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Entscheidung 12 Ta 1310/21


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 12. Beschwerdekammer Entscheidungsdatum 20.10.2021
Aktenzeichen 12 Ta 1310/21 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2021:1020.12TA1310.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Das Ausbleiben des Abschlusses einer Notdienstvereinbarung führt nicht dazu, dass die gerichtliche Untersagung des Arbeitskampfes beansprucht werden kann. Der Abschluss einer Notdienstvereinbarung ist keine konstitutive Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Durchführung von Streiks.
Bei einem Streit der Arbeitskampfparteien über den Umfang des Notdienstes kann das Gericht eine Notdienstregelung treffen. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass das Gericht anstelle einer Unterlassungsverfügung die Verpflichtung zur Einrichtung eines bestimmten Notdienstes aufzugeben hat.

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Cottbus vom 22.09.2021 - 6 Ga 18/21 - abgeändert und der Antragsgegnerin aufgegeben, für den Streik ab dem 21.10.2021 bis zum Abschluss einer Notdienstvereinbarung zwischen den Parteien und längstens bis zum 27.10.2021 folgenden weiteren Notdienst ergänzend zu den Festlegungen aus ihrem Angebot einer Notdienstvereinbarung vom 11.10.2021 (Anlage BF 7 zu dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 15.10.2021) und den dortigen Anlagen für das Fachklinikum in Teupitz bzw. in Lübben einzurichten:

1. Im A. Fachklinikum Teupitz

- für die Stationen 1.2 und 4.2 jeweils je zwei Pflegefachkräfte im Frühdienst und Spätdienst und je eine Pflegefachkraft im Nachtdienst;

- für die Stationen 2.1, 2.2, 6.1 und 7.1 jeweils je eine Pflegefachkraft im Frühdienst, Spätdienst und Nachtdienst;

2. Im A. Fachklinikum Lübben

- für die Station 1.3 zwei Gesundheits- und Krankenpfleger(innen) im Frühdienst sowie je ein Gesundheits- und Krankenpfleger(in) im Spätdienst und Nachtdienst;

- für die Stationen 3.3 und 3.5 je zwei Gesundheits- und Krankenpfleger(innen) / Erzieher(innen) / Heilerziehungspfleger(innen) im Frühdienst und im Spätdienst sowie ein(e) Gesundheits- und Krankenpfleger(in) / Erzieher(in) / Heilerziehungspfleger(in) im Nachtdienst;

3. für die Tageskliniken in Cottbus und Königs Wusterhausen (TK KJP) arbeitstäglich je zwei Personen aus dem Pflege- und Erziehungsdienst und für die Tageskliniken in Vetschau, Lübben und die weitere Tagesklinik in Königs Wusterhausen arbeitstäglich je eine Person aus dem Pflege- und Erziehungsdienst.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Antragstellerin ¾ und die Antragsgegnerin ¼ zu tragen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die gerichtliche Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen und die Ausgestaltung des streikbegleitenden Notdienstes.

Die Antragstellerin betreibt an drei Standorten im Land Brandenburg psychiatrische und neurologische Krankenhäuser, zu denen an verschiedenen Standorten angesiedelte Tageskliniken gehören.

Die Antragsgegnerin führte Warnstreiks gegen die Antragstellerin durch am 19.05.2021, vom 12.08.2021 bis 13.08.2021, vom 30.08.2021 bis 02.09.2021 und vom 21.09.2021 bis 24.09.2021. Zur Einrichtung eines Notdienstes bot sie der Antragstellerin jeweils den Abschluss einer von ihr vorbereiteten Notdienstvereinbarung an. Für den Warnstreik ab dem 21.09.2021 war in dem Angebot für eine Reihe von Stationen bzw. Tageskliniken kein Notdienst vorgesehen. Am Standort Teupitz sind die Station 1.2, 2.1 und 2.2, 3.2, 4.2, 6.1 sowie 7.1 betroffen. Am Standort Lübben sind die Station 1.3, 2.6, 3.3 und 3.5 betroffen. Außerdem betroffen sind die Tageskliniken in Lübben, Vetschau, Cottbus und Königs Wusterhausen sowie die zentrale Aufnahme Psychiatrie.

Zum Abschluss von Notdienstvereinbarungen kam es trotz Verhandlungen nicht.

