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gefährlicher Hund (American Staffordshire-Terrier) - Beißvorfälle - wiederholte und teilweise gröbliche Verstöße gegen das HundeG - sofort vollziehbare Duldung der Sicherstellung, Verwahrung und Verwertung - Androhung und Festsetzung unmittelbaren Zwangs - generelle Haltungsuntersagung (befristet) - Anhörung - keine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage - Beweiswürdigung - entbehrliche Fristsetzung bei der Androhung unmittelbaren Zwangs im Fall einer Duldung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat Entscheidungsdatum 06.01.2022
Aktenzeichen OVG 5 S 19/21 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0106.OVG5S19.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 80 Abs 5 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, § 122 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 1 Abs 1 VwVfG BB, § 8 VwVfG BB, § 28 Abs 1 VwVfG, § 28 Abs 2 Nr 1 VwVfG, § 45 Abs 1 Nr 3 VwVfG, § 45 Abs 2 VwVfG BB, § 6 Abs 1 VwVfG BB, § 6 Abs 2 VwVfG BB, § 13 Abs 1 S 2 VwVfG BB, § 5 Abs 1 S 2 HuHG BE 2016, § 13 HuHG BE 2016, § 18 HuHG BE 2016, § 21 Abs 2 Nr 2 HuHG BE 2016, § 22 Abs 1 HuHG BE 2016, § 30 Abs 7 S 1 Nr 1 HuHG BE 2016, § 30 Abs 7 S 1 Nr 2 HuHG BE 2016, § 30 Abs 8 HuHG BE 2016, § 30 Abs 9 HuHG BE 2016, § 30 Abs 11 HuHG BE 2016, § 39 SOG BE, § 40 Abs 1 SOG BE, § 1 Nr 2 GefHuV BE, § 40 Abs 2 SOG BE, § 40 Abs 3 SOG BE

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche und Klage gegen die zwangsmittelbewehrte Duldung der Sicherstellung, Unterbringung und Veräußerung ihrer Hündin „S...“ und die auf drei Jahre befristete Untersagung des Haltens und Führens gefährlicher Hunde in dem Bescheid des Antragsgegners vom 3. November 2020 sowie die Festsetzung unmittelbaren Zwangs in dem Bescheid des Antragsgegners vom 11. November 2020, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2021, anzuordnen bzw. festzustellen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 17. Februar 2021 als unbegründet zurückgewiesen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Bescheide überwiege das Interesse der Antragstellerin, vorerst von der Vollziehung verschont zu bleiben. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung verspreche die Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg, weil die angeordneten Maßnahmen voraussichtlich rechtmäßig seien und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzten.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Das nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO allein zu prüfende fristgerechte Beschwerdevorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine Änderung des angegriffenen Beschlusses.

