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Einkommensteuer 2015 bis 2017


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 08.11.2021
Aktenzeichen 7 K 7009/19 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2021:1108.7K7009.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Abweichend von den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2016 und 2017 vom 14.10.2021 wird die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von weiteren außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 7.508,98 € für 2016 und 5.530,43 € für 2017 festgesetzt.

Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem Beklagten auferlegt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden zu 47 % den Klägern und zu 53 % dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastungen in den Jahren 2015 bis 2017, die Anerkennung von Aufwendungen für die pflegebedürftige Mutter des Klägers in den Jahren 2016 und 2017 und die Aufwendungen für eine Reha in 2016 als außergewöhnliche Belastungen.

Die Kläger wurden als Eheleute im Streitzeitraum zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und die Klägerin erhielt eine Rente. Die Klägerin leidet u. a. seit mittlerweile 25 Jahren an einem weit fortgeschrittenen schweren Morbus Parkinson Asymmetrisches Bent-Spine-Syndrom (PISA-Syndrom) mit schwerer rechtsseitiger Spastik, Multipler Sklerose und Osteoporose.

Die Kläger wohnten und wohnen in der C…-straße, D… in einer 93 qm großen Wohnung und haben in 2014 eine zweite Wohnung mit 60 qm in der E…-straße, D… angemietet. Die Arbeitsstätte des Klägers befindet sich in der F…-straße, D…. Die Wohnung in der E…-straße ist 950 m und die Wohnung in der C…-straße ist 13 km von der Arbeitsstätte entfernt.

Da die Kläger ihre Einkommensteuererklärungen zunächst nicht einreichten, schätzte der Beklagte die Einkommensteuer für die Streitjahre zunächst und setzte sie mit Bescheiden vom 15.03.2017 für 2015 und 20.11.2018 für 2016 und 2017 fest. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein und reichten im Juni 2017 ihre Einkommensteuererklärung für 2015 und im Dezember 2018 für 2016 und 2017 ein.

Die Kläger machten folgende streitgegenständliche außergewöhnliche Belastungen
gelten:

        

2016   

2017   

Reha Aufenthalt Eigenanteil

2.000,00 €

        
                        

Aufwendungen für die zu pflegende Mutter

20.182,00 €

22.680,00 €

Zudem wurden Werbungskosten für eine doppelte Haushaltsführung in folgender Höhe geltend gemacht:

        

2015   

2016   

2017   

Miete/Strom/Nebenkosten abzgl. Erstattungen

6.300,00 €

6.534,00 €

7.254,00 €

Küche 

3.100,00 €

                

Rundfunkgebühr

        

210,00 €

204,00 €

Die Einsprüche wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidungen vom 17.12.2018 für 2015 und 28.10.2019 für 2016 und 2017 teilweise zurück. Als außergewöhnliche Belastungen für die Pflegeaufwendungen für die Mutter des Klägers erkannte der Beklagte für 2016: 8.701,00 € und für 2017: 2.361,00 € an. Fahrtkosten wurden in Höhe von 900,00 € jährlich anerkannt und der Eigenanteil Zuzahlung für das Jahr 2017 in Höhe von 899,00 €.

Gemäß den Anlagen zur Einspruchsentscheidung vom 17.12.2018 setzte der Beklagte die Einkommensteuer, Zinsen, Verspätungszuschlag und den Solidaritätszuschlag wie folgt fest:

        

2015   

2016   

2017   

Einkommensteuer

12.990,00 €

11.716,00 €

12.514,00 €

Zinsen

-254,00 €

-321,00 €

-63,00 €

Solidaritätszuschlag

714,45 €

644,65 €

688,27 €

Verspätungszuschlag

25,00 

                

Daraufhin haben die Kläger am 14.01.2019 und am 18.11.2019 Klage erhoben.

Das Gericht hat die Verfahren 7 K 7204/19 (VZ 2016 und 2017) und 7 K 7009/19 (VZ 2015) unter dem Aktenzeichen 7 K 7009/19 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Folgende Punkte sind zwischen den Beteiligten streitig und Gegenstand des Klageverfahrens:

Doppelte Haushaltsführung (2015, 2016, 2017)

Die Kläger tragen vor, dass die Wohnung in der C…-straße auch nach Anmietung der Zweitwohnung der Lebensmittelpunkt beider Kläger geblieben sei. Sie hätten dort ihre sozialen Kontakte (Nachbarn, Bekannte, Inhaber kleiner Geschäfte, Ärzte, Apotheker). Die Wohnung sei qualitativ hochwertiger, wesentlich ruhiger, umfangreicher ausgestattet und verfüge über einen ruhigen Balkon. Der Kläger sei auch Mitglied in einem Fitnessstudio in der Nähe. Auch Besuche würden nahezu ausschließlich in der Wohnung in der C…-straße empfangen.

