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers.

Am 14. Mai 2021 hat der Antragsteller einen Antrag auf Eilrechtschutz gestellt und gleichzeitig Klage (Az. VG 6 K 1065/21.A) gegen den Bescheid vom 5. Mai 2021 erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, der Bescheid sei formell rechtswidrig, da die bis zur Bescheiderstellung verweigerte Akteneinsicht den Anspruch auf rechtliches Gehör verletze. Ferner sei zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin noch eine Unzulässigkeitsentscheidung treffen dürfe, wenn die Überstellungsfrist bereits seit fünf Jahren abgelaufen sei. Zudem habe die Abschiebungsandrohung unter Berücksichtigung der aktuellen EuGH-Rechtssprechung zum Schutz des minderjährigen Kindes, der am geborenen D...  A...  S... , für die der Antragsteller die Vaterschaft anerkannt hat und die gemeinsame Sorge mit der Mutter trägt, zu unterbleiben. Der Kläger halte sich regelmäßig im Haushalt seiner Lebensgefährtin und seines Kindes auf. Schließlich sei die Befristungsentscheidung rechtswidrig.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag – ohne eigene Antragstellung – entgegen. Nach § 34 Abs. 1 AsylG sei eine Abschiebungsandrohung zu erlassen, sofern der Ausländer u.a. keinen Aufenthaltstitel habe. Das sei hier – auch nach erneuter Rücksprache mit der Ausländerbehörde – weiterhin der Fall. Im Übrigen beabsichtigte die Ausländerbehörde auch nicht den Erlass eines Aufenthaltstitels.

II.

1. Die Kammer ist nach der Übertragung des Rechtsstreits durch den Einzelrichter gemäß § 76 Abs. 4 S. 2 des Asylgesetzes (AsylG) zur Entscheidung berufen.

2. Der Antrag ist nach §§ 122 Abs. 1, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zweckmäßig dahingehend auszulegen, dass beantragt wird, die aufschiebende Wirkung der Klage nur bezüglich der Abschiebungsandrohung (Ziff. 3 des streitgegenständlichen Bescheides) anzuordnen.

Ein Antrag auf weitergehenden Rechtsschutz wäre überdies unzulässig. Die Ablehnung des Zweitantrags als unzulässig in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist zwar mit der Anfechtungsklage anzugreifen (vgl. Bundesver-waltungsgericht, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4/16 –, juris Rn. 16 ff.), dennoch ist insoweit im Eilverfahren ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht statthaft, weil die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, für sich betrachtet keinen vollziehbaren Verwaltungsakt darstellt. Der Aufenthaltsstatus des Antragstellers ist ebenfalls nicht gleichsam derart mit der Ablehnung des Zweitantrags als unzulässig verbunden, dass sich daraus ein Bedürfnis nach Rechtsschutz durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der dagegen gerichteten Klage ergibt. Die nach § 75 Abs. 1 AsylG ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entscheidung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides lässt vielmehr den Aufenthaltsstatus unberührt, da die Aufenthaltsgestattung nach § 71a Abs. 3 i.V.m. § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG erst mit der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung erlischt. Gegen die Regelung in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO die richtige Klageart, so dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO schon insoweit nicht in Betracht kommt. Eine Auslegung, wonach die aufschiebende Wirkung der Klage auch hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziff. 4 des streitgegenständlichen Bescheides) begehrt wird, kommt ebenfalls nicht in Betracht, denn dieser Antrag wäre mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der mit einem so verstandenen Antrag angestrebten gerichtlich anzuordnenden Hemmung der Vollziehung des behördlich angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots für die Dauer des erstinstanzlichen Klageverfahrens (vgl. § 80b Abs. 1 S. 1 VwGO) bedarf es nicht, weil die Vollziehung des Verwaltungsakts gemäß § 11 Abs. 7 S. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) frühestens ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag und damit erst im Fall der rechtskräftigen Abweisung der gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gerichteten Klage der Antragstellerin erfolgen kann. Abgelehnte Asylbewerber werden durch das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot vor der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids mithin noch nicht beschwert (vgl. Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 9. Mai 2016 – 8 L 239.16 A –, juris Rn. 16; Verwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 20. Januar 2016 – 4 L 39/16.A –, juris Rn. 9).