Die Beschwerde rügt vergeblich, dass die angefochtenen Bescheide mangels Anhörung bereits formell rechtswidrig seien. Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, es sei unerheblich, dass das Bezirksamt die Antragstellerin vor Erlass der hunderechtlichen Verfügungen nicht gemäß § 1 Abs. 1 BlnVwVG i.V.m. § 28 Abs. 1 VwVfG - i.F. VwVfG - angehört habe. Dies sei wegen der Eilbedürftigkeit der Maßnahme nicht erforderlich gewesen, weil auf Grund der drei vorangegangenen Beißvorfälle und der sonstigen Verletzungen des Leinen- und Maulkorbzwanges für „S...“ nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG Gefahr im Verzug bestanden habe. Die Einschätzung, dass die Antragstellerin ihren American Staffordshire-Terrier, einen gefährlichen Hund nach § 5 Abs. 1 Satz 2 HundeG in Verbindung mit § 1 Nr. 2 der Gefährliche-Hunde-Verordnung - GefHuVO -, erneut ohne Leine und beißsicheren Maulkorb in der Öffentlichkeit umherlaufen lassen und damit eine Vielzahl von anderen Hunden und möglicherweise Menschen gefährden würde, sei nicht zu beanstanden. Dieser schlüssigen Gefahrenprognose stellt die Beschwerde lediglich ihre eigene Sichtweise entgegen, ohne sich mit der von dem Verwaltungsgericht aufgezeigten konkreten Gefahrenlage, die eine Eilbedürftigkeit rechtfertigt, substanziiert auseinanderzusetzen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass ein etwaiger Anhörungsmangel jedenfalls nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG im Widerspruchsverfahren sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit heilender Wirkung nachgeholt worden sei. Soweit die Beschwerde unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2012 - BVerwG 3 C 16.11 - einwendet, eine für die Heilung vorausgesetzte „vollwertige Anhörung“ durch die Behörde habe nicht stattgefunden, verkennt sie, dass nach dieser Rechtsprechung lediglich Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren eine Heilung nicht herbeizuführen vermögen, es der Behörde jedoch unbenommen bleibt, einen etwaigen Anhörungsmangel außerhalb des gerichtlichen Verfahrens im Verwaltungsverfahren zu beheben (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Auflage 2021, § 45 Rn. 27). Letzteres ist bei der Entscheidung im Eilrechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu berücksichtigen, dem eine vom Gericht vorzunehmende und ihm vorbehaltende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Aussetzungsinteresse des Adressaten des Verwaltungsakts zu Grunde liegt. Teil dieser Abwägung ist eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens; dabei handelt es sich um eine prozessuale Prognose, in die die überschlägige Beurteilung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts eingeht. Im Rahmen dieser Prognose sind auch Heilungsmöglichkeiten von formellen Fehlern des Verwaltungsakts im gerichtlichen Verfahren unter Beachtung der Wahrscheinlichkeit eines Heilungserfolgs in den Blick zu nehmen. Insbesondere ist dabei zu berücksichtigen, inwiefern der nach dem Stand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu beurteilende Sach- und Streitstoff erwarten lässt, dass sich mit einer Nachholung der Anhörung der Tatsachenstoff mit Auswirkungen für die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts verändern wird. Ist dies - wie im vorliegenden Fall - nicht erkennbar, erscheint die Heilung eines etwaigen Anhörungsmangels letztlich nur als Formsache, die keine Gewährung von Eilrechtsschutz rechtfertigt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg. Beschluss vom 24. August 2015 - OVG 12 S 2.15 - juris Rn. 6; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorl. Rechtsschutz, 7. Auflage 2017, Rn. 956).

Der Vorhalt der Beschwerde, dass es für die Duldung der Sicherstellung, Verwahrung und Verwertung an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage fehle, weil das Gesetz („nur“) zu einer Sicherstellung, Verwahrung und Verwertung ermächtige, verfängt nicht. Für die Sicherstellung eines Hundes sieht die Ermächtigungsgrundlage des § 30 Ab. 7 Satz 1 Nr. 2 HundeG ausdrücklich eine Anordnung, mithin eine Regelung vor, die auf ein Handeln, Dulden oder Unterlassen gerichtet sein kann. Die Verwahrung und Verwertung finden ihre gesetzliche Grundlage durch den Verweis in § 30 Abs. 8 Satz 1 HundeG auf die entsprechend anwendbaren Vorschriften der §§ 39 und 40 Abs. 1 bis 3 ASOG. Diese Vorschriften schließen es nicht aus, dass den vorgenannten Maßnahmen ein Verwaltungsakt vorausgeht, der vom Adressaten ein Dulden derselben verlangt.

Vergeblich wendet die Beschwerde unter Verweis auf § 30 Abs. 11 HundeG ein, das Verwaltungsgericht habe nicht beachtet, dass Widerspruch und Klage gegen die auf § 30 Abs. 8 HundeG gestützte Verwahrung und Verwertung aufschiebende Wirkung entfalteten. § 30 Abs. 11 HundeG bestimmt, dass Widerspruch und Klage gegen Anordnungen nach den Absätzen 1 bis 7 und 10 keine aufschiebende Wirkung haben. Indes lässt die fehlende Bezugnahme auf Abs. 8 nicht den von der Beschwerde gezogenen Schluss zu. § 30 Abs. 8 HundeG stellt ausweislich seiner Eingangsformulierung („Im Falle der Sicherstellung eines Hundes gelten die §§ 39, 40 Abs. 1 bis 3…“) lediglich eine Ergänzung zu § 30 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 HundeG dar, der eine Sicherstellung des Hundes voraussetzt und eine nachfolgende Verwahrung und Verwertung ermöglichen soll. Da § 30 Abs. 8 HundeG keine von der Sicherstellung losgelösten Anordnungen trifft, vielmehr an die Sicherstellung in § 30 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 HundeG anknüpft, ist entgegen der Auffassung der Beschwerde für eine unterschiedliche Ausgestaltung des Eilrechtsschutzes kein Raum. Diese Auslegung steht im Einklang mit dem gesetzgeberischen Willen, wonach von dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen in § 30 Abs. 11 HundeG lediglich die Anordnung zur Tötung eines Hundes gemäß § 30 Abs. 9 HundeG wegen der Irreversibilität der Maßnahme ausgenommen sein soll (Abghs-Drs. 17/2338, S. 57).