Beide Wohnungen würden durch die Kläger gemeinschaftlich finanziert. Die doppelte Haushaltsführung sei auch beruflich veranlasst. Die Zweitwohnung liege ca. 0,8 km von der Arbeitsstätte des Klägers entfernt. Die Zweitwohnung sei begründet worden, um es dem Kläger zu ermöglichen, seiner Berufstätigkeit, wenn auch in reduziertem Umfang, nachzugehen und gleichzeitig die Pflege seiner Frau sicherzustellen. Es komme im Ergebnis nicht auf den Gesamtkomplex aller mittelbaren und unmittelbaren Motive im Zusammenhang mit der Gründung des zweiten Haushalts an. Maßgeblich sei allein, dass die Gründung des Zweithaushalts beruflich veranlasst sei. Aufgrund des erheblichen Lärmpegels und der Schadstoffbelastung aufgrund der stark befahrenen E…-straße hätte der Kläger die Wohnung nicht gemietet, wenn ihre ideale Lage zum Arbeitsplatz des Klägers nicht gewesen wäre. Ob auch die Pflege der Ehefrau mitursächlich sei, sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH– unerheblich. Dies stelle nur einen vorgelagerten Sachverhalt dar, der den Veranlassungszusammenhang nicht beeinflusse. Gesundheitliche Gründe würden ebenfalls nach Auffassung des BFH keine Rolle spielen (Urteil vom 09.03.1979, Bundessteuerblatt –BStBl.– II 1979).

Der BFH habe in seinem Urteil vom 16.11.2017 (VI R 31/16) entschieden, dass die bisher angewandte „Ein-Stunden-Regel“ nicht die in erster Linie maßgebliche tatrichterliche Würdigung ersetze. Vorliegend sei die besondere Pflegesituation der Klägerin zu berücksichtigen. Der Kläger benötige für die Fahrt von der Wohnung in der C…-straße bis zu seinem Büro 40 Minuten (11 km).Dies sei zwar nach der Sichtweise des BFH zumutbar, aufgrund der Erkrankung der Klägerin (Morbus Parkinson (Spätphase mit OFF-Phasen und Dykinesien), Skoliose, MS, Angst- und Panikstörungen) träten jedoch besondere Umstände hinzu. Die Klägerin benötige eine subkutane Dauerinfusion von Apomorphin mittels Minipumpe. Die Nadel müsse täglich mehrfach gewechselt und die Pumpe befüllt werden. Aufgrund ihres Tremors sei die Klägerin dazu nicht in der Lage. Komme es zu einem Funktionsausfall der Pumpe, sei die Klägerin innerhalb weniger Minuten vollkommen bewegungsunfähig. Aufgrund des langen Fahrtweges in der Vergangenheit habe die Klägerin mehrfach in diesem Zustand verharren müssen, bis der Kläger die Wohnung erreicht habe. Die Anmietung der Zweitwohnung habe dazu geführt, dass der Kläger die Unterbrechung seiner Arbeitszeit habe erheblich reduzieren können. Da der Kläger zuvor die Strecke nach XX mindestens viermal habe fahren müssen, sei auch die „Ein-Stunden-Regel“ erfüllt. Der Kläger beruft sich auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMF- vom 30.09.2013 (BStBl. I 2013, 1279) wonach eine doppelte Haushaltsführung anzunehmen sei, wenn der Weg von der Zweitunterkunft zur ersten Tätigkeitsstätte weniger als die Hälfte der Entfernung der kürzesten Straßenverbindung zwischen Hauptwohnung und der ersten Tätigkeitsstätte betrage.

Der Beklagte hingegen ist der Auffassung, dass eine doppelte Haushaltsführung mangels Auseinanderfallens des Ortes des eigenen Hausstandes und des Beschäftigungsortes nicht gegeben sei. Der hiesige Senat habe beispielsweise entschieden, dass eine Entfernung bzw. eine Strecke von 21 km zwischen Familienwohnung und Arbeitsstätte noch nicht dafürspreche, dass die Familienwohnung außerhalb des Beschäftigungsortes liege (Urteil vom 16.12.2015 – 7 K 7366/13, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2016, 1005). Der BFH sei dem gefolgt (Az. VI R 2/16). Die Beklagte habe ermittelt, dass die Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln von der Wohnung in der C…-straße zur Arbeitsstätte 35 Minuten betrage und damit zumutbar sei. Soweit der Zweitwohnsitz die Verbesserung der pflegerischen Vorsorge der Klägerin und die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zum Ziel habe, handele es sich um Ausgaben zur Linderung von Leiden oder zur Genesung von Angehörigen. Diese könnten nur Werbungskosten sein, wenn sie im Zusammenhang mit dem Beruf stünden.

