Gericht | OLG Brandenburg 2. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 29.11.2021 | |
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Aktenzeichen | 2 U 63/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:1129.2U63.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das am 10. September 2021 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam - Einzelrichterin - zum Aktenzeichen 4 O 122/20 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung auch aus sonstigen Gründen nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht der geltend gemachte Amtshaftungsanspruch nicht zu.
Insbesondere liegt dem angegriffenen Urteil die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Senats zugrunde, wonach die Nichterfüllung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege trotz rechtzeitiger Bedarfsanmeldung durch den örtlich und sachlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe eine Amtspflichtverletzung darstellt, die unter den weiteren Voraussetzungen von § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG sowie § 1 Abs. 1 StHG einen Anspruch betroffener Eltern auf Ersatz eines hierdurch verursachten Verdienstausfallschadens begründen kann. Die Ersatzpflicht tritt aber dann nicht ein, wenn die betroffenen Eltern es unterlassen, um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nachzusuchen, obwohl absehbar ist, dass sie den beantragten Betreuungsplatz nicht – rechtzeitig – erhalten werden, § 839 Abs. 3 BGB, § 2 StHG (vgl. Senat, Urteil vom 21. Januar 2021 – 2 U 104/20 –; Urteil vom 23. November 2021 – 2 U 25/21).
Das Ergreifen dieses Eilrechtsmittels ist auch dann weder unzumutbar noch aussichtslos, wenn der verpflichtete Träger der Jugendhilfe ausdrücklich mitgeteilt hat, es bestünden keine freien Betreuungskapazitäten. Denn der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung steht auch nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht unter einem Kapazitätsvorbehalt und wird daher durch eine etwaige Kapazitätserschöpfung nicht berührt (BVerfG, Urteil vom 21. November 2017 – 2 BvR 2177/16 – E 147, 185, Rdnr. 134; BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – 5 C 19/16 – E 160, 212, Rdnr. 34 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2018 – OVG 6 S 2.18 – zitiert nach juris, Rn. 11). Es besteht ferner eine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass der Träger der Jugendhilfe einer vollziehbaren verwaltungsgerichtlichen Entscheidung Folge geleistet hätte. In einem Rechtsstaat ist nämlich grundsätzlich davon auszugehen, dass Behörden gerichtliche Entscheidungen beachten (BGH, Urteil vom 11. März 2010 – III ZR 124/09 – NJW-RR 2010, 1465; Senat, Urteil vom 21. Januar 2021 – 2 U 104/20 – BeckRS 2021, 2111, Rdnr. 25; Urteil vom 23. November 2021 – 2 U 25/21 –). Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, dass sich die zuständigen Träger der Jugendhilfe – wie dem Senat aus ähnlich gelagerten Rechtsstreiten bekannt ist – nach Erlass einer entsprechenden vollziehbaren verwaltungsgerichtlichen Anordnung in aller Regel sehr kurzfristig in der Lage zeigen, den Anspruchsberechtigten einen Betreuungsplatz nachzuweisen.
Dem Kläger und dem von ihm angeführten OLG Frankfurt (Urteil vom 28. Mai 2021 zum Aktenzeichen 13 U 436/19, MDR 2021, 1195) ist zwar im Grundsatz darin beizutreten, dass von einer um die Einhaltung ihrer Verpflichtungen bemühten Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erwarten ist, ihre Möglichkeiten zur Erfüllung gesetzlich begründeter Ansprüche auch ohne vorherige Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch den Anspruchsinhaber auszuschöpfen. Indes kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Nichterfüllung eines gesetzlich begründeten Anspruchs der hier in Rede stehenden Art – jedenfalls nach bisheriger Rechtslage – nicht unmittelbar sanktioniert ist, was zumindest zuweilen dazu zu führen scheint, dass sich die verpflichteten Hoheitsträger sehenden Auges aus mutmaßlich fiskalischen Gründen über ihre gesetzlichen Verpflichtungen und damit ihre Gesetzesbindung hinwegsetzen. Für eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO gilt hingegen anderes. Sie ist gemäß § 172 VwGO vollstreckbar, wobei der Vollstreckungsschuldner im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens ganz konkret darlegen muss, alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, dem Kind einen Platz zu verschaffen. Es bedarf gegebenenfalls eines genauen Nachweises aller Gruppengrößen, des Personalschlüssels und der Fluktuation der letzten Monate. Unter Umständen kann auch zu prüfen sein, ob der Wechsel von Kindern zwischen Vormittags- und Nachmittagsgruppen möglich ist oder ob für ein anderes Kind beispielsweise ein Verlassen der Kindertagesstätte wegen Wohnortwechsels der Eltern in Betracht kommt. Dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe obliegt es insofern, alle auch überobligatorischen Anstrengungen zu unternehmen, um den Betreuungsplatz zu verschaffen.
Auch vorliegend ist daher zu vermuten, dass dem Kläger, wenn er nach der Mitteilung der Beklagten vom 26. Juli 2018 und einer angemessenen Bedenkzeit von allenfalls wenigen Tagen einen Antrag gemäß § 123 VwGO gestellt hätte, auf eine in diesem Fall kurzfristig zu erwarten gewesene stattgebende verwaltungsgerichtliche Entscheidung von dem Beklagten zeitnah ein Betreuungsplatz nachgewiesen worden wäre. Das Unterlassen eines derartigen Vorgehens ist von dem Kläger im Sinne des § 254 BGB zu vertreten. Grundsätzlich darf zwar der Bürger von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ausgehen und demgemäß darauf vertrauen, dass die Behörden das ihnen Obliegende richtig und sachgemäß tun. Der Bürger braucht deshalb, solange er nicht hinreichenden Anlass zu Zweifeln hat, nicht anzunehmen, dass die Behörden falsch handeln (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1990 – III ZR 260/88 – NVwZ-RR 1991, 171). Hier bestand für den Kläger aber Anlass zu Zweifeln in diesem Sinne. Denn der Verweis des Trägers der Jugendhilfe auf die Stadt und der von dieser auf die Träger, die einheitlich keinen Betreuungsplatz anbieten konnten, sowie schließlich die Auskunft des Beklagten, es gebe keinen Betreuungsplatz, stand in offenem Widerspruch zu dem gesetzlich begründeten Rechtsanspruch. Angesichts des Umstandes, dass der Beklagte mithin offen angekündigt hat, einen bestehenden Anspruch (bewusst) nicht zu erfüllen, lag für einen durchschnittlich aufmerksamen und umsichtigen Rechtsunkundigen die Annahme einer Amtspflichtverletzung zumindest nahe, was Anlass gab, rechtskundigen Rat einzuholen, wie es der Kläger schließlich später auch getan hat.
An dieser Rechtsprechung hat der Senat auch mit Blick auf die genannte Entscheidung des OLG Frankfurt (Urteil vom 28. Mai 2021 zum Aktenzeichen 13 U 436/19, MDR 2021, 1195) festgehalten (Senat, Urteil vom 23. November 2021 – 2 U 25/21 –). Das OLG Frankfurt berücksichtigt nicht die den hiesigen Entscheidungen zu Grunde liegende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, hier insbesondere im Urteil vom 11. März 2010 (III ZR 124/09 – NJW-RR 2010, 1465). Angesichts dessen bedarf es nicht der Zulassung der Revision. Auch liegen die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vor.