Gericht | OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 31.08.2021 | |
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Aktenzeichen | 10 WF 2/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0831.10WF2.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Potsdam vom 27. August 2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Brandenburg an der Havel – 42 F 66/19 – wird zurückgewiesen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Die gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässige Beschwerde, über die der Senat nach Übertragung durch den Einzelrichter in der nach dem Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehenen Besetzung entscheidet, ist unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht die der Beschwerdeführerin aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf 502,78 € festgesetzt und damit auch eine 1,2 Terminsgebühr für erstattungsfähig gehalten. Obwohl im vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren betreffend das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind der beteiligten Eltern der an sich gemäß § 155 Abs. 2 S. 1 FamFG gebotene Erörterungstermin nicht stattgefunden hat, weil die Eltern gemäß § 36 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO einen das Verfahren beendenden schriftlichen Vergleich geschlossen haben, liegen die Voraussetzungen für die Entstehung einer Terminsgebühr nach Nr. 3104 Vergütungsverzeichnis - VV - als Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG vor.
Allerdings entsteht die Terminsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 vor VV 3100 grundsätzlich nur für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen und von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen. In VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 in der bis zum 31.12.2020 geltenden, hier mit Rücksicht auf § 60 RVG maßgeblichen Fassung ist aber bestimmt, dass die Gebühr auch entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307 oder § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
1.Eine gerichtliche Entscheidung ist im vorliegenden Fall nicht getroffen worden, die beteiligten Eltern haben aber einen schriftlichen Vergleich geschlossen.
Gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 FamFG können die Beteiligten einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand des Verfahrens verfügen können.
Allerdings besteht keine Dispositionsbefugnis der Eltern hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts als Teil der elterlichen Sorge (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 04.07.2028 – 1 UF 253/18, FamRZ 2019, 821). Die beteiligten Eltern haben hier aber ausweislich des Beschlusses des Amtsgerichts vom 23.04.2019, durch den das Zustandekommen eines Vergleichs festgestellt worden ist, keine Vereinbarung bzw. keinen Vergleich über die elterliche Sorge oder Teile derselben geschlossen. Vielmehr haben sich nach Ziffer 1 des Beschlusses darauf beschränkt, ein Einvernehmen darüber zu erzielen, dass der Aufenthalt des gemeinsamen Sohnes im Haushalt des Vaters bestimmt wird. Da die Eltern im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs gemeinsam Inhaber der elterlichen Sorge waren, konnte nicht einer von ihnen allein über den Aufenthalt des gemeinsamen Sohnes bestimmen. Eine Einigung über den Aufenthalt des Kindes ist daher einem Vergleich zugänglich. Durch diese Vereinbarung ist der Streit bzw. die Ungewissheit der Eltern über ein Rechtsverhältnis in Bezug auf den gemeinsamen Sohn im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt worden, mithin ein Vergleich im Sinne von § 779 Abs. 1 BGB geschlossen worden.
Darüber hinaus haben die beteiligten Eltern gemäß Ziffer 2 des Beschlusses vom 23.04.2019 auch eine Vereinbarung über den Umgang geschlossen. Vor diesem Hintergrund hat das Amtsgericht im Beschluss vom 23.04.2019 nicht nur den Wert für das Verfahren der einstweiligen Anordnung auf 1.500 € festgesetzt, sondern darüber hinaus den „überschießenden Vergleichswert“ auf 3.000 € festgesetzt. Schon im Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts vom 10.07.2019 ist die der Beschwerdeführerin aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf der Grundlage eines Verfahrenswertes von 1.500 € festgesetzt worden. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass für den Mehrwert weder Verfahrenskostenhilfe beantragt noch bewilligt worden sei. Mit ihrer Erinnerung vom 08.08.2019 wenden sich die Verfahrensbevollmächtigten der Mutter nur dagegen, dass keine Terminsgebühr für das durch den Vergleich abgeschlossene Verfahren betreffend die einstweilige Anordnung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht Berücksichtigung gefunden hat. Allein diesem Einwand hat folgerichtig das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss vom 06.08.2020 Rechnung getragen, indem es die Terminsgebühr für erstattungsfähig gehalten hat. Dagegen wendet sich der Bezirksrevisor mit der Beschwerde. Im Rahmen der Prüfung dieses Rechtsmittels kommt es auf die Behandlung der Vergütung bezüglich des Mehrvergleichs zum Umgang nicht an.
