Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 20.12.2021 | |
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Aktenzeichen | OVG 9 S 65/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2021:1220.OVG9S65.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 146 Abs 4 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 6 Abs 2 KAG BB |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 4. November 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 16.212,08 EUR festgesetzt.
I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Heranziehung zu Schmutzwassergebühren.
Die Schmutzwassergebührensatzung (SGS) des vom Antragsgegner vertretenen Zweckverbands sieht eine unterschiedlich hohe Mengengebühr für Beitragszahler und Nichtbeitragszahler vor (sog. gespaltene Gebührensätze).
Der Antragsgegner setzte gegenüber der Antragstellerin mit Bescheid vom 12. Juli 2021 unter Zugrundelegung des Mengengebührensatzes für die Nichtbeitragszahler eine Schmutzwassergebühr i. H. v. 64.848,30 Euro für den Monat Juni 2021 fest. Die Antragstellerin legte hiergegen mit Schreiben vom 12. August 2021 Widerspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung des Bescheids. Nachdem der Antragsgegner den Aussetzungsantrag abgelehnt hatte, beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs.
Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 4. November 2021 abgelehnt. Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 8. November 2021 zugestellten Beschluss am 11. November 2021 Beschwerde eingelegt und diese am 8. Dezember 2021 begründet.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Nach § 146 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO – muss die Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts beschränkt sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in der ersten Stufe darauf, ob die Beschwerde geeignet ist, die Begründung des angefochtenen Beschlusses zu erschüttern; nur wenn dies der Fall ist, ist auf einer zweiten Stufe nach allgemeinem Maßstab zu prüfen, ob sich der Beschluss auf der Grundlage der Erkenntnisse des Beschwerdeverfahrens im Ergebnis als richtig erweist oder geändert werden muss (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 14. Juli 2015 - OVG 9 S 44.14 -). Danach ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht zu ändern. Das Beschwerdevorbringen erschüttert nicht die maßgebliche Begründung des Verwaltungsgerichts, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.
Dies gilt zunächst, soweit sich die Beschwerde gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Prüfungsrahmen des vorliegenden Verfahrens wendet. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Abgabenbescheid nach § 80 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 3 VwGO nur dann anzuordnen sei, wenn an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ernstliche Zweifel bestünden oder die Vollziehung des Bescheides für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende Interessen gebotene Härte zur Folge habe. Das Verwaltungsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Abgabenbescheides nur dann vorlägen, wenn eine überschlägige Prüfung ergebe, dass der Bescheid mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig sei. Für die betreffende Prüfung gelte im Eilrechtsschutzverfahren ein im Vergleich zum Hauptsacheverfahren reduzierter Prüfungsrahmen. Danach habe sich das Gericht auf die Kontrolle der äußeren Gültigkeit der Satzung und sich ersichtlich aufdrängender materieller Satzungsfehler sowie die Prüfung substantiierter Einwände des Antragstellers gegen die Satzung und die Prüfung der sonstigen Voraussetzungen der Abgabenerhebung zu beschränken. Die Klärung schwieriger Rechts- und Tatsachenfragen bleibe dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Diese Annahmen entsprechen der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. etwa Beschlüsse vom 17. Januar 2019 - OVG 9 S 22.18 -, juris Rn. 4, und vom 1. August 2005 - OVG 9 S 2.05 -, juris Rn. 5 f.). Sie sind entgegen dem Beschwerdevorbringen weder rechtsdogmatisch unhaltbar noch verfassungsrechtlich problematisch. Soweit die Beschwerde geltend macht, die Verwaltungsgerichte seien grundsätzlich auch im Eilverfahren zu einer umfänglichen Beantwortung von Rechtsfragen verpflichtet und dürften unter dem faktischen Zwang bestehenden Zeitdrucks allenfalls die Beantwortung schwieriger Rechtsfragen unter den Vorbehalt der besseren und reiferen Erkenntnis im Hauptsachverfahren stellen, ist auf Folgendes hinzuweisen: Der bei der Bearbeitung von Eilverfahren bestehende Zeitdruck führt praktisch häufig dazu, dass einstweilen nur eine grobe Einschätzung der Rechtslage möglich ist. Diese kann auch zu dem Ergebnis führen, dass eine Rechtsfrage redlicherweise nur als noch offen bezeichnet werden kann. Die Frage, wie das Gericht mit einem solchen Befund umgeht, ist selbst eine Rechtsfrage, die das Verwaltungsgericht hier zu Recht dahin beantwortet hat, dass eine solche Offenheit im Bereich von kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abgabenbescheiden grundsätzlich zu Lasten des Bürgers geht. Diese Auslegung des § 80 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 3 VwGO beruht darauf, dass - erstens - die sofortige Vollziehbarkeit von Anschlussbeitragsbescheiden wegen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO die Regel und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Ausnahme ist, dass - zweitens - der Bürger wegen der Insolvenzunfähigkeit der Gemeinden und Zweckverbände bei Obsiegen im Hauptsacheverfahren sicher mit der Rückzahlung des Anschlussbeitrages rechnen kann, und dass - drittens - für den Fall, dass die sofortige Vollziehung für den Bürger eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, in Gestalt von § 80 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 3 Alternative 2 VwGO noch ein gesonderter Aussetzungsgrund besteht. Diese drei Überlegungen rechtfertigen es überdies auch im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG, die Rechtmäßigkeit des Bescheides im Eilverfahren nur eingeschränkt zu prüfen (vgl. Beschluss des Senats vom 14. Juli 2015 - OVG 9 S 44.14 -, juris Rn. 8). Soweit die Beschwerde annimmt, das Verwaltungsgericht führe zu Unrecht einen Beibringungsgrundsatz ein, in dem es davon ausgehe, dass im Eilverfahren nur sich aufdrängenden Mängeln der Beitragserhebung und substantiierten Einwänden des Betroffenen nachzugehen sei, greift auch das nicht. Selbst im Hauptsacheverfahren muss das Gericht regelmäßig nicht allen erdenklichen Tatsachenfragen von Amts wegen nachgehen. Das gilt insbesondere im Zusammenhang mit Abgabenkalkulationen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - 9 CN 1.01 -, juris, Rn. 42 ff.); in diesbezüglichen Eilverfahren kann nichts anderes gelten.
Die Beschwerde macht ferner geltend, die Gemeinden oder Zweckverbände dürften die Entscheidung darüber, ob eine leitungsgebundene Entsorgungsanlage nur durch Gebühren oder durch Gebühren und Beiträge finanziert wird, nur einheitlich gegenüber allen Grundstückseigentümern treffen. Dies gilt indessen nicht für den Fall, dass eine Beitragserhebung in Bezug auf bestimmte Grundstückseigentümer wegen echter Festsetzungsverjährung oder einer bereits eingetretenen Lage der "hypothetischen Festsetzungsverjährung" (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, juris) bereits nicht mehr zulässig ist. Dies schließt eine Beitragserhebung nicht in Bezug auf alle Grundstücke aus. Allerdings muss das Gesamtsystem aus Gebühren und Beiträgen in diesem Fall der Abgabengerechtigkeit als Ausprägung des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung tragen. Dabei ist im Blick zu behalten, dass die Beitrags- und die Gebührenerhebung in § 6 Abs. 2 Satz 5 KAG in der Weise miteinander verknüpft sind, dass sich das aus Beiträgen aufgebrachte Eigenkapital gebührenmindernd auswirkt und dass dieser Bestimmung die Annahme zu Grunde liegt, dass letztlich für alle angeschlossenen – und insoweit „gebührenpflichtigen“ – Grundstücke auch ein Anschlussbeitrag gezahlt wird. Greift diese Prämisse – etwa im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 – nicht, so ist es nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig geboten, gespaltene Gebührensätze vorzusehen (vgl. etwa Urteil vom 19. Februar 2020 - OVG 9 A 4.17 -, juris Rn. 46; Beschluss vom 24. September 2020 - OVG 9 A 6.17 -, juris Rn. 55), mit denen sichergestellt wird, dass das aus Beiträgen aufgewandte Eigenkapital sich nur in Bezug auf Eigentümer von Grundstücken gebührenmindernd auswirkt, für die tatsächlich auch ein Beitrag gezahlt worden ist oder mutmaßlich noch gezahlt werden wird (vgl. näher Beschluss vom 24. September 2020, a. a. O.). Die übrigen Grundstückseigentümer haben weder aus Art. 3 Abs. 1 GG noch aus Art. 19 Abs. 4 GG einen Anspruch darauf, gebührenseitig von Beiträgen zu profitieren, zu denen in Bezug auf ihr Grundstück nichts beigetragen worden ist. Die insoweit zu "spaltenden" Gebührensätze sind in der Weise zu ermitteln, dass zunächst der Gebührensatz zu kalkulieren ist, der gelten würde, wenn die Gemeinde oder der Zweckverband alle Beiträge zurückzahlen würde. Dieser Gebührensatz gilt für die Nichtbeitragszahler, die insoweit im Grundsatz so gestellt werden, als habe es nie Beiträge gegeben. Für die Beitragszahler ist ein Abschlag zu ermitteln, der sich daraus ergibt, dass die gezahlten Beiträge für diese Gruppe unter dem Blickwinkel der Abschreibungen und der kalkulatorischen Verzinsung gebührenmindernd auswirken. Die Beschwerde irrt, wenn sie meint, es sei "arithmetische Wortakrobatik", insoweit von einem "Abschlag" zu sprechen, denn tatsächlich würden die Nichtbeitragszahler mehr an Gebühren zahlen müssen als die Beitragszahler. Damit verkennt sie den Kerngehalt der nach der Rechtsprechung des Senats vorgegebenen Berechnungsweise für die gespaltenen Gebührensätze. Deren Ausgangspunkt ist gerade die Berechnung des Gebührensatzes, der gelten würde, wenn alle Beiträge zurückgezahlt würden, die Beitragserhebung also praktisch auf Null gestellt würde, und der für die Nichtbeitragszahler nicht überschritten werden darf. Der diesbezügliche Irrtum der Beschwerde wird deutlich durch ihr Argument, dem Antragsgegner wäre es möglich gewesen, die Beitragsbescheide auch gegenüber den anderen Anschlussinhabern zurückzunehmen. Damit wäre für die Antragstellerin nichts gewonnen, weil Nichtbeitragszahler ohnehin nur nach dem Gebührensatz veranlagt werden dürfen, der bei einer Rücknahme aller Beitragsbescheide für alle Gebührenzahler gelten würde (vgl. dazu schon Beschluss des Senats vom 3. September 2019 - OVG 9 S 13.19 -, juris Rn. 11).
