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Blindengeld


Metadaten

Gericht VG Cottbus 8. Kammer Entscheidungsdatum 23.11.2021
Aktenzeichen 8 K 1737/18 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2021:1123.8K1737.18.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10, § 166 BGB, § 278 BGB

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Blindengeld und eine darauf beruhende Erstattungsforderung.

Der Kläger ist Alleinerbe nach seiner Mutter, der am 23. Juni 2018 verstorbenen I....

Auf entsprechenden Antrag bewilligte der Beklagte der Mutter des Klägers erstmalig mit Bescheid vom 27. Mai 2005 Blindengeld nach dem Gesetz über die Leistung von Pflegegeld an Schwerbehinderte, Blinde und Gehörlose (Landespflegegeldgesetz – LPflGG) in Höhe von zunächst 266 Euro.

Unter dem 4. September 2013 erteilte die Mutter des Klägers diesem Vorsorge-Vollmacht, die den Kläger u.a. zur Vertretung in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten berechtigte.

Mit Bescheid vom 6. Januar 2016 hob der Beklagte den Bescheid vom 27. Mai 2005 aufgrund einer Gesetzesänderung auf und bewilligte gleichzeitig erneut Blindengeld ab dem 1. Januar 2016 in Höhe von nunmehr monatlich 319,20 Euro.

Den Bewilligungsbescheiden waren als Anlage jeweils Hinweise zur Mitwirkungspflicht beigefügt, in denen u.a. aufgeführt wurde, dass eine Aufnahme des Anspruchsberechtigten in ein Heim unaufgefordert und unverzüglich anzuzeigen sei. Die Mutter des Klägers wurde zudem während des Leistungsbezuges mit Schreiben vom 7. November 2006, 1. November 2007, 30. März 2009, 9. Februar 2011 und 9. Januar 2013 auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen. Diesen Schreiben war jeweils eine Anlage zur Auskunftserteilung beigefügt, die unterschrieben an den Beklagten zurückgesandt wurden.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 2016 wurde die Mutter des Klägers aufgrund eines Unfalls zu Hause wegen einer subduralen Blutung stationär in ein Krankenhaus aufgenommen und anschließend in die geriatrische Rehabilitation verlegt. In der Folge ergaben sich bei der Mutter des Klägers ausweislich eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) u.a. erhebliche Einschränkungen der Alltagskompetenz. Am 10. August 2016 erfolgte die Aufnahme in ein Pflegeheim.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2017 änderte der Beklagte die bisherige Bewilligung des Blindengeldes aufgrund einer Gesetzesänderung dahingehend, dass ab dem 1. Januar 2018 ein monatliches Blindengeld in Höhe von 345,80 Euro bewilligt wurde.

Nach Erhalt dieses Bescheides teilte der Kläger dem Beklagten mit Schreiben vom 14. Januar 2018 mit, dass seine Mutter seit dem 10. August 2016 in vollstationärer Pflege lebe.

