Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 19.10.2021 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 S 81/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2021:1019.OVG11S81.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 6 GG, Art 8 MRK |
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Der Antragsteller, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Juli 2021, mit dem dieses es abgelehnt hat, den Antragsgegner zur weiteren Duldung des Aufenthalts des Antragstellers vorläufig zu verpflichten.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. An der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung besteht kein Zweifel.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht sei. Zwar seien familiäre Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhielten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zu berücksichtigen. Allerdings entfalte Art. 6 GG ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Erforderlich sei vielmehr, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung von einer tatsächlichen schützenswerten Vater-Kind-Beziehung auszugehen sei. Um eine solche annehmen zu können, müsse zwar nicht zwingend eine häusliche Gemeinschaft bestehen, im Falle von Besuchskontakten müsse aber die Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung in ausreichendem Maße sowie eine tatsächliche emotionale Verbundenheit zum Ausdruck kommen.
Der gegen diesen Maßstab von der Beschwerde vorgebrachte, sich im Kern auf den vom Verwaltungsgericht gebrauchten Begriff der Begegnungsgemeinschaft beziehende, Einwand greift nicht durch.
Das Verwaltungsgericht hat seinem Beschluss für die Frage des Bestehens einer schützenswerten Vater-Sohn-Beziehung einen in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehenden Maßstab zugrunde gelegt. Es ist, im Übrigen auf Grundlage des von Antragstellerseite zitierten stattgebenden Kammerbeschlusses vom 9. Januar 2009 (2 BvR 1064/08) gerade nicht – auch wenn es zur Abgrenzung den Begriff der „Begegnungsgemeinschaft“ benutzt hat –, davon ausgegangen, dass an eine Vater-Kind-Beziehung, die auf Grundlage eines Umgangsrechts besteht, dieselben Anforderungen zu stellen sind wie an eine solche, die aufgrund häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind besteht. Maßgeblich komme es darauf an, inwieweit nach außen hin erkennbar die Übernahme elterlicher Erziehung- und Betreuungsverantwortung in ausreichendem Maße sowie eine tatsächliche emotionale Verbundenheit zum Ausdruck kämen. Das Verwaltungsgericht hat zudem das Bestehen einer schützenswerten Beziehung geprüft und insoweit nicht lediglich eine, anhand der Anzahl der Besuchskontakte bestimmte, quantitative Beurteilung vorgenommen (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 15, 20).
Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass eine schutzwürdige Vater-Sohn-Beziehung deshalb nicht bestehe, weil im Ergebnis einer umfassenden Würdigung des Einzelfalls hinreichende Bemühungen des Antragstellers, eine solche aufzubauen und zu unterhalten, nicht erkennbar seien.
Der gegen diese Einschätzung von der Beschwerde vorgebrachte (sinngemäße) Einwand, im ersten Lebensjahr seines Sohnes habe der Antragsteller zu diesem eine schutzwürdige Beziehung gehabt, was entscheidend zu berücksichtigen sei, stellt die Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Frage. Denn die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass den Kontakten des Antragstellers während des ersten Lebensjahres seines Sohnes zwar ein Indizwert beizumessen, letztlich aber maßgebend sei, ob diese Beziehung gut ein Jahr später weiterhin bestehe und damit zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ausländerrechtliche Schutzwirkung entfalten könne, ist rechtlich nicht zu beanstanden, da der Antragsteller mit seinem Duldungsbegehren ein gegenwärtig bestehendes rechtliches Abschiebungshindernis geltend macht.
In der Gesamtwürdigung aller aus den Akten ersichtlichen Umstände sowie der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers gelangt auch der Senat zu der Auffassung, dass dieser eine aktuell bestehende schutzwürdige Beziehung zu seinem Sohn L... nicht glaubhaft gemacht hat.