Gleichfalls erfolglos bleibt die Beanstandung der Beschwerde, hinsichtlich der Duldung der Verwahrung und Verwertung fehle es an jeglichen Begründungsansätzen und Ermessenserwägungen. Die Beschwerde verkennt, dass die Verwahrung nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 39 Abs. 1 Satz 1 ASOG eine zwingende Rechtsfolge der Sicherstellung ist und sich der Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid vom 3. November 2020 zu der Verwertung verhalten hat.

Soweit die Beschwerde die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Untersagung des Haltens und Führens gefährlicher Hunde sei mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig, mit dem Argument in Zweifel zu ziehen versucht, dass es insofern einer Beweisaufnahme im Klageverfahren vorbehalten bleiben müsse, ob sich die Vorwürfe gegen die Antragstellerin als richtig erweisen würden oder aber nicht, übersieht sie, dass das Verwaltungsgericht auf Grund einer freien Beweis-würdigung nach § 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 108 Abs. 1 VwGO (vgl. zu einer solchen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren OVG Lüneburg vom 23. September 2020 - 12 ME 130/20 - juris Rn. 9; OVG Berlin-Brandenburg vom 21. März 2017 - OVG 11 S 17.17 - juris Rn. 8) zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Antragstellerin im Rahmen der Haltung von „S...“ wiederholt und teilweise auch gröblich gegen die Vorschriften des Hundegesetzes verstoßen hat.

Diese Beweiswürdigung kann nur mit Erfolg angegriffen werden bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder wenn sie offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, § 108 Rn. 4 m.w.N.). Derartiges lässt sich dem Vorbringen der Beschwerde nicht ansatzweise entnehmen. Auch der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin sei wegen der festgestellten Verstöße unzuverlässig im Sinne des § 22 Abs. 1 HundeG, sodass die auf § 30 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 HundeG gestützte Untersagung des Haltens und Führens gefährlicher Hunde in genereller Form für den Zeitraum von drei Jahren nicht ermessensfehlerhaft erscheine, tritt sie nicht substanziiert entgegen. Ihr Hinweis, die generelle Untersagung sei unverhältnismäßig, weil es nach § 30 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 HundeG genügt hätte, der Antragstellerin die Haltung eines Hundes im Einzelfall zu untersagen, weil diese sich, wenn sie sich einen weiteren (gefährlichen) Hund anschaffen wollte, wegen der in §§ 13 und 18 HundeG normierten Registrierungs- und Anzeigepflicht ohnehin an den Antragsgegner wenden müsste, lässt außer Acht, dass der Antragstellerin auf Grund ihrer Unzuverlässigkeit nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 HundeG die Eignung für das Halten und Führen eines gefährlichen Hundes nicht nur im Einzelfall, sondern generell fehlt.

Schließlich rechtfertigt auch der Vorwurf der Beschwerde, das Verwaltungsgericht könne nicht aus einer in rechtswidriger Weise ohne Fristsetzung erfolgten An-drohung unmittelbaren Zwangs eine Maßnahme des sofortigen Vollzugs ohne vorausgehenden Verwaltungsakts gemäß § 8 BlnVwVfG i.V.m. § 6 Abs. 2 VwVG - i.F. VwVG - konstruieren, keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Denn auch in einem gestreckten Vollstreckungsverfahren nach § 6 Abs. 1 VwVG ist eine Fristsetzung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 VwVG entbehrlich, wenn mit der Androhung eines Zwangsmittels - wie im vorliegenden Fall - eine Duldung erzwungen werden soll, weil deren Adressat, anders als der zu einer Handlung Verpflichtete, ihr in der Regel sofort nachkommen kann (vgl. BeckOK VwVfG/Deusch/Burr, 53. Ed. 1.10.2021, VwVG § 13 Rn. 10 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).