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Entscheidung 31 C 148/21


Metadaten

Gericht AG Brandenburg Entscheidungsdatum 28.12.2021
Aktenzeichen 31 C 148/21 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Wenn jemand in eine Gewerkschaft oder in eine politische Partei in Deutschland eintritt, muss er sich insofern in der Regel auch gefallen lassen, dass er dann von seinen Parteigenossinnen und Parteigenossen geduzt wird.

Tenor

Der Antrag des Klägers vom 19.08.2021 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint zudem auch mutwillig (§ 114 ZPO).

Die hiesige Klage ist bereits unzulässig, weil gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 BbgSchlG die Erhebung einer Klage in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, vor den Amtsgerichten erst dann zulässig ist, nachdem von einer der in § 3 BbgSchlG genannten Gütestellen zuvor versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Dies ist hier aber gerade nicht erfolgt.

Dem Antragsteller steht gegenüber dem Antragsgegner im Übrigen aber auch kein Anspruch zu, es zu unterlassen, ihn als Mitglied derselben Partei mit „Du“ anzusprechen. Dass „Du“, erläutert Dudens Universalwörterbuch, ist eine „Anrede an verwandte oder vertraute Personen und an Kinder, an Gott oder göttliche Wesenheiten, gelegentlich an Untergebene“, „Sie“ dagegen eine „(in Großschreibung) Anrede an eine oder mehrere Personen (die allgemein üblich ist, wenn die Anrede du bzw. ihr nicht angebracht ist)“. Das ist eine Beschreibung deutscher Bräuche, die man beliebig verfeinern kann.

Zwar ist dem Antragsteller/Kläger insofern noch darin zu folgen, dass im deutschen Kulturkreis ein Selbstbestimmungsrecht des (erwachsenen) Individuums anzuerkennen ist, zu wählen, in welcher Weise es angeredet werden will. Denn bekanntermaßen existieren zwei mögliche Anredeformen in Deutschland, das „Du“ und das „Sie“, die in der Regel mit der Anrede beim Vornamen oder Nachnamen korrespondieren. Es mag auch sein, dass sich ein Bürger nicht gefallen lassen muss, sich von Amtsträgern duzen zu lassen, wenn dies als Verletzung der Personenwürde des solcherart Angsprochenen angesehen und daher als Verstoß gegen Artikel 1 I GG gewertet werden könnte (BVerwG, Beschluss vom 04.06.1990, Az.: 7 B 31/90).

Eine solche Frage stellt sich jedoch im vorliegenden Fall gerade nicht. Das Selbstbestimmungsrecht hat nämlich auch relativ enge Grenzen; es ist nämlich eingebettet in diejenigen Gebräuche, die im jeweiligen Beziehungskreis des Betroffenen üblich sind (LAG Hamm, Urteil vom 29.07.1998, Az.: 14 Sa 1145/98).

Bei der Auslegung der Anrede „Du“ ist von deren objektivem Sinngehalt (Erklärungsinhalt) auszugehen, wie ihn ein unbefangener verständiger Dritter verstehen musste (BGH, NJW 1964, Seite 933; BVerwG, Urteil vom 22.10.2008, Az.: 2 WD 1/08, u.a. in: NVwZ-RR 2009, Seite 426; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.08.1989, Az.: 2 Ss 281/89, Az.: 49/89 III, u.a. in: JMBl NRW 1990, Seiten 43 f. = JR 1990, Seiten 345 f.; OLG Düsseldorf, NJW 1989, Seite 3030; BayObLGSt, NJW 1997, Seite 1084).

Maßgebend ist dabei was bei objektiver Bewertung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Gehalt und Sinn der Äußerung „Du“ sind insofern auch nach dem jeweiligen Kommunikationszusammenhang zu ermitteln (BVerfG, NJW 1992, Seite 1439; BVerwG, Urteil vom 22.10.2008, Az.: 2 WD 1/08, u.a. in: NVwZ-RR 2009, Seite 426).

Ist eine Äußerung nicht eindeutig, muss der wahre Erklärungsinhalt aus ihrem Zweck sowie dem Zusammenhang und ihrem Kontext sorgfältig erforscht werden. Dabei sind alle Begleitumstände bzw. die gesamte konkrete Situation, in der die Äußerung getätigt wurde, zu berücksichtigen, z.B. auch die Anschauung und Gebräuche der Beteiligten sowie die sprachliche und gesellschaftliche Ebene, auf der diese Äußerung fiel (BVerwG, Urteil vom 22.10.2008, Az.: 2 WD 1/08, u.a. in: NVwZ-RR 2009, Seite 426; BVerwG, Urteil vom 29.06.2006, Az.: 2 WD 26/05, u.a. in: NZWehrr 2007, Seiten 32 f.; BVerwG, NVwZ 2008, Seite 92; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.08.1989, Az.: 2 Ss 281/89, Az.: 49/89 III, u.a. in: JMBl NRW 1990, Seiten 43 f. = JR 1990, Seiten 345 f.; BayObLG, NJW 1983, Seite 2040; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.1960, Az.: (2) Ss 934/59, u.a. in: NJW 1960, Seite 1072). So duzen sich Studenten in Deutschland untereinander oft. Insoweit ist das Anredeselbstbestimmungsrecht auch kein absolutes Recht.

Dass man kann keine politische Umwälzung machen kann, wenn man sich siezt, wussten im Übrigen schon die Franzosen, nachdem sie 1789 ihr bürgerliche Revolution durchgeführt hatten. Im Jahre 1793 wurden insofern die republikanisch gesinnten Franzosen per Dekret auf das „Du“ festgelegt; es musste ohne Unterschied geduzt werden. Die Folgen davon spüren wir noch heute. Das „Solidaritäts-Du“ hat sich insofern aus der französischen Revolutionen heraus auch bis auf die heutigen Gewerkschafts- und Parteitage sowie Vereins-Sitzungen durchgesetzt. Insbesondere beim Vereinssport wird sich meistens auch geduzt. Ein ganz besonderes „Du“ ist aber auch das „Genossen-Du“, also die Anrede unter Anhängern der gleichen politischen Partei, insbesondere bei Sozialdemokraten. Man duzt sich, denn man ist Teil einer Gemeinschaft Gleichgesinnter.

Jemand, der in eine Gewerkschaft oder – wie hier der Antragsteller/Kläger – in eine politische Partei eintritt, muss sich dann insofern aber üblicherweise gefallen lassen, dass er auch von seinen Parteigenossinnen und Parteigenossen geduzt wird (LAG Hamm, Urteil vom 29.07.1998, Az.: 14 Sa 1145/98).

Auch ein Vergleich mit anderen Kulturkreisen unterstreicht dies nur. In Schweden redet man nur Mitglieder des Königshauses und alte Menschen mit „Sie“ an. In englischsprachigen Ländern muss man sogar zu allen Leuten „you“ sagen, weil es die Unterscheidung zwischen „Du“ und „Sie“ dort nicht gibt.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist daher abzulehnen.