Dass der Antragsteller im ersten Lebensjahr seines Sohnes diesen „zwei bis dreimal pro Woche“ – so seine Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung über seine Asylklage – bzw. „drei- bis viermal“ – so seine Auskunft in der eidesstattlichen Versicherung – besucht haben will, lässt für sich genommen den Schluss auf die Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung sowie eine tatsächlich bestehende emotionale Verbundenheit noch nicht zu, zumal der Antragsteller in der Asylverhandlung angegeben hat, die Kindesmutter sei stets zugegen gewesen und sich anderes, jedenfalls ausdrücklich, auch aus der eidesstattlichen Versicherung nicht ergibt. Soweit der Antragsteller in seiner Befragung durch den Antragsgegner im Verfahren zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis angegeben hat, zweimal beim Kinderarzt dabei gewesen zu sein, ohne den Namen des Arztes nennen zu können, steht das im Widerspruch zur Angabe der Kindesmutter, der Antragsteller habe sie nie zum Kinderarzt begleitet. Im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Auskünfte der Kindesmutter ist anzumerken, dass diese zwar deren Unzufriedenheit mit der Betreuungsleistung des Antragstellers sowie der Situation an sich widerspiegeln, dass aber ein Eifer, die Abschiebung des Antragstellers zu erreichen, nicht erkennbar ist. Das wird u. a. deutlich an dem Fakt der verspäteten Rückmeldung beim Antragsgegner auf dessen zweite Anfrage hin, ist aber auch der Aussage, „sollte H. Ö. seinen Aufenthalt bekommen oder abgelehnt werden, bitte ich Sie das nicht von uns abhängig zu machen“, die aufgrund des authentischen Duktus der Schreiben als glaubhaft zu erachten ist, zu entnehmen. Dass er mit seinem Sohn jemals einen Kinderarzt (mit) aufgesucht hat – wie allgemein bekannt ist, stehen im ersten Lebensjahr eines Kindes allein sechs Früherkennungsuntersuchungen (U1 bis U6) an; hinzukommen Arztbesuche wegen alltäglicher Erkrankungen und im Fall des Sohnes ... wegen einer angeborenen Fehlbildung – behauptet der Antragsteller in seiner eidesstattlichen Versicherung nicht (mehr). Dass er seinen Sohn im ersten Lebensjahr, als das Verhältnis zur Kindesmutter noch unproblematisch gewesen sein soll, gewickelt haben und ihm die Flasche gegeben haben soll, steht zum Teil in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den Angaben der Mutter; dass er Nahrung zubereiten kann – im ersten Lebensjahr dürfte es sich vor allem um Fläschchen mit Kunstmilch gehandelt haben – behauptet der Antragsteller, obgleich es ihm die Kindesmutter abspricht, in seiner eidesstattlichen Versicherung nicht. Nicht zuletzt daran, dass der Antragsteller seinem Sohn, wie er eidesstattlich versichert, zum ersten Geburtstag eine „Toniebox“ geschenkt haben will – ein Abspielgerät für Hörspiele, das ein Kind frühestens ab dem Alter von drei Jahren sinnvoll benutzen kann (vgl. https://tonies.com/de-de/ ) – wird deutlich, dass der Antragsteller selbst während des ersten Lebensjahres, nicht in einem Ausmaß am Leben seines Sohnes Anteil genommen hat, dass von einer für eine schützenswerte Beziehung erforderlichen emotionalen Bindung zum Kind auszugehen ist. Dies belegen letztlich auch die vorgelegten Fotos, die in keinem Fall gemeinsames Spiel zeigen. Soweit der Antragsteller, bezogen auf die Fotos, vorträgt, er habe das ohnehin schwierige Verhältnis zur Kindesmutter nicht zusätzlich durch ständiges Fotografieren belasten wolle, zumal er sich um sein Kind und nicht um die Dokumentation von Kontakten zu ihm habe kümmern wollen, geht das an der Sache vorbei. Das Verwaltungsgericht hat nicht deshalb Zweifel an einer Eignung der Fotos als Mittel der Glaubhaftmachung geäußert, weil sie in zu geringer Zahl vorgelegt worden wären, sondern es hat dies an deren Alter sowie deren generell zweifelhaften Eignung zum Beleg der Qualität einer Beziehung festgemacht.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass auch die Bemühungen des Antragstellers um Umgang mit L... in dessen zweiten Lebensjahr – nachdem sich nach dessen eigenen Angaben das Verhältnis zur Kindesmutter, damit die Möglichkeit von Besuchskontakten, zunehmend schwierig gestaltetet hatte – die Zweifel an dessen Bereitschaft, elterliche Verantwortung zu übernehmen, nicht ausräumen. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass er wegen Unerreichbarkeit des Jugendamts während der Corona-Pandemie vergeblich versucht hätte, das Umgangsrecht, das ihm die Kindesmutter seit einiger Zeit verweigere, einzufordern. Anderes gelte auch nicht im Hinblick darauf, dass der Antragsteller sein Umgangsrecht seit April 2021 vor dem Amtsgericht Z... geltend mache. Insoweit liege vielmehr – da das Verfahren erst kurz vor Ablauf der zuletzt erteilten Duldung eingeleitet worden sei – der Verdacht einer verfahrensangepassten Geltendmachung nahe.
Der hiergegen von der Beschwerde vorgebrachte (sinngemäße) Einwand, es bestehe auch ein verfassungsrechtlicher Schutz, um eine schutzwürdige Vater-Kind-Beziehung zu entwickeln, also auch zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Umgangsrecht erst gerichtlich durchgesetzt werde, greift auf die Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht durch.
