Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Verjährung bei unklarem Erstattungsanspruch

Verjährung bei unklarem Erstattungsanspruch


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 09.09.2021
Aktenzeichen L 13 VE 42/19 ECLI ECLI:DE:LSGBEBB:2021:0909.L13VE42.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 45 SGB 1, § 107 SGB 10

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts bleibt unberührt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit ihrer Klage begehrt die 1946 geborene Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Auszahlung weiteren Berufsschadensausgleiches.

Die Klägerin bezog in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch/zweites Buch (SGB II) vom Beigeladenen. Die Gewährung einer am 30. November 2006 beantragten Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die DRV Bund mit Bescheid vom 7. März 2007 mit der Begründung ab, zwar sei die Klägerin seit dem 28. Oktober 2004 voll erwerbsgemindert jedoch seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rentengewährung nicht erfüllt.

Mit Bescheid vom 4. Mai 2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin Berufsschadensausgleich nach § 30 Bundesversorgungsgesetz (BVG) seit dem 1. Oktober 2004 und setzte die der Klägerin zustehende Nachzahlung auf einen Betrag von 103.373,00 Euro fest, den er infolge eines insoweit geführten Rechtsstreits mit Bescheid vom 10. November 2015 weiter hochsetzte. Zugleich mit dem ursprünglichen Bescheid über die Gewährung von Berufsschadensausgleich informierte der Beklagte das beigeladene Jobcenter und forderte es zur Anmeldung eines Erstattungsanspruchs auf. Der Beigeladene machte mit Schreiben vom 23. Juni 2010 für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2005 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 11.450,88 Euro und für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2006 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 11.032,09 Euro geltend. Dies teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 6. Juli 2010 mit. Aus der zuerkannten, jedoch zunächst einbehaltenen Nachzahlung werde dieser Erstattungsanspruch des Beigeladenen getilgt. Sollte sie Einwendungen hinsichtlich der Höhe des Erstattungsbetrages haben, bitte er sie, sich unmittelbar an den Beigeladenen zu wenden. Mit Schreiben vom 26. Mai 2014 forderte die Klägerin den Beigeladenen auf, den nicht zur Auszahlung an sie gelangten Betrag in Höhe von 22.793,78 Euro nebst Zinsen an sie auszuzahlen. Dem kam der Beigeladene nicht nach.

Mit der am 31. Dezember 2015 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung des Beklagen zur Zahlung von 22.793,78 Euro nebst Zinsen seit dem 4. Mai 2010. Der Beklage ist dem entgegen getreten. Seines Erachtens sei die Erstattung in der hier streitgegenständlichen Höhe an den Beigeladenen zu Recht erfolgt. Im Übrigen aber erhebe er die Einrede der Verjährung. Insoweit sei neben Haushaltsgründen zu berücksichtigen, dass die Klägerin den von ihr noch eingeforderten Betrag in Gestalt von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bereits erhalten habe und daher eine ihr nicht zustehende Überzahlung mit der Verjährungseinrede vermieden werde.

Mit Urteil vom 4. November 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin könne nicht mit Erfolg weitere Zahlung aus dem Bescheid vom 4. Mai 2010 verlangen. Zwar gelte der Anspruch nicht gemäß § 107 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/zehntes Buch (SGB X) als erfüllt, weil ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegenüber dem Beklagten nicht bestanden habe, doch stehe der Auszahlung des rechtswidrig einbehaltenen Betrages die erfolgreiche Einrede der Verjährung des Beklagen entgegen. Entgegen der Ansicht der Klägerin handele es sich bei der Erhebung der Verjährungseinrede nicht um einen Verstoß gegen Treu und Glauben. Der Beklagte müsse sich keine besonders krasse Pflichtverletzung vorhalten lassen. Auch habe er den Eintritt der Verjährung nicht arglistig, vorsätzlich oder sonst in einer Weise herbeigeführt, die ihn nunmehr an der Erhebung der Einrede hindere. Insbesondere sei der Hinweis im Schreiben vom 6. Juli 2010, wonach sich die Klägerin an den Beigeladenen wenden möge, falls sie Einwendungen gegen die Höhe des Erstattungsanspruches habe, nicht als eine sie in den Verjährungseintritt lockende „Falle“ zu werten. So liege es nahe, sich bei Einwendungen zur Höhe des Erstattungsanspruches zunächst mit dem Leistungsträger in Verbindung zu setzen, der den Erstattungsanspruch reklamiere. Außerdem könne die als Bitte formulierte Anregung des Beklagten nicht als eine Pflichtverletzung im Sinne eines irreführenden Hinweises auf eine tatsächlich rechtlich nicht gegebene Möglichkeit angesehen werden. Hinzu komme, dass die Klägerin bereits in dem in der Folge des genannten Schreibens gegen den Beigeladenen geführten Rechtsstreit anwaltlich vertreten gewesen sei. Auch eine Ermessensfehlerhaftigkeit der Berufung auf die Verjährung sei nicht zu erkennen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin im Ergebnis eine Überzahlung an sich reklamiere, weil sie den von ihr geforderten Betrag in Gestalt von Leistungen der Grundsicherung bereits erhalten habe, sei es nicht ermessensfehlerhaft, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen, das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. November 2019 zugestellt worden ist.

