Gericht | OLG Brandenburg Vergabesenat | Entscheidungsdatum | 08.07.2021 | |
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Aktenzeichen | 19 Verg 2/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0708.19VERG2.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom
01. Juni 2021 - VK 6/21 - bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern, wird zurückgewiesen.
Der Antragstellerin wird aufgegeben, sich innerhalb von einer Woche zu erklären, ob die sofortige Beschwerde aufrecht erhalten bleiben soll.
I.
Der Auftraggeber schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Kommission vom 22.02.2021 (in der Fassung der Berichtigungsbekanntmachung vom 26.02.202) die Lieferung mobiler Endgeräte und Zubehör für verschiedene Schulen in seiner Trägerschaft im Rahmen des Digitalpakts Schule im Offenen Verfahren in vier Losen europaweit aus. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind die Lose 1 (Lieferung von 591 iPads, 635 Apple Pencil und 591 Tastatur Cases) und 2 (Lieferung von 568 iPads, 632 Apple Pencil und 632 Tastatur Cases). Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis (Ziff. II.2.5 der Bekanntmachung), Nebenangebote wurden nicht zugelassen. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der 22.03.2021 (Ziff. IV.2.2).
Grundlage der Ausschreibung war ein Vergabevermerk vom 08.02.2021, in dem der Auftraggeber die spezifische Beschaffung von Apple iPads u.a. mit einem im Jahr 2017 begonnenen Pilotversuch begründet hatte, im Zuge dessen zunächst 200 iPads für vier Schulen in seiner Trägerschaft angeschafft worden waren, später wurde der Versuch auf neun Schulen erweitert. Für den Inhalt des Vermerks wird auf die Ablichtung auf Bl. 157 der Akte der Vergabekammer Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 04.03.2021 rügte die Antragstellerin, die mit dem Betriebssystem Android ausgestattete Tablets vertreibt, die Ausschreibung verstoße mit ihrer Beschränkung auf iOS-basierten iPads nebst Zubehör gegen den Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung. Zugleich verletze sie den Wettbewerbsgrundsatz, das Diskriminierungsverbot sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 97 Abs. 1, 2 und 6 GWB. Der Auftraggeber wies die Rüge mit Schreiben vom 17.03.2021 zurück und vertrat die Auffassung, es seien die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 VgV für eine zulässige produktspezifische Ausschreibung erfüllt.
Mit Schriftsatz vom 01.04.2021 hat die Antragstellerin bei der Vergabekammer des Landes Brandenburg einen Nachprüfungsantrag gestellt, den die Vergabekammer mit Beschluss vom 01.06.2021 als unbegründet zurückgewiesen hat. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 18.06.2021 wendet sich die Antragstellerin gegen den ihr am 04.06.2021 zugestellten Beschluss der Vergabekammer. Sie ist weiterhin der Auffassung, sie werde durch die produktspezifische Ausschreibung des Auftraggebers in ihren Rechten verletzt. Der Auftraggeber habe das ihm zustehende Ermessen/den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht ausgeübt, weil er die Beschaffung anderer Produkte als iPads nicht in Erwägung gezogen habe. Dass ausweislich des Vergabevermerks verfolgte Ziel des Auftraggebers, eine Einheitlichkeit verwendeter Geräte mit den fünf Jahre zuvor angeschafften iPads herbeizuführen, könne ein vergaberechtswidriges Vorgehen nicht rechtfertigen, zumal das Pilotprojekt im Jahr 2017 im Wege der Unterschwellenvergabe umgesetzt worden sei. Entgegen seiner Auffassung sei der Auftraggeber auch nicht durch die vormalige Entgegennahme von Fördermitteln für IT-Infrastruktur zur Einbindung in eine bestehende Verwaltungs-/Systemstruktur verpflichtet. Der Auftraggeber beziehe sich insoweit bereits auf die falschen rechtlichen Grundlagen, nämlich das sog. Sofortausstattungsprogramm (betreffend die Schaffung der Voraussetzungen für das sog. Homeschooling) statt auf den einschlägigen Digitalpakt Schule 2019 - 2024 (betreffend die Verwendung digitaler Materialien im Präsenzunterricht). Beide Richtlinien forderten zudem nicht die Einbindung der zu beschaffenden Tablets in eine bestehende Systemstruktur, sondern lediglich die Möglichkeit der Integration, die auch für die von ihr angebotenen Geräte bestehe. Selbst wenn im Zusammenhang mit der Beschaffung nicht iOS-basierter Endgeräte neue IT-Infrastruktur erforderlich würde, stünde die damit verbundene Notwendigkeit der Neubeantragung von Fördermitteln und ein ev. Verlust bewilligter Fördermittel einer vergaberechtskonformen Ausschreibung nicht hindernd entgegen.
