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Entscheidung 11 U 176/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 11. Zivilsenat Entscheidungsdatum 09.06.2021
Aktenzeichen 11 U 176/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0609.11U176.20.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 03.08.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam, 11 O 67/20, wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil wird für vorläufig vollstreckbar erklärt. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 45.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal geltend. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage mit einem dem Kläger am 10.08.2020 zugestellten Urteil in vollem Umfang abgewiesen.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass Ansprüche des Klägers weder aus § 826 BGB noch aus § 263 Abs. 2 StGB folgten. Insoweit fehle es bereits an einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte im Sinne des § 826 BGB. Maßgeblich sei insoweit, dass hinsichtlich des hier in Rede stehenden Fahrzeugs kein Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (im Folgenden KBA) erfolgt sei. Auch das von der Beklagten nachträglich aufgespielte Software-Update sei vom KBA typenrechtlich gebilligt worden. Zudem arbeite das Thermofenster auf dem Prüfstand im Kern wie im Realbetrieb. Soweit der Kläger den hier in Rede stehenden Motor EA 288 mit dem Motor des Vorgängermodells gleichsetze und bereits deshalb eine unzulässige Abschalteinrichtung begründen wolle. Im Übrigen fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten im klägerischen Vortrag, so dass es sich zu zahlreichen Punkten um Vortrag ins Blaue hinein handele. Schließlich könne sich der Kläger auch nicht auf die von ihm herangezogene Gerichtsentscheidung des OLG Koblenz (Urt. v. 05.06.2020 – 8 U 1803/19) stützen, da diese nicht vergleichbar sei. Auch ein Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften sei nicht gegeben, da diese Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB beinhalteten.

Hiergegen richtet sich die am 19.08.2020 beim Berufungsgericht eingelegte und am 11.11.2020 (innerhalb bis zum 12.11.2020 nachgelassener Frist) begründete Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Zusammengefasst macht der Kläger Folgendes geltend:

Er meint, das Landgericht habe die Substanziierungsanforderungen an seinen Vortrag überspannt. In der Sache hätte es daher ein Sachverständigengutachten einholen müssen, was sich auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 (VII ZR 57/19) ergebe. Bei dem Thermofenster handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung, da dieses zwei unterschiedliche Betriebsmodi aufweise. Zudem ergebe sich aus der mit der Berufungsbegründung vorgelegten Anlage BK 1, dass das Fahrzeug über eine unzulässige Kurvenerkennung verfüge. Dieser Vortrag sei auch berufungsrechtlich zuzulassen, denn die Erkenntnisse hierzu hätten sich erst aus einem Verfahren vor dem Landgerichts Ravensburg ergeben, dessen Akten das Landgericht hätte beiziehen sollen. Zudem stütze eine neuere Entscheidung des OLG Naumburg vom 09.04.2021 (8 U 68/20) seine Rechtsposition.

Im Übrigen trägt der Kläger zu den anpruchsbegründenden Umständen und Voraussetzungen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs unter Bezugnahme und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter vor.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Potsdam die Beklagte zu verurteilen, an ihn 49.265,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, der …, mit der Fahrgestellnummer … und unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.423,08 € zu zahlen sowie

festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des vorgenannten Fahrzeugs seit dem 19.02.2020 in Annahmeverzug befindet und

die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.777,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.02.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt, vertieft und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Insbesondere hat sie in der Berufungsbegründung bestritten, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug die vom Kläger in der Berufungsbegründung angeführte NSK-Technik enthalten sei. Zudem sei der dahingehende Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren präkludiert.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Landgericht hat die auf Schadensersatz gerichtete Klage des Klägers zutreffend in vollem Umfang abgewiesen. Das Landgericht ist sowohl im Ergebnis richtig. Es ist zudem mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Forderungen, die der Kläger für sich beansprucht, nicht bestehen.

A. Dem Kläger steht zunächst in der Hauptsache kein durchsetzbarer Anspruch auf Zahlung von 49.265,60 € nebst geltend gemachter Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des von ihm erworbenen Fahrzeugs und unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.423,08 € zu.