2.
Die Terminsgebühr kann nach Nr. 3104 VV Abs. 1 Nr. 1 #VV grundsätzlich auch dann entstehen, wenn das Verfahren durch einen schriftlichen Vergleich gemäß § 278 Abs. 6, ZPO (gegebenenfalls i.V.m. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG) abgeschlossen worden ist, ohne dass zuvor ein Termin stattgefunden hat.Allerdings ist die Auffassung vertreten worden, dass ein nach § 278 Abs. 6 ZPO zustande gekommener Vergleich gerade nicht unter die Vorschrift des VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV falle (so noch Hartmann, Kostengesetze, 48. Aufl. 2018, VV 3104 Rn. 30 ). Zur Begründung wird eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) angeführt, die noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten des RVG, auf der Grundlage von § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO, ergangen ist. Danach werden die außerhalb eines gerichtlichen Termins geführten Auseinandersetzungen und Verhandlungen der Parteien und ihrer Vertreter vor einem Vergleichsschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO durch die Prozessgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO abgegolten und lösen keine Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO aus (BGH, Beschluss vom 30.03.2004 - VI ZB 81/03, NJW 2004, 2311). Dieser Auffassung haben sich das OLG Düsseldorf (NJW-RR 2006, 1582) und das OLG Naumburg (NJW-RR 2006, 504) angeschlossen. Diese Rechtsprechung ist aber überholt.
Der BGH hat durch Beschluss vom 27.10.2005 - III ZB 42/05 (NJW 2006, 157) überzeugend entschieden, dass insbesondere der schriftliche Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO unter die Vorschrift des VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV falle (ebenso BGH, Beschluss vom 03.07.2006 - II ZB 31/05, NJW-RR 2006, 1507; BGH, Beschluss vom 22.02.2007 - VII ZB 101/06, NJW-RR 2007, 1149 Rn. 9) Eine entsprechende Entscheidung hat auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) getroffen (BAG, Beschluss vom 20.06.2006 - 3 AZB 78/05, NJW 2006, 3022). Entgegen der von Hartmann, a.a.O., vertretenen Auffassung waren weder der BGH noch das BAG mit Rücksicht auf die Entscheidung des BGH vom 30.03.2004 gehalten, die Sache zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 132 GVG dem Großen Senat des BGH bzw. Art. 95 Abs. 3 GG dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorzulegen. Der BGH hat im Beschluss vom 27.10.2005 ausdrücklich ausgeführt, dass der frühere Rechtszustand - dass eine außerhalb eines gerichtlichen Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der Parteien vor einem Vergleichsabschluss eine Erörterungsgebühr nicht auslösen konnte - durch Absatz 3 der Vorbemerkung 3 VV RVG bewusst abweichend geregelt worden sei (ebenda, Rn. 6).
Der II. Zivilsenat des BGH hat ausdrücklich erklärt, die Entscheidungen des VI. Zivilsenats des BGH vom 30.03.2004 (NJW 2004, 2311) und vom 30.06.2004 (NJOZ 2004, 4083) ständen der neuen Rechtsprechung nicht entgegen, weil sie in einem das alte Recht (BRAGO) betreffenden Verfahren ergangen seien und von dem VI. Zivilsenat selbst zutreffend als für seinen Beschluss „nicht tragend” bezeichnet worden seien (BGH, Beschluss vom 03.07.2006, a.a.O., Rn. 12).
Nach der neueren Rechtsprechung des BGH ist somit davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt die Terminsgebühr nach VV 3104 immer dann verdient, wenn ein schriftlicher Vergleich nach § 278 VI ZPO geschlossen wird, unabhängig davon, ob dies im Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO oder § 495a ZPO geschieht oder die Parteien in einem Verfahren, in dem zunächst die mündliche Verhandlung vorgesehen war, durch Abschluss eines schriftlichen Vergleichs auf die mündliche Verhandlung verzichten. Die bis dahin vorgenommene Differenzierung überzeugte auch nicht. Die Möglichkeit, einen Zivilprozess durch Abschluss eines schriftlichen Vergleichs zu beenden, ist erst mit Wirkung zum 01.01.2002 durch die ZPO-Reform eingeführt worden. Aus VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 ergibt sich eine Differenzierung dahin, dass eine Terminsgebühr nur dann nach Abschluss eines schriftlichen Vergleichs entstehen soll, wenn die Beteiligten bzw. die Parteien durch ihre Anwälte zuvor Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 128 Abs. 2 ZPO erklärt haben, nicht. Die Interessenlage ist auch in beiden Fällen nicht unterschiedlich. Vielmehr geben Anwälte, die sich zum Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO bereit erklären, zu erkennen, dass in dem Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht mehr stattfinden soll. Insofern ist die Situation vergleichbar mit derjenigen, die von § 128 Abs. 2 ZPO erfasst wird.