Unrichtigerweise sei die Vergabekammer zudem dem Argument des Auftraggebers gefolgt, die von ihm entwickelten Anforderungen an die technische Verwaltung der Geräte würden ausschließlich durch iPads erfüllt. Insoweit habe der Auftraggeber die einzelnen, vorgeblich nicht erfüllten Anforderungen bzw. nicht vorhandenen Funktionen nicht bezeichnet. Tatsächlich hätten die von ihr angebotenen Geräte bereits zum Zeitpunkt der Ausschreibung alle erforderlichen technischen Parameter geboten. Insbesondere sei die Beschaffung kostenfreier Apps vor Einleitung des Vergabeverfahrens möglich gewesen.
Entgegen der Auffassung des Auftraggebers sei für die Integration der von ihr angebotenen Endgeräte auch nicht die Anschaffung einer weiteren Mobile Device Management Software (MDM) erforderlich, vielmehr könne das von dem Auftraggeber verwendete MDM des Herstellers R... von vornherein sowohl Geräte unter dem Betriebssystem iOS als auch unter Android verwalten und dabei alle von dem Auftraggeber als unerlässlich angesehenen Funktionen auch unter dem Betriebssystem Android erfüllen.
Soweit sich der Auftraggeber auf Mehraufwand berufen habe, der mit der Anschaffung von Android-basierten Tablets für die Schulung von Systemadministratoren und der Einbindung eines weiteren Betriebssystems entstehe, sei dieser nicht substantiiert dargelegt worden. Gleiches gelte, soweit der Auftraggeber Funktionsbeeinträchtigungen und Kompatibilitätsprobleme bei der Einbindung neuer, betriebssystemfremder Geräte geltend mache. Es entstehe auch kein erhöhter zeitlicher Aufwand für Lehrende und Lernende bei der edukativen Verwendung der Tablets, denn die Konfiguration und Einrichtung der Geräte sei im Rahmen der technischen Verwaltung vorzunehmen, so dass die Geräte ohne weiteren Umstellungs- oder Schulungsaufwand bestimmungsgemäß zu nutzen seien. Die Funktionalität und Bedienbarkeit der Geräte sei gleich, lediglich die Anordnung der Knöpfe und Apps unterschiedlich.
Auch ein Mischbetrieb von Geräten unter iOS bzw. Android-Betriebssystem sei problemlos und ohne nachteiligen Einfluss auf den Unterricht möglich. Die Vergabekammer habe insoweit unrichtigerweise nicht differenziert zwischen den Folgen eines Mischbetriebs innerhalb eines Klassenverbands, von Klassenverbänden einer Schule untereinander und von verschiedenen Schulen zueinander.
Die Antragstellerin beantragt,
1. die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben und
2. den Beschwerdegegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor die Auftragsbekanntmachung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des angerufenen Vergabesenats zurückzuversetzen;
3. hilfsweise zu Ziff. 2, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des angerufenen Vergabesenats über die Sache neu zu entscheiden;
4. gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern.
Der Auftraggeber beantragt,
1. die sofortige Beschwerde zurückzuweisen;
2. den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen;
3. der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer und die Kosten des Beschwerdeverfahrens und der dem Beschwerdegegnerin in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen.
