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Entscheidung 11 U 12/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 11. Zivilsenat Entscheidungsdatum 27.10.2021
Aktenzeichen 11 U 12/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:1027.11U12.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das beiden Parteien zu Händen ihrer jeweiligen  Prozessbevollmächtigten am 22.12.2020 zugestellte Urteil des Landgerichts Cottbus  6 O 218/19 - aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und  Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

II. Für das Verfahren des zweiten Rechtszuges werden keine Gerichtskosten erhoben.  Die Entscheidung über die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem  Landgericht vorbehalten.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die am … 1987 geborene Klägerin, eine ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin, die ab 2012 als Außendienstmitarbeiterin in der Medizintechnik tätig war, nimmt die Beklagte zu 1), einen Lebensversicherer, und den Beklagten zu 2), der zu dessen Ausschließlichkeitsvertretern gehört, im Rahmen einer laufenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherung samtverbindlich auf Schadensersatz in Anspruch (Quasideckung); sie macht insbesondere geltend, wegen Beratungsfehlern sei eine – spätestens seit 01.09.2014 veranlasst gewesene – Anpassung der Versicherungsleistungen (die Erhöhung der versprochenen monatlichen Berufsunfähigkeitsrente auf € 2.000,00) entsprechend den im Verlaufe ihrer beruflichen Entwicklung gegenüber dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses deutlich gestiegenen Einkünften unterblieben, was bei ihr während einer sechszehnmonatigen Berufsunfähigkeit von Mai 2015 bis einschließlich August 2016 bereits zu finanziellen Einbußen i.H.v. € 22.400,00 geführt habe. Zwecks näherer Darstellung des Sachverhaltes und der bisherigen Prozessgeschichte wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (LGU 2 ff.).

Beiden Seiten ist am 22.12.2020 zu Händen ihrer jeweiligen Prozessbevollmächtigten – gemäß deren elektronischen Empfangsbekenntnissen (Ausdrucke GA I 186 f. und GA I 188 f.) – in beglaubigter Abschrift ein (laut Rubrum aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12.11.2020 ergangenes) Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus zugestellt worden, das – nach einem darauf befindlichen Vermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle – am 10.12.2020 verkündet wurde. Damit wird die Klage kostenpflichtig abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es, das klägerische Petitum sei zwar zulässig, aber unbegründet; keinem der beiden Beklagten falle eine Beratungspflichtverletzung gemäß § 6 oder § 61 VVG beziehungsweise § 242 BGB zur Last. Wegen der Einzelheiten wird auf das angegriffene Judikat Bezug genommen (LGU 5 ff.). Hiergegen hat die Klägerin am 12.01.2021 mit anwaltlichem Schriftsatz (GA I 202 ff.) Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit einem am 22.02.2021 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz vom selben Tage begründet (GA I 211 ff.).

Die Klägerin ficht das landgerichtliche Urteil – unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung ihrer bisherigen Darlegungen – in vollem Umfange ihrer Beschwer an. Sie meint, die Zivilkammer habe zu Unrecht eine Beratungspflichtverletzung verneint. Wegen der Details wird insbesondere auf die Berufungsbegründung vom 22.02.2021 (GA I 212 ff.) und auf die Replik vom 27.05.2021 (GA II 240 ff.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils

a) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihr – der Klägerin – (jeweils zuzüglich Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Eintritt der Rechtshängigkeit) zu zahlen

a) € 22.400,00 Schadensersatz

b) € 3.196,34 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten;

b) festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr – der Klägerin – sämtliche Schäden zu ersetzen, die dadurch entstehen, dass der Versicherungsschutz zur Berufsunfähigkeitsversicherung zum 01.09.2014, hilfsweise zum 01. 02.2016, nicht auf einen monatlichen Rentenbetrag i.H.v. insgesamt € 2.000,00 erhöht worden ist;

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen – im Kern ihre erstinstanzlichen Darlegungen ebenfalls wiederholend, ergänzend und vertiefend – das ihnen günstige Urteil des Landgerichts. Wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf die Berufungserwiderung Bezug genommen (GA I 230 ff.).

Der Senat hat die Prozessparteien mit Verfügung seines Vorsitzenden vom 09.06.2021 (GA II 244) darauf aufmerksam gemacht, dass sich kein Protokoll bei den Gerichtsakten befindet, mit dem die Verkündung des angefochtenen Urteiles gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO nachgewiesen werden kann. Die Akten sind daraufhin an das Eingangsgericht gesandt worden mit der Bitte um Prüfung, ob sich das Original-Verkündungsprotokoll möglicherweise noch bei den dortigen Unterlagen befindet. Sie kehrten ohne ein solches Protokoll an das Oberlandesgericht zurück. In einem Aktenvermerk vom 17.08.2021 (GA II 252) hat der Vorsitzende der Zivilkammer Folgendes festgehalten: Er sei sich zwar sicher, das Urteil verkündet und ein Protokoll ausgefüllt zu haben, müsse aber zur Kenntnis nehmen und akzeptieren, dass sich ein Verkündungsprotokoll nicht (mehr) bei den Akten befinde. Er könne nur vermuten, dass das Verkündungsprotokoll in eine falsche Akte gelangt sei, weil die Kammer an diesem Tage weitere vier Sachen verkündet und andere verhandelt habe, weshalb dies für ihn die plausibelste Erklärung sei; belegen könne er seine Vermutung leider nicht. Dieser Aktenvermerk ist beiden Parteien unter Hinweis auf die Rechtsfolgen, die sich ergeben, wenn die Verkündung des angefochtenen Urteils nicht nachgewiesen werden kann, bekannt gemacht worden (GA II 256). Sie haben sich – auf Anregung des Senats (GA II 256) – mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO einverstanden erklärt (GA II 262 und 264). Den entsprechenden Beschluss hat der Senat am 02.09.2021 gefasst; danach konnten Schriftsätze bis zum 30.09.2021 eingereicht werden (GA II 266), wovon die Parteien keinen Gebrauch gemacht haben. Wegen der weiteren Details des Sach- und Streitstandes sowie der Prozessgeschichte wird ergänzend auf die anwaltlichen Schriftsätze beider Seiten nebst Anlagen, auf sämtliche Terminsprotokolle und auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

II.