3. Der so verstandene Antrag ist nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig aber unbegründet.

Lehnt das Bundesamt einen Asylantrag als unzulässigen Zweitantrag ab, darf die Aussetzung der Abschiebung gemäß § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG nur nach § 80 Abs. 5 S. 1, 1. Var. VwGO angeordnet werden, wenn – nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) – ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. zum Maßstab: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93, juris Rn 93 ff.). Angegriffener Verwaltungsakt und damit alleiniger Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist gemäß § 36 Abs. 3 S. 1 AsylG die nach § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1, §§ 34, 35 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung. Der Antrag ist mithin begründet, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Die
Abschiebungsandrohung ist allerdings auch dann zu suspendieren, wenn die Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag nach § 71a Abs. 1 AsylG als unzulässig abzulehnen im Klageverfahren voraussichtlich der Aufhebung unterliegt, weil die Abschiebungsandrohung in diesen Fällen jedenfalls verfrüht ergangen ist (vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 21).

a) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs liegen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung in Ziff. 1 des streitgegen-ständlichen Bescheids vor.

(1) Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ist die Entscheidung nicht aufgrund der erst mit Bescheidzustellung erfolgten Akteneinsicht in die Asylverfahrensakte formell rechtswidrig. Das Vorgehen des Bundesamts erscheint zwar bedenklich und dürfte einen Verfahrensfehler begründen. Gleichwohl ist weder substantiiert dargelegt, noch sonst ersichtlich, dass der etwaige Verstoß gegen § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) das Ergebnis des Verfahrens beeinflusst haben könnte. Es ist bis zum heutigen Tag nicht dargetan, welcher Vortrag zu den Asylgründen bei rechtzeitiger Kenntnis des Inhalts der Akte, die insoweit nichts wesentliches aufweist, erfolgt wäre. Nach Ansicht der Kammer ist vielmehr offensichtlich, dass der etwaige Verfahrensverstoß die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, so dass von einer Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG auszugehen ist. Zudem ist der etwaige Verfahrensfehler durch die bereits mit Bescheidzustellung und ergänzend im gerichtlichen Verfahren erfolgte Akteneinsicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVFG analog geheilt (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, 20. Auflage, § 45, Rn. 24).

(2) Die Entscheidung des Bundesamts, den Asylantrag vom 28. Mai 2015 als Zweitantrag nach § 71a Abs. 1 AsylG zu behandeln, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung durch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid an, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG verwiesen wird.

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 1 lit. e) der Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU), wonach die Antragsteller innerhalb einer angemessenen Frist von der Entscheidung der Asylbehörde über ihren Antrag in Kenntnis gesetzt werden sollen, sinngemäß moniert, dass nach fünf Jahren zwischen Antragstellung in Deutschland und Bescheidung des Antrags eine Einordnung als Zweitantrag ausscheide, greift er damit nicht durch. Nach der semantischen und systematischen Auslegung dürfte die Verfahrensgarantie des Art. 12 der Asylverfahrensrichtlinie bereits nicht die Entscheidungsfrist, sondern nur die Bekanntgabefrist betreffen. Überdies besteht für die seitens des Prozess-bevollmächtigten sinngemäß vorgetragene Einordnung als neuen Erstantrag aufgrund Zeitablaufs auch kein Bedürfnis. Zum einen besteht die Möglichkeit der Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO, sofern das Bundesamt ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich über den Antrag nicht entschieden hat (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18/17 –, juris; vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. März 2019 – OVG 2 L 32.18 –, juris). Überdies besteht für den Antragsteller kein Nachteil, da alle während der monierten Frist auftretenden Änderungen nach Maßgabe von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vom Bundesamt zu berücksichtigen sind.