Er verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer und ist der Auffassung, eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung komme mangels Erfolgsaussicht der sofortigen Beschwerde nicht in Betracht. Das Vergabeverfahren sei in Zusammenhang zu bewerten mit der im Jahr 2018 getroffenen Festlegung auf das Produkt Apple iPad. Dabei sei eine MDM Software implementiert worden, die zwar auch Android-basierte Geräte unterstütze, aber - und dies auch noch zu Beginn des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens - einige wesentliche Funktionen nur für Apple Produkte angeboten habe, insbesondere das DEP (Device Enrollment Programm zur vollautomatischen kontaktlosen Konfiguration aller Tablets entsprechend zentral festgelegten Regeln und Richtlinien), das VPP (Volume Purchase Programm zur rabattierten Beschaffung der zur Nutzung der Tablets zwingend erforderlichen Software in Form von kostenpflichtigen und freien Apps), den Shared Device Modus (für die datenschutzkonforme Nutzung der Tablets durch mehrere Schüler, dh Löschung individueller Daten nach der Nutzung; Zugriff des Nutzers auf sein individuelles Verzeichnis auf dem Server; Ausrollen der Schüler-Konfiguration auf ein bestimmtes Tablet zur Beschleunigung des Datenladeprozesses) und die Lehrerkonsole (mit zusätzlichen Möglichkeiten zur Unterrichtsvorbereitung durch Definition von Unterrichtsprofilen und deren Verknüpfung mit Klassen und Stundenplänen, so dass etwa Apps, Weblinks oder Einschränkungen unmittelbar zur Verfügung stehen).
Er habe seine Entscheidung innerhalb des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums getroffen, der die freie kaufmännische Entscheidung umfasse, gerade die Eigenschaften zum Gegenstand der Ausschreibung zu machen, in denen sich ein Produkt von gleichartigen Produkten auf dem Markt unterscheide. Der Vergabevermerk vom 08.02.2021 enthalte eine ausreichende Begründung der Festlegung auf den Hersteller Apple. Einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit den von der Antragstellerin vertriebenen Geräten habe es nicht bedurft, denn es sei offensichtlich, dass jede Funktion, die exklusiv Apple Geräten zugeschrieben werde, bei Android-basierten Tablets nicht verfügbar sei. Für die Festlegung auf das Produkt iPad spreche zudem die seit dem Pilotversuch vorhandene Systemlandschaft, für die er sich nach umfassender Abwägung aller technischen Gründe im Jahr 2018 zulässigerweise entschieden habe. Er könne nicht verpflichtet werden, seine vorhandenen eingespielten und bewährten Strukturen zu ändern, vorhandene Infrastrukturen auszutauschen und das System zu wechseln, nur weil die Antragstellerin meine, heute mit dem bereits 2018 bestehenden technologischen Stand der Fa. Apple gleichgezogen zu haben. Er müsse sich wegen der damit verbundenen Nachteile und Mehraufwände auch nicht darauf verweisen lassen, neben seiner auf die Betriebssysteme der Fa. Apple ausgerichteten Infrastruktur eine zweite Systemarchitektur und Support-/Schulungsstrategie für Android-Geräte aufzubauen. Eine Bezifferung des bei lebensnaher Betrachtung im Mischbetrieb in erheblichem Umfang anfallenden Aufwandes im Vorhinein sei nicht möglich.
Im IT-Bereich sei die Zulässigkeit von Produktfestlegungen im Hinblick auf den verringerten Integrations- und Schulungsaufwand sowie zur Vermeidung von Risiken bzgl. der Systemsicherheit und Funktion zudem anerkannt. Maßgeblich sei, ob durch die Festlegung auf einen Hersteller am ehesten ein reibungsloser Betrieb und die wirtschaftliche Nutzung einer einheitlichen aufgebauten Systemlandschaft gewährleistet sowie Risikopotentiale und erforderlicher Umstellungs- und Schulungsaufwand bestmöglich verringert werden. In die Entscheidung eingeflossen sei schließlich das positive Ergebnis der Evaluation der Testphase, nach der sich insbesondere für alle nicht gleichermaßen EDV-affinen Lehrkräfte gerade die Vorgabe eines standardisierten Endgerätetyps bewährt habe.
Für die Beschaffungsentscheidung sei auch das besondere Nutzungsumfeld maßgebend, denn die den Schulen zur Verfügung stehenden personellen und fachlichen Ressourcen im Bereich IT seien äußerst begrenzt, deshalb müsse die Nutzbarkeit der Tablets so einfach wie möglich gestaltet werden. Die meisten Aufgaben würden von Lehrkräften übernommen, die nicht als Systemadministratoren qualifiziert seien, so dass Schulungs- und sonstiger Aufwand zu Lasten der Unterrichtszeit und des Bildungsauftrages gingen.
Letztlich stehe dem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung auch entgegen, dass das Zuschlagsinteresse wegen des Bedarfs der Schulen, baldmöglichst nach den Sommerferien die Tablets im Unterricht zu nutzen, gegenüber den Interessen der Antragstellerin überwiege. Denn im Fall einer Zurücksetzung des Verfahrens seien der Ausgang eines dann produktoffen auszuschreibenden Verfahrens und damit die Zuschlagschancen der Antragstellerin nicht absehbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer und die eingereichten Schriftsätze verwiesen.