Soweit die Antragstellerin selbst gerade auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats verweist, wonach Nichtbeitragszahler nicht schlechter gestellt werden dürften, als sie stünden, wenn es von Anfang an keine Beiträge gegeben hätte (vgl. zuletzt Beschluss vom 24. September 2020 - OVG 9 A 6.17 -, juris Rn. 66), und rügt, dass der Antragsgegner keine entsprechenden Berechnungen vorgenommen habe, vermag auch dies der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Nach der Rechtsprechung des Senats muss – wie ausgeführt - bei der Regelung gespaltener Gebührensätze gewährleistet sein, dass sich das aufgebrachte Beitragsaufkommen in vollem Umfang gebührenmindernd auswirkt, aber ausschließlich den Beitragszahlern zu Gute kommt. Demgegenüber zahlen die Nichtbeitragszahler die Gebühr, die anfiele, wenn es überhaupt kein durch Beiträge aufgebrachtes Abzugskapital gäbe. Damit ist sichergestellt, dass keine Schlechterstellung der Nichtbeitragszahler erfolgt, sondern nur eine sachlich gebotene Gebührenreduzierung für die Beitragszahler (vgl. Beschluss vom 24. September 2020, a. a. O., Rn. 67). Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die gespaltenen Gebührensätze vorliegend in Übereinstimmung mit den vorgenannten Anforderungen kalkuliert worden sind (EA, S. 5 f.). Hiermit setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht auseinander und genügt damit bereits nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO.
Schließlich macht die Beschwerde geltend, die Antragstellerin dürfe „im Rahmen der Gebührenerhebung allenfalls mit solchen Gebühren belastet werden [...], die ihr fiktiv im Rahmen einer Beitragsbescheidung auferlegt worden wären.“ Auch dies geht fehl. Hintergrund des genannten Arguments ist erkennbar die Vorstellung der Antragstellerin, die gespaltenen Gebührensätze seien vorliegend so kalkuliert worden, dass zunächst ein für alle geltender Gebührensatz ermittelt und sodann ein sozusagen „beitragsersetzender Zuschlag“ für die Nichtbeitragszahler festgelegt worden sei. Vor dem Hintergrund einer solchen Annahme mag es einleuchten, die Zahlung des Zuschlages individuell nur so lange zu verlangen, bis der Betrag erreicht ist, der als Beitrag festzusetzen gewesen wäre. Indessen trifft schon die Grundannahme der Beschwerde nicht zu, wonach ein „beitragsersetzender Zuschlag“ kalkuliert worden ist. Vielmehr zahlen die Nichtbeitragszahler nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts (vgl. S. 6 EA) genau die Gebühr, die auch zu zahlen wäre, wenn alle Beiträge zurückgezahlt würden. Es liegt auf der Hand, dass im Fall einer Umstellung auf eine reine Gebührenfinanzierung nur noch das Gerechtigkeitsmodell der Gebühr mit allen seinen Vor- und Nachteilen gelten würde und - wie auch immer zu ermittelnde - hypothetische Beiträge keine gebührenbegrenzende Funktion haben könnten. So liegt es auch hier, wo für die Gruppe der Nichtbeitragszahler eine Umstellung auf eine reine Gebührenfinanzierung erfolgt ist, in dem sie keine Beiträge zahlen, aber auch nicht von den Beiträgen anderer profitieren. Wer keinen Beitrag zahlen muss, kann nicht von Beiträgen anderer profitieren und auch sonst nicht verlangen, dass die von ihm zu zahlende Gebühr in irgendeiner Weise in Anknüpfung an das Gerechtigkeitsmodell des Beitrages begrenzt wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).