Mit Bescheid vom 18. Januar 2018 hob der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 6. Januar 2016 in Gestalt des Bescheides vom 14. Dezember 2017 auf (Ziffer 1) und forderte die Mutter des Klägers zur Erstattung zu viel erbrachter Leistungen in Höhe von 5.453 Euro auf (Ziffer 2). Zur Begründung führte er aus, dass Menschen in Heimen, Anstalten und ähnlichen Einrichtungen nach § 4 Abs. 1 LPflGG keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz hätten. Da die Mutter des Klägers seit dem 10. August 2016 in einem Seniorenheim lebe, sei die Leistung zum 1. September 2016 einzustellen gewesen. Die Mutter des Klägers könne sich insoweit auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, da sie über ihre Mitwirkungspflichten aufgeklärt worden und ihr bekannt gewesen sei, dass die Aufnahme in ein Heim hätte mitgeteilt werden müssen. Nach der Aufhebung der Bewilligung seien die zu viel erbrachten Leistungen nach § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu erstatten.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger für seine Mutter am 8. Februar 2018 Widerspruch, den er im Wesentlichen damit begründete, dass eine Aufhebung der Bewilligung lediglich ab dem 1. Februar 2018 erfolgen dürfe. Eine rückwirkende Aufhebung scheide aus, da die Bescheide seiner Mutter entgegen § 8 Abs. 2 des Gesetzes des Landes Brandenburg zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Brandenburgisches Gleichstellungsgesetz – BbgBGG) nicht in einer für sie wahrnehmbaren Form zugestellt worden seien. Seine Mutter habe deshalb ihre Mitteilungspflicht nicht schuldhaft verletzt. Ihm selbst sei der Bewilligungsbescheid nicht zugegangen, so dass auch er keine Mitteilungspflichten verletzt habe. Sobald er Kenntnis von der Mitteilungspflicht gehabt habe, sei er dieser unverzüglich nachgekommen.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2018 zurück. Da die Mutter des Klägers die ihr regelmäßig übersandten Schreiben mit den Hinweisen zur Mitteilungspflicht ausgefüllt und unterschrieben zurückgesandt habe, habe er, der Beklagte, davon ausgehen dürfen, dass seine Schreiben in einer für die Mutter des Klägers wahrnehmbaren Form gefertigt worden seien oder ihr jedenfalls der Inhalt durch Vorlesen bekannt geworden sei. Im Übrigen sei auch auf eine allgemeine Umfrage zur Bescheiderteilung vom 7. November 2006, mit der um Mitteilung gebeten worden sei, in wie weit das zu diesem Zeitpunkt verwendete Schriftformat änderungsbedürftig sei, seitens der Mutter des Klägers keine Reaktion erfolgt. Dennoch seien die folgenden Schriftstücke (mit Ausnahme des Bescheides vom 14. Dezember 2017) in einem deutlich größeren Schriftgrad verfasst worden. Es sei nach alledem davon auszugehen, dass die Mutter des Klägers Kenntnis von ihrer Mitwirkungspflicht und den bei Nichteinhaltung möglichen Folgen gehabt habe.

Am 4. Oktober 2018 hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er (erneut) darauf verweist, dass weder er noch seine Mutter vorsätzlich oder grob fahrlässig Mitteilungspflichten verletzt hätten. Bis zu dem Unfall im Mai 2016 habe seine Mutter ihre Angelegenheiten – auch bezogen auf das Blindengeld – selbst geregelt. Nach dem Unfall sei sie hierzu aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen. Vor diesem Hintergrund habe seine Mutter ihre Mitteilungsfpflichten nicht schuldhaft verletzt. Ihm selbst seien die Mitteilungspflichten bis zum Eingang des Bescheides vom 14. Dezember 2017 nicht bekannt gewesen. Zwar habe er von dem Blindengeldbezug gewusst. Er sei aber nicht verpflichtet gewesen, nach dem Unfall seiner Mutter sämtlichen vorher geführten Schriftverkehr zur Kenntnis zu nehmen, zumal seine vordringliche Aufgabe zunächst die Einleitung und Durchsetzung ausreichender Pflege seiner Mutter gewesen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid des Beklagten vom 18. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2018 aufzuheben, soweit die Bewilligung von Blindengeld für die Zeit vor dem 1. Februar 2018 aufgehoben und die Erstattung von Leistungen in Höhe von 5.453 Euro festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf die angegriffenen Bescheide und führt ergänzend wie folgt aus: Die Mutter des Klägers müsse sich jedenfalls dessen Verschulden zurechnen lassen. Dass der Kläger selbst bis zum Erhalt des Bescheides vom 14. Dezember 2017 keine Kenntnis von den Mitwirkungspflichten gehabt habe, sei unglaubhaft. Wie sich aus dem Verwaltungsvorgang erhebe, sei es nämlich der Kläger gewesen, der von Anfang an sämtliche behördlich Korrespondenz betreffend das Blindengeld geführt habe. So sei es bereits der Kläger gewesen, der am 14. Februar 2005 telefonisch um die Zusendung der Antragsunterlagen gebeten habe. Vor diesem Hintergrund spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Kläger Kenntnis auch von den Bewilligungsbescheiden gehabt habe. Selbst wenn dies aber nicht der Fall gewesen sein sollte, so hätte er sich jedenfalls im Zeitpunkt der Vorsorgevollmacht Kenntnis über sämtliche Unterlagen verschaffen müssen. Wenn die Mutter zudem seit ihrem häuslichen Sturz nicht mehr in der Lage gewesen sein sollte, sich selbst um die Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten zu kümmern, so habe schließlich spätestens zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende Pflicht des Klägers bestanden. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang ausführe, er habe zunächst die Pflege sicherstellen müsse, sei darauf hinzuweisen, dass zwischen der Aufnahme in das Heim und der Mitteilung des Klägers der nicht unerhebliche Zeitraum von 16 Monate gelegen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den seitens des Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang (2 Hefte) verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Soweit der Kläger den in der Klageschrift vom 4. Oktober 2018 angekündigten Aufhebungsantrag mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2018 dahingehend einschränkend formuliert hat, dass lediglich die Aufhebung der angegriffenen Bescheide insoweit begehrt werde, als eine Aufhebung der Blindengeldbewilligung für die Zeit vor dem 1. Februar 2018 erfolgt und seitens des Beklagten einer Erstattungsforderung geltend gemacht worden ist, wertet das Gericht dies nach § 88 VwGO als Klarstellung des ursprünglich formulierten Begehrens und nicht als teilweise Klagerücknahme. Bereits im Widerspruchsverfahren hatte der Kläger Einwende nicht gegen die Aufhebung an sich, sondern nur gegen deren Rückwirkung erhoben.