Den Hilfsantrag betreffend sei festzustellen, dass durch die Anmietung der Zweitwohnung der Tatbestand des § 33 Einkommensteuergesetz –EStG– nur erfüllt sein könne, wenn diese ausschließlich durch eine Krankheit veranlasst sei. Soweit die Anmietung erfolgt sei, um pflegerische Tätigkeiten in der Arbeitszeit zu erbringen, handele es sich nicht um eine krankheitsbedinge Maßnahme. Die geltend gemachten Aufwendungen seien nicht schon deshalb aus tatsächlichen Gründen zwangsläufige Aufwendungen, weil die Klägerin im Streitjahr an Parkinson erkrankt und daher pflegebedürftig sei und der Aufenthalt in der E…-straße, wenn nicht der Heilung, so doch der angenehmen Gestaltung der Lebenssituation förderlich gewesen sei. Die Anmietung sei jedoch keine gezielte therapeutische Maßnahme. Aufwendungen eines nicht pflegebedürftigen Steuerpflichtigen, der mit seinem pflegebedürftigen Ehegatten zusammenwohne, seien nicht zwangsläufig. Die Größe der Wohnung sowie die Ausstattung, auch wenn es sich um eine behindertengerechte Wohnung handele, würden dafürsprechen, dass es sich um Kosten der allgemeinen Lebensführung handele und diese gerade nicht durch eine medizinisch indizierte Heilbehandlung veranlasst seien.

Aufwendungen für die im Saarland lebende pflegebedürftige Mutter (2016, 2017)

Die pflegebedürftige Mutter (Pflegestufe II/Pflegegrad 3, Merkzeichen G, B, aG, H, RF) des Klägers wird seit September 2013 von polnischen Betreuerinnen versorgt. Diese sind bei einer polnischen Agentur (…) sozial- und rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Zusätzlich war während der Streitjahre 2016 und 2017 ein ambulanter Pflegedienst zur Morgen- und Abendwäsche für die Mutter tätig. Die Mutter begab sich einmal wöchentlich in eine Tagespflegeeinrichtung. Aus einem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Mutter geht hervor, dass die Mutter eine Bewegungseinschränkung des linken Armes hatte, der freie Stand nicht möglich war, sie rumpfinstabil war und im Rollstuhl sitzen musste, da sie nicht gehfähig sei. Zudem litt sie an Epilepsie. Nach eigenen Angaben komme am Abend und am Morgen der Pflegedienst, um sie im Bett zu mobilisieren. Zweimal in der Nacht müsse eine private Pflegekraft gerufen werden, die ihr beim Umdrehen im Bett helfe und die Inkontinenzunterlagen wechsele. Sie benutze einen Toilettenstuhl. Das Bad könne sie nicht benutzen.

Es sind Kosten für die Pflege der Mutter in Höhe von 20.182,98 € in 2016 und 22.680,00 € in 2017 entstanden, die dem Grunde nach auch als außergewöhnliche Belastungen durch den Beklagten anerkannt wurden. Im Einzelnen wird auf die Rechnungen in der Einkommensteuerakte für die Veranlagungszeiträume 2016 und 2017 verwiesen.

Streitig ist, in welcher Höhe die eigenen Einkünfte der Mutter angerechnet werden müssen und ob weitere Zahlungen für Verpflegung und die kostenlose Unterkunft der Pflegekräfte als weitere außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Weiterhin ist die Höhe der Aufwendungen betreffend streitig, wie hoch der Anteil der hauswirtschaftlichen Versorgung der Mutter ist. Einigkeit besteht darin, dass die drei Renten der Mutter abzüglich der Versicherungen, des Werbungkosten-Pauschbetrages in Höhe von 102,00 € und der Kostenpauschale in Höhe von 180,00 € einen Betrag von 5.454,00 € für 2016 und 5.688,00 € für 2017 ergeben.

Die Kläger machen folgende Aufwendungen unter Abzug der Einkünfte der Mutter geltend:

        

2016   

2017   

Aufwendungen des Kl.

20.523,35 €

22.680,00 €

./. eigene Einkünfte der Mutter

-5.454,00 €

-5.688,93 €

zzgl. Kosten Unterk. und Verpfl. Pflegekräfte

3.000,00 €

3.000,00 €

zzgl. Fahrkosten

750,00 €

750,00 €

Eigenanteil Tagespflege (Schätzung)

900,00 €

900,00 €

./. Pflegegeld

-4.662,00 €

-1.224,00 €

zu berücksichtigen

15.057,35 €

20.417,07 €

Zu den Fahrtkosten erläutern die Kläger, dass in 2016 fünfmal ein Betreuerinnenwechsel und in 2017 sechsmal ein Betreuerinnenwechsel stattgefunden habe. Nach dem jeweiligen Dienstleistungsvertrag seien jeweils 150,00 € an die jeweilige Betreuerin zu erstatten.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Aufwendungen für die pflegebedürftige Mutter um die eigenen Bezüge wie folgt zu kürzen seien:

        

2016   

2017   

Aufwendungen des Kl.