Mit Antragsschrift an das Arbeitsgericht Cottbus hat die Antragstellerin am 21.09.2021 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht, der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen, Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer, die bei ihr beschäftigt sind, zu Arbeitskampfmaßnahmen aufzurufen und oder Arbeitskampfmaßnahmen bei der Antragstellerin durchzuführen, solange keine schriftliche Notdienstvereinbarung zwischen den Beteiligten abgeschlossen sei, die Mindestbesetzungen gemäß einer Anlage zur Antragsschrift absichere. Hilfsweise macht sie eine entsprechende Untersagung geltend, solange für im Auftrag aufgezählte, von der Antragsgegnerin von dem angebotenen Notdienst ausgenommene Stationen und Tageskliniken kein Notdienst gestellt werde. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die von der Antragsgegnerin vorgelegte Notdienstbesetzung führe zu einer Gefährdung von Leib und Leben ihrer Patienten während der Streikmaßnahme. Weiter hat sie zu den Aufgaben der im Antrag genannten Stationen vorgetragen und den von ihr befürchteten Folgen einer Schließung, die Todesfälle infolge suizidaler Handlungen, Fremdgefährdungen, Kindeswohlgefährdungen und bleibende neurologische Ausfällen umfassen würden.

Mit Beschluss vom 22.09.2021 hat das Arbeitsgericht Cottbus die Anträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Während eines Streiks, insbesondere eines Warnstreiks, bedürfe es keiner Notdienstvereinbarung. Sichergestellt sein müsse die Durchführung des Notdienstes während des Streiks. Eine Vereinbarung der Arbeitskampfparteien sei jedoch nicht erforderlich.

Hiergegen richtet sich die am 23.09.2021 eingelegte und begründete sofortige Beschwerde der Antragstellerin. Sie hält an ihren Anträgen weitgehend fest. Sie macht geltend, das Arbeitsgericht hätte im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse prüfen und feststellen müssen, welche Notdienstarbeiten erforderlich seien. Der Abschluss einer Notdienstvereinbarung sei erforderlich, um eine Verbindlichkeit zwischen den Beteiligten herzustellen und die Beschränkungen des Streikumfanges detailliert zu beschreiben. Außerdem sei es bereits zu Streitigkeiten zwischen den Beteiligten gekommen, wie bei krankheitsbedingtem Ausfall von für den Notdienst vorgesehenen Mitarbeitern zu verfahren sei. In jedem Fall sei dem Hilfsantrag stattzugeben. Es sei ausgeschlossen, dass eine Gewerkschaft in der Lage sei, die ärztliche Entscheidung zu ignorieren bzw. zu ersetzen, welche Patienten in welcher Art und Weise zu versorgen sein, um Schaden an deren Leib, Leben oder ihrer Gesundheit zu verhindern. Der Verfügungsgrund ergebe sich aus der Gefahr, dass die Antragsgegnerin auch in den nächsten Tagen und Wochen Warnstreiks oder Erzwingungsstreiks initiieren und dabei weiterhin nicht bereit sei, eine Notdienstvereinbarung abzuschließen, die den medizinischen Erfordernissen Rechnung trage bzw. auf allen im Hilfsantrag genannten Stationen ein Notdienst zu errichten.

Mit Beschluss vom 27.09.2021 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem Beschwerdegericht vorgelegt. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, der Warnstreik sei ohnehin beendet. Bei einem erneuten Warnstreik stellte sich die Frage des Notdienstes erneut und anders. Seitens der streikenden Belegschaft sei dann ein Notdienst sicherzustellen. Das werde im Einzelfall zu prüfen sein. Eine Wiederholungsgefahr könne denklogisch nicht bestehen, weil wiederum einzelfallbezogen der Notdienst sichergestellt sein müsse.

Die Antragsgegnerin hat auf die sofortige Beschwerde erwidert. Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Ein Erfordernis für die Durchführung von Notdiensten in den in Rede stehenden Stationen und Einrichtungen könne sie nicht erkennen. Sie hält die Anträge für unbestimmt und im Hinblick auf ein vor dem Arbeitsgericht in Brandenburg geführtes Verfahren trotz Rücknahme der dort gestellten Anträge nach Urteilsverkündung für unzulässig. Der Vortrag der Antragstellerin zu einer ihrer Auffassung nach unzureichenden Gewährleistung von Notdiensten nur für bestimmte Stationen/Einrichtungen könne nicht die Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen für alle Standorte rechtfertigen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin alle Möglichkeiten zur Einigung über eine Notdienstvereinbarung bereits ausgeschöpft hätte. Der Vortrag zu einer Gefährdung von Leib und Leben der Patienten sei falsch. Im Versorgungsgebiet Lausitz würden weitere psychiatrische und neurologische Krankenhäuser betrieben, die die Notbetreuung übernehmen könnten. Außerhalb der Öffnungszeiten der Zentralen Aufnahme Psychiatrie würde das Aufnahmeprozedere von den entsprechenden Stationen übernommen. Die Notdienste seien in allererster Linie durch nicht streikende Beschäftigte abzudecken, ehe auf Streikende zurückgegriffen werden könne.