Die so verstandene Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Kläger als Alleinerbe nach seiner Mutter wegen der in §§ 1922 Abs. 1, 1967 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) angeordneten Gesamtrechtsnachfolge klagebefugt, obwohl er selbst nicht Adressat der angegriffenen Bescheide ist.

In der Sache bleibt die Klage indes erfolglos.

Der Bescheid des Beklagten vom 18. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Der Bescheid ist zunächst trotz der unterbliebenen Anhörung der Mutter des Klägers nach § 9 LPflGG i.V.m. § 24 Abs. 1 S. 1 SGB X formell rechtmäßig. Denn dieser Verfahrensmangel ist durch Nachholung im Widerspruchsverfahren gemäß § 9 LPflGG i.V.m. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt worden, da dem Kläger im Widerspruchsverfahren hinreichend Gelegenheit zur Äußerung (auch für seine Mutter) gegeben worden ist, von der der Kläger auch Gebraucht gemacht hat. Mit den entsprechenden Einwänden des Klägers hat sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid dann auch ersichtlich auseinandergesetzt (vgl. zur Möglichkeit der Heilung des Anhörungsmangels im Widerspruchsverfahren: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. Februar 2019 – L 4 AS 164/12 –, juris Rn. 30, BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 37/09 R –, juris Rn. 17).

Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.

Dies gilt zunächst für die rückwirkende Aufhebung, die ihre Rechtsgrundlage in § 9 LPflGG i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X findet. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Abs. 1 S. 2 Nr. 2 der Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Mit der Aufnahme der Mutter des Klägers in ein Pflegeheim ist zum 10. August 2016 eine Änderung der Verhältnisse eingetreten, die nach §§ 4 Abs. 1, 8 Abs. 2 LPflGG zum Ausschluss des Anspruchs auf Blindengeld ab dem 1. September 2016 führte.

Die Mutter des Klägers hat auch ihre sich aus § 7 Abs. 2 LPflGG ergebene Pflicht verletzt, diese Änderung dem Beklagten unverzüglich anzuzeigen. Indes lässt sich für sie selbst nicht feststellen, dass sie diesen Verstoß gegen die Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen hätte.

Grobe Fahrlässigkeit ist ausweislich der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 2. Hs. SGB X dann anzunehmen, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Hierfür genügt es nicht, dass er mit der Rechtswidrigkeit rechnen musste. Verlangt wird vielmehr eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem besonders hohen Ausmaß, die dann zu bejahen ist, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn also nicht bedacht wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Dabei ist jedoch nicht ein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen. Von Bedeutung ist insoweit insbesondere auch, ob der Betroffene auf seine Mitteilungspflichten hingewiesen worden ist (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. März 2019 – L 7 BL 1/17 –, juris Rn. 33; VG Cottbus, Urteil vom 9. Mai 2014 – 3 K 267/12 –, juris Rn. 25).