3.
Von VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 werden nicht nur Verfahren nach der ZPO (gegebenenfalls im Wege der Verweisung gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG) erfasst, für die eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, sondern auch Verfahren nach dem FamFG, für die eine Erörterung vorgeschrieben ist.
Das Amtsgericht hat, obwohl der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht – wie in § 33 Abs. 3 S. 1 RVG vorausgesetzt – 200 € übersteigt, die Beschwerde zu Recht gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 2 RVG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen. Denn in Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob in einem Fall, in dem keine mündliche Verhandlung im Sinne der ZPO, wohl aber eine Erörterung nach dem FamFG vorgeschrieben ist, mit Rücksicht auf VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 eine Terminsgebühr entstehen kann.
Zunächst ist festzustellen, dass in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur ausnahmsweise ein Erörterungstermin zwingend vorgeschrieben ist. Dabei ist zwischen der allgemeinen Vorschrift des § 32 Abs. 1 S. 1 FamFG und der Spezialbestimmung des § 155 Abs. 2 S. 1 FamFG zu unterscheiden.
Gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 FamFG kann das Gericht die Sache mit den Beteiligten in einem Termin erörtern. Die Anordnung eines Termins nach dieser Vorschrift steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Keidel/Sternal, FamFG, 20 Aufl., § 32 Rn. 3; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann, FamFG, 6. Aufl., § 32 Rn. 5). Übt das Gericht sein Ermessen dahin aus, ohne Erörterungstermin zu entscheiden, kann unabhängig vom Verfahrensverlauf im Einzelnen eine Terminsgebühr im Sinne von VV 3104 VV nicht entstehen.
Gemäß § 155 Abs. 2 S. 1 FamFG erörtert das Gericht in Verfahren nach § 155 Abs. 1 FamFG, also in Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie in Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls die Sache mit den Beteiligten in einem Termin. Der Termin soll spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden, § 155 Abs. 2 S. 2 FamFG. Aus diesen Bestimmungen folgt die Verpflichtung des Familiengerichts, die unter § 155 Abs. 1 FamFG fallende Kindschaftssache und die ihr zugrunde liegende Problematik mit den Beteiligten mündlich in einem Termin zu erörtern (Keidel/Engelhardt, FamFG, 20. Aufl., § 155 Rn. 7; Schulte-Bunert/Weinreich/Ziegler, FamFG, 6. Aufl., § 155 Rn. 6). Mithin handelt es sich um eine Erörterung, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Da aber in VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 nur von einer mündlichen Verhandlung, nicht aber von einer Erörterung die Rede ist, werden unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, ob dann, wenn der Erörterungstermin nicht stattfindet, dennoch eine Terminsgebühr oder die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift entstehen kann.
a)
Teilweise wird vertreten, aufgrund des eindeutigen Wortlauts von VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 könne eine Terminsgebühr ohne einen tatsächlich stattgefundenen Termin nur entstehen in Verfahren, für die eine mündliche Verhandlung im Sinne der ZPO vorgeschrieben sei. Eine vorgeschriebene Erörterung nach dem FamFG sei von der Bestimmung nicht erfasst (so OLG München, Beschluss vom 20.09.2019 – 11 WF 666/19, FamRZ 2020, 367; OLG Celle, Beschluss vom 13.09.2011 - 10 WF 227/11, FamRZ 2012, 245; OLG Hamm, Beschluss vom 11.07.2017 - 6 WF 137/17, FamRZ 2018, 377, 378; OLG Schleswig, Beschluss vom 12.02.2014 - 15 WF 410/13, BeckRS 2014, 05593).
