Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 04.10.2021 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 14/20 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:1004.1AR14.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf Antrag des Verfolgten ist über die Zulässigkeit der Auslieferung an die Russische Föderation zur Strafverfolgung gemäß § 33 Abs. 1, Abs. 2 IRG neu zu entscheiden.
2. Der Senatsbeschluss vom 20. April 2021 wird aufgehoben.
3. Die Auslieferung des Verfolgten S… an die Russische Föderation zum Zwecke der Strafverfolgung
a) wegen der in dem Beschluss des Hamownitscheskiy Bezirksgerichts der Stadt Moskau vom 07. September 2005 (Strafsache Nr. 320070) über die Auswahl der Sicherheitsmaßregel in Form von Inhaftnahme in Verbindung mit dem Beschluss der Ermittlungsabteilung für besonders wichtige Angelegenheiten der Untersuchungsverwaltung des zentralen Verwaltungsbezirks Moskau vom 03. August 2020 (Strafsache Nr. 320070) über die Heranziehung des Verfolgten als Beschuldigten der bezeichneten strafbaren Handlungen (Vorwurf der vorsätzlichen Tötung des M... Sch. G. und des K... I. W. und
b) wegen der in dem Beschluss des Lefortovskij Bezirksgerichts der Stadt Moskau vom 01. November 2007 (Strafsache Nr. 288) über die Auswahl der Vorbeugungsmaßnahme der Inhaftierung in Verbindung mit dem Beschluss der Hauptuntersuchungsverwaltung FSB Russlands vom 10. Mai 2006 (Strafsache Nr. 288) über die Heranziehung des Verfolgten als Beschuldigten der bezeichneten strafbaren Handlung (Vorwurf der Verabredung zur Tötung des Abgeordneten der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation, Ma... G. N.
werden für unzulässig erklärt.
4. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 21. August 2020 sowie die Haftfortdauerentscheidungen in den Senatsbeschlüssen vom 19. Oktober 2020, 02. November 2020, 23. Dezember 2020, 22. Februar 2021, 20. April 2021, 12. Mai 2021, 23. Juni 2021 und vom 18. August 2021 werden aufgehoben.
I.
Der Senat hat mit Beschluss vom 20. April 2021 die Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation zum Zwecke der Strafverfolgung wegen zweifachen Totschlags nach Art. 105 Abs. 2a des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation und wegen Organisation eines Angriffs auf das Leben eines staatlichen Funktionärs in der Absicht der Beendigung seiner staatlichen Tätigkeit nach Art. 33 Abs. 3, 277 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation für zulässig erklärt.
Der Beistand des Verfolgten, Rechtsanwalt B..., erstrebt mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Juni 2021 gemäß § 33 Abs. 1 IRG die erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
1. Die Behörden der Russischen Föderation haben mit dem auf dem Interpolweg übermittelten Fahndungs- und Festnahmeersuchen vom 04. August 2017 unter Bezugnahme auf den Haftbefehl des Khamovniki District Court (Hamownitscheskiy Bezirksgericht) vom 07. September 2005 und auf den Haftbefehl des Lefortovo District Court (Lefortovskij Bezirksgericht) in Moskau vom 01. November 2007 um die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Totschlags nach Art. 105 Abs. 2a des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation und wegen Organisation eines Angriffs auf das Leben eines staatlichen Funktionärs in der Absicht der Unterbindung seiner staatlichen Tätigkeit (Terrorakt) nach Art. 33 Abs. 3, 277 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation ersucht.
2. Der Verfolgte wurde am 15. Juli 2020 in Frankfurt (Oder) vorläufig festgenommen. Am 16. Juli 2020 erließ das Amtsgericht Frankfurt (Oder) eine Festhalteanordnung (Az.: 45 Gs 1216/20). Mit Beschluss vom 24. Juli 2020 erließ der Senat einen vorläufigen Auslieferungshaftbefehl, den er nach Eingang der Auslieferungsunterlagen am 21. August 2020 durch einen unbeschränkten Auslieferungshaftbefehl ersetzte. Haftfortdauerentscheidungen folgten am 19. Oktober 2020, 02. November 2020, 23. Dezember 2020, 22. Februar 2021, 20. April 2021, 12. Mai 2021, 23. Juni 2021 und 18. August 2021. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungen des Senats verwiesen.