Dies zugrunde gelegt ist vorliegend sodann auf die Situation im August 2016 abzustellen, da die Mutter des Klägers zu diesem Zeitpunkt in das Pflegeheim aufgenommen worden ist, so dass die Mitteilung an den Beklagten hätte erfolgen müssen. Mithin kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die Mutter des Klägers die von dem Beklagten regelmäßig versandten Hinweise zur Mitteilungspflicht ursprünglich trotz ihrer (teilweisen) Blindheit lesen konnte oder aber sie jedenfalls auf andere Art und Weise zur Kenntnis genommen hat bzw. hätte nehmen müssen. Entscheidend ist vielmehr, dass sich angesichts der vom Kläger eingereichten ärztlichen Unterlagen zum Gesundheitszustand seiner Mutter nicht die Feststellung treffen lässt, dass der Mutter im Zeitpunkt der Aufnahme in das Pflegeheim im August 2016 ihre Anzeigepflicht und das Vorliegen von deren Voraussetzungen noch bewusst war bzw. hätte bewusst sein müssen, geschweige denn, dass sie ihr eigenständig hätte nachkommen können. Denn aus den insoweit vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass die Mutter des Klägers zu dieser Zeit nicht nur in ihrer körperlichen, sondern auch in ihrer geistigen Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war. So wurde bei der Mutter des Klägers bereits im Entlassungsbericht der Klinik für Neurochirurgie, in der sie sich in der Zeit vom 3. Juni 2016 bis zum 24. Juni 2016 in stationärer Behandlung befand, eine schwere kognitive Funktionseinschränkung diagnostiziert. Zur Aufnahme sei die Patientin örtlich, zeitlich und situativ desorientiert erschienen. Aus dem Gutachten des MDK vom 4. Oktober 2016 ergibt sich außerdem, dass bei der Mutter des Klägers bereits im Juli 2016 Demenz bei Alzheimer-Krankheit diagnostiziert wurde. Im Rahmen der Begutachtung im Oktober 2016 war sodann eine verbale Kommunikation mit der Mutter des Klägers ausweislich der Ausführungen des MDK nicht ausreichend möglich. Die Mutter des Klägers habe die Situation nicht vollständig einordnen und nicht immer adäquat antworten können. Die Orientierung zu Zeit und Situation sei sehr unscharf, Wahrnehmung und Denken erheblich verlangsamt gewesen. Deutliche Einschränkungen hätten sich auch beim Kurzzeitgedächtnis gezeigt und im Hinblick auf Kritik- und Urteilsfähigkeit lägen ebenfalls schwere Einschränkungen vor. Zusammenfassend kommt die Begutachtung zu dem Ergebnis, dass Störungen der höheren Hirnfunktion vorlägen, die zu Problemen bei der Bewältigung sozialer Alltagsleistungen geführt hätten, so dass die Alltagskompetenz insgesamt – seit Mai 2016 – erheblich eingeschränkt sei. Dies berücksichtigend hat sich bezeichnenderweise auch der Beklagte im Klageverfahren nicht mehr auf eine schuldhafte Verletzung der Mitteilungspflichten durch die Mutter des Klägers berufen.

Allerdings liegt eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht seitens des mit einer Vorsorgevollmacht für seine Mutter ausgestatteten Klägers vor, die sich die Mutter des Klägers zurechnen lassen musste.