1. Entgegen der von der Berufung vertretenen Auffassung scheiden Ansprüche nach §§ 826, 31 (analog) BGB aus.

a) Nach dieser Vorschrift ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Die erforderliche Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn die schädigende Handlung nach ihrem Inhalt bzw. ihrem Gesamtcharakter im Widerspruch zum Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden steht und daher mit den grundsätzlichen Wertungen der Rechts- und Sittenordnung unvereinbar ist (BGH, Teilversäumnis- und Endurteil v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16). Für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Entgegen der vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung kann die in der Berufungsbegründung angeführte Entscheidung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 28.01.2020 – VIII U 57/19) nicht für ein anderslautendes Ergebnis hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast herangezogen werden, denn für kaufrechtliche Gewährleistungsfragen gilt insoweit ein anderer Maßstab als im Deliktsrecht. Die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast bei § 826 BGB verortet der für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 19.01.2021 (VI. 433/19) klar und ohne Einschränkungen auf der Seite der Kläger in vergleichbaren Fällen (vgl. dort Rn. 19). Dem schließt sich der Senat in ständiger Rechtsprechung an (vgl. hierzu jüngst Beschl. v. 28.04.2021 – 11 U 263/20).

b) Bereits auf der Grundlage des jedenfalls für diesen Rechtsstreit maßgeblichen klägerischen Vortrags in erster Instanz ergibt sich an diesen Voraussetzungen gemessen keine Haftung der Beklagten.

aa) Das Landgericht hat den Vortrag des Klägers zu einer angeblichen Täuschung der Behörden durch die Beklagte im Zusammenhang mit der Erlangung der Typgenehmigung für den in seinem Fahrzeug verbauten Motor durch Installation einer Prüfstandserkennungssoftware zur Vorspiegelung der im realen Straßenbetrieb nicht gewährleisteten Einhaltung der Emissionsgrenzwerte zu Recht als unsubstantiiert angesehen. Auch der neue Vortrag des Klägers in der Berufungsinstanz ist - soweit er nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen ist - nicht geeignet, eine vorsätzlich sittenwidrige Täuschung der Beklagten zu begründen.

aaa) In erster Instanz hat der Kläger in tatsächlicher Hinsicht betreffend den streitgegenständlichen Motor des Typs EA 288 keinerlei konkrete Abgaswerte, aus denen er eine Manipulation der Beklagten herleitet, für das streitgegenständliche Fahrzeug vorgetragen, sondern insoweit lediglich den substanziierten Vortrag der Beklagten pauschal bestritten und hierzu allgemein spekuliert. Im Übrigen hat er sich im Wesentlichen auf landgerichtliche Entscheidungen gestützt, die andere Fahrzeuge betrafen.

bbb) Der Kern seines erstinstanzlichen Vortrags zum Vorhandensein unzulässiger Mechanismen zur Prüfstandserkennung bezog sich auf den Motor des Typs EA 189, der jedoch unstreitig nicht im Fahrzeug des Klägers verbaut ist. Im Übrigen führt allein die Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für den Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb bei Einhaltung der Grenzwerte im Prüfstandbetrieb nicht zum Rückschluss auf eine unzulässige Abschalteinrichtung, die jegliche Darlegungen zu deren Art und Wirkungsweise entbehrlich macht (vgl. hierzu eingehend OLG Frankfurt a.M. Urt. v. 07.10.2020 – 4 U 171/18, BeckRS 2020, 46880 Rn. 40). Denn es liegt auf der Hand, dass die Überschreitung des Wertes im NEFZ zunächst darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgestellten, standardisierten Fahrzyklus auf dem Prüfstand (OLG Frankfurt, a.a.O.). Die Umschaltvorrichtung in der Software bei Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns mit Motoren des Typs EA 189 ist vom Kraftfahrtbundesamt auch nicht wegen der generellen Abweichung der Emissionswerte im Normalbetrieb als unzulässig beanstandet worden, sondern ausschließlich deshalb, weil sie bei erkannter Abweichung der Fahrt vom NEFZ die Abgasreinigung zu Gunsten erhöhter Stickoxidwerte veränderte. Aus diesem Grund kommt allein den Messungen im Realbetrieb keine entscheidende Bedeutung zu (OLG Frankfurt, a.a.O.).