Mit der am 18. November 2019 eingelegen Berufung hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Sie ist der Ansicht, die Erhebung der Verjährungseinrede sei rechtsmissbräuchlich.

Sie beantragt,

den Beklagen unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 2019 zu verurteilen, an sie 22.793,78 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basissatz seit dem 4. Mai 2010 zu zahlen.

Der Beklage beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat einen Antrag bislang nicht gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen. Er hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin kann die Auszahlung des von ihr begehrten Teilbetrages des mit Bescheid vom 4. Mai 2010 zuerkannten Berufsschadensausgleiches nicht verlangen, weil sich das Auszahlungsbegehren seinerseits als unzulässige Rechtsausübung darstellt, jedenfalls aber auch die Einrede der Verjährung in zulässiger Weise durch den Beklagten erhoben worden ist.

Es mag zutreffen, dass der sich aus dem o.a. Bescheid ergebende Anspruch nicht schon aufgrund der Erstattung des Beklagten an den Beigeladenen gem. § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt gilt, weil tatsächlich ein Erstattungsanspruch des Beigeladen gegenüber dem Beklagten in Höhe des hier geltend gemachten Betrages weder auf der Grundlage von § 103 SGB X noch gem. § 104 Abs. 1 SGB X bestanden hat. So setzt ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X voraus, dass ein Leistungsanspruch nachträglich entfallen ist. Ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X kommt nur in Betracht, wenn die Leistung rechtmäßig erfolgt ist. Hier ist indes weder ein nachträgliches Entfallen festzustellen noch hat eine rechtmäßige Leistung des Beigeladenen an die Klägerin vorgelegen, weil die Klägerin nach der verbindlichen Feststellung der DRV Bund mit Bescheid vom 7. Mai 2007 bereits seit dem 28. Oktober 2004 voll erwerbsgemindert war und daher gem. §§ 7 und 8 SGB II in den Jahren 2005 und 2006 von vornherein nicht zu dem Kreis berechtigter Leistungsempfänger gehörte. Allerdings ist diese rechtliche Einordnung Folge der erst am 31. Oktober 2012 ergangenen Rechtsprechung des BSG (Urteil B 13 R 11/11 R), in deren Konsequenz die Klägerin wegen bereits zu diesem Zeitpunkt bestehender jedoch erst später festgestellter voller Erwerbsminderung in den Jahren 2005 und 2006 nicht Leistungen des Beigeladenen nach dem SGB II, sondern Leistungen des Sozialhilfeträgers nach dem SGB XII hätte beanspruchen können. Dass der Beigeladene und nicht der Sozialhilfeträger in naturgemäßer Unkenntnis der erst Jahre später ergangenen Rechtsprechung an die Klägerin geleistet hat und sodann der Beklagte ebenso in Unkenntnis der späteren Rechtsprechung des BSG von einem Erstattungsanspruch ausgegangen ist und diesen zu erfüllen gesucht hat, mag in der Retrospektive nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimmen, wäre aus Sicht der Klägerin aber wirtschaftlich nicht anders, wenn die jeweils beteiligten Leistungsträger die später durch das BSG klargestellte Rechtslage bereits anfänglich gekannt hätten und statt des Beigeladenen 2005 und 2006 der Sozialhilfeträger an die Klägerin Leistungen erbracht und sodann seinen Erstattungsanspruch bei dem Beklagten angemeldet hätte. Die hier vorliegende besondere Konstellation weist eine Parallele zu der im Zivil- und auch einzelnen Bereichen des Verwaltungsrechts bekannten Situation einer zufälligen Schadensverlagerung auf, bei der eine dem Grunde nach anspruchsberechtigte Person keinen Schaden hat und die Person, bei der ein Schaden entstanden ist, außerhalb des anspruchsbegründenden Vertragsverhältnisses steht. In derartigen Konstellationen gebietet es die materielle Gerechtigkeit, einen Ausgleich dergestalt zu schaffen, dass Schaden und Anspruch für die Zwecke der Durchsetzung zusammengezogen werden und so eine ungerechtfertigte Entlastung des Schädigers unterbleibt (vgl. Brand in Beckonline Großkommentar BGB, § 249 Rdnr. 330). Dies zeigt ebenso wie die Regelung über die Rückabwicklung ungerechtfertigter Bereicherungen in § 812 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), dass mit der materiellen Gerechtigkeit kollidierende Vermögensverschiebungen vermieden und wo geschehen möglichst rückabgewickelt werden sollen. Nicht anders ist die hiesige Situation zu beurteilen. Mag der Klägerin auch ein Anspruch auf den ihr mit Bescheid vom 4. Mai 2010 zugesprochenen Betrag zugestanden haben, stünde es mit der materiellen Gerechtigkeit nicht im Einklang, wenn er ihr neben den bereits durch den Beigeladenen gezahlten Leistungen zuflösse und ihr nur deshalb verbliebe, weil statt des Beigeladenen der Sozialhilfeträger die Leistung hätte erbringen müssen. Das Auszahlungsbegehren der Klägerin ist das erneute Verlangen einer Leistung, die ihr wirtschaftlich betrachtet bereits zugeflossen ist. Als solches handelt es sich um einen Verstoß gegen den auch das öffentliche beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R, juris, Rdnr. 24) und damit um eine unzulässige Rechtsausübung.