II.
Der nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zulässige Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde vom 18.06.2021 ist unbegründet, weil die sofortige Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat und deshalb ein schutzwürdiges Interesse an der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nicht besteht, § 173 Abs. 2 GWB.
1) Hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen, kann das Beschwerdegericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel verlängern, § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB. Der Antrag ist abzulehnen, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen der Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen, § 173 Abs. 2 Satz 1 GWB. Dabei hat das Gericht gemäß § 173 Abs. 2 Satz 3 GWB auch die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde in die Abwägung einzubeziehen
Die im Eilverfahren gebotene summarische Bewertung führt vorliegend zum Ergebnis, dass das Rechtsmittel der Antragstellerin zwar zulässig, insbesondere gemäß §§ 171, 172 GWB form- und fristgerecht erhoben ist, in der Sache allerdings ohne Erfolgsaussicht ist. Der Senat hält die Ausführungen der Vergabekammer, mit der diese einen Verstoß des Auftraggebers gegen § 31 Abs. 6 VgV verneint hat, für überzeugend. Die Beschwerdebegründung, mit der die Antragstellerin im Wesentlichen ihre im Vergabenachprüfungsverfahren angeführten Argumente wiederholt, vermag die Richtigkeit der Entscheidung der Vergabekammer nicht in Frage zu stellen. Dem Interesse des Auftraggebers an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens ist deshalb der Vorrang zu gewähren.
2) Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist voraussichtlich unbegründet. Nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin durch die produktspezifische Ausschreibung von iPads nicht in ihren Rechten verletzt ist, vielmehr die Ausschreibung aufgrund besonderer Umstände gerechtfertigt ist.
a) Zur Sicherstellung eines breiten Wettbewerbs um Beschaffungen der öffentlichen Hand unterliegen die öffentlichen Auftraggeber dem Gebot der produktneutralen Ausschreibung. Das Gebot der Produktneutralität steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zum Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers, dem grundsätzlich das Recht zukommt, selbst zu bestimmen, was er beschaffen möchte. Auch ein öffentlicher Auftraggeber ist entsprechend dem Grundsatz der Privatautonomie grundsätzlich frei, seinen Bedarf festzulegen und autonom zu definieren. Die Entscheidung darüber, ob und ggf. was zu beschaffen ist, wird erfahrungsgemäß von zahlreichen Faktoren beeinflusst, unter anderem von technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen oder solchen der sozialen, ökologischen oder ökonomischen Nachhaltigkeit. Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. Mai 2017 - VII-Verg 36/16, Drohnen, Rn. 40 m. w. N.; OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 - 13 Verg 13/19, Meldeempfänger, Rn 39; jew. zit. nach juris), also das Verfahren, in welchen ein Vertragspartner für den unabhängig von vergaberechtlichen Bindungen festgelegten Beschaffungsbedarf ausgewählt wird. Allerdings ist bereits der Festlegung eines bestimmten Beschaffungsgegenstandes eine gewisse wettbewerbsbeschränkende Wirkung immanent, da die Entscheidung „für“ etwas gleichzeitig die Entscheidung „gegen“ etwas anderes beinhaltet, das vielleicht auch möglich gewesen wäre, um den zugrundeliegenden Bedarf zu decken. Deshalb ist auch das Bestimmungsrecht des Auftraggebers nicht grenzenlos und gilt das Gebot der produktneutralen