20.182,00 €

22.680,00 €

./. eigene Einkünfte der Mutter

-5.454,00 €

-5.688,00 €

./. Pflegegeld

-4.662,00 €

-1.224,00 €

zu berücksichtigen

10.066,00 €

15.788,00 €

Der Beklagte nimmt an, dass Aufwendungen für die hauswirtschaftliche Versorgung grundsätzlich nur begrenzt abziehbar seien und verweist auf das Urteil des Finanzgerichts –FG– Baden-Württemberg vom 21.06.2016 (5 K 2714/15, EFG 2016, 1258). Der Anteil sei vorliegend nicht ermittelbar. Hierzu sei ein Gutachten des medizinischen Dienstes erforderlich, aus dem die benötigten Minuten kalendertäglich ersichtlich seien. Dem Grunde nach würden zu den abziehbaren Pflegeaufwendungen neben den geleisteten Zahlungen auch die kostenlose Unterkunft und die Verpflegung der Betreuungskräfte zählen. Da vorliegend kein Abzug für die hauswirtschaftliche Versorgung erfolgt sei, sei davon auszugehen, dass die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Fahrkosten im Streitfall (mindestens) entsprechend gewürdigt worden seien. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, dass gegen die Berücksichtigung der Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung der Pflegekräfte nach entsprechend geltenden Sachbezugswerten keine Einwendungen bestehen würden.

Kosten Klinikaufenthalt Reha (2016)

Die Klägerin hielt sich nach einem Sturz im März 2016 und einer dadurch bedingten Beckenringfraktur, die stationär behandelt werden musste, vom 14.06.2016 bis zum 21.07.2016 stationär im Rahmen einer Anschlussheilbehandlung in der G… Klinik auf. Zu den Einzelheiten wird auf Entlassungsbericht der G… Klinik Bl. 24 ff. der Gerichtsakte in dem Verfahren 7 K 7204/19 –GA 7 K 7204/19– verwiesen. Aus einem Schreiben der Krankenkasse, das im Verfahren vorgelegt wurde, geht hervor, dass die Kosten für eine stationäre Anschlussrehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in der o. g. Einrichtung (Bl. 23 GA 7 K 7204/19) mit einer Selbstbeteiligung in Höhe von insgesamt 2.000,00 € bewilligt wurden.

Die Kläger tragen vor, dass aus dem Entlassungsbericht hervorgehe, dass die Klägerin trotz verschiedener voriger Krankenhausaufenthalte noch an gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen gelitten habe. Während des Aufenthalts in der G… Klinik sei ein neu aufgetretener Trümmerbruch des Schambeins festgestellt worden. Auch aufgrund der langen Vorgeschichte dürften keine begründeten Zweifel an der medizinischen Notwendigkeit der Anschlussbehandlung bestehen.

Der Beklagte machte zunächst in der Einspruchsentscheidung geltend, dass eine Berücksichtigung des Eigenanteils an den Kosten für die Reha-Maßnahme als außergewöhnliche Belastung nicht möglich sei, weil die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nicht nachgewiesen worden sei. Es fehle bereits an der Einzelverordnung des behandelnden Arztes. Zudem sei kein Nachweis über entstandene Aufwendungen, z.B. Rechnungen von der G… Klinik vorhanden und auch kein Nachweis über Ersatzleistungen der Krankenkasse erfolgt. Aufgrund der im Gerichtsverfahren vorgelegten Bescheinigungen der Krankenkasse erklärte sich der Beklagte bereit, die Kosten als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen (Bl. 88 GA 7 K 7204/19).

Der Beklagte hat mit geänderten Bescheiden für die Jahre 2016 und 2017 vom 14.10.2021 die Einkommensteuer entsprechend der im Verfahren geäußerten Auffassung zur Höhe der außergewöhnlichen Belastungen im Zusammenhang mit der pflegebedürftigen Mutter des Klägers wie folgt herabgesetzt:

        

2016   

2017   

Einkommensteuer

11.568,00 €

8.908,00 €

Zinsen

-326,00 €

-63,00 €

Solidaritätszuschlag

636,24 €

489,94 €

Eine Berücksichtigung des Eigenanteils für den Reha-Aufenthalt der Klägerin in Höhe von 2.000,00 € erfolgte nicht.

Die Kläger beantragen,

abweichend von dem Einkommensteuerbescheid 2015 vom 15.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.12.2018 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Aufwendungen einer beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung in Höhe von 10.480,00 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit festzusetzen;

abweichend von den Einkommensteuerbescheiden 2016 und 2017 vom 14.10.2021 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der Aufwendungen einer beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung in Höhe von jeweils 7.580,00 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit und weitere Aufwendungen für den Kuraufenthalt in Höhe von 2.000,00 € in 2016 sowie für die Pflege der Mutter in Höhe von 5.508,00 € in 2016 und 5.568,00 € in 2017 jeweils als weitere außergewöhnliche Belastungen festzusetzen;

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Dem Gericht haben die Streitakten des hiesigen Verfahrens und der Verfahren 7 K 7204/19 und 7 K 7157/20 sowie drei Bände Einkommensteuerakten, die vom Beklagten für die Kläger unter der Steuer-Nr. … geführt werden, vorgelegen.

