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Entscheidung OVG 3 S 114/21


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 04.10.2021
Aktenzeichen OVG 3 S 114/21 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2021:1004.OVG3S114.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 41 Abs 1 SchulG BE, § 41 Abs 4 S 1 Nr 3 SchulG BE, § 55a Abs 1 SchulG BE, § 55a Abs 2 SchulG BE

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. August 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das allein Gegenstand der Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern. Die Antragstellerin hat weiterhin einen Anordnungsanspruch auf Aufnahme in die G...-Grundschule nicht in einer die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Weise dargelegt.

Ohne Erfolg wendet sich die in Brandenburg lebende Antragstellerin gegen die tragende Wertung des Verwaltungsgerichts, ein Aufnahmeanspruch scheitere jedenfalls daran, dass die nach § 41 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SchulG erforderlichen freien Plätze nicht zur Verfügung stehen, weil die Aufnahmekapazität vollständig ausgeschöpft ist. Gegen die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Berechnung der Aufnahmekapazität von 100 Plätzen für Schülerinnen und Schüler der ersten Jahrgangsstufe wendet die Antragstellerin nichts ein. Insbesondere stellt sie die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Anwendbarkeit der Klassenhöchstfrequenz nach § 4 Abs. 7 Satz 2 GsVO nicht in Frage. Ebenso wenig wendet sie sich gegen die Darstellung, dass diese verfügbaren Plätze durch die Aufnahme von 101 Kindern aus dem Einschulungsbereich der G...-Grundschule erschöpft wurden.

Aus dem Umstand, dass die Zahl der im vorangegangenen Schuljahr 2020/2021 eingeschulten und in den Lerngruppen der flexiblen Schulanfangsphase verbleibenden Kinder 102 betrug und zwölf Kinder im Schuljahr 2021/2022 hinzukamen, die in der zweiten Jahrgangsstufe verweilen mit dem Effekt, dass mit den aktuell aufgenommenen Kindern tatsächlich mehr als die zugrunde gelegten 200 Schülerinnen und Schüler die Lerngruppen der flexiblen Schulanfangsphase der G...-Grundschule besuchen, kann die Antragstellerin nichts für sich herleiten. Auch wenn danach die Größe der Lerngruppen über dem Frequenzwert des § 4 Abs. 7 Satz 2 GsVO liegt, folgt daraus nicht, dass die der Antragstellerin entgegengehaltene Festlegung der Kapazitätsbegrenzung unbeachtlich wäre, weil ein subjektiver Anspruch auf weitere Überschreitung der festgelegten Kapazität ebenso wenig besteht wie ein Anspruch auf Ausweitung der Kapazität etwa durch Einrichtung weiterer Klassen oder Erhöhung der Klassenfrequenzen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Februar 2021 - OVG 3 S 123/20 - juris Rn. 7; Beschluss vom 11. September 2019 - OVG 3 S 82.19 - juris Rn. 4; Beschluss vom 23. Oktober 2018 - OVG 3 S 60.18 - juris Rn. 13; Beschluss vom 27. September 2017 - OVG 3 S 70.17 - juris Rn. 3).