b)
Demgegenüber wird die Auffassung vertreten, dass eine Terminsgebühr auch in Verfahren entstehen könne, in denen eine Erörterung nach dem FamFG vorgeschrieben sei, das Verfahren dann aber ohne einen solchen Erörterungstermin durch Entscheidung oder Abschluss eines schriftlichen Vergleichs beendet worden sei, denn die Interessenlage sei vergleichbar (so OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.09.2010 – 8 WF 133/10, NJW 2010, 3524, 3525; auch bei juris; OLG Jena, Beschluss vom 19.09.2011 - 3 WF 387/11, FamRZ 2012, 329; Keuter, NJW 2009, 2922; Toussaint, Kostengesetze, 51. Aufl., VV 3104 Rn. 16 „FamFG“; wohl auch KG, Beschluss vom 16.08.2012 - 25 WF 58/12, FramRZ 2013, 730).
c)
Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Der Begriff der vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung in VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 ist dahin zu verstehen, dass von ihm sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Termine vor Gericht und somit auch eine gesetzlich vorgeschriebene Erörterung nach dem FamFG erfasst wird.
Der Wortlaut der Bestimmung spricht allerdings dafür, dass nur mündlichen Verhandlungen im Sinne der ZPO erfasst sind. Auch ist der Gegenauffassung zuzugeben, dass der Reformgesetzgeber bei Erlass des am 01.09.2009 in Kraft getretenen FGG-Reformgesetzes (FGG-RG) grundsätzlich zwischen den Begrifflichkeiten im Zivilprozess und denjenigen der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterschieden hat. So gibt es in Familiensachen mit Inkrafttreten des FamFG keine Parteien mehr, sondern nur noch Beteiligte. Dies gilt auch für die Familienstreitsachen im Sinne von § 112 FamFG, wie § 113 Abs. 5 FamFG deutlich macht. Mit Rücksicht darauf, dass in den Familienstreitsachen gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG die Allgemeinen Vorschriften der ZPO und die Vorschriften der ZPO über das Verfahren vor den Landgerichten entsprechende Anwendung finden, sind in Familienstreitsachen aber zum Teil Rechtsinstitute vorgesehen, die allein in der ZPO geregelt sind. Dies gilt insbesondere für die mündliche Verhandlung gemäß §§ 128 ff. ZPO.
Auch kostenrechtlich hat der Gesetzgeber eine Differenzierung zwischen den Rechtsinstituten der ZPO und denjenigen der freiwilligen Gerichtsbarkeit vorgenommen (vgl. die vom OlG Celle, Beschluss vom 13.09.2011, a.a.O., genannten Beispiele). Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei dem umfangreichen Reformwerk – die Gesetzesmaterialien, BT-Drs. 16/6308, umfassen 428 Seiten – die Differenzierung durchgängig gelungen ist. Schon im FamFG finden sich Beispiele für eine nicht konsequente Wortwahl, und zwar gerade auch in Bezug auf die Differenzierung zwischen mündlicher Verhandlung und Erörterungstermin.
So wird in den Vorschriften über die einstweilige Anordnung (§§ 49 ff. FamFG) sowohl der Begriff der mündlichen Erörterung als auch der Begriff der mündlichen Verhandlung benutzt. In § 57 S. 1 FamFG werden die Entscheidungen in Verfahren der einstweilen Anordnung in Familiensachen für nicht anfechtbar erklärt. § 57 S. 2 FamFG macht eine Ausnahme für Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG, ferner in abschließend aufgezählten fünf Fällen, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges aufgrund mündlicher Erörterung entschieden hat. Hier ist der Begriff der mündlichen Erörterung zutreffend gewählt. Denn in den fünf Fällen, in denen eine Entscheidung im Verfahren der einstweilen Anordnung anfechtbar sein soll, handelt es sich um Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, nicht um Familienstreitsachen. Insofern hat die mündliche Erörterung ihre Grundlage in § 32 Abs. 1 FamFG oder in § 155 Abs. 2 S. 1 FamFG.