Mit Schriftsatz vom 15.10.2021 hat die Antragstellerin ergänzend vorgetragen, die Antragsgegnerin habe am 11.10.2021 für die Zeit ab dem 21.10.2021 6:00 Uhr bis zum 27.10.2021, 6.00 Uhr zum Streik aufgerufen. Am 08. und 11.10.2021 hätten die Beteiligten erfolglos versucht, eine Notdienstvereinbarung abzuschließen. Die Antragsgegnerin wolle wiederum keinen Notdienst für die genannten Stationen und Tageskliniken einrichten. Zur Glaubhaftmachung hat sie Kopien des Streikaufrufs und des Angebots einer Notdienstvereinbarung der Antragsgegnerin vom 11.10.2021 zur Akte gereicht.

Mit Schriftsatz vom 20.10.2021 hat die Antragsgegnerin erwidert und im Einzelnen dargelegt, in welcher Weise Gesundheitsgefahren trotz Schließung der in Rede stehenden Stationen vermieden werden könnten.

II.

Die sofortige Beschwerde, über die in Anwendung von § 572 Abs. 4, 128 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO), § 78 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden allein zu entscheiden war, ist zulässig. Sie ist teilweise begründet. Die mit Haupt- und Hilfsantrag begehrte Untersagung kann die Antragstellerin zwar nicht beanspruchen. Zur Vermeidung glaubhaft gemachter Gesundheitsgefährdungen ist aber, wie im Beschlusstenor näher beschrieben, von der Antragsgegnerin ein Notdienst für einen Teil der im Hilfsantrag genannten Stationen und Einrichtungen ergänzend einzurichten.

1. Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Wegen der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten gemäß der Anordnung in § 78 Satz 1 ArbGG die Vorschriften aus §§ 567 ff ZPO. Danach ist die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung statthaft, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (vgl. G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 922 ZPO, Rn 19; Musielak/Voit/Huber, 17. Aufl. 2020, ZPO § 922 Rn. 10). Die Anforderungen aus § 569 ZPO zu Frist und Schriftform der Einlegung hat die Antragstellerin beachtet.

2. Die sofortige Beschwerde ist nur teilweise begründet.

a. Den Hauptantrag hat das Arbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Insoweit fehlt es an einem Verfügungsanspruch. Ein Anspruch der Antragstellerin, Streikmaßnahmen zu unterlassen, bevor eine schriftliche Vereinbarung über den Notdienst abgeschlossen ist, besteht nicht.

aa. Während eines Arbeitskampfs kann die Durchführung von Notstands- und Erhaltungsarbeiten erforderlich sein. Dies ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt. Unter Erhaltungsarbeiten sind danach die Arbeiten zu verstehen, die erforderlich sind, um das Unbrauchbarwerden der sächlichen Betriebsmittel zu verhindern. Notstandsarbeiten sind die Arbeiten, die die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Diensten und Gütern während eines Arbeitskampfs sicherstellen sollen (BAG, 31. Januar 1995 - 1 AZR 142/94, juris Rn. 17).

bb. Zu den lebensnotwendigen Diensten gehört die Aufrechterhaltung einer Notversorgung der Bevölkerung in Krankenhäusern. Insoweit geht es um die Aufrechterhaltung einer praktischen Konkordanz zwischen den berührten Grundrechten (FJK Arbeitskampfrecht-HdB/Jacobs § 4 Rn 199), nämlich den Grundrechten der auf eine solche Versorgung angewiesenen Personen, insbesondere dem Grundrecht auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG,) und dem auf Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, dessen Schutzbereich auch Arbeitskampfmaßnahmen einschließlich der Durchführung von Streiks erfasst, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, jedenfalls soweit sie erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen (BVerfG, 07. April 2020 - 1 BvR 2674/15, juris Rn. 14 mwN).

