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Entscheidung 1 AR 44/21 (SA Z)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 22.12.2021
Aktenzeichen 1 AR 44/21 (SA Z) ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:1222.1AR44.21SA.Z.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Funktionell zuständig ist die – nach näherer Maßgabe des Geschäftsverteilungsplans zur Entscheidung berufene – allgemeine Zivilkammer des Landgerichts Potsdam.

Gründe

I.

Die Kläger nehmen den Beklagten, einen Bauunternehmer, aus einem Kaufvertrag über ein zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück vom 28.2.2020 auf Schadensersatz in Höhe von 93.000 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Die mit der Klage zunächst befasste 6. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam hat sich durch Beschluss vom 25.6.2021 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an die 1. Zivilkammer verwiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass keine Bausache nach § 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG vorliege, da nach dem Vertrag der Parteien nicht Bauarbeiten zu planen, durchzuführen oder zu überwachen gewesen seien.

Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam hat unter dem 2.8.2021 Hinweise zur Frage der funktionellen Zuständigkeit erteilt, zu denen die Parteien sich mit Schriftsätzen vom 4.8.2021 und 23.8.2021 geäußert haben.

Durch Beschluss vom 4.11.2021 hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam sich ebenfalls für funktionell unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II.

Auf die Vorlage durch die 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam ist die funktionelle Zuständigkeit der allgemeinen Zivilkammer des Landgerichts Potsdam für den vorliegenden Rechtsstreit auszusprechen.

1. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht über den vorliegenden Zuständigkeitsstreit zu entscheiden. Die Regelung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist nach allgemeiner Auffassung auf Fälle wie den vorliegenden, in denen mehrere Spruchkörper desselben Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung dieses Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung wie der des §72a Abs. 1 Nr. 6 GVG abhängt, entsprechend anzuwenden (Senat, Beschluss vom 17.5.2021, 1 AR 20/21 (SA Z); BayObLG, Beschluss vom 15.9.2020, 101 AR 99/20, zitiert nach juris; KG, Beschluss vom 22.3.2018, 2 AR 11/18, zitiert nach juris; OLG Nürnberg, MDR 2018, 1015, 1016; OLG Hamburg, Beschluss vom 12.10.2018, 6 AR 17/18, zitiert nach juris; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl., § 36 Rn. 39; MünchKomm./Patzina, ZPO, 6. Aufl. § 36 Rn. 6; jeweils m. w. N.).

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl die 6. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam als auch die 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, und zwar Erstere durch den Beschluss vom 25.6.2021 und Letztere durch den Beschluss vom 4.11.2021. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal rechtskräftig im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekannt gemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat NJW 2004, 780; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36, Rn. 34 f.).

3. Nachdem im Anschluss an die Übersendung der Beschlussfassung 6. Zivilkammer vom 25.6.2021 die 1. Zivilkammer unter den 2.8.2021 Hinweise zur funktionellen Zuständigkeit gegeben und die Parteien sich dazu schriftsätzlich geäußert haben, ist – im Ergebnis – ein hinreichendes rechtliches Gehör zu dieser Thematik gewährt worden.

4. Eine Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses der 6. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 25.6.2021 ist nicht eingetreten, da auf Abgaben und Verweisungen im Zusammenhang mit § 72a GVG die Vorschriften des § 281 ZPO weder direkt noch analog anwendbar sind und eine dem § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entsprechende Vorschrift fehlt (KG, Beschluss vom 15.3.2021, 2 AR 11/21, zitiert nach juris; OLG München, Beschluss vom 7.2.2019, 34 AR 114/18, zitiert nach juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 6.8.2018, 6 AR 10/18, zitiert nach juris; Zöller,/Greger, a. a. O., § 281, Rn. 4).

5. Funktionell zuständig ist die allgemeine Zivilkammer des Landgerichts, da entgegen der Ansicht der 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam keine Bausache nach § 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG vorliegt.