Der Verfolgte befand sich aufgrund der vorgenannten Entscheidungen seit dem 15. Juli 2020 bis zu seiner auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg erfolgten Entlassung aus der Auslieferungshaft am 30. September 2021 in der Justizvollzugsanstalt … .
3. Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat unter dem Datum des 20. August 2020 über das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz der Bundesrepublik Deutschland und über das Bundesamt für Justiz der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg die erforderlichen Auslieferungsunterlagen übermittelt, wo sie per E-Mail am selben Tag eingegangen sind. Dem Senat wurden die Unterlagen am 21. August 2020 zugeleitet. Sie betreffen insbesondere die Beschlüsse der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau vom 10. Mai 2006 und 03. August 2020, den Verfolgten als Beschuldigten zur Verantwortung zu ziehen, die Entscheidung über die Auswahl der Vorbeugungsmaßnahme der Inhaftierung des Bezirksgerichts Lefortovskij der Stadt Moskau vom 01. November 2007, die Anordnung über die Auswahl der Sicherheitsmaßregel in Form von Inhaftnahme der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau vom 07. September 2005, die Anordnung der Ausschreibung des Verfolgten zur internationalen Fahndung durch die Zwischenbezirksstaatsanwaltschaft der Stadt Moskau vom 07. September 2005 und den Beschluss über die Ausschreibung zur internationalen Fahndung der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau vom 18. Mai 2006, den Beschluss der 3. Abteilung der operativen Fahndungsverwaltung Russlands über die Ausschreibung des Verfolgten zur internationalen Fahndung vom 18. September 2007, den Beschluss der Untersuchungsverwaltung Russlands über die Heranziehung als Beschuldigten vom 10. Mai 2006 sowie die amtliche Übersetzung der maßgeblichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches der russischen Föderation.
Der Inhalt der vorgenannten Unterlagen entspricht hinsichtlich der Tatvorwürfe im Wesentlichen dem Inhalt des auf dem Interpolweg übermittelten Fahndungs- und Festnahmeersuchens. Danach werden dem Verfolgten entsprechend der amtlichen Übersetzung der Art. 15 (Kategorien der Verbrechen), Art. 33 (Arten der Mittäter an einem Verbrechen), Art. 78 (Befreiung von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit Erlöschen der Verjährungsfrist), Art. 105 (Totschlag) und Art. 277 (Anschlag auf das Leben einer Staats- bzw. Gesellschaftsperson) des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation folgende Straftaten vorgeworfen:
a) Nach der Sachverhaltsschilderung in der Verordnung über die Heranziehung als Beschuldigter/Haftbefehl vom 03. August 2020 wird dem Verfolgten zur Last gelegt, am 16. April 2005 in Moskau zwei Menschen, nämlich M... Sch. G. und K... I. W. aufgrund „feindschaftlicher Beziehungen“ vorsätzlich erschossen zu haben. Der Verfolgte soll am Tattag, am 16. April 2005, gegen 6:37 Uhr gemeinsam mit dem späteren Opfer M... den Hauseingang Nr. 5 des Hauses Nr. 4/10 der Straße … in Moskau betreten haben und in die Wohnung des M..., Wohnungsnummer 49, gegangen sein, in der sich auch das spätere weitere Opfer K... befunden habe. Der Verfolgte soll dabei laut Sachverständigenbericht Nr. 395/9-7 eine „einwandfrei funktionierende Schusswaffe“ mit sich geführt haben. Zwischen 6:37 Uhr und 7:26 Uhr soll der Verfolgte in der Wohnung des M... „mit Absicht eines Mordes“, „die Unvermeidlichkeit des Eintritts des öffentlichen verbrecherischen Erfolges berechnet in Form vom Tod der Geschädigten, den Eintritt ihres Todes gewünscht“, dabei zunächst durch zwei Schüsse den M... Sch. G und anschließend durch vier Schüsse den K... I. W. getötet haben.