cc. Umfang und Durchführung des Notdienstes können zulässigerweise in einer Vereinbarung der den Arbeitskampf führenden Parteien geregelt werden. Es ist Aufgabe der Arbeitskampfparteien, sich um eine Regelung des Notdienstes zu bemühen. Kommt eine Verständigung zustande, ist diese als maßgebliche Grundlage des Notdienstes zu beachten (BAG, 31. Januar 1995 - 1 AZR 142/94, juris Rn 21).

dd. Wie es das Arbeitsgericht ausgeführt hat, führt das Ausbleiben des Abschlusses einer Notdienstvereinbarung nicht dazu, dass die gerichtliche Untersagung des Arbeitskampfes beansprucht werden könnte. Damit ein Streik ohne unverhältnismäßige Beeinträchtigung von Rechten Dritter durchgeführt werden kann, ist nicht der Abschluss einer Notdienstvereinbarung erforderlich, sondern die tatsächliche Einrichtung eines Notdienstes (vgl. LArbG Hamm, 13. Juli 2015 - 12 SaGa 21/15, juris Rn. 42). Eine Vereinbarung über die Modalitäten des Notdienstes mag zwar geboten und sinnvoll sein. Sie ist aber nicht konstitutive Voraussetzung für seine Durchführung (BAG, 14. Dezember 1993 - 1 AZR 550/93, juris Rn. 40). Vielmehr kann für die Durchsetzung des gebotenen Notdienstes im Zweifelsfall staatlicher Rechtsschutz in Form etwa des einstweiligen Verfügungsverfahrens in Anspruch genommen werden (BAG aaO. Rn. 41). Der (formelle) Abschluss einer Notdienstvereinbarung ist keine konstitutive Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Durchführung von Streiks (Däubler-Reinfelder, Arbeitskampfrecht, 4. Aufl. 2018, § 15 Rn 49).

ee. Ein Abweichen von diesen Grundsätzen ist nicht im Hinblick auf die Auseinandersetzungen geboten, die die Beteiligten um die Modalitäten der Durchführung des Notdienstes bei Erkrankung von zum Notdienst eingeteilten Mitarbeitern bzw. den Einsatz von nicht am Streik teilnehmenden Mitarbeitern zur Erfüllung von Notdienstaufgaben führen. Es ist bereits nicht ersichtlich, wie die Beteiligten hier im Wege von Verhandlungen zu einer Lösung kommen sollten. In der Sache ist darauf hinzuweisen, dass eine Notdienstvereinbarung zwischen den Beteiligten keine unmittelbaren Wirkungen auf das Rechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und den nicht am Streik teilnehmenden Mitarbeiter hätte (vgl. BAG, 14. Dezember 1993 - 1 AZR 550/93, juris Rn. 35). Im Rahmen des ihnen gegenüber bestehenden Direktionsrechts kommt daher deren Einsatz zur Durchführung der durch den Notdienst abzusichernden Notstandsarbeiten grundsätzlich in Betracht.

b. Ebenso wenig kann die Antragstellerin, wie mit dem Hilfsantrag geltend gemacht, die Untersagung des Arbeitskampfes beanspruchen, solange nicht die Antragsgegnerin einen Notdienst für die im Hilfsantrag bezeichneten Stationen bzw. Einrichtungen stellt. Deshalb ist auch die Zurückweisung des Hilfsantrags durch das Arbeitsgericht nicht abzuändern.

aa. Die von der Antragstellerin dem Wortlaut nach beantragte Untersagung generell des Aufrufs zu oder der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen kann bereits wegen überschießender Weite nicht zugesprochen werden. Wie das Arbeitsgericht im Nichtabhilfebeschluss ausgeführt hat, kann der erforderliche Notdienst nicht unabhängig von der konkreten Arbeitskampfmaßnahme und deren Gestaltung bestimmt werden. Der Umfang der erforderlichen Notstandsarbeiten hängt vielmehr von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Insbesondere kommt es dabei auf Ausmaß und Dauer des Arbeitskampfes an (Däubler/Reinfelder, Arbeitskampfrecht, § 15 Rn 47). Für Arbeitskämpfe, die - wie vorliegend - die Gesundheitsversorgung durch Bereithaltung von Behandlungsmöglichkeiten in Krankenhäusern betreffen, kann dies unschwer veranschaulicht werden. Zu schützendes Rechtsgut Dritter ist deren Gesundheit und Leben. Diesbezüglich ergeben sich aber unterschiedliche Gefahren, je nachdem, ob etwa ein regional eng begrenzter halbtägiger Warnstreik zu beurteilen ist oder ein regional weit ausgreifender unbefristeter Erzwingungsstreik. Dies folgt aus der unterschiedlichen Dauer des drohenden Aufschubs von Behandlungen aber auch aus den in Betracht zu ziehenden Ausweichmöglichkeiten auf andere Behandlungsangebote. Dementsprechend wird der Umfang des den Streik notwendigerweise begleitenden Notdienstes jeweils unterschiedlich zu beurteilen sein.