ccc) Hinzu kommt, dass die Beklagte unwidersprochen in der Klageerwiderung (dort S. 5 ff.) darauf verwiesen hat, dass sich nach den durch unabhängige Gutachter im Auftrag des BMVI im Jahr 2016 durchgeführten Untersuchungen des hier streitgegenständlichen Motortyps ausweislich des Berichts der Untersuchungskommission „Volkswagen“ keine Hinweise auf eine Abgasmanipulation ergeben haben. Hierzu hat der Kläger erstinstanzlich nichts Substanzielles erwidert.

Aus dem Untersuchungsbericht, auf den die Beklagte bereits erstinstanzlich Bezug genommen hatte, ergibt sich aber, dass das Kraftfahrtbundesamt im Auftrag des BMVI u.a. 8 Fahrzeuge der Emissionsklassen Euro 5 und 6 mit dem Motor EA 288 dahingehend überprüft hat, ob sie unzulässige Abschalteinrichtungen oder unzulässige Systematiken und Randbedingungen von Prüfstands- und Zykluserkennungen wie die in den EA 189-Fahrzeugen verbaute Umschaltlogik enthielten (vgl. hierzu auch OLG Frankfurt, a.a.O. Rn. 41). Die Untersuchungen sind durch unabhängige Gutachter erfolgt und die Fahrzeuge unter variierten Prüfungsanforderungen sowohl im Labor auf dem Rollenprüfstand nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) als auch unter den gesetzlich nicht erforderlichen, realen Fahrbedingungen auf der Straße mithilfe von Real Diving Emissions-Messungen (RDE Messungen) getestet worden. Als Fahrprofile wurden neben dem gesetzlich vorgeschriebenen NEFZ auch NEFZ variierte Profile und in Anlehnung an den Vorschlag der Europäischen Kommission der RDE-Zyklus gefahren. Nach diesen Prüfungen ist das BMVI zu dem Ergebnis gekommen, dass in den Motoren des Typs EA 288 die aus den EA 189-Fällen bekannte Umschaltlogik nicht zum Einsatz kommt (OLG Frankfurt, a.a.O.).

ddd) Hinzu kommt, dass zwischen den Parteien in der Erörterung im Senatstermin am 09.06.2021 unstreitig war, dass das hier in Rede stehende Fahrzeug mit dem Motor EA 288 nicht von einem Rückruf des KBA betroffen ist.

Abgesehen davon, dass auch in Fällen eines erfolgten Rückrufs in der obergerichtlichen Rechtsprechung hieraus nicht zwingend auf eine sittenwidrige Schädigung geschlossen worden ist (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 12.06.2020 – 10 U 193/19; OLG Oldenburg, Urt. v. 01.04.2020 – 5 U 107/19, BeckRS 2020, 9827; vgl. hierzu auch OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.07.2020 – 5 U 4765/19, BeckRS 2020, 17693 Rn. 16), bestehen derzeit nicht einmal irgendwelche Anhaltspunkte für einen solchen Rückruf betreffend den hier in Rede stehenden Pkw. Insoweit kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein solcher Rückruf etwa lediglich noch ausstehe. Hält das KBA eine vorhandene temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung für zulässig und hat es diese weder bei Zulassung noch bei nachträglicher Kenntniserlangung beanstandet, ist den Zivilgerichten zudem eine andere, hiervon abweichende Beurteilung verwehrt (vgl. OLG Celle, Urt. v. 13.11.2019 – 7 U 367/18, zit. n. juris Rn. 38; zum bestandskräftigen Verwaltungsakt einer behördlichen Genehmigung vgl. auch BGH, Urt. v. 30.04.2015 – I ZR 13/14, Rn. 31, zit. n. juris). Die Gerichte haben Verwaltungsakte, auch wenn sie fehlerhaft sind, grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 22.09.2020 – 16a U 55/19, BeckRS 2020, 25570 Rn. 47; OLG Nürnberg, Beschl. v. 05.08.2020 – 5 U 3567/19). Dieser Umstand stünde zudem einem Schaden des Klägers entgegen.

bb) Entgegen der von der Berufung vertretenen Rechtsauffassung führt auch das von der Beklagten aufgespielte Thermofenster nicht zu einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung.