Nach dem Sachverständigenbericht Nr. 0807 vom 23. Mai 2005 habe M... Durchschussverletzungen am Kopf mit u.a. vielzähligen Lochbrüchen der Schädeldachknochen und des Siebbeinknochens sowie eine Schädigung des Gehirns, Blutungen im Inneren der Hirnhaut, der Hirnkammern und im Gehirngewebe erlitten, darüber hinaus eine Brustverletzung links mit Streifwunde der Seitenwand der linken Herzkammer sowie eine Schädigung des Oberlappens der linken Lunge. Der Tod des M... sei am Tattag am Tatort eingetreten und unmittelbare Folge der vorgenannten Verletzungen im Kopfbereich.
Nach dem Sachverständigenbericht Nr. 0808 vom 30. Mai 2005 seien bei K... I. W. u.a. eine Schusswunde im Kopf, eindringend in die Schädelhöhle mit Schädigungen des Schädelgewölbes und des Gehirns sowie innere Blutungen unter der Hirnhaut in der Hirnkammer, zwei Schussverletzungen in die linke Brusthälfte mit diversen Schädigungen der Lunge, Interkostalmuskeln und Blutgefäßen sowie eine weitere Schussverletzung im unteren Drittel des linkten Unterarms festgestellt worden. Der Tod des K... sei am Tattag am Tatort eingetreten und unmittelbare Folge der vorgenannten Verletzungen im Kopf- und Lungenbereich.
Die dem Verfolgten angelasteten Taten sind ausweislich der beigefügten Abschrift des Art. 105 Abs. 2a des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation als Totschlag strafbar und mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 20 Jahren oder mit der Todesstrafe bedroht, wobei letztere nach Art. 59 Abs. 2.1 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation gegen eine von einem ausländischen Staat zum Zweck der Strafverfolgung ausgelieferte Personen nicht verhängt wird.
b) Mit dem Beschluss der Hauptermittlungsverwaltung des Ermittlungskomitees Russlands für die Stadt Moskau über die Heranziehung des Verfolgten als Beschuldigten vom 10. Mai 2006 wird dem Verfolgten des Weiteren vorgeworfen, im November 2005 das Angebot des G... M. A. angenommen zu haben, gegen eine Belohnung von 150.000,00 US-Dollar den Delegierten der Staatsduma der Russischen Föderation Ma... G. N. zu töten. In der Folgezeit soll der Verfolgte als Organisator des Vorhabens gehandelt haben. Er soll im Zeitraum von November 2005 bis Dezember 2005 A... R. S., Ka... Sch. L. und weitere unbekannte Personen als Mittäter einbezogen und die Funktionen und Aufgaben für die Vorbereitung und Tötung des Ma... verteilt haben. Dem G... M. A. soll der Verfolgte die Anweisung gegeben haben, das versprochene Geld an die Mittäter zu übergeben. Die Vollendung der Tat soll jedoch von den Strafverfolgungsbehörden vereitelt worden sein; in diesem Zusammenhang seien G... M. A.. und A... R.S. am 27. Dezember 2005 festgenommen worden und – wie dem Schriftsatz des Beistands des Verfolgten, Rechtsanwalt B..., vom 14. Juli 2021 zu entnehmen ist – zwischenzeitlich zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden.
Es handele sich hierbei um einen Anschlag auf das Leben eines Staatsfunktionärs zwecks Auflösung seiner staatlichen Tätigkeit (Terrorakt) nach Art. 33, Art. 277 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation.
4. Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat unter dem Datum des 19. August 2020 der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz der Bundesrepublik Deutschland zugesichert, dass das Auslieferungsersuchen nicht dem Zwecke der politischen Verfolgung des Betroffenen oder der Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Volkszugehörigkeit oder politischen Überzeugung diene, dass ihm alle Verteidigungsmöglichkeiten einschließlich anwaltlichen Beistands in der russischen Föderation gewährt und er keiner grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werde, mithin Art. 3 und Art. 6 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 sowie entsprechende Konventionen der Organisation der Vereinten Nationen, des Europarates und dazugehörige Protokolle Beachtung fänden. Es wurde hervorgehoben, dass nach Art. 59 Abs. 2.1 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation keine Todesstrafe über die von einem ausländischen Staat an die Russische Föderation zwecks Strafverfolgung gemäß einem internationalen Abkommen ausgelieferte Person verhängt werde, wenn nach der Gesetzgebung des ausliefernden Staates keine Todesstrafe für die dem Verfolgten vorgeworfene Straftat vorgesehen oder die Nichtverhängung der Todesstrafe eine Voraussetzung für die Auslieferung ist oder wenn keine Todesstrafe aus anderen Gründen verhängt werden darf.