(3) Ferner bestehen keine Rechtmäßigkeitszweifel hinsichtlich der Entscheidung des Bundesamts, ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen und den Zweitantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen. Diese werden auch im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht. Der Antragsteller hat weder im Verfahren vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren Umstände vorgetragen, die einen Wiederaufgreifensgrund i.S.d. § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergeben könnten. Diese sind auch angesichts der Vorlage eines aktuellen russischen Reisepasses mit Ausstellungsdatum 23. Dezember 2020 nicht anzunehmen. Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung durch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid an, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG verwiesen wird.

b) Ernstliche Zweifel bestehen zudem auch nicht hinsichtlich der in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides tenorierten und auf § 34 AsylG i.V.m. § 59 des Aufenthaltsgesetztes (AufenthG) gestützte Abschiebungsandrohung selbst.

(1) Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 AsylG sind vorliegend gegeben. Der Antragsteller ist nach Durchführung des Asylverfahrens weder als Asylberechtigter anerkannt (Nr. 1) noch ist ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (Nr. 2) oder subsidiärer internationaler Schutz gewährt worden (Nr. 2a), es liegt auch kein subsidiäres nationales (zielstaatsbezogenes) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor (Nr. 3) und schließlich ist der Antragsteller nicht im Besitz eines förmlichen Aufenthaltstitels (Nr. 4), so dass das Bundesamt eine schriftliche Abschiebungsandrohung, verbunden mit der Entscheidung über den Asylantrag (§ 34 Abs. 2 AsylG) erlassen konnte.

Nach nationalem Recht steht dem Erlass einer Abschiebungsandrohung auch nicht ein schutzwürdiges Interesse an der Vermeidung einer Trennung von Familienangehörigen entgegen. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vielmehr geklärt, dass bei der Beendigung des Aufenthalts erfolgloser Asylbewerber das Bundesamt auf die Prüfung und Feststellung von sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beschränkt ist, die sich der Sache nach aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für diesen Ausländer herleiten und damit in Gefahren begründet sind, die im Zielstaat der Abschiebung drohen. Nur insoweit kann das Bundesamt im verwaltungsgerichtlichen Asylrechtsstreit zur Feststellung von Abschiebungsverboten verpflichtet werden. Die Ausländerbehörde bleibt demgegenüber für die Durchführung der Abschiebung und dabei auch für die Entscheidung über alle inlandsbezogenen und sonstigen tatsächlichen Vollstreckungshindernisse zuständig. Zu den ausschließlich von der Ausländerbehörde zu prüfenden Vollstreckungshindernissen zählen beispielsweise fehlende Ausweise oder Ersatzpapiere, krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit, aber auch ein etwaiges Verbot, durch die Abschiebung eine mit Art. 6 GG nicht vereinbare Trennung von Familienmitgliedern zu bewirken. Nach der bundesver-waltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist damit geklärt, dass etwaige schutzwürdige Interessen an der Vermeidung einer Trennung von Familienangehörigen, etwa durch Abschiebung in unterschiedliche Staaten nicht Gegenstand der Prüfung durch das Bundesamt sind und damit der von ihr nach § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 2 AufenthG verfügten Bestimmung des Zielstaats der Abschiebung nicht entgegenstehen. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter geklärt, dass das Bundesamt auch in Fällen, in denen aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, ermächtigt und regelmäßig gehalten ist, eine „Vorratsentscheidung“ zum Vorliegen von Abschiebungsverboten in Bezug auf bestimmte Zielstaaten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu treffen und diese auch in der Abschiebungsandrohung zu bezeichnen. Damit wird dem Asylsuchenden die gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung eröffnet und insoweit eine frühzeitige Klärung herbeigeführt. Das Bundesamt darf in der Abschiebungsandrohung auch einen Zielstaat bezeichnen, für den aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, wenn für ihn keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote bestehen (zu alledem: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Oktober 2012 – 10 B 39.12 –, juris).