Ausschreibung als konkrete Ausformung des allgemeine Wettbewerbsgrundsatzes nach § 97 Abs. 1 GWB (vgl. VK Bund, Beschluss vom 09.05.2014 - VK 2.33/14, Rn 44; zit. nach juris). Der öffentliche Auftraggeber hat in Konsequenz dessen nach § 31 Abs. 1 VgV die Leistungsbeschreibung in einer Weise zu fassen, dass sie allen Unternehmen den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewährt. In Ergänzung bestimmt § 31 Abs. 6 Satz 1 VgV, dass in der Leistungsbeschreibung nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt (§ 31 Abs. 6 Satz 1 letzter Halbsatz VgV) oder der Auftragsgegenstand kann nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden (§ 31 Abs. 6 Satz 2 VgV). |
Eine produktspezifische Ausschreibung ist deshalb nur dann gerechtfertigt, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019 - VII Verg 66/18 Rn 52; Beschluss vom 13.04.2016 - VII Verg 47/15 Rn 21, 23; Beschluss vom 01.08.2012 - Verg 10/12, Warnsystem; OLG München, Beschluss vom 26.03.2020 - Verg 22/19 Rn 121; OLG Jena, Beschluss vom 25.06.2014 - 2 Verg 1/14 Rn 47; OLG Celle Beschluss vom 31.03.2020 - 13 Verg 13/19 Rn 41; teils zur Vorgängervorschrift des § 7 VOB/A). Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung muss aber nachvollziehbar begründet und dokumentiert sein; wenngleich eine vorherige Markterkundung nicht erforderlich ist. Die Darlegungslast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liegt beim öffentlichen Auftraggeber (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019 - VII-Verg 66/18 Rn 52; OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 - 13 Verg 13/19 Rn 42; jew. zit. nach juris). |
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die produktspezifische Ausschreibung von iPads unter den vorliegenden Bedingungen voraussichtlich als gerechtfertigt anzusehen. Die von dem Auftraggeber in dem Vergabevermerk vom 08.02.2021 dokumentierten und nachfolgend während des Vergabenachprüfungsverfahrens weiter spezifizierten Gründe sind nachvollziehbar und auftragsbezogen und genügen auch den weiteren vorgenannten Anforderungen. Die zu beschaffenden Tablets sollen in eine bereits geschaffene, mehrjährig erprobte und bewährte Systemarchitektur integriert werden und verfügen - anders als das Konkurrenzprodukt - zudem über Funktionalitäten, die der Auftraggeber als wesentlich erachtet. Die Geräte sollen im Schulbetrieb Verwendung finden und damit in einem durch eine Vielzahl von Nutzern mit sehr unterschiedlichem technischen Verständnis geprägten Umfeld. Zugleich ist für die Umsetzung des Bildungsauftrages die gleichförmige komplikationslose und zuverlässige Bedienbarkeit der im Unterricht verwendeten Geräte von zentraler Bedeutung.
aa) Dem Vergabevermerk lastet entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht bereits ein formeller Fehler an, weil er keinen Vergleich zwischen den von ihr angebotenen Geräten und den ausgeschriebenen iPads vornimmt. Wie der Auftraggeber nachvollziehbar ausgeführt hat, ergibt sich aus dem Umstand, dass im Wesentlichen diese beiden Konkurrenzprodukte auf dem Markt vertrieben werden, dass die besonderen Eigenschaften, die als Vorteile einem Produkt zugesprochen werden, bei dem anderen Produkt nicht vorhanden sind. Außerdem ist der Auftraggeber, wie ausgeführt, im Rahmen seiner Beschaffungsentscheidung zu einer Markterkundung ohnehin nicht verpflichtet (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 - 13 Verg 13/18, Meldeempfänger, Rn 42; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2016 - VII Verg 47/15 Rn 27; vom 01.08.2012 - VII Verg 10/12, Warnsystem, Rn 46; jew. zit. nach juris).