Insoweit kann dahinstehen, ob das Thermofenster an sich tatsächlich im Widerspruch zu den unionsrechtlichen Abgaskonformitätsvorschriften der VO 715/2007/EG steht (vgl. insoweit ablehnend OLG Stuttgart, Urt. v. 20.10.2020 – 16a U 37/19 S. 15; OLG Celle, Urt. v. 13.11.2019 – 7 U 367/18, BeckRS 2019, 29587 Rn. 32 ff.; vgl. hierzu auch umfassend Senatbeschl. v. 29.01.2021 – 11 U 113/20, BeckRS 2021, 7532 Rn. 25; v. 18.11.2020 – 11 U 50/20, a.a.O., Rn. 8).

aaa) Diese Frage ist sowohl in rechtlicher als auch in technischer Hinsicht umstritten. Insbesondere die unionsrechtliche Gesetzeslage war zumindest bis zur Entscheidung des EuGH vom 17.12.2020 (C-693/18), die mit den Parteien im Senatstermin vom 09.06.2021 erörtert wurde, nicht unzweifelhaft und ist dies möglicherweise mit Bezug auf das von der Beklagten verbaute Thermofenster womöglich auch durch die vorgenannte Entscheidung nicht geworden, denn der dort entschiedene Sachverhalt bezog sich auf eine Abschalteinrichtung, die aufgrund ihrer grundsätzlichen Funktionsweise zwar als „Thermofenster“ einzuordnen ist, darüber hinaus aber auch eine standardisierte Prüfzykluserkennung enthielt (vgl. hierzu zweifelnd Steinert, Der deutsche Diesel unter Generalverdacht – ein Sachstandsbericht zum Abgasskandal, SVR 2021, 41, 43 f.). Die jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des hier in Rede stehenden Fahrzeugs im Februar 2016 bestehende Unklarheit der Tragweite des Unionsrechts wird auch durch die in der Bundesregierung kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 2007/715 belegt. Nach Einschätzung der vom BMVI eingesetzten Untersuchungskommission liege ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten „Thermofenster“ jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im Bericht der Kommission zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 715/2007 ausdrücklich (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission …[B], Stand April 2016, S. 123): „Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein.“ Schließlich zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen die die Beklagte bewusst verstoßen hätte (vgl. Senatsbeschluss v. 28.04.2021 – 11 U 263/20; OLG Koblenz Urt. v. 18.01.2021 – 12 U 569/20, BeckRS 2021, 1169 Rn. 32; Urt. v. 11.01.2021 – 12 U 531/20; BeckRS 2021, 1167; OLG Köln, Beschl. v. 04.07.2019 - 3 U 148/18 -, juris, Rn. 6; OLG Stuttgart, Urt. v. 30.07.2019 - 10 U 134/19, juris, Rn. 89). Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, war daher jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs der Klägerin im Jahr 2016 nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (vgl. Senat, a.a.O.; OLG Koblenz Urt. v. 18.01.2021 – 12 U 569/20, BeckRS 2021, 1169 Rn. 32; Urt. v. 11.01.2021 – 12 U 531/20; BeckRS 2021, 1167; OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 90). Insoweit zeigt der Kläger weder erstinstanzlich noch in der Berufung auf, dass zu diesem Zeitpunkt in der Praxis einhellig von der Unzulässigkeit temperaturbedingter Abgassteuerung ausgegangen worden sei.