In der Verbalnote vom 19. August 2020 wird weiterhin zugesichert, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nach Russland in einer Haftanstalt untergebracht werde, die den Anforderungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspreche, und er nach der Gerichtsverhandlung bzw. – im Verurteilungsfalle – nach einer möglichen Strafvollstreckung das Hoheitsgebiet der Russischen Föderation verlassen dürfe.
Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat des Weiteren zugesichert, dass Bedienstete der deutschen Botschaft oder Konsularabteilungen in Russland den Verfolgten zur Prüfung der Einhaltung der aufgeführten Zusicherungen während seiner Inhaftierung besuchen dürfen.
Es wurde ferner zugesichert, dass deutsche Konsularbeamte bei den Gerichtsverfahren anwesend sein können und der deutschen Botschaft bzw. dem (General-) Konsulat auf Anfrage eine Kopie der rechtskräftigen endgültigen prozessualen Entscheidung übermittelt werde. Des Weiteren wurde zugesichert, dass die Verbüßung einer möglichen Strafe in einer Haftanstalt außerhalb des Föderationskreises Nordkaukasus stattfinden werde. Es wurde nochmals zugesichert, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nach Russland in einer Haftanstalt untergebracht werde, die den Anforderungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspreche.
Des Weiteren wird dargelegt, dass der Verfolgte keine Immunität genieße, die ihn vor strafrechtlicher Verfolgung schütze, die ihm vorgeworfenen Straftaten nicht verjährt seien und er wegen der ihm mit dem Auslieferungsersuchen vorgeworfenen Straftaten bisher nicht verurteilt oder freigesprochen worden sei.
Mit der weiteren Verbalnote vom 19. Februar 2021 teilt der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation ergänzend mit, dass im Falle einer Auslieferung des Verfolgten und einer Verurteilung zu „einer realen Freiheitsstrafe“ die Strafverbüßung außerhalb des Nordkaukasischen Föderalkreises in einer – wie bereits mit Verbalnote vom 18. August 2020 ausgeführt – Haftanstalt erfolgen werde, die den Anforderungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspricht. Des Weiteren werden konsularische Besuche während der Corona-Pandemie bei dem Verfolgten in Einrichtungen des Strafvollzugssystems unter Bedingungen der Einhaltung von sanitär-epidemologischen Maßnahmen (Präventivmaßnahmen), die auf die Vorbeugung der Verbreitung der neuen Corona-Infektion gerichtet sind, gewährleistet. Unter dem Datum des 11. März 2021 wird ergänzend zugesichert, dass den bevollmächtigten Angehörigen der Botschaft oder der Konsulareinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation auch die Durchführung von Telefonaten mit dem Verfolgten in den Einrichtungen des russischen Strafvollzugssystems gewährleistet werde.
Schließlich hat die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation im hiesigen Verfahren nach 33 Abs. 1 IRG unter dem Datum des 26. Juli 2021 klargestellt und zugesichert, dass der Verfolgte neben der etwaigen Strafhaft auch die Untersuchungshaft in einer Haftanstalt außerhalb des Nordkaukasischen Föderalkreises verbüßen werde.
5. Der Senat hat mit Beschluss vom 20. April 2021 die Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der vorgenannten, ihm vorgeworfenen Straftaten der vorsätzlichen Tötung des M... Sch. G. und des K... I. W. und der Verabredung zur Tötung des Abgeordneten der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation, Ma... G. N., für zulässig erklärt.
Die Zulässigkeit der Auslieferung wurde unter die Voraussetzung der Einhaltung der von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation gegebenen Zusicherungen gestellt.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 20. April 2021 verwiesen.