Wissen und Verschulden eines Dritten können im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X nach den §§ 166, 278 BGB analog zugerechnet werden. Die Vorschriften des § 278 Satz 1 BGB, wonach der Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang wie eigenes Verschulden zu vertreten hat, und des § 166 Abs. 1 BGB, wonach nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht kommt, soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, wonach also das Verhalten bzw. die Kenntnis oder das Kennenmüssen einer dritten Person als eigenes Verhalten bzw. eigene Kenntnis oder eigenes Kennenmüssen zugerechnet wird, finden jedenfalls im Fall einer gesetzlichen Vertretung oder rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung entsprechende Anwendung im öffentlichen Recht. Eine entsprechende Anwendung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ist zulässig, da die Interessenlage, aus der die Verpflichtung des Vertretenen hergeleitet wird, sich von der entsprechenden Sachlage im bürgerlichen Recht nicht wesentlich unterscheidet. Demjenigen, der sich eines Dritten bedient (oder kraft Gesetzes eines Dritten bedienen muss), soll es gerade bei rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigung nicht gestattet werden, einerseits die tatsächlich oder vermeintlich besseren Fähigkeiten und Kenntnisse dieses Dritten zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen, ohne die möglicherweise gleichzeitig daraus resultierenden Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Wer zur Erledigung eigener Angelegenheiten einen Dritten einschaltet, übernimmt damit zugleich die Verantwortung für dessen Verhalten bzw. dessen Kenntnis oder Kennenmüssen, ohne dass es darauf ankommt, ob ihm selbst dieses Verhalten bzw. dessen Kenntnis oder Kennenmüssen bekannt ist. Dieser grundsätzlichen Verantwortlichkeit des gerade rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten entspricht, dass sich die Behörde nach § 13 Abs. 3 S. 1 SGB X an den Bevollmächtigten wenden muss und gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X diesem gegenüber die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes vornehmen kann (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. April 2017 – L 8 R 1083/14 –, juris Rn. 50 m.w.N.; vgl. auch: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. März 2019 – L 7 BL 1/17 –, juris Rn. 37).

Dem Kläger ist auch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Dabei kann dahinstehen, ob die Behauptung des Klägers, ihm sei die Mitteilungspflicht nicht bekannt gewesen, glaubhaft ist. Hierfür könnte zwar sprechen, dass der Kläger nach Erhalt des Bescheides vom 14. Dezember 2017 den Beklagten zeitnah über die Aufnahme seiner Mutter in das Pflegeheim informiert hat. Vor dem Hintergrund des regelmäßigen Auftretens des Klägers bereits Bewilligungsverfahren, erscheinen dem Gericht aber auch die Zweifel des Beklagten an der vermeintlichen Unwissenheit des Klägers nicht von vorn herein von der Hand zu weisen.

Jedenfalls aber hätte der Kläger die Mitteilungspflicht kennen müssen und ist ihm hinsichtlich einer etwaigen Unkenntnis grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Denn entgegen der Auffassung des Klägers, konnte von diesem als Vorsorgebevollmächtigten zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls nach dem Unfall seiner Mutter durchaus verlangt werden, sich einen Überblick über die Unterlagen zum Blindengeld zu verschaffen. Dies folgt zum einen daraus, dass die Mutter des Klägers ab diesem Zeitpunkt nach den eigenen Angaben des Klägers nicht mehr in der Lage war, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, er mithin die ihm durch die Vorsorgevollmacht zukommende Verantwortung auch tatsächlich übernommen hat. Hinzu kommt vorliegend, dass der Kläger vom Bezug des Blindengeldes wusste und diesbezüglich – ungeachtet des genauen Umfangs seiner Beteiligung im Verwaltungsverfahren – bereits zuvor hilfeleistend tätig war. Auch wäre ihm eine Einsichtnahme vor dem Hintergrund, dass er – wenn auch nach eigenen Angaben in einem eigenen Haushalt – unter derselben Anschrift wie seine Mutter wohnte, ohne großen Aufwand möglich gewesen. Angesichts dieser Umstände spricht aus Sicht des Gerichts vorliegend nichts dafür, eine entsprechende Verpflichtung des Klägers als Vorsorgebevollmächtigten zu verneinen. Nur ergänzend sei deshalb insoweit darauf hingewiesen, dass eine andere Auffassung auch regelmäßig zu unbilligen Ergebnissen führen würde, weil Leistungsbezieher mit der nur schwer widerlegbaren Argumentation, ihr Bevollmächtigter habe von nichts gewusst, einer Rückforderung zu Unrecht erhaltener Zahlungen so stets entgehen könnten.