bbb) Maßgeblich ist zudem, dass das vom Kläger erworbene Fahrzeug nach § 3 Abs. 1 S. 2 FZV zugelassen wurde und die vom KBA erteilte Typengenehmigung nach der Genehmigungsrichtlinie 2007/46/EG erhielt und – wie bereits dargelegt – keinerlei Anhaltspunkte für einen Widerruf der Typengenehmigung aufgezeigt worden sind. Die vom KBA erteilte Typengenehmigung bildet nämlich die Grundlage der Fahrzeugproduktion und des Inverkehrbringens des typengenehmigten Fahrzeugs und stellt einen Verwaltungsakt dar (OLG Stuttgart, Urt. v. 22.9.2020 – 16a U 55/19, BeckRS 2020, 25570 Rn. 47; Urt. v. 20.10.2020 – 16a U 37/19, a.a.O.; OLG Celle, Urt. v. 13.11.2019 – 7 U 367/18, Rn. 32, BeckRS 2019, 29587, Urt. v. 18.12.2019, 7 U 511/18, Rn. 28 zit. n. juris).

Insoweit käme eine sittenwidrige Schädigung nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung, der sich der Senat in mehreren Entscheidungen angeschlossen hat (statt vieler vgl. Beschl. v. 18.11.2020, 11 U 50/19, a.a.O.), nur dann in Betracht, wenn und soweit die Beklagte die Mitarbeiter des KBA bei der Erteilung der Typengenehmigung arglistig getäuscht hätte. Hierfür hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger allerdings keinerlei Sachvortrag unterbreitet, woraus sich konkret eine solche Täuschung gegenüber dem KBA ergeben sollte.

cc) Der neue - von der Beklagten in der Berufungserwiderung bestrittene - Vortrag des Klägers in der Berufungsinstanz, das Motorsteuerungsgerät in seinem Fahrzeug sei mit einer Software ausgestattet, mit deren Hilfe es anhand vorgeschriebener Fahrkurven den Prüfzyklus NEFZ erkenne und daraufhin dafür sorge, dass der NSK bei Beginn der Messung fast leer sei, führt zu keinem anderen Ergebnis.

aaa) Dieser Vortrag ist bereits nicht zu berücksichtigen, da ein hinreichender Zulassungsgrund gem. § 531 Abs. 2 ZPO in der insoweit maßgeblichen Berufungsbegründung (vgl. § 520 Abs. 3 ZPO) nicht unterbreitet worden ist. Insbesondere hat es das Landgericht im Sinne von § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht verfahrensfehlerhaft unterlassen, die Gerichtsakten eines vor dem Landgericht Ravensburg geführten Rechtsstreits beizuziehen, zumal sich der Sachvortrag der Parteien nicht durch eine pauschale Bezugnahme auf beigezogene Akten ersetzen lässt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 31.07.2001 – 9 U 98/94; NJW-RR 2002, 504). Die Berufung zeigt zudem auch nicht auf, dass und weshalb das Landgericht zur Beiziehung der genannten Akten verpflichtet gewesen sein sollte. Solche Umstände sind auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens des Klägers nicht gegeben. Die unter anderem in § 273 ZPO geregelten, den Beibringungsgrundsatz modifizierenden Mitwirkungspflichten des Gerichts begründen nämlich nicht in jedem Fall ein Recht der Parteien auf ein Tätigwerden des Gerichts. Das Gericht hat zwar in jeder Lage des Verfahrens darauf hinzuwirken, dass sich die Parteien vollständig erklären (§ 273 Abs. 1 2 ZPO), insbesondere einen ungenügenden Tatsachenvortrag ergänzen (§ 139 Abs. 1 ZPO). Der Grundsatz, dass es im gewöhnlichen Zivilprozess keine Ermittlung von Amts wegen gibt, sondern dass der Beibringungsgrundsatz den Zivilprozess beherrscht, in der die grundlegende Bedeutung der Parteifreiheit und Parteiverantwortung zum Ausdruck kommt, gilt insoweit auch hier (vgl. OLG Hamm, a.a.O.) und führt im Streitfall nicht dazu, dass das Landgericht verpflichtet gewesen wäre die Gerichtsakten des Landgerichts Ravensburg beizuziehen.

bbb) Unabhängig davon ist der Vortrag des Klägers, in dem er sich auf die Anlage BK 1 bezieht, aber auch inhaltlich nicht ausreichend, um das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur Abgasmanipulation zu belegen.