Entscheidungsgründe

A. Die Einkommensteuerbescheide vom 14.10.2021 für die Jahre 2016 und 2017, die die durch die Einspruchsentscheidung vorgenommene Einkommensteuerfestsetzung geändert haben, sind gemäß § 68 Satz 1 Finanzgerichtsordnung –FGO– Gegenstand des Verfahrens geworden. Gemäß § 68 Satz 1 FGO wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird.

B. Die Klage ist zum Teil begründet.

Die Kläger werden durch die angefochtenen Bescheide i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 FGO im tenorierten Umfangin ihren Rechten verletzt.

I. Das Gericht prüft den ihm vorliegenden Sachverhalt unabhängig von der rechtlichen Würdigung durch den Beklagten und kann Rechtsfehler zugunsten des Klägers ggf. saldierend berücksichtigen.

II. Ausgehend von diesen Kriterien ergibt sich für die zwischen den Beteiligten erörterten Streitpunkte:

1. Doppelte Haushaltsführung (2015, 2016, 2017)

a) Der Beklagte hat die Kosten für die Wohnung in der E…-straße, D… zu Recht nicht als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG anerkannt.

aa) Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen, als Werbungskosten abziehbar. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG). Das Vorliegen eines eigenen Hausstandes setzt das Innehaben einer Wohnung sowie eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung voraus (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG). Nach Satz 2 der Vorschrift liegt eine doppelte Haushaltsführung nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Beschäftigungsort ist der Ort der regelmäßigen, dauerhaften Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.

Der Ort des eigenen Hausstands und der Beschäftigungsort müssen demnach auseinanderfallen (BFH, Urteile vom 21.01.1972 – VI R 95/71, BStBl. II 1972, 262; vom 08.10.2014 – VI R 16/14, BStBl. II 2015, 511; vom 07.05.2015 – VI R 71/14, BFH/NV 2015, 1240; vom 16.11.2017 – VI R 31/16, BStBl. 2018, 404; vom 16.01.2018 – VI R 02/16, BFH/NV 2018, 712; FG Nürnberg, Urteil vom 06.11.2019 – 3 K 911/18, juris; Schmidt/Krüger, EStG, 40. Auflage 2021, § 9 Rn. 229). Nur dann ist der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG beschäftigt. Eine doppelte Haushaltsführung ist deshalb nicht gegeben, wenn der Steuerpflichtige in einer Wohnung am Beschäftigungsort einen (beruflich veranlassten) Zweithaushalt führt und auch der vorhandene "eigene Hausstand" am Beschäftigungsort belegen ist. Denn dann fallen der Ort des eigenen Hausstands und der Beschäftigungsort nicht auseinander. Dabei ist unter Beschäftigungsort nicht die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen, sondern der Bereich, der zu der konkreten Anschrift der Arbeitsstätte (noch) als Einzugsgebiet anzusehen ist (ständige Rechtsprechung u. a. BFH, Urteile vom 19.04.2012 – VI R 59/11, BStBl. II 2012, 833; vom 16.01.2018 – VI R 2/16, BFH/NV 2018, 712, m. w. N.; FG Hamburg, Urteile vom 26.02.2014 – 1 K 234/12, EFG 2014, 1185, und vom 17.12.2014 – 2 K 113/14, EFG 2015, 808, m. w. N.). Ein Arbeitnehmer wohnt am Beschäftigungsort, wenn er von seiner Wohnung aus ungeachtet von Gemeinde- und Landesgrenzen seine Arbeitsstätte in zumutbarer Weise täglich aufsuchen kann (Schmidt/Krüger, EStG, 40. Auflage 2021, § 9 Rn. 229). Ausschlaggebend ist insoweit nicht allein die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Es ist vielmehr auf alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls abzustellen und neben der Entfernung auch auf die Verkehrsanbindung mit privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln, die Erreichbarkeit dieser Verkehrsmittel bei Arbeitsbeginn und -ende sowie eventuelle besondere Umstände beim Arbeitsablauf abzustellen. Eine Wohnung am Beschäftigungsort kann danach regelmäßig angenommen werden, wenn sie in einem Bereich liegt, von dem aus der Arbeitnehmer üblicherweise täglich zu diesem Ort fahren kann. Dabei liegen Fahrzeiten von etwa einer Stunde für die einfache Strecke noch in einem zeitlichen Rahmen, in dem es einem Arbeitnehmer zugemutet werden kann, von seinem Hausstand die Arbeitsstätte aufzusuchen. Unter den Bedingungen einer Großstadt, in der sich schon aufgrund des im Innenstadtbereich herrschenden Preisniveaus typischerweise die Wohnstätten der Beschäftigten in Randbereiche und auch über die politischen Grenzen einer Gemeinde hinaus verlagern, sind Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von etwa einer Stunde üblich und ohne weiteres zumutbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn es ein gut ausgebautes Netz von öffentlichen Nah- und Fernverkehrsverbindungen gibt (BFH, Urteil vom 16.01.2018 – VI R 2/16, BFH/NV 2018, 712, m. w. N.).

bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze unter Berücksichtigung und Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls ist der Senat der Auffassung, dass im Streitfall der eigene Hausstand und der Beschäftigungsort bzw. Ort der ersten Tätigkeitsstätte beim Kläger nicht im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG auseinanderfallen. Der Kläger hat seine Hauptwohnung in der C…-straße, D…. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln benötigt er zu seiner Arbeitsstätte in der F…-straße, D… ca. 35 bis 40 Minuten. Das ist zumutbar und die Hauptwohnung liegt somit üblicherweise im Einzugsgebiet der Arbeitsstätte.

An die Verwaltungsvereinfachung in dem BMF-Schreiben vom 30.09.2013 (BStBl. I 2013, 1279) ist das Gericht nicht gebunden. Zudem ersetzt die Vereinfachung nicht die Voraussetzung, dass Beschäftigungsort und Hausstand auseinanderfallen müssen.

Anlass der doppelten Haushaltsführung war zudem nicht die Arbeit des Klägers, sondern die Krankheit der Klägerin und der Wunsch des Klägers, diese während der Arbeitszeit zu pflegen. Insofern fehlt es am Veranlassungszusammenhang für eine doppelte Haushaltsführung. Nur wenn die Wohnung beruflichen Zwecken dient, kommt es auf die Gründe für die Beibehaltung einer doppelten Haushaltsführung nicht mehr an (Schmidt/Krüger, EStG, 40. Auflage 2021, § 9 Rn. 221). Die doppelte Haushaltsführung war vorliegend aber nicht beruflich begründet. Dass auch außerhalb der Person des Steuerpflichtigen liegende Gründe – wie hier die Krankheit der Klägerin – Umstände sein können, die im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung zu einer Unzumutbarkeit der Fahrstrecke führen, auch, wenn der Hauptwohnsitz und die Arbeitsstätte in einer Stadt liegen, lässt sich der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entnehmen.

b) Es handelt sich auch nicht um außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG.

aa) Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (BFH, Urteile vom 15.01.2015 – VI R 85/13, BStBl. II 2015, 586; vom 06.02.2014 – VI R 61/12, BStBl. II 2014, 458 und vom 26.02.2014 – VI R 27/13, BStBl. II 2014, 824, jeweils m. w. N.).

Bei den Krankheitskosten wird unterschieden zwischen den krankheitsbedingten Maßnahmen und den dadurch veranlassten Aufwendungen, die entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit – in der Person des Kranken – erträglich zu machen (unmittelbare Krankheitskosten), und den Aufwendungen, die nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen (mittelbare Krankheitskosten) und den Aufwendungen für Maßnahmen, die lediglich der Vorbeugung oder Erhaltung der Gesundheit dienen (BFH, Urteil vom 09.08.1991 – III R 54/90, BStBl. II 1991, 920; Schmidt/Loschelder, EStG, 40. Auflage 2021, § 33 Rn. 90 ABC “Krankheitskosten’“). Nur die unmittelbaren Krankheitskosten sind ohne weitere Prüfung und ohne weitere Voraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach regelmäßig aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, wobei auch die Aufwendungen für medizinische Hilfsmittel typisierend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden, also medizinisch indiziert sind (vgl. u.a. BFH, Urteile vom 15.01.2015 – VI R 85/13, BStBl. II 2015, 586; vom 26.02.2014 – VI R 27/13, BStBl. II 2014, 824 und vom 19.04.2012 –VI R 74/10, BStBl. II 2012, 577, jeweils m. w. N.).

Der Aufenthalt in der E…-straße dient in erster Linie der angenehmeren Gestaltung der Pflegesituation und stellt keine gezielte therapeutische Maßnahme dar und ist insofern auch nicht medizinisch indiziert. Die Aufwendungen für das Wohnen stellen Kosten der allgemeinen Lebensführung dar und erleichtern zwar das Leben der Klägerin, sind aber dennoch freiwillige Aufwendungen und nicht zwangsläufig (siehe auch BFH, Urteil vom 20.11.1987 – III R 296/84, BStBl. II 1988, 137; FG Hamburg, Urteil vom 07.02.1974 – III 102/73, EFG 1974, 310). Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Anmietung der Wohnung aus medizinischen Gründen zweckmäßig ist, damit die Pumpe nachgefüllt und die Nadel gewechselt werden kann, so handelt es sich allenfalls um Folgekosten der Krankheit, die nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden können (siehe hierzu auch BFH, Urteil vom 20.11.1987 – III R 286/84, BStBl. II 1988, 137; FG Münster, Urteil vom 28.07.1998 – 1 K 3977/98 E, EFG 1998, 1588).