Ohne Erfolg macht der Kläger auch geltend, er habe sich vordringlich um die Gewährleistung der Pflege seiner Mutter habe kümmern müssen. Dieser Umstand mag in anderen Konstellationen eine verspätete Mitteilung rechtfertigen, greift vorliegend aber angesichts dessen nicht durch, dass die Mutter des Klägers nach dessen eigenen Angaben bereits seit Mai 2016 – und damit drei Monate vor der Aufnahme in das Pflegeheim – nicht mehr in der Lage war, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, dem Kläger mithin eine erhebliche Zeitspanne zur Verfügung stand, zunächst andere Sachen in Angriff zu nehmen. Im Übrigen hat bereits der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass zwischen der Aufnahme der Mutter in das Heim und der entsprechenden Mitteilung des Klägers mehr als 16 Monate vergangen sind, so dass die Mitteilung des Klägers auch unter Berücksichtigung zusätzlicher Belastungen keinesfalls unverzüglich erfolgte.

Das Gericht setzt sich mit dem hier gefundenen Ergebnis schließlich nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 13. März 2019, in der das Gericht ein zurechenbares Verschulden des Bevollmächtigten verneint hat. Denn anders als im vorliegenden Fall war der dortige Bevollmächtigte nicht bereits vorher in die Behördenkommunikation eingebunden, wurde ihm die Vorsorgevollmacht erst kurz vor dem Heimaufenthalt erteilt und erfüllte der dortige Kläger die Mitteilungspflicht zwar nicht bereits nach der Aufnahme der Leistungsempfängerin in die Kurzzeitpflege, wohl aber etwa zwei Monate später unmittelbar nach dem Umzug der Leistungsempfängerin in das Pflegeheim, in dem sie dauerhaft bleiben sollte (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. März 2019 – L 7 BL 1/17 –, juris).

Hätte der Kläger sich der hier vertretenen Auffassung entsprechend einen Überblick über die zum Blindengeld geführte Korrespondenz verschafft, so hätten ihm schließlich die zahlreichen Hinweise des Beklagten auf die Mitwirkungspflichten – der Verwaltungsvorgang besteht nahezu ausschließlich aus entsprechenden Schreiben in einem erheblich über das normale Maß hinausgehenden Schriftgrad – geradezu ins Auge springen müssen. Dass er die Bedeutung der Mitteilungspflicht auch ohne weiteres erkannt hätte, zeigt schon seine Reaktion auf den Bescheid vom 14. Dezember 2017.

Liegen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung danach vor, so erweist sich der Bescheid auch nicht aus anderen Gründen als rechtswidrig. Die Aufhebung leidet insbesondere nicht an Ermessensfehlern. Mit dem in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X verwandten Begriff „soll“ wird zum Ausdruck gebracht, dass die Aufhebung die Regel ist. Eine Ermessensentscheidung über die Aufhebung ist nur bei Vorliegen einer atypischen Fallgestaltung möglich und notwendig (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. August 2012 – OVG 6 M 126.12 –, S. 4 BA). Für das Vorliegen eines atypischen Falls in diesem Sinne sind Anhaltspunkte weder vom Kläger vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Im Gegenteil dürfte die Konstellation, dass die Aufnahme in ein Heim von dem Betroffenen selbst aufgrund des hohen Alters und/oder einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht mehr angezeigt werden und für die Frage der rückwirkenden Aufhebung der Bewilligung daher allein auf den Vertreter abgestellt werden kann, im Rahmen des Sozialleistungsbezuges nach dem Landespflegegesetz regelhaft vorkommen.

Nach alledem ist auch die seitens des Beklagten geltend gemachte Erstattung in Höhe von 5.453 € nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X, wonach bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Unter Zugrundelegung von 16 monatlichen Zahlungen (September 2016 bis Dezember 2017) in Höhe von jeweils 319,20 Euro und einer Zahlung (Januar 2018) in Höhe von 345,80 Euro hat der Beklagte den Erstattungsbetrag auch richtig berechnet, wobei Einwände insoweit auch von Seiten des Klägers nicht geltend gemacht worden sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 S. 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 Zivilprozessordnung.