bb. Auch die Untersagung konkret des Streiks, zu dem die Antragsgegnerin nunmehr für die Zeit vom 21.10.2021, 6:00 Uhr bis zum 27.10.2021 6:00 Uhr aufruft, scheidet aus.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das diesbezügliche Vorbringen, obwohl es Entwicklungen nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts betrifft, bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu berücksichtigen ist. Wie es sich aus § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt, kann die Beschwerde auf neue Tatsachen gestützt werden, gleichviel, ob diese vor oder nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entstanden sind und früher hätten vorgebracht werden können (Musielak/Voit/Ball, 18. Aufl. 2021, ZPO § 571 Rn. 3).

Die Untersagung des bevorstehenden Streiks insgesamt scheidet aber bereits deshalb aus, weil die mit dem Hilfsantrag unabhängig von der Frage nach einem Vereinbarungsschluss geltend gemachte Nachbesserung des Notdienstes den Standort Brandenburg nicht betrifft. Eine Untersagung des Streiks an diesem Standort kann, wie von der Antragsgegnerin vorgebracht, nicht aus einem etwa unzureichenden Notdienst an anderen Standorten hergeleitet werden. Anders als es die Antragstellerin meint, kann sie daher nicht die Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen bezogen auf sämtliche bei ihr beschäftigten Mitarbeiter verlangen. Die dafür im Schriftsatz vom 15.10.2021, dort Seite 5, herangezogenen „Fernwirkungen“ von Streikmaßnahmen an anderen Standorten sind nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.

cc. Die Antragstellerin kann auch beschränkt auf die übrigen Standorte nicht die Untersagung des Streiks beanspruchen. Die erkennende Kammer schließt sich insoweit der Auffassung an, wonach vorrangig vor der Untersagung des Streiks die gerichtliche Regelung des Notdienstes ist. Die Antragstellerin hat darauf hingewiesen, dass bei einem Streit zwischen den Arbeitskampfparteien über den Umfang eines Notdienstes das Gericht eine Notdienstregelung treffen kann (LArbG Schleswig-Holstein, 13. November 2020 - 3 SaGa 7/20, juris Rn. 57; vgl. LArbG Schleswig-Holstein, 26. September 2018 - 6 SaGa 7/18, juris Rn 54; FJK ArbeitskampfR-Hdb/Jacobs § 4 Rn 201; ErfK/Linsenmaier, 21. Aufl. 2021, GG Art. 9 Rn 188). Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu geringstmöglichen Eingriffen in Grundrechte zwingt, folgt, dass das Gericht, anstelle einer Unterlassungsverfügung die Verpflichtung zur Einrichtung eines bestimmten Notdienstes aufzugeben hat. Ein solches Vorgehen schont das Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Der Streik kann mit dem nachgebesserten Notdienst durchgeführt werden, ohne dass in unverhältnismäßiger Weise Beeinträchtigungen der Rechte Dritter drohen. Gegenstand einer eventuell erforderlich werdenden Vollstreckung ist nicht die Durchführung des Streiks insgesamt, sondern sie bleibt auf die Frage der Gestaltung des Notdienstes beschränkt (vgl. LArbG Hamm, 13. Juli 2015 - 12 SaGa 21/15, juris Rn. 43).

c. Vorliegend war nach den dargestellten Grundsätzen der Antragsgegnerin zur Vermeidung von glaubhaft gemachten ansonsten in unverhältnismäßiger Weise drohenden Gesundheitsgefahren für Dritte eine Nachbesserung des zugesagten Notdienstes aufzugeben.

aa. Grundlage für diese Abweichung von den beantragten Maßnahmen ist § 938 ZPO (vgl. LArbG Hamm, 13. Juli 2015 - 12 SaGa 21/15, juris Rn. 43). Die Vorschrift räumt dem Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes freies Ermessen ein zu bestimmen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwecks erforderlich sind.