A. Die Berufung der Klägerin ist an sich statthaft und auch im Übrigen zulässig. Laut ganz herrschender Auffassung, die der Senat in gefestigter Rechtsprechung teilt (vgl. OLG Brandenburg a.d.H., Urt. v. 03. 05.2017 - 11 U 77/16, n.v.; Urt. v. 22.04.2020 - 11 U 159/19, juris = BeckRS 2020, 7599), können selbst sogenannte Schein- und Nichturteile, die – rechtlich betrachtet – gar nicht existent geworden sind und dementsprechend als solche keinerlei Wirkungen zu zeitigen vermögen (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 16.10.1984 - VI ZB 25/83, LS und Rdn. 10, juris = BeckRS 1984, 01382; ferner Hk-ZPO/Saenger, 9. Aufl., Vorbem. zu §§ 300 bis 329 Rdn. 8 f.; Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., Vorbem. zu §§ 300 bis 305a Rdn. 13 f., jeweils m. w.N.), mit dem ordentlichen Rechtsmittel angefochten werden, das gegen ein rechtswirksam ergangenes Urteil zur Verfügung stünde, um den von ihnen ausgehenden bloßen Anschein einer gerichtlichen Entscheidung, der die Interessen der nach ihrem Inhalt unterlegenen Seite gefährden kann und diese deswegen beschwert, zu beseitigen (vgl. BGH aaO; BGH, Urt. v. 17.04.1996 - VIII ZR 108/95, Rdn. 14, juris = BeckRS 9998, 55400; ferner Hk-ZPO/Saenger aaO Rdn. 10; Zöller/Feskorn aaO Rdn. 14; differenzierend Pfeiffer in Natter/Gross, ArbGG, 2. Aufl., § 64 Rdn. 13; jeweils m.w.N.). Der Bundesgerichtshof, dessen Meinung sich der Senat angeschlossen hat, geht dabei in mittlerweile ständiger Judikatur – abweichend von der Auffassung des Reichsgerichtes (vgl. u.a. RG, Vereinigte Zivilsenate, Beschl. v. 02.06.1913 - Rep. II 405/12, RGZ 82, 422, 424 f.) – davon aus, dass es auf das Vorhandensein der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des an sich statthaften Rechtsmittels, etwa auf dessen form- und fristgerechte Einlegung und Begründung, nicht ankommt, weil selbst mit einer äußerlich ordnungsgemäß erfolgten Zustellung eines bloßen Schein- oder Nichturteiles keine Rechtsmittelfristen in Lauf gesetzt werden und weil vom Rechtsmittelgericht allein eine klarstellende Entscheidung betreffend die Wirkungslosigkeit des angefochtenen Urteils zu treffen ist (so BGH [VI ZB 25/83] aaO Rdn. 10; Beschl. v. 03.11.1994 - LwZB 5/94, LS und Rdn. 5, juris = BeckRS 9998, 95029; Beschl. v. 13.06.2012 - XII ZB 592/11, Rdn. 18, juris = BeckRS 2012, 15089; vgl. ferner Zöller/ Feskorn aaO, m.w.N.).

B. Das Rechtsmittel der Anspruchsstellerin hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Cottbus. Denn dort ist der Rechtsstreit nach wie vor in vollem Umfang anhängig. Ein rechtswirksames – instanzabschließendes – Urteil liegt mangels unterbliebener Verkündung nicht vor. Über den Streit in der Sache selbst kann der Senat deshalb nicht befinden. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Bei der Entscheidung, die den Parteien am 22.12.2020 – jeweils zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten – zugestellt wurde, handelt es sich – wie sich im Verlaufe der zweiten Instanz gezeigt hat – in Wirklichkeit nur um ein sogenanntes Schein- oder Nichturteil in Form eines (unverkündet gebliebenen) Entscheidungsentwurfes nach dem Verständnis des § 299 Abs. 4 ZPO. Denn speziell im Zivilprozess wie hier wird ein gerichtliches Urteil mit allen seinen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen erst durch seine – im Streitfalle fehlende – förmliche Verlautbarung existent; zuvor ist laut ganz einhelliger Auffassung, der sich der Senat angeschlossen hat, bloß eine – maximal den Rechtsschein eines ergangenen Richterspruchs erzeugende – gerichtsinterne Entwurfsfassung vorhanden (vgl. insb. BGH, Beschl. v. 14.06.1954 - GSZ 3/54, juris Rdn. 9 = JurionRS 1954, 10104 Rdn. 8; Beschl. v. 08.02.2012 - XII ZB 165/11, Rdn. 11, juris = BeckRS 2012, 04957). Wird ein derartiges Schein- oder Nichturteil wie hier mit der Berufung angefochten, so hat das Rechtsmittelgericht zwingend die rechtliche Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Urteils mittels Aufhebung der den Prozessparteien zugegangenen Entscheidung klarzustellen und die Sache an das Eingangsgericht zwecks Beendigung des – dort noch nicht abgeschlossenen – Verfahrens zurückzuverweisen (vgl. BGH, Beschl. v. 13.06.2012 - XII ZB 592/11, Rdn. 18, juris = BeckRS 2012