Soweit die Antragstellerin geltend macht, im Rahmen des § 41 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SchulG komme es nicht auf die Aufnahmekapazität an, sondern auf „die tatsächliche Aufnahmemöglichkeit“, bleibt sie eine überzeugende Begründung für ihren Standpunkt schuldig. Es ist nicht ersichtlich, dass die Wendung „freie Plätze“ in § 41 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SchulG in einem weitergehenden Sinne zu verstehen sein soll, als die nach der grundlegenden Bestimmung des § 54 Abs. 2 Satz 1 SchulG einen Aufnahmeanspruch begrenzende Aufnahmekapazität. Schon die Überlegung, dass es sich bei der Aufnahme von nicht im Land Berlin wohnenden Kindern um eine freiwillige Leistung des Landes handelt (vgl. AbgH-Drs. 15/1842 S. 38), spricht gegen ein ausdehnendes Verständnis.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass sich die Antragstellerin nicht auf die Kriterien des § 55a Abs. 2 Satz 2 SchulG berufen kann, da § 55a SchulG nur die Aufnahme von in Berlin wohnenden und schulpflichtig werdenden Kindern in die Grundschule regelt. Zu den Voraussetzungen einer Aufnahme in eine öffentliche Schule in Berlin gehört grundsätzlich die Schulpflicht im Land Berlin, der nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SchulG unterliegt, wer in Berlin seine Wohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Demgegenüber können Schülerinnen und Schüler, die weder ihren gewöhnlichen Aufenthalt noch ihre Wohnung im Land Berlin haben, nur nach Maßgabe des § 41 Abs. 4 SchulG in eine öffentliche Schule des Landes aufgenommen werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Oktober 2020 - OVG 3 S 98/20 - juris Rn. 15 f.; Beschluss vom 8. Oktober 2020 - OVG 3 S 79/20 - juris Rn. 10). Dies verdeutlicht insbesondere auch die die Aufnahme in eine Grundschule regelnde Bestimmung des § 55a SchulG. Als zuständige Grundschule, an der auch diejenigen Kinder angemeldet werden müssen, die den Besuch einer anderen Schule wünschen (§ 55a Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 SchulG, § 4 Abs. 2 Satz 3 GsVO), kommt nur diejenige Schule in Betracht, in deren Einschulungsbereich die Schülerin oder der Schüler wohnt (§ 55a Abs. 1 Satz 2 SchulG). Eine „deutliche Zäsur“ zwischen der Regelung zur Erstanmeldung nach § 55a Abs. 1 SchulG und der Wahl einer anderen Schule nach § 55a Abs. 2 SchulG, wie sie die Antragstellerin behauptet, besteht nicht. Vielmehr ist der Zugang zu einer anderen Grundschule nach der Ausgestaltung in § 55a Abs. 2 SchulG sowohl inhaltlich als auch im Verfahren eng mit den Vorgaben zur zuständigen Grundschule verknüpft. Weshalb sich § 55a Abs. 2 SchulG als „Ausnahmeregelung … auch auf den Wohnort beziehen“ müsse, erläutert die Antragstellerin nicht.

Der Umstand, dass die Antragstellerin nur unter den Voraussetzungen des § 41 Abs. 4 SchulG die Aufnahme in eine Schule in Berlin erlangen kann, begründet keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder das Recht auf freien Zugang zu Bildungseinrichtungen. Das Recht auf Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen (Art. 20 Abs. 1 VvB) wird grundsätzlich nur nach Maßgabe der den Zugang regelnden Gesetze gewährt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. September 2011 - OVG 3 S 76.11 - juris Rn. 17 f.; Beschluss vom 7. November 2018 - OVG 3 S 75.18 - juris Rn. 31) und der Gleichheitssatz nach Art. 10 Abs. 1 VvB, Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetz- oder Verordnungsgeber eine Differenzierung nicht, wenn sie durch Sachgründe gerechtfertigt ist, die unter Berücksichtigung des jeweiligen Regelungsbereichs dem Ziel und Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u.a. - juris Rn. 64; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. November 2018 - OVG 3 S 75.18 - juris Rn. 28). Danach unterliegt die vorrangige Berücksichtigung von Schülerinnen und Schülern, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin haben, keinen Bedenken. Denn die Ausgestaltung des Schulwesens und die Umsetzung der dazu entwickelten Konzepte sind im Rahmen der Zuweisung dieses Rechtsgebiets in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder primär dazu bestimmt, der Ausbildung und Unterrichtung der im eigenen Land wohnhaften Schüler zu dienen. Diese unterliegen im Land ihres Wohnsitzes der Schulpflicht, die sie grundsätzlich an den öffentlichen Schulen und an den privaten Ersatzschulen dieses Landes zu erfüllen haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. November 2004 - 1 BvL 6/99 - juris Rn. 57).