bb. Mit den mit der Antragsschrift eingereichten ärztlichen Stellungnahmen in der Form eidesstattlicher Versicherungen hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass Dritten aus der Schließung eines Teils der im Hilfsantrag genannten Stationen ernste Gesundheitsgefahren drohen. Das Ausbleiben eines Notdienstes würde für die im Hilfsantrag bezeichneten Stationen und Einrichtungen unstreitig die Notwendigkeit der vorübergehenden Schließung begründen. In ihrer eidesstattlichen Versicherung bekundet aber die Ärztliche Direktorin des Fachklinikums in Teupitz, dass aus der Schließung der Stationen der im Hilfsantrag genannten dortigen Stationen 2.1, 2.2, 4.2, 6.1, 7.1 für dort aufgenommene Patientinnen und Patienten Verschlimmerungen von Erkrankungen (Exazerbationen) drohen würden mit der Möglichkeit von Suiziden und teils auch Fremdgefährdungen. Entsprechendes gelte für die Tageskliniken, wo akut teilstationär behandlungsbedürftige Patienten in Behandlung seien. Die ärztliche Direktorin der Fachklinik in Lübben hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung die Gefahr der Verschlimmerung von Erkrankungen dort aufgenommener Personen mit der Möglichkeit von Suiziden als Folge einer Schließung bekundet für die im Hilfsantrag genannten dortigen Stationen 3.3 und 3.5 (für die Station 3.5 zusätzlich mit der Gefahr vitaler Bedrohungen für Annorexie-Patienten und Patientinnen). Bei einer hypothetischen Schließung der Tageskliniken (gemeint sind die Tageskliniken in Cottbus und Königs Wusterhausen, vgl. Beschwerdebegründung vom 23.09.2021, Seite 5, Bl. 184 dA), wo ausschließlich akut teilstationär behandlungsbedürftige Minderjährige in Behandlung seien, sei eine Zunahme der bio-psychosozialen Gefährdung bis hin zu Suiziden zu befürchten. Der Chefarzt der neurologischen Kliniken in Teupitz und Lübben hat in seiner eidesstattlichen Versicherung für die neurologischen Stationen 1.2 in Teupitz und 1.3 in Lübben bekundet, dass bei einer Schließung die Gefahr einer irreversiblen gesundheitlichen Schädigung der dann nicht oder verzögert behandelten Patienten bestünde.

cc. Der Umfang des zusätzlich aufgegebenen Notdienstes berücksichtigt die diesbezügliche Aufstellung der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung und zusätzlich hinsichtlich der Qualifikationen den von der Antragsgegnerin anlässlich des Warnstreiks im Mai 2021 für die jeweilige Station zugesagten Notdienstes. Wegen der Zentralen Aufnahme Psychiatrie war kein ergänzender Notdienst anzuordnen. Insoweit hat die Antragsgegnerin unwidersprochen ausgeführt, dass das Aufnahmeprozedere bereits im Normalbetrieb zu Nacht- und Wochenendzeiten von den Stationen ausgeführt werden. Vor diesem Hintergrund würden weitere und über die Bekundungen der Ärztliche Direktorin des Fachklinikums in Teupitz hinausgehende Darlegungen erforderlich sein, weshalb das Prozedere für die Wochenendtage und die übrigen Schließungszeiten der Zentralen Aufnahme Psychiatrie nicht auf die Streikzeiten angewandt und so Gesundheitsgefahren vermieden werden können.

dd. Die angeordnete Nachbesserung soll den in den ärztlichen Stellungnahmen bekundeten Gesundheitsgefährdungen vorbeugen, wie sie sich aus der Schließung der in Rede stehenden Stationen ergeben könnten. Im Hinblick auf das unmittelbare Bevorstehen des Streiks besteht ein Verfügungsgrund. Die mit Schriftsatz vom 20.10.2021 vorgetragenen Ausweichmöglichkeiten im Falle einer Schließung der in Rede stehenden Stationen und den diesbezüglich nur angekündigten Mitteln der Glaubhaftmachung kann wegen dieser Eilbedürftigkeit nicht weiter nachgegangen werden. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass bei Fortsetzung des jetzt bis zum 27.10.2021 6:00 Uhr angekündigten Streiks die Frage nach dem Umfang und der Gestaltung des erforderlichen Notdienstes einer erneuten gerichtlichen Prüfung zugänglich sein würde.