In § 51 Abs. 2 S. 2 FamFG hingegen wird der Begriff der mündlichen Verhandlung verwendet. In dieser Norm ist bestimmt, dass das Gericht in Verfahren der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann. An dieser Stelle ist nicht davon die Rede, dass das Gericht auch von einer mündlichen Erörterung absehen kann. Dies könnte man grundsätzlich noch damit rechtfertigen, dass eine zwingende mündliche Verhandlung nur in den Familienstreitsachen gemäß §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 128 Abs. 1 ZPO vorgesehen ist, sodass nur hinsichtlich dieser Fallkonstellation eine Befreiung vom zwingenden Verhandlungserfordernis geboten erschien. Mit Rücksicht darauf, dass § 155 Abs. 2 S. 1 FamFG für bestimmte Kindschaftssachen eine zwingende Erörterung in einem Termin vorsieht, kann dies aber nicht überzeugen. Vielmehr bedurfte es gerade auch in diesen Kindschaftssachen einer Vorschrift, die von der Notwendigkeit befreit, vor Erlass einer Entscheidung einen Termin durchzuführen. Gerade in den von § 51 Abs. 1 FamFG erfassten Verfahren müssen oftmals einstweilige Anordnungen sofort, d. h. ohne Durchführung eines Erörterungstermins, erlassen werden, etwa wenn es um die Herausgabe eines Kindes geht. Dass der Gesetzgeber dies verhindern wollte, also auch in besonders eilbedürftigen Kindschaftsverfahren einen mündlichen Erörterungstermin für zwingend erforderlich gehalten hat, kann nicht angenommen werden. Vielmehr geht die Rechtspraxis soweit ersichtlich einheitlich davon aus, dass die Vorschrift des § 51 Abs. 2 S. 2 FamFG jedenfalls in besonders dringlichen Fällen von dem gesetzlich vorgeschriebenen Erörterungstermin nach § 155 Abs. 2 S. 1 FamFG befreien kann (vgl. Keidel/Giers, a.a.O., § 51 Rn. 15; Johannsen/Heinrich/Althammer/Kohlenberg, 7. Aufl. 2020, FamFG § 51 Rn. 12 f.).
Ferner wird der Begriff der mündlichen Verhandlung in § 54 Abs. 2 FamFG verwandt. Dort ist geregelt, dass, wenn die Entscheidung einer Familiensache ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, auf Antrag aufgrund mündlicher Verhandlung erneut zu entscheiden sei. Von dieser Vorschrift erfasst werden – soweit ersichtlich unstreitig – auch Erörterungen im Sinne von § 155 Abs. 2 S. 1 FamFG, ja sogar Erörterungen im Sinne von § 32 Abs. 1 FamFG. Anders wären die bereits angeführten Einschränkungen bei der Unanfechtbarkeit von Entscheidungen im Verfahren der einstweilen Anordnung in Familiensachen in § 57 S. 2 FamFG nicht erklärbar. Würde nämlich ein Beteiligter, der von einer Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren ohne vorherigen Erörterungstermin betroffen ist, nicht die Möglichkeit erhalten, gemäß § 54 Abs. 2 FamFG eine erneute Entscheidung aufgrund eines Erörterungstermins zu beantragen, hätte er in den in § 57 S. 2 Nr. 1 bis 5 FamFG genannten Verfahren nicht die Möglichkeit, eine durch Beschwerde anfechtbare Entscheidung zu erlangen. Er könnte keinen Termin erzwingen mit der Folge, dass es zu einer Entscheidung aufgrund mündlicher Erörterung, die nach § 57 S. 2 FamFG für die Anfechtbarkeit erforderlich ist, nicht käme.
Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei Erlass des FGG-RG die für die verschiedenen Verfahren vorgesehenen unterschiedlichen Begrifflichkeiten stets zutreffend differenziert hat. Insbesondere auch in Bezug auf den Begriff der mündlichen Verhandlung ist ihm dies nicht durchgehend gelungen. Damit kann nicht zwingend angenommen werden, dass der Begriff „vorgeschriebene mündliche Verhandlung“ in VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 allein zivilprozessual zu verstehen ist.