6. Gegen die Zulässigkeitsentscheidung des Senats vom 20. April 2021 hat der Verfolgte mit Schriftsatz seines Beistands (Rechtsanwalt S...) vom 22. April 2021 Gehörsrüge gemäß § 33 a StPO iVm. § 77 IRG erhoben sowie mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 30. April 2021 beantragt, gemäß § 33 Abs. 1 IRG erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden und den Aufschub der Auslieferung anzuordnen (§ 33 Abs. 4 IRG).
Mit Beschluss vom 12. Mai 2021 hat der Senat die Anhörungsrüge als unzulässig verworfen und die Anträge auf erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung und auf Anordnung des Aufschubs der Auslieferung zurückgewiesen.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 verwiesen.
7. Den gegen die Senatsbeschlüsse vom 20. April 2021 und vom 12. Mai 2021 erhobenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die 1. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts unter dem Datum des 1. Juni 2021 (2 BvR 878/21) abgelehnt.
Mit weiterem Beschluss vom 7. Juli 2021 hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf den noch nicht beschiedenen Antrag auf erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung vom 7. Juni 2021 (siehe nachfolgend zu Ziff. 8) nicht zur Entscheidung angenommen.
8. a) Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Juni 2021 hat der weitere Beistand des Verfolgten (Rechtsanwalt B...) erneut beantragt, gemäß § 33 Abs. 1 IRG erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden und den Aufschub der Auslieferung anzuordnen (§ 33 Abs. 4 IRG).
Zur Begründung seiner Anträge hat der Beistand des Verfolgten insbesondere eine im Internet durch „Chechenpress – State News Agency“ veröffentlichte, 30 Seiten umfassende Liste der „tschetschenischen Republik Itschkeria" vom 17. Februar 2008 mit ca. 1.829 Namen von Personen zu den Akten gereicht, die der Gefahr einer Ermordung durch den russischen Geheimdienst ausgesetzt seien, worunter auch der Name des Verfolgten aufgeführt sei. Des Weiteren fügte der Beistand seiner Antragsschrift eine eidesstattliche Versicherung des Verfolgten zu seiner Rolle in den Tschetschenienkriegen und seiner Tätigkeit für den georgischen Geheimdienst bei sowie eine Mitschrift der Nebenklägervertreterinnen im sogenannten Berliner Tiergartenprozess vor dem Kammergericht zu der Aussage des Zeugen L..., eine Stellungnahme des Herrn Mai..., mehrere Fotos, die den Verfolgten mit dem Opfer des Berliner Tiergartenprozesses sowie mit einem militärischen Anführer aus dem Tschetschenienkrieg zeigen sollen.
Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 15. Juni 2021 reicht der Beistand des Verfolgten eine Stellungnahme von S... Ga... vom 10. Juni 2021 unter dem Briefkopf „Zivile Unterstützung“ „…“ zu den Akten, wonach in russischer Haft mit Folter zu rechnen sei, „die Strafverfahren“ fingiert und „Zusicherungen der Russischen Föderation“ nicht belastbar seien.
Unter dem Datum des 14. Juli 2021 beantragt der Verfolgte in Ergänzung zum Anwaltsschriftsatz vom 7. Juni 2021, die Unterlagen zu den Strafverfahren gegen G... M. (G...) und R... A... (A...) anzufordern und beide zu vernehmen, da sie nach einem Bericht der Zeitung „…“ Nr. 59 vom … 2007 wegen Vorbereitung des versuchten Mordes an Ma... zu langen Haftstrafen verurteilte worden seien, wobei „ein Geständnis aus ihnen herausgeprügelt“ worden sei.
Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 16. Juli 2021 übersendet der Beistand des Verfolgten ein Schreiben der georgischen Botschaft vom 15. Juli 2021, wonach dem Verfolgten im Jahr 2007 „aufgrund der realen Gefahr der politischen Verfolgung durch Russland“ Asyl in Georgien gewährt wurde.
Zwischenzeitlich hat der Verfolgte unter dem Datum des 6. Mai 2021 einen schriftlichen Asylantrag in Deutschland gestellt.