Sollten die Beteiligten noch zu einer einvernehmlichen Regelung des Notdienstes gelangen, könnte diese der gerichtlichen Anordnung vorgehen. Eine entsprechende Einschränkung ist in den Tenor aufgenommen.

ee. Das weitere Vorbringen der Antragsgegnerin steht der erlassenen Anordnung nicht entgegen.

(1) Eine anderweitige Rechtshängigkeit hindert die Fortführung des hiesigen Verfahrens nicht. Die Antragstellerin hat den dem Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg zu Grunde liegenden Antrag vor Rechtskraft zurückgenommen und so dort die Anhängigkeit des Verfahrens beendet. § 269 Abs. 1 ZPO, wonach die Klage ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden kann, stand dem nicht entgegen. Wegen der Anordnung einstweiliger Verfügungen und des diesbezüglichen Verfahrens verweist § 936 ZPO auf die Anwendung der Arrestvorschriften. Die Rücknahme des Arrestantrags ist ohne aber Zustimmung des Gegners bis zum rechtskräftigen Abschluss des Arrestverfahrens auch in der mündlichen Verhandlung und noch im Rechtsmittelverfahren zulässig. § 269 Abs. 1 ZPO ist nicht entsprechend anwendbar (Schuschke/Walker-Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl. 2016, § 920 ZPO Rn 13). Der Schutzzweck der Vorschrift läuft wegen des einstweiligen, sichernden Charakters des Arrestverfahrens leer; der Arrestantrag kann erneut gestellt werden (MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 920 Rn. 11).

(2) Der ergangenen Anordnung steht weiter nicht entgegen, dass Verhandlungsmöglichkeiten über den Notdienst seitens der Antragstellerin noch nicht ausgeschöpft seien. Die Frage, ob die in Rede stehenden Stationen bei einem Streik geschlossen werden können, ist zwischen den Parteien seit der Vorbereitung des Warnstreiks Ende September 2021 umstritten und es nicht ersichtlich, dass insoweit noch rechtzeitig zur Vermeidung von Gefährdungen bis Streikbeginn am 21.10.2021 eine Einigung erzielt werden könnte.

(3) Schließlich kann nicht mit einer angesichts der drohenden Gefahren hinreichenden Sicherheit erwartet werden, dass von den Stationsschließungen betroffene Patienten und Patientinnen in andere Krankenhäuser verlegt oder auf diese verwiesen werden könnten. Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren eine weitere ärztliche Stellungnahme in Form einer eidesstattlichen Versicherung zur Akte gereicht. Dort bekundet der ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Fachklinikums Brandenburg, es sei ihm aus dem Austausch mit den Chefarztkollegen der Kliniken anderer Betreiber bekannt, dass die entsprechenden Stationen dort in der Regel voll belegt seien. Anlässlich des Warnstreiks ab dem 21.09.2021 seien diese Kliniken nicht in der Lage gewesen, Patienten von den Stationen, die die Antragstellerin habe schließen müssen, aufzunehmen.

ff. Die von der Antragsgegnerin hilfsweise verfolgte Anordnung der Klageerhebung war nicht auszusprechen. Eine entsprechende Anordnung in Anwendung von § 926 ZPO setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt unter anderem bei Beendigung der einstweiligen Rechtsschutzmaßnahme infolge Befristung (Musielak/Voit/Huber, 18. Aufl. 2021, ZPO § 926 Rn. 8). Dies ist vorliegend der Fall. Die angeordnete Maßnahme endet infolge Befristung am 26.10.2021. Bis dahin kann nicht sinnvoll ein einzuleitendes Hauptsacheverfahren durchgeführt werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 und 97 ZPO. Dabei ist die Kammer von einem überwiegenden Unterliegen der Antragstellerin in beiden Instanzen ausgegangen, weil die von ihr mit Haupt- und Hilfsantrag beantragten Unterlassungsverfügungen nicht ergangen sind.

Für eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde war kein Raum. Das folgt daraus, dass nach § 72 Abs. 4 ArbGG gegen Urteile im vorläufigen Rechtsschutz die Revision nicht stattfindet (Ostrowicz in: Ostrowicz/Künzl/Scholz, Handbuch des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl. 2020, Kapitel 5: Beschwerdeverfahren, Rn. 689; vgl. BAG, 22. Januar 2003 – 9 AZB 7/03, juris).

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.