Der Begriff der Bausache im Sinne dieser Vorschrift ist weit auszulegen und erfasst – ungeachtet der typologischen Einordnung des Vertrags als Dienst-, Werk-, Werklieferungs- oder entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag – alle Verträge, durch die sich eine Partei des Vertrags zur Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauarbeiten verpflichtet und mindestens ein Vertragspartner als Bauunternehmer, Architekt oder sonst berufsmäßig mit der Planung oder Ausführung von Bauarbeiten befasste Person in dieser Eigenschaft auftritt (Senat, Beschluss vom 10.9.2021, 1 AR 37/21 (SA Z); OLG Rostock, Beschluss vom 17.5.2021, 2 UH 1/21, zitiert nach juris; KG, Beschluss vom 25.2.2021, 2 AR 7/21, zitiert nach juris; OLG München, Beschluss vom 13.7.2020, 34 AR 70/20, zitiert nach juris; Zöller/Lückemann, a. a. O., § 72a GVG, Rn. 5). Er umfasst dabei insbesondere die Bauverträge im Sinne des § 650a BGB (Zöller/Lückemann a. a. O.), aber auch etwa Kaufanwärterverträge, soweit darin eine Partei die Verpflichtung zur Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauarbeiten übernommen hat (BT-Drucks. 18/11437, 45; vgl. auch: Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 72a, Rn. 6; MünchKomm./Papst, ZPO, 6. Aufl., § 72a GVG, Rn. 2).

Nach diesen Grundsätzen kann das Vorliegen eines Bauvertrags hier nicht festgestellt werden. Der Beklagte hat sich nicht zur Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauarbeiten verpflichtet, sondern nach dem Inhalt des als Anlage K1 zur Klageschrift vom 9.4.2021 vorgelegten Grundstückskaufvertrags vom 28.2.2020 ein bereits fertig bebautes Grundstück an die Kläger veräußert. Damit haben, worauf im Verweisungsbeschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam zu Recht abgestellt worden ist, die primären Leistungspflichten der Vertragsparteien ersichtlich nicht eine Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauleistungen zum Gegenstand. Dass – hier etwa im Hinblick darauf, dass die Vertragsparteien die Gewährleistung für Mängel am Bauwerk den gesetzlichen Bestimmungen des Werkvertragsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs unterstellt haben, – für die Entscheidung des Rechtsstreits auch baurechtliche Fragen zu prüfen sein mögen, reicht für das Vorliegen eines Bauvertrags gemäß § 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG nicht aus (KG, Beschluss vom 13.12.2018, 2 AR 60/18, zitiert nach juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 3.12.2018, 11 AR 21/18, zitiert nach juris; Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl., Teil 15, Rn. 11).

Entgegen der Ansicht der 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam kann das Vorliegen einer Bausache auch nicht aus der in der Beschlussfassung vom 4.11.2021 zitierten Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 12.5.2016, VII ZR 171/15, zitiert nach juris) hergeleitet werden. In dieser Entscheidung hat der BGH entschieden, dass sich auch nach dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die Ansprüche der Erwerber wegen Mängeln an neu errichteten Häusern oder Eigentumswohnungen grundsätzlich nach Werkvertragsrecht richten, mag auch das Bauwerk bei Vertragsschluss bereit fertiggestellt gewesen sein und ungeachtet einer etwaigen Bezeichnung des Vertrags als Kaufvertrag und der vertragschließenden Parteien als Käufer und Verkäufer. Dabei hat der BGH (a. a. O.) indes nicht weitergehend die Rechtsnatur des der Entscheidung zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses und – erst recht – nicht die seinerzeit noch nicht existenten Zuständigkeitsregelungen in § 72a GVG erörtert. Allein der Umstand, dass die Gewährleistung dem Werkvertragsrecht unterstellt ist, führt noch nicht zum Vorliegen eines Bauvertrags nach § 650 BGB oder eines Bauträgervertrags im Sinne des § 650 BGB.

Demgemäß ist die funktionelle Zuständigkeit der allgemeinen Zivilkammer des Landgerichts Potsdam auszusprechen.