Unter dem Datum des 31. August 2021 reicht der Rechtsbeistand ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Juni 2021 (VG 33 K 397.16 A) betreffend eines russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Volkszugehörigkeit, der in den Tschetschenienkriegen gekämpft hatte, zu den Akten und regt die Aussetzung des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 IRG bis zur Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über den Asylantrag des Verfolgten an.
b) Mit Beschluss vom 23. Juni 2021 hat der Senat den Antrag des Verfolgten vom 7. Juni 2021, gemäß § 33 Abs. 1 IRG erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden, insbesondere zur Verifizierung der Liste vom 17. Februar 2008 und der Angaben von S... Ga... vom 10. Juni 2021 sowie zur nochmaligen Überprüfung der Belastbarkeit der von den russischen Behörden gegebenen Zusicherungen durch das Auswärtige Amt, zurückgestellt und zugleich den Aufschub der Auslieferung gemäß § 33 Abs. 4 IRG angeordnet.
c) Mit Zuschriften vom 29. Juni 2021 und vom 5. August 2021 hat das Bundeskriminalamt zur Namensliste vom 17. Februar 2008 Stellung genommen.
Unter dem Datum des 27. Juli 2021 teilt das Bundesamt für Justiz (zunächst) mit, das Auswärtige Amt habe dargelegt, dass die Einhaltung der durch die russischen Justizbehörden gegebenen Zusicherungen durch Monitoring sowohl des Gerichtsverfahrens als auch der Haftbedingungen durch die deutsche Botschaft in Moskau überprüfbar seien und sich in der Vergangenheit die Zusicherungen der russischen Seite als belastbar erwiesen hätten. Die Ausführungen von S... Ga... im Schreiben vom 10. Juni 2021 seien zu allgemein gehalten, um die Belastbarkeit der Zusicherungen in Frage zu stellen.
Das Auswärtige Amt halte - vorbehaltlich einer noch vorzunehmenden Prüfung der von dem Beistand vorgelegten Namensliste und der übermittelten Fotos - die von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation gegebenen Zusicherungen für belastbar.
9. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland hat mit Verbalnote vom 28. Juni 2021 die Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation entsprechend der Zulässigkeitsentscheidung des Senats vom 20. April 2021 unter Bezugnahme auf die seitens der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation erteilten Zusicherungen bewilligt und dabei hervorgehoben, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichte.
10. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 14. September 2021 und 17. September dem Bundeskriminalamt von der Verteidigung zur Verfügung gestellte Fotos (4 Stück) übermittelt, die den Verfolgten mit den getöteten Z... K... und Ibn... zeigen sollen, und um Prüfung gebeten, wer auf den Fotos tatsächlich zu sehen sei und ob die Fotos möglicherweise manipuliert sein könnten.
In Beantwortung der Anfrage teilt das Bundeskriminalamt der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg mit, dass auf den ersten beiden Fotos neben dem Verfolgten u.a. Z... K... [T… K…], das Tatopfer im laufenden Strafverfahren gegen V... K..., alias V… So…, vor dem Kammergericht (sog. Berliner Tiergartenmord), zu sehen sein. Das zweite Bild mit dem Verletzten Z... K... [T…K…] im Bett könnte nach Ansicht des Bundeskriminalamtes kurz nach dem auf ihn in Tiflis (Georgien) verübten Mordanschlag vom 28. Mai 2015 entstanden sein, was jedoch nicht weiter belegbar sei. Bei der Person auf dem dritten Bild, das einen bärtigen Mann mit einem Baby auf dem Arm zeigt, könnte es sich um den aus Saudi-Arabien stammenden Kämpfer E... Ibn... handeln, mit dem sich Sch... B... verbündet habe und der am 19. März 2002 mutmaßlich durch den russischen FSB vergiftet worden sei. Des Weiteren teilt das Bundeskriminalamt in dem Schreiben mit, dass Aussagen über Manipulationen an den Fotos vorerst nicht getroffen werden könnten.
Mit Schreiben vom 27. September 2021 hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg die vorgenannten Ergebnisse des Bundeskriminalsamtes dem Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg zur Weiterleitung an das Auswärtige Amt zur Einschätzung der Belastbarkeit von Zusicherungen seitens der Russischen Föderation übermittelt.