2. Aufwendungen für die im Saarland lebende pflegebedürftige Mutter (2016, 2017)

Die von dem Kläger gemachten Aufwendungen für seine pflegebedürftige Mutter stellen dem Grunde nach außergewöhnliche Belastungen in Form von Krankheitskosten gemäß
§ 33 EStG dar.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisses und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird, § 33 Abs. 1 EStG. Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen u. a. zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen, § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG.

In der Rechtsprechung des BFH ist anerkannt, dass untypische Unterhaltsleistungen, mit denen ein besonderer und außergewöhnlicher Bedarf abgedeckt wird – z.B. die Übernahme von Krankheits- oder Pflegekosten –, nach § 33 EStG zu berücksichtigen ist, wenn der Unterhaltsberechtigte nicht in der Lage ist, diese Aufwendungen selbst zu tragen (Urteile vom 19.06.2008 – III R 57/05, BStBl. II 2009, 365; vom 17.12.2009 – VI R 63/08, BStBl. II 2010, 341, m. w. N.). Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung von Angehörigen in einem Altenpflegeheim fallen deshalb unter § 33 EStG, während beispielsweise Aufwendungen für deren altersbedingte Heimunterbringung nur nach § 33a Abs. 1 EStG berücksichtigt werden können (BFH, Urteile vom 24.02.2000 – III R 80/97, BStBl. II 2000, 294; vom 30.06.2011 – VI R 14/10, BStBl. II 2012, 876). Wie sich aus § 33a Abs. 4 EStG ergibt, hat der Steuerpflichtige kein Wahlrecht zwischen dem Abzug nach § 33 EStG und dem nach § 33a EStG (BFH, Urteile vom 26.03.2009 – VI R 60/08, BFH/NV 2009, 1418; vom 24.02.2000 – III R 80/97, BStBl. II 2012, 876, jeweils zu § 33a Abs. 5 EStG – nunmehr § 33a Abs. 4 EStG).

Im Streitfall waren die Aufwendungen für die Pflege krankheitsbedingt, da die Mutter des Klägers nicht nur unter altersbedingt üblichen Einschränkungen litt. Dies ergibt sich aus den Diagnosen, wie sie dem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit zu entnehmen sind, und den verschiedenen vom Versorgungsamt zugebilligten Merkzeichen. Demnach fallen auch die Aufwendungen für die häusliche Pflege unter die Krankheitskosten unter § 33 EStG, soweit sie die Einkünfte der Mutter übersteigen, also von ihr nicht selbst getragen werden können.

Zu den Krankheitskosten gehören die Aufwendungen, die unmittelbar zum Zwecke der Heilung der Krankheit mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, wie insbesondere Kosten für die eigentliche Heilbehandlung und eine krankheitsbedingte Unterbringung (z.B. BFH-Urteile vom 14.11.2013 – VI R 20/12, BStBl. II 2014, 456; vom 26.06.1992 – III R 83/91, BStBl. II 1993, 212). Solche Aufwendungen werden von der Rechtsprechung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Erforderlich ist lediglich, dass die Aufwendungen mit der Krankheit und der ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen (z.B. BFH, Urteile vom 14.11.2013 – VI R 20/12, BStBl. II 2014, 456; vom 22.10.1996 – III R 240/94, BStBl. II 1997, 346). Erfasst wird nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung. Dem Grunde und der Höhe nach zwangsläufig sind vielmehr die medizinisch indizierten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen, die in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt sind, es sei denn, der erforderliche Aufwand steht zum tatsächlichen in einem offensichtlichen Missverhältnis (BFH, Urteil vom 14.11.2013 – VI R 20/12, BStBl. II 2014, 456). In einem solchen Fall fehlt es an der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erforderlichen Angemessenheit (BFH, Urteil vom 14.11.2013 – VI R 20/12, BStBl. II 2014, 456).

Nach diesen Grundsätzen gehören die Aufwendungen der Kl. als Pflegeaufwendungen zu den dem Grunde nach abziehbaren Krankheitskosten. Soweit die Aufwendungen auf die sog. Grundpflege im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI - Körperpflege, Ernährung und Mobilität - entfallen, handelt es sich bereits begrifflich um solche, die die Krankheit erträglicher machen sollen. Auch bei den überwiegend zu erbringenden Leistungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung handelt es sich dem Grunde nach um abziehbare Krankheitskosten im Sinne des § 33 EStG. Auch die Aufwendungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung dienen dazu, die Krankheit erträglicher zu machen und gehören daher als Pflegeaufwendungen zu den dem Grunde nach abziehbaren Krankheitskosten.