Soweit die Antragstellerin geltend macht, nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes sei davon auszugehen, dass sechs freie Schulplätze vorhanden seien, so dass § 41 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SchulG erfüllt sei, trifft dies nicht zu. Das Verwaltungsgericht ist nicht von tatsächlich unbesetzten Schulplätzen - wie sie nach § 41 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 SchulG notwendig wären - ausgegangen, sondern hat ausgehend von der nach seiner Wertung rechtsfehlerhaften Aufnahme von sechs Kindern infolge unaufgeklärter Anhaltspunkte für Scheinanmeldungen angenommen, dass in diesem Umfang (zuzüglich zwei weiterer rechtswidrig vergebener Plätze) zugunsten der um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachsuchenden Bewerberinnen und Bewerber im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot zur effektiven Rechtsschutzgewährung Schulplätze als noch besetzbar zu behandeln sind (vgl. st. Rspr., OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2020 - OVG 3 S 81/20 - juris Rn. 14 m.w.N.).

Es unterliegt keinen Bedenken, dass das Verwaltungsgericht die Antragstellerin hierbei im Gegensatz zu den Antragstellerinnen und Antragstellern mit Wohnsitz in Berlin nicht berücksichtigt hat. Dies folgt aus den Überlegungen, die der Zurverfügungstellung weiterer Plätze zu Rechtsschutzzwecken zugrunde liegen. Durch die fehlerhafte Aufnahme eines Bewerbers, der die dafür geltenden Voraussetzungen nicht erfüllt, wird das gesetzlich normierte Recht eines abgewiesenen Bewerbers, der die Aufnahmevoraussetzungen grundsätzlich erfüllt, verletzt. Ziel des gerichtlichen Rechtsschutzes ist es in diesem Zusammenhang, die eingetretene Rechtsverletzung - soweit zumutbar zu leisten - auszugleichen und den Rechtsschutzsuchenden so zu stellen, wie er ohne den behördlichen Fehler stünde, wobei hierbei grundsätzlich allein die Bewerber in den Blick nehmen sind, die gegen die ablehnende Aufnahmeentscheidung im Wege gerichtlichen Rechtsschutzes vorgegangen sind (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2020 - OVG 3 S 81/20 - juris Rn. 16 m.w.N.). Die Form der durch die gerichtliche Entscheidung zu gewährenden Fehlerkorrektur hängt danach maßgeblich von der Art des behördlichen Fehlers und der Frage ab, in welchem Stadium des Aufnahmeverfahrens dieser aufgetreten ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Oktober 2020 - OVG 3 S 79/20 - juris Rn. 17). Regelmäßig wird eine durch fehlerhafte Aufnahme eines Bewerbers bewirkte Rechtsverletzung dadurch kompensiert, dass derjenige Bewerber, der gegen die ablehnende Aufnahmeentscheidung im Wege gerichtlichen Rechtsschutzes vorgegangen ist, nunmehr den fiktiven freien Platz erhält. Haben mehrere Bewerber mit gleichem Rang ihre Ablehnung angefochten, so ist der freie Platz unter ihnen zu verlosen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2020 - OVG 3 S 81/20 - juris Rn. 17 m.w.N.).

Da die Antragstellerin die Aufnahmevoraussetzungen des § 55a Abs. 2 SchulG mangels eines Wohnsitzes in Berlin nicht erfüllt, vermögen die vom Verwaltungsgericht erörterten Rechtsfehler bei der Aufnahme anderer Schülerinnen und Schüler einen demgegenüber nachrangigen Aufnahmeanspruch der Antragstellerin jedenfalls solange nicht zu beeinträchtigen, wie vorrangig zu berücksichtigende Konkurrenten um Rechtsschutz nachsuchen.

Aus diesem Grund ist auch der von der Antragstellerin thematisierten Frage nicht nachzugehen, ob über die vom Verwaltungsgericht schon bejahten Fälle einer Scheinanmeldung hinaus bei einem weiteren aufgenommenen Kind Anhaltspunkte für eine Scheinanmeldung vorlagen. Selbst wenn das Vorbringen der Antragstellerin zu überzeugen vermochte, hätte dies lediglich zur Folge, dass ein weiterer Schulplatz unter den zehn konkurrierenden Antragstellerinnen und Antragstellern mit Wohnsitz in Berlin zu verlosen gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).