Unter dem Datum des 30. September 2021 teilt das Bundesamt für Justiz der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg Folgendes mit:
„Das Auswärtige Amt hat mit E-Mail vom 29. September 2021 nach erneuter Prüfung mitgeteilt, dass die nun vorgelegte Auswertung stark darauf hindeute, dass es sich bei dem Verfolgten S.../(1...) um den Angehörigen einer im Tschetschenienkrieg aktiven Gruppe handele. Dies lege die Vermutung nahe, dass dem Verfolgten S.../(1...) in Russland kein faires Verfahren zuteilwerden würde und etwaige Zusicherungen Russlands diesbezüglich nicht belastbar seien. Aus diesem Grund könne das vorherige Votum, dass keine Bedenken gegen eine Auslieferung bestehen, nicht aufrechterhalten werden. Dieses ursprüngliche Votum hatte zur Grundlage, dass sich die Verbindungen des Verfolgten S.../(1...) zu der im Tschetschenienkrieg aktiven Gruppe durch die gerichtliche Prüfung (einschließlich der dazu eingereichten Unterlagen) zunächst nicht bestätigen ließen.
Das Auswärtige Amt teilte mit, dass aufgrund außenpolitischer Bedenken eine Bewilligung der Auslieferung nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr erfolgen könne.“
Nach Eingang dieser Mitteilung hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg noch am selben Tag, am 30. September 2021, die Entlassung des Verfolgten aus der Auslieferungshaft veranlasst.
11. Mit Telefax vom 1. Oktober 2021 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, die Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation zum Zweck der Strafverfolgung wegen der ihm vorgeworfenen Straftaten der vorsätzlichen Tötung des M... Sch. G. und des K... I. W. und der Verabredung zur Tötung des Abgeordneten der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation, Ma... G. N., für unzulässig zu erklären und den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben.
II.
Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.
1. Die Mitteilung des Bundesamtes für Jusitz bzw. des Auswärtigen Amtes vom 29. September 2021, dass die nun vorgelegte Auswertung der Unterlagen „stark darauf hindeute“, dass „es sich bei dem Verfolgten S.../(1...) um einen Angehörigen einer im Tschetschenienkrieg aktiven Gruppe“ handeln könne, er in der Russischen Föderation „kein faires Verfahren“ zu erwarten habe und „etwaige Zusagen Russlands diesbezüglich nicht belastbar seien“ sowie die Mitteilung des Auswärtigen Amtes, „dass aufgrund außenpolitischer Bedenken eine Bewilligung der Auslieferung nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr erfolgen könne“, stellen Umstände im Sinne von § 33 Abs. 1, Abs. 2 IRG dar, die eine andere Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten zu begründen geeignet sind. Eine erneute Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung ist daher veranlasst.
2. Der Senatsbeschluss vom 20. April 2021 unterliegt folglich der Aufhebung.
3. Die erneute Überprüfung der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten S... an die Russische Föderation zur Strafverfolgung führt zu dem Ergebnis, dass diese unzulässig ist.
Es liegt - wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 1. Oktober 2021 zutreffend ausgeführt hat - ein Auslieferungshindernis nach § 73 Satz 1 IRG vor; auch nach Art. 3 EMRK erweist sich die Auslieferung des Verfolgten an die Russische Föderation als unzulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die deutschen Gerichte bei der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassungs wegen gehalten zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte mit den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards und unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind (BVerfG, Beschluss vom 09. März 1983, 2 BvR 315/83, BVerfGE 63, 332; BVerfG, Beschluss vom 31. März 1987, 2 BvR 2/86, BVerfGE 75, 1; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 08. April 2004, StV 2004, 440).Danach werden einer Auslieferung hinsichtlich der Ausgestaltung sowohl des Straf- als auch des Vollstreckungsverfahrens Grenzen gesetzt. Die deutschen Gerichte sind gehindert, an der Auslieferung eines Verfolgten mitzuwirken, dem im ersuchenden Staat eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafe und Behandlung droht (BVerfG a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 18. September 2014, AuslA 39/14-31, zit. n. juris, dort Rn. 22). Auf der Ebene des einfachen Rechts nimmt § 73 IRG dieses verfassungsrechtliche Gebot auf, indem dort die Leistung von Rechtshilfe und damit auch die Auslieferung für unzulässig erklärt wird, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (vgl. BVerfG NVwZ 2008, 71 m.w.N. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung). Dies folgt einerseits aus der im völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz fest etablierten Ächtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention [MRK]; Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966; Übereinkommen gegen Folter oder andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 sowie innerstaatlich aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, siehe: BVerfG NVwZ 2008, 71 m.w.N. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juli 2014, Ausl 53/14, zit. nach juris). Gemäß Artikel 3 Abs. 2 EuAlÜbK ist daher die Auslieferung unzulässig, wenn ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verfolgte aus rassischen, religiösen, nationalen oder politischen Erwägungen verfolgt oder bestraft werden würde bzw. dass er der Gefahr einer Erschwerung seiner Lage aus den vorgenannten Gründen ausgesetzt wäre.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt des Weiteren nicht nur im Rechtshilfeverkehr unter Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr der Grundsatz, dass dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtshilfe in Strafsachen sowie des Völkerrechts Vertrauen entgegenzubringen ist. Auch im allgemeinen Auslieferungsverkehr hat der ersuchende Staat ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung und Funktionsfähigkeit der gegenseitigen Rechtshilfe. Von der Begehung von Rechtsverletzungen, die die zukünftige Funktionsfähigkeit des Auslieferungsverkehrs zwangsläufig beeinträchtigen würden, wird ein ersuchender Staat schon deshalb regelmäßig Abstand nehmen. Dieser Grundsatz gegenseitigen Vertrauens kann so lange Geltung beanspruchen, wie er nicht durch entgegenstehende Tatsachen erschüttert wird. Dies ist der Fall, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Fall einer Auslieferung die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz oder der verbindliche völkerrechtliche Mindeststandard gemäß Art. 25 GG nicht eingehalten werden, etwa, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine politische Verfolgung im Zielstaat droht oder im Zielstaat erhebliche systemische Defizite im Strafvollzug herrschen. Dafür müssen stichhaltige Gründe gegeben sein, nach denen gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass in dem ersuchenden Staat die völkerrechtlichen Mindeststandards nicht beachtet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind vom ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr gegebene völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird. Eine Zusicherung entbindet das über die Zulässigkeit einer Auslieferung befindende Gericht jedoch nicht von der Pflicht, eine eigene Gefahrenprognose für den Einzelfall anzustellen, etwa im Hinblick auf Anhaltspunkte für die Gefahr politischer Verfolgung im Zielstaat (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 4. Dezember 2019, 2 BvR 1832/19, juris, dort Rn. 42 ff. ; BVerfG, Beschluss vom 22. November 2019, 2 BvR 517/19, zit. n. juris Rn. 35 ff.; BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2019, 2 BvR 828/19, zit. n. juris Rn. 42 ff.; BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2019, 2 BvR 1661/19, zit. n. juris Rn. 48; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2020, Ausl 3001 AR 37/20, zit. n. juris, dort Rn. 17 ff.).
Die danach durchzuführende Gefahrenprognose ergibt, dass im vorliegenden Fall die Zusicherungen der russischen Seite als nicht hinreichend belastbar angesehen werden können. Ausweislich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes vom 29. September 2021 lassen die von dem Beistand vorgelegten Unterlagen, insbesondere die Namensliste und Fotos, darauf schließen („stark darauf hindeuten“), dass der Verfolgte Angehöriger einer im Tschetschenienkrieg aktiven Gruppe war, was die wiederum Vermutung nahelegt, dass ihm in Russland kein faires Strafverfahren gewährt werden wird. Das Auswärtige Amt hält daher die diesbezüglich abgegebenen Zusicherungen Russlands für nicht belastbar. Da somit nicht sichergestellt ist, dass das Strafverfahren gegen den Verfolgten im ersuchenden Staat den verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards entsprechen wird, erweist sich die Auslieferung als unzulässig.
4. Infolge der Unzulässigkeit der Auslieferung unterliegen der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 21. August 2021 sowie die nachfolgenden Haftfortdauerentscheidungen in den Senatsbeschlüssen vom 19. Oktober 2020, 02. November 2020, 23. Dezember 2020, 22. Februar 2021, 20. April 2021, 12. Mai 2021, 23. Juni 2021 und vom 18. August 2021 der Aufhebung.