Auch wenn davon auszugehen ist, dass Art. 6 Abs. 1 GG unter Umständen auch dann schon aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen entfalten kann, wenn eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung noch nicht vorhanden ist, mit der Folge, dass es von Verfassungs wegen geboten ist, in angemessener Weise aufenthaltsrechtlich die Möglichkeit einzuräumen, eine solche Beziehung aufzubauen, setzt dies voraus, dass der ausländische Elternteil sich zur Wahrnehmung seiner elterlichen Verantwortung für sein Kind ernsthaft um Umgang mit diesem bemüht (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - OVG 12 S 25.16 -, juris Rn. 9; OVG Bremen, Beschluss vom 30. Juni 2010 - 1 B 123.10 u.a. -, juris Ls; OVG Münster, Beschluss vom 31. Juli 2006 - 19 E 1356.05 -, juris Rn. 7). Dabei ist zu berücksichtigen, wenn in der Vergangenheit bereits Gelegenheit bestanden haben sollte, eine solche Beziehung herzustellen, ohne dass das Elternteil diese wahrgenommen hätte (OVG Bremen, a. a. O., Rn. 5 f.).
Hieran gemessen besteht ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Duldung auch nicht mit Blick auf die Anbahnung einer schutzwürdigen Vater-Sohn-Beziehung auf Grundlage eines nunmehr gerichtlich geregelten Umgangs; vielmehr kann von dem im Jahr 2017 illegal eingereisten Antragsteller die Nachholung des Visumverfahrens verlangt werden.
Zum einen hat der Antragsteller, obwohl dies möglich gewesen wäre, das erste Lebensjahr seines Sohnes nicht genutzt, um eine echte Vater-Sohn-Beziehung zu diesem aufzubauen (s. hierzu oben, 2.). Zum anderen tritt bei Würdigung des Verhaltens des Antragstellers seit dem letzten Herbst / Winter nicht der ernsthafte Wille zutage, nunmehr eine emotionale Verbundenheit zu seinem Sohn aufzubauen und elterliche Erziehungs- und Betreuungsverantwortung für diesen zu übernehmen. Obwohl seit dem ersten Geburtstag des Kindes im Juli 2020 Probleme mit der Kindesmutter im Hinblick auf den Umgang bestanden haben sollen, will sich der Antragsteller erst mehr als ein halbes Jahr später um einen Termin beim Jugendamt bemüht haben, was wegen der Corona-Pandemie gescheitert sei. Die (angebliche) Kommunikation aus dem Februar 2021 mit einer „befreundete[n] Mitarbeiterin im Jugendamt O...“ ist, anders als in der Beschwerdeschrift angekündigt, nicht nachgereicht worden. Nachdem die Kindesmutter kurz vor Ablauf der bis zum 22. Januar 2021 für die Zwecke der Prüfung eines etwaigen Aufenthaltsrechts wegen des Kindes verlängerten Duldung erneut vom Antragsgegner angeschrieben worden ist, schilderte sie mit Schreiben von Anfang März 2021, dass der Antragsteller am 23. Februar 2021 einen Termin bei seinem Anwalt gehabt habe, bei dem ihm mitgeteilt worden sei, „er soll sich ans Jugendamt wenden, damit er im Land bleiben kann… wegen dem Kind“. In einem späteren Absatz ihres Schreibens schildert sie auch den Inhalt der Nachricht, den der Antragsteller ihr nach dem Termin beim Anwalt geschickt haben soll. Trotz einer sich (auf Basis eigener Angaben) in Richtung der Verhinderung von Umgang entwickelnden Verschärfung der Problematik, hat der Antragsteller, dessen Duldung Ende Januar 2021 bis zum 29. April 2021 verlängert worden ist, erst Ende April 2021 – nach Ablehnung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Bescheid vom 23. März 2021 – beim Amtsgericht Z... einen Antrag auf gerichtliche Regelung des Umgangs gestellt, wobei sich der Antragsteller und die Kindesmutter im Termin vor dem Amtsgericht Z... vom 20. Juli 2021 auf einen begleiteten Umgang geeinigt haben sollen.
Den durch diese Umstände entstehenden Eindruck, der Aufbau und die Pflege der Beziehung zu seinem Sohn sei aufenthaltsrechtlich motiviert, hat der Antragsteller, dem die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs obliegt, nicht ausräumen können. Das Vorbringen der Beschwerde, der Antragsteller habe aus Scheu, sich mit der Kindesmutter in eine gerichtliche Auseinandersetzung zu begeben entsprechend gehandelt (bzw. ein Handeln unterlassen), verdeutlicht letztlich, dass der Antragsteller es für längere Zeit hingenommen hat, das eigene Kind nicht zu sehen, wobei die zeitlichen Abläufe nahelegen, dass er der Beziehung zu seinem Sohn erst unter dem Eindruck der drohenden Abschiebung eine entsprechende Priorität eingeräumt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).