bb) Der Auftraggeber hat angegeben, die neu zu beschaffende Ausstattung mit weiteren Endgeräten sollten sich technisch und organisatorisch nahtlos in die seit Jahren implementierte, erprobte, bedarfsgerecht weiterentwickelte und speziell auf die Nutzungsanforderungen der Schulden ausgerichtete IT-Infrastruktur einfügen. Es bestehe aus organisatorischen und wirtschaftlichen Gründen das Bedürfnis, die vorhandene IT-Struktur ohne größeren Investitions- und Verwaltungsaufwand zu nutzen. Dieser Beschaffungsansatz ist nachvollziehbar, in dem Grundsatz der Sparsamkeit der Verwaltung begründet und ohne diskriminierende Wirkung (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.11.2013 - 15 Verg 5/13 Rn 115; zit. nach juris). |
cc) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist aber auch die weitere Prämisse des Auftraggebers, die Anschaffung von Tablets, die unter dem Betriebssystem „Android“ arbeiten, führe zu einem Mischbetrieb von Endgeräten mit unterschiedlichen Betriebssystemen, der die Zahl der Fehlerquellen deutlich erhöhe, nicht zu beanstanden. Vielmehr liegt auf der Hand, dass beide Betriebssysteme jeweils unterschiedliche Fehlerquellen (Fehler des Betriebssystems, Sicherheitslücken, Schnittstellenprobleme) in sich tragen, so dass sich die Gefahr von Fehlern bei Verwendung mehrerer Betriebssysteme parallel zu einander vervielfacht. Im Bereich der EDV ist es grundsätzlich gerechtfertigt, im Interesse der Systemsicherheit und -funktion das Risikopotential für Fehlfunktionen oder Kompatibilitätsprobleme zu verringern (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019 Rn 52; Beschluss vom 13.04.2016 – VII – Verg 47/156; 31.05.2017 – VII-Verg 36/16; 22.05.2013 – VII – Verg 16/12; OLG Celle Beschluss vom 31.03.2020 Rn 45; jew. zit. nach juris). Dies gilt nicht nur für komplexe IT-Komponenten oder in sicherheitsrelevanten Bereichen, sondern auch im schulischen Umfeld, in dem die Verwendung im Unterricht die zuverlässige und gleichförmige Funktion einer Vielzahl von Endgeräten bei der Nutzung durch unterschiedlichste Schülergruppen voraussetzt. Die Auffassung der Antragstellerin, ein Mischbetrieb erhöhe sogar die Betriebssicherheit, überzeugt bereits deshalb nicht, weil eine etwaige Redundanz der Betriebssysteme nicht verhindert, dass bei Ausfall eines Systems die an dieses System gebundenen Endgeräte für die nutzenden Lehrer und Schüler nicht verwendbar sind.
dd) Der Auftraggeber hat nachvollziehbar weiter darauf abgestellt, dass ein zusätzlicher Aufwand in zeitlicher und finanzieller Hinsicht dadurch entsteht, dass die System- und Netzwerkadministratoren den Betrieb mit iPads langjährig erprobt, aber keine Kenntnisse zu dem von der Antragstellerin verwendeten Android-Betriebssystem haben und sich erst einmal einarbeiten bzw. geschult werden müssen. Es entspricht der Lebenserfahrung des auch beruflich mit EDV befassten Senates, dass ein Wechsel des Betriebssystems auch auf Ebene der die Technik betreuenden Fachleute mit Neuerungen verbunden ist, die angelernt, verstanden und umgesetzt werden müssen. Dies kostet umso mehr Zeit, als gleichzeitig das bisherige System im Mischbetrieb aufrechterhalten wird, weil dann die Automatisierung der neuen Befehle einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. Soweit die Antragstellerin dazu einen relevanten Mehraufwand bestreitet, weil die Bedienung der im edukativen Bereich verwendeten MDM-Systeme sehr ähnlich sei und durch die Erweiterung auf ein anderes Betriebssystem nicht komplizierter werde, betrifft dies gerade die Einarbeitung des technischen Personals auf ein zusätzliches Betriebssystem nicht. |
Nach den von dem Auftraggeber im Verfahren vor der Vergabekammer vorgelegten Unterlagen geht der Senat davon aus, dass das von dem Auftraggeber verwendete MDM jedenfalls zum Zeitpunkt der Ausschreibung tatsächlich für iOS-Geräte ein gegenüber dem Angebot für Android-basierte Geräte erweitertes Funktionsspektrum angeboten hat. Aus der mit Anlage AG 4 (VK Bl. 411) vorgelegten Ankündigung des Betreibers der von dem Auftraggeber verwendeten MDM ergibt sich, dass erst ab dem 16.02.2021 die automatische Einschreibung (entsprechend dem vom Auftraggeber genutzten Device Enrollment Programm, DEP) sowie eine Möglichkeit zum zentralen Einkauf kostenfreier Apps und umfangreicherer Verwaltungsmöglichkeiten angekündigt worden ist. Das lässt den Rückschluss zu, dass zuvor, zum Zeitpunkt