Aber selbst wenn nicht bereits die Geltendmachung der Auszahlung als unzulässige Rechtsausübung ausgeschlossen wäre, müsste der Berufung der Erfolg versagt bleiben, weil der Beklagte mit Erfolg die Einrede der Verjährung erhoben hat. Gemäß § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (SGB I) verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Da der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des hier streitgegenständlichen Berufsschadenausgleiches mit Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2010 festgestellt worden ist, endete die Verjährungsfrist nach § 45 Abs. 1 SGB X mit Ablauf des 31. Dezember 2014. Unerheblich ist insoweit, dass der Anspruch durch einen Verwaltungsakt festgestellt und konkret beziffert wurde, denn auch bescheidmäßig festgestellte Ansprüche auf Sozialleistungen verjähren in vier Jahren (BSG, Urteil vom 22. Juni 1994, 10 Rkg 32/93, juris). Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, die Erhebung der Verjährungseirede durch den Beklagten sei treuwidrig und könne daher die mit ihr verbundene Rechtswirkung nicht erzeugen, weil der Beklagte sie in einer gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßenen Weise „in die Verjährungsfalle gelockt habe“, in dem er mit seinem Schreiben vom 6. Juli 2010 wörtlich mitgeteilt hat: „Sollten Sie Einwendungen gegen den Erstattungsanspruch haben, bitte ich Sie, sich an die Dienststelle zu wenden, die den Ersatzanspruch geltend gemacht hat.“ Darin liegt weder ein grob pflichtwidriges Verhalten des Beklagten noch beruht der Eintritt der Verjährung ursächlich auf dieser Information.

Vielmehr ergibt sich aus dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2015 im Verfahren der Klägerin gegen den Beigeladenen, dass die Klägerin im Mai 2014 und damit erst annähernd vier Jahre nach dem Schreiben des Beklagten vom 6. Juli 2010 die Auszahlung des im Wege der Erstattung durch den Beklagten erlangten Betrages geltend gemacht hat. Ferner ergibt sich, dass der hiesige Beigeladene in jenem Verfahren Anfang Dezember 2014 sich seinerseits auf Verjährung berufen und die Prüfung eines Auszahlungsanspruches mit diesem Argument bereits von vornherein abgelehnt hat. Bei einer solchen Sachlage hätte die Klägerin für das Problem der Verjährung hinreichend sensibilisiert sein müssen, so dass eine Kausalität des Schreibens vom 6. Juli 2010 für den Eintritt der Verjährung nicht besteht.

Bei der Erhebung der Verjährungseinrede sind auch Ermessensfehler nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Beklagte sich nicht von sachfremden Erwägungen tragen lassen, wenn er neben den allgemeinen Haushaltsinteressen in seine Überlegungen auch eingestellt hat, dass die Klägerin tatsächlich in den Genuss einer Auszahlung in der hier geltend gemachten Höhe gekommen ist, sie also faktisch eine Doppelzahlung begehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.