(2) Die Anforderungen hinsichtlich der unionsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 7 der Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) sind vorliegend ebenfalls erfüllt (vgl. Urteil vom 19. Juni 2018 – C-181/16 –, Gnandi). Das Bundesamt hat zugleich mit der Abschiebungsandrohung dessen Vollziehung bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt. Das ist hinreichend (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. Februar 2020 – 1 C 19.19 –, juris Rn. 54).

(3) Die Abschiebungsandrohung erweist sich auch nicht unter Berücksichtigung der jüngsten EuGH-Rechtsprechung zur Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 5 lit a) Rückführungsrichtlinie und der familiären Bindungen nach Art. 5 lit. b) Rückführungsrichtlinie als unionsrechtswidrig. Nach Ansicht der Kammer ist dem Unionsrecht – insbesondere nach der Auslegung in den Urteilen des EuGH vom 11. März 2021 – C-112/20 –, juris, Rn. 25 ff. (M.A.-Belgien), und vom 14. Januar 2021 – C-441/19 –, juris, Rn. 43 ff. (TQ-Niederlande) – nicht zu entnehmen, dass die Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung i.S.d. der Rückführungs-richtlinie (2008/115/EG) zum Schutz eines Minderjährigen im vorliegenden Fall unterbleiben müsse.

Die Frage, ob sich aus der neueren Rechtsprechung des EuGH ergebe, dass inlandsbezogene Abschiebungsverbote wie z. B. schutzwürdige Interessen an der Vermeidung einer Trennung von Familienangehörigen bei der Abschiebungsan-drohung zu berücksichtigen seien, wird zwar in der nationalen Rechtsprechung derzeit unterschiedlich beantwortet (dafür: Verwaltungsgericht Sigmaringen, Urteil vom 4. Juni 2021 – A 4 K 3124/19 –, juris; Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 2. Juli 2021 – A 19 K 2100/21 –, juris und Urteil vom 12. Juli 2021 – A 19 K 9993/17 –, juris; Roß, NvWZ 2021, 553; dagegen: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. April 2021 – 19 A 810/16.A –, juris; Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 19. April 2021 – A 4 K 6798/19 –, juris), das allein rechtfertigt indes angesichts der dargestellten Heterogenität noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung.

Nach Auffassung der Kammer lässt sich aus den beiden genannten Urteilen des EuGH der vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers angestellte Schluss nicht ziehen. Den Entscheidungen ist nicht zu entnehmen, dass das Unionsrecht – abweichend vom nationalen deutschen Recht – das Bundesamt bei seiner Entscheidung über den Erlass einer Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung nach § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 34 Abs. 1 i. V. m. § 59 AufenthG auch zur Berücksich-tigung des Wohls des Kindes nach Art. 5 lit a) Rückführungsrichtlinie und der fami-liären Bindungen nach Art. 5 lit. b) Rückführungsrichtlinie verpflichtet. In seinem erstgenannten Urteil vom 11. März 2021 wiederholt der Gerichtshof vielmehr lediglich seine schon früher getroffene Aussage zu Art. 5 lit a) Rückführungsrichtlinie, dass das Kindeswohl nicht nur dann zu berücksichtigen ist, wenn Adressat der Rück-kehrentscheidung der Minderjährige selbst ist, sondern auch dann, wenn Adressat sein Elternteil ist (Rn. 33, 43). Das Urteil enthält keine Aussage des Inhalts, dass die nationale Asylbehörde diese Kindeswohlprüfung bei ihrer Rückkehrentscheidung nicht mehr der Vollzugsentscheidung der Ausländerbehörde einschließlich der dagegen eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten vorbehalten dürfe. Vielmehr verlange danach Art. 5 Rückführungsrichtlinie i.V.m. Art. 24 der EU-Grundrechtecharta nur, dass die Mitgliedstaaten auch in derartigen Fällen vor einer mit einem Einreiseverbot verbundenen Rückkehrentscheidung das Wohl des Kindes gebührend zu berücksichtigen haben. Auch dem zitierten Urteil vom 14. Januar 2021 lässt sich ebenfalls keine solche Aussage entnehmen. Der dieser Entscheidung zugrunde-liegende Fall eines unbegleiteten Minderjährigen ist dem Fall des Antragstellers noch weniger vergleichbar. Insbesondere spielt die zentrale Frage jenes Verfahrens, wie und wann ein Mitgliedstaat zu prüfen hat, ob für den fraglichen unbegleiteten Minderjährigen im Rückkehrstaat eine geeignete Aufnahmemöglichkeit zur Verfügung steht (Rn. 55) im vorliegenden Fall keine Rolle (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. April 2021 – 19 A 810/16.A –, juris Rn. 100).