Zum Einen hat die Beklagte unwidersprochen in der Berufungserwiderung ausgeführt und dies im Senatstermin vom 09.06.2021 auch nochmals durch ihren Prozessbevollmächtigten erläutern lassen, dass in dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug des Klägers gar keine NSK-Technik, wie sie sich aus der Anlage BK 1 ergeben soll, verbaut sei. Insoweit kommt es auch auf die Richtigkeit der vom Kläger mit Schriftsatz vom 11.05.2021 angeführten Entscheidung des OLG Naumburg vom 09.04.2021 (8 U 68/20) nicht an, die insoweit ein anderes Fahrzeug mit anders gearteter Motorsteuerung betraf und die maßgeblich auf die NSK-technik abstellte.

Im Übrigen ist eine Prüfzykluserkennung nicht per se unzulässig ist, sondern nur dann, wenn sie dazu benutzt wird, um die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu verändern, dass deren Wirksamkeit im normalen Fahrbetrieb verringert wird (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.). Dass dies bei dem im Fahrzeug des Klägers verbauten Motor tatsächlich erfolgt, ist seinen Ausführungen nicht mit hinreichend unterfüttertem Tatsachenvortrag zu entnehmen.

Schließlich kann auch die eingereichte Unterlage BK 1 für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung der Beklagten nicht herangezogen werden. Weder sind die Urheber und Adressaten dieses internen Vermerks ersichtlich oder vom Kläger dargetan, noch ist deren Zweckbestimmung aus dem klägerischen Vortrag in der Berufungsbegründung für den Senat nachvollziehbar. Insbesondere fehlen Angaben dazu, wer unter welchen Bedingungen und bei welchen Untersuchungen die abweichenden Werte festgestellt haben will und wem gegenüber diese kommuniziert worden seien.

2. Zutreffend hat das Landgericht zudem entschieden, dass auch Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB auszuscheiden haben. Einwände werden von der Berufung hiergegen nicht vorgebracht.

B. Da es an einem Anspruch in der Hauptsache mangelt, ist auch der geltend gemachte Feststellungsanspruch unbegründet und auch die weitergehenden Nebenforderungen kann der Kläger dementsprechend nicht beanspruchen.

C. Dem Kläger war auch auf seinen Antrag im Termin vom 09.06.2021 kein Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Beklagten vom 01.06.2021 zu gewähren. Abgesehen davon, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht dargetan hat, dass er sich auf den vorgenannten Schriftsatz der Beklagten im Sinne von § 283 ZPO nicht rechtzeitig hat erklären können, ist der vorgenannte Schriftsatz auch innerhalb der in § 132 Abs. 1 S. 1 ZPO normierten Wochenfrist am 02.06.2021 zugestellt worden. Ungeachtet dessen enthält der Schriftsatz der Beklagten vom 01.06.2021 keinen neuen Tatsachenvortrag, der für die Entscheidung heranzuziehen war. Die Beklagte hatte das Vorliegen der NSK-Technik bereits in der Berufungserwiderung bestritten und hierzu eingehend ausgeführt (vgl. dort ab S. 20).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 S. 1 und 2, 711 ZPO.

III. Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Dem steht nicht entgegen, dass vom „Dieselskandal“ insgesamt sehr viele Käufer von Fahrzeugen der Beklagten betroffen sein mögen. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich vielmehr, wie sogleich dargestellt wird, auf der Grundlage der bisherigen Rspr. des BGH und der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zweifelsfrei beantworten. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch dann, wenn noch eine große Anzahl vergleichbarer Fälle bei Gericht anhängig ist (vgl. statt vieler Senat, Beschl. v. 29.01.2021 – 11 U 113/20, BeckRS 2021, 7532 Rn. 19; Beschl. v. 18.11.2020 – 11 U 50/19, BeckRS 2020, 35720 Rn. 13; vgl. allgemein hierzu BGH, Beschl. v. 01.10.2002 - XI ZR 71/02; Beschl. v. 03.02.2015, II ZR 52/14, Rn. 9 jeweils zit. n. juris; OLG München, Beschl. vom 29.09.2020 - 8 U 201/20, BeckRS 2020, 24517 Rn. 37).

IV. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 43, 47 GKG.