Die Bestimmung des VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 ist von ihrem Inkrafttreten am 01.07.2004 an bis zum 31.12.2020 - mit Ausnahme der Einfügung des Begriffs der „Beteiligten“ neben dem Begriff der „Parteien“ zum 01.09.2009 - unverändert geblieben. Bei Inkrafttreten des RVG gab es noch keinen gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Erörterungstermin in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Dies hat sich erst geändert mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum FGG-RG (BT-Drs. 16/6308) vom 07.09.2007, der schon damals die letztlich am 01.09.2009 Gesetz gewordenen Bestimmungen des § 155 Abs. 1 bis 3 FamFG enthielt, also insbesondere auch den verpflichtenden Erörterungstermin in bestimmten Kindschaftssachen gemäß § 155 Abs. 2 FamFG (vgl. BT-Drs. 16/6308, S. 39, 235). Ein zwingender Erörterungstermin in bestimmten Kindschaftssachen ist dann allerdings nicht erstmals mit Inkrafttreten des FamFG in das Gesetz aufgenommen worden. Vielmehr ist dieses gesetzgeberische Vorhaben vorgezogen worden, indem es bereits auf Grund des am 12.07.2008 in Kraft getretenen Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (vgl. hierzu BT-Drs. 16/6815, S. 5, 16) in § 50e Abs. 2 FGG Aufnahme gefunden hat. Von diesem Zeitpunkt an gibt es erstmals im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit einen gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Erörterungstermin. Dies rechtfertigt es, der Bestimmung des VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 ein erweitertes Verständnis beizulegen.
Das OLG Stuttgart weist zu Recht darauf hin, dass mit der Einführung des obligatorischen Erörterungstermins in § 155 Abs. 2 S. 1 FamFG neben der Beschleunigung der Verfahren das Ziel verfolgt wurde, einvernehmliche Konfliktlösungen zu fördern (OLG Stuttgart, a.a.O., juris Rn. 9 unter Bezugnahme auf BT-Drucksache 16/6308, S. 236). Gerade um solche einvernehmliche Konfliktlösungen auch außergerichtlich zu ermöglichen, bietet VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV einen Anreiz (OLG Stuttgart, a.a.O., juris Rn. 9).
Das erweiterte Verständnis des Begriffs „vorgeschriebene mündliche Verhandlung“ in VV 3104 Abs. 1 Nr. 1, dahin, dass von ihm jeder gesetzlich vorgeschriebene gerichtliche Termin erfasst wird, steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH. Dieser hat etwa in Bezug auf den seinerzeitigen § 35 BRAGO, der ein Verfahren voraussetzte, „für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist“, entschieden, dass die Vorschrift für die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich keine Anwendung finde, weil hier das Gericht - soweit es an einer gesetzlichen Regelung fehle - nach pflichtgemäßem Ermessen darüber befinde, ob es im schriftlichen Verfahren oder nach mündlicher Verhandlung entscheiden wolle. In Wohnungseigentumssachen liege es im Hinblick auf die abweichende Bestimmung des § 44 Abs. 1 WEG in der bis zum 30.06.2007 geltenden Fassung anders. Danach sollte in der Regel mündlich verhandelt werden und auf eine mündliche Verhandlung nur ausnahmsweise verzichtet werden können. Deshalb sein eine Gleichbehandlung mit dem Fall einer ausnahmslos vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung gerechtfertigt (BGH Beschluss vom 24.07.2003 - V ZB 12/03, NJW 2003, 3133). Diese Auffassung hat der BGH in Bezug auf VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 bestätigt (BGH, Beschluss vom 09.03.2006 - V ZB 164/05, NJW 2006, 2495). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es sich bei den Wohnungseigentumssachen bis zum 30.06.2007 noch um Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehandelt hat. Denn ert mit Inkrafttreten der WEG-Novelle am 01.07.2007 ist das Wohnungseigentumsverfahren aus dem FGG in die ZPO überführt worden (vgl. Niedenführ, NJW 2007, 1841; Sauren, DStR 2007, 1307, 1311). Mithin hat der BGH die Anwendung von VV 3104 Abs. 1 Nr. 1 auch in einem besonderen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bereits bejaht. Dann aber ist es gerechtfertigt, dies auch in Bezug auf den Erörterungstermin nach § 155 Abs. 2 FamFG zu tun (vgl. auch Keuter, NJW 2009, 2922, 2923, der ebenfalls auf die Rechtsprechung des BGH zu § 44 WEG a.F. hinweist). Dies gilt umso mehr, das dieser Gerichtstermin - anders als derjenige nach § 44 Abs. 1 WEG a.F. - ausnahmslos zwingend vorgeschrieben ist.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 S. 2, 3 RVG.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Obwohl das Amtsgericht zu Recht von einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache ausgegangen ist und einander widersprechende Entscheidungen von Oberlandesgerichten vorliegen, ist dem Senat im Hinblick auf § 56 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 6 S. 1 RVG verwehrt, ein Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof zuzulassen.