Nach Ansicht der zur Entscheidung berufenen Kammer ergibt sich auch nicht aus der Zusammenschau beider Entscheidungen des EuGH, dass die Frage, wie die Berücksichtigung des Kindeswohls zu erfolgen habe, im Sinne der Ansicht des Antragstellers geklärt sei (in diese Richtung: Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 12. Juli 2021 – A 19 K 9993/17 –, juris Rn. 75). Zwar ist es zutreffend, dass der EuGH mit dem zitierten Urteil vom 11. März 2021 entschieden hat, dass Art. 5 lit. a) Rückführungsrichtlinie auch in Konstellationen wie der vorliegenden verlangt, dass das Wohl des Kindes gebührend zu berücksichtigen ist und mit dem Urteil vom 14. Januar 2021 zu dem Schluss gekommen ist, dass dann, wenn eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen ergreifen müssen, die zur Durchführung der Abschiebung des Betroffenen erforderlich sind (Rn. 79). Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass der EuGH bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen hat, dass Art. 6 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie es den Mitgliedstaaten erlaubt, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen des Vorliegens eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen (Urteil vom 5. Juni 2014 – C-146/14, PPU –, juris Rn. 52). Es ist dem Unionsrecht daher nicht zu entnehmen, dass jede Rückführungsentscheidung zwingend zu vollziehen ist und damit im Umkehrschluss absehbare für einen erheblichen Zeitraum bestehende Hinderungsgründe in der Vollziehung bereits dem Erlass der Rückkehrentscheidung entgegenstehen. Nach Art. 6 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie wird in diesem Fall entweder bereits keine Rückkehrentscheidung erlassen oder – wenn bereits eine Rückkehrentscheidung ergangen ist – ist diese zurückzunehmen oder für die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der sonstigen Aufenthaltsberechtigung auszusetzen.

Nach Ansicht der Kammer ist die nationale Regelung in § 60a Abs. 2b AufenthG, wonach u.a. die Abschiebung der Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 besitzt, ausgesetzt werden soll, folglich ausreichend, um dem unionsrechtlichen Erfordernis der „gebührenden Berücksichtigung“ Rechnung zu tragen. Die Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt durch diese Regelung „vor Erlass“ der Abschiebungsandrohung das Wohl eines Kindes oder auch von familiären Bindungen dadurch „gebührend“, dass von vornherein aufgrund der gesetzgeberischen Systematik feststeht, dass eine Abschiebungsandrohung nicht vollstreckt werden wird, solange inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen. Eine Verlagerung der Prüfung nationaler Abschiebungshindernisse auf die Ebene des Erlasses der Rückkehrentscheidung bedarf es daher nicht (ebenso: Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 19. April 2021 – A 4 K 6798/19 –, juris Rn. 37).

c) Schließlich ist die Entscheidung, wonach das Vorliegen von Abschiebungs-verboten gemäß § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG verneint wird (Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids), rechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung durch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid an, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG verwiesen wird, zumal weiterer Vortrag dazu nicht erfolgt ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).