der Beschaffungsentscheidung durch den Auftraggeber, diese Funktionen für Android-basierte Geräte noch nicht bestanden, der Auftraggeber jedenfalls etwas anderes nicht zugrunde legen konnte. Zudem zeigt die vom 16.04.2021 datierende Anlage AG 5, dass selbst zu diesem Zeitpunkt weitere edukative Funktionen wie Lehrerkonsole und Classroom App noch nicht für Android-Geräte angeboten wurden, sondern erst für das Jahr 2021 angekündigt worden sind. Soweit die Antragstellerin meint, die Anlage AG 5 beziehe sich nur auf die sog. „Zero Touch Technologie“ ist dies dem Text der Anlage, insbesondere dem Abschnitt „Next Steps“ nicht zu entnehmen. Selbst unterstellt, das MDM des Auftraggebers unterstütze, wie die Antragstellerin vorträgt, auch für Android-basierte Geräte sog. Volumenlizenzen, die Möglichkeit von gruppenweisen Installationen (Shared device Modus) und des sog. S... Classroom Manager, ist dennoch eine völlige Vergleichbarkeit der gebotenen Funktionen nicht festzustellen, insbesondere fehlte es zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschaffungsentscheidung an der Möglichkeit der automatisierten Einschreibung von Endgeräten, des zentralen Einkaufs von kostenpflichtigen Apps und der sog. Lehrerkonsole und damit an Funktionen, die der Auftraggeber innerhalb seines Beurteilungsspielraums als wesentlich beurteilen darf. Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeschriftsatz Beweis angetreten hat, dafür, dass „die vom Auftraggeber zur Rechtfertigung der produktscharfen Ausschreibung vorgegebenen Funktionen, wie Classroom Manager und Klausurmodus nicht erst mit Beginn des Vergabeverfahrens für Produkte der Antragstellerin zur Verfügung standen, sondern mehrere Monate zuvor“ (Bl. 89), wird dem nicht nachzugehen sein, weil er sich nicht auf alle von dem Auftraggeber als wesentlich erachteten Funktionen bezieht und zudem der Zeitpunkt, seit dem die Funktionen zur Verfügung stehen und am Markt angeboten werden, nicht in einer Weise präzisiert ist, dass die Relevanz des Beweisantrittes beurteilt werden könnte. |
gg) Schließlich ist auch nachvollziehbar, dass der Auftraggeber einen erheblichen Mehraufwand im Zusammenhang mit den an das jeweilige Betriebssystem gekoppelten Apps befürchtet. Für die reibungslose Abwicklung des Unterrichts sollen aus Sicht des Auftraggebers auf allen eingesetzten Tablets die gleichen Apps zu betreiben sein. Dass die auf ihren Endgeräten verfügbaren Apps den bereits im System des Auftraggebers verwendeten gleich wären, behauptet aber auch die Antragstellerin nicht, vielmehr hat sie eine Liste vorgelegt mit Apps, die die wesentlichen Funktionen ausführen sollen, wie die auf den iPads eingerichteten. Für die Benutzung unter Android macht der Auftraggeber - auch insoweit nachvollziehbar - geltend, dass diese Alternativen zu den eingesetzten und bewährten IOS-Apps - mit entsprechendem finanziellen und zeitlichen Aufwand - erprobt bzw. weitere ermittelt, die entsprechenden Lizenzen erworben und die Apps im Unterrichtsgeschehen versuchsweise eingesetzt werden müssten, um die Unterschiede in der Bedienung für die Schüler zu antizipieren. Dies ginge allerdings zu Lasten der Zeit für den Unterricht. |
Weiter legt der Auftraggeber dar, dass das für iOS-Geräte anwendbare VPP die Möglichkeit bietet, Volumenlizenzen für Apps zu beschaffen, die dezentral verwaltet sowie einzelnen Endgeräten zugewiesen und wieder entzogen werden könnten. Dabei könne die Verwaltung durch das Kreismedienzentrum erfolgen, was die Schulen von administrativem Aufwand entlastete. Selbst über die erst nach Einleitung des Vergabeverfahrens technisch eingeführte Android Enterpreise Einschreibung könnten hingegen nur kostenfreie Apps bezogen werden. Die Antragstellerin ist dem nicht entgegengetreten. Die Beschaffung von kostenfreien und noch mehr kostenpflichtigen Apps ist damit nachvollziehbar unter dem von der Antragstellerin verwendeten Betriebssystem mit einem deutlich höheren administrativen Aufwand verbunden. |
hh) Soweit der Auftraggeber sich in seinem Vergabevermerk abschließend noch darauf beruft, dass die Richtlinie zum Digitalpakt Schule 2019 bis 2024 und zu den Sofortausstattungsprogrammen auf die Einbindung mobiler Endgeräte in die vorhandene Infrastruktur abstellt, stützt dies seine Beschaffungsentscheidung zwar nicht. Dies ist als nachgeordnetes Begründungselement innerhalb des Vergabevermerks allerdings ohne Relevanz. |