Die Aufwendungen für die Betreuungskräfte sind jedoch der Höhe nach nur abzugsfähig, soweit sie den angemessenen Anteil nicht übersteigen. Ob die Aufwendungen diesen Rahmen übersteigen, hat das Finanzgericht anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BFH, Urteil vom 14.11.2013 – VI R 20/12, BStBl. II 2014, 456). Vorliegend hat die Mutter des Klägers zwar nur die Pflegestufe 2 (Pflegegrad 3), aufgrund der Merkzeichen G, B, aG, H, RF sieht der erkennende Senat die Kosten des Pflegedienstes in voller Höhe als angemessen an. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Mutter des Klägers im Rollstuhl sitzt, nicht gehfähig ist und letztlich nicht einmal das Bad alleine aufsuchen kann. Sie ist demzufolge nicht in der Lage Einkäufe für den täglichen Bedarf zu machen oder Speisen zuzubereiten. Sie ist folglich im Haushalt auf ständige Hilfe angewiesen. Es ist daher kein prozentualer Abschlag vorzunehmen. Eine minutengenaue Berechnung der nötigen hauswirtschaftlichen Versorgung ist nach Auffassung des Senats nicht erforderlich und nicht realistisch. Spätestens mit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II, BGBl. I 2015, 2424) vom 21.12.2015 zum 01.01.2017 hat der Sachverständige nicht mehr nach Maßgabe des somatisch geprägten bisherigen Pflegebedürftigkeitsbegriffs festzustellen, welche in Minuten gefasste Hilfe der zu Begutachtende bei den jeweiligen Verrichtungen benötigt. Im Mittelpunkt des zu begutachtenden Menschen stehen jetzt seine Ressourcen und Fähigkeiten bei Alltagsaktivitäten (Gröne in Francke/Gagel/Bieresborn, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 2. Auflage 2017, § 5 Rn. 28). Dem folgt auch der Senat. Jedenfalls ergibt sich aus der in der mündlichen Verhandlung übergebenden Erhebung der Krankenkasse, dass die Aufwendungen nicht über seinerzeit im Saarland übliche Eigenanteile von Pflegeheimbewohnern ausgingen.

Die Einkünfte der Mutter können nicht um den Eigenanteil der Tagespflege gemindert werden, da der Mutter des Klägers insofern in entsprechender Höhe ein Entlastungsbetrag gemäß § 45b Abs. 1 Sozialgesetzbuch XI –SGB XI– zusteht.

Das gem. § 37 SGB XI erhaltene Pflegegeld ist belastungsmindernd abzuziehen (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2016 – 5 K 2714/15, EFG 2016, 1258).

Da die Fahrtkosten nicht nachgewiesen wurden, können sie auch nicht von den Einkünften der Mutter abgezogen werden.

Auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung wurden nicht glaubhaft gemacht. Zu Gunsten der Kläger setzt das Gericht hier die Werte der Sozialversicherungsentgeltverordnung –SvEV– in der für den jeweiligen Zeitraum geltenden Fassung an. Gemäß § 2 in der jeweils geltenden Fassung der SvEV sind für 2016 für Verpflegung 236,00 €/Monat und für Unterkunft 223 €/Monat (12 x 236,00 € + 12 x 223,00 € = 5.508,00 €) und in 2017 für Verpflegung 241,00 €/Monat und für Unterkunft 223 €/Monat anzusetzen (12 x 241,00 € + 12 x 223,00 € = 5.568,00 €), so auch für den Veranlagungszeitraum 2014 FG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2016 – 5 K 2714/15, EFG 2016, 1258.

Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Rechnung an Frau Fröhlich in Höhe von 342,95 € betreffend ist die Notwendigkeit und Zwangsläufigkeit zweifelhaft, weil der Kläger selber vorgetragen hat, dass Frau Fröhlich nicht tätig geworden ist. Zudem wurde der Rechnungsbetrag in Höhe von 220,00 € später zurückgezahlt.

3. Aufwendungen Reha-Aufenthalt

Im Laufe des Verfahrens kam es zu einer Anerkennung des Eigenanteils für den Reha-Aufenthalt in der G… Klinik als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG. In dem Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 14.10.2021 wurden diese Aufwendungen jedoch nicht berücksichtigt. Daher sind weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 2.000,00 € für 2016 zu berücksichtigen.

III. Das Gericht gibt wegen des nicht unerheblichen Aufwands einer Neuberechnung dem Beklagten gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO auf, die Berechnung der Einkommensteuer 2015 bis 2017 vorzunehmen.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Dabei geht das Gericht im Wege der Schätzung von einer Erfolgsquote in Höhe von 53 % aus.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung –ZPO– analog.

Das Gericht hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil das Urteil auf nicht (oder jedenfalls nicht umfassend) höchstrichterlich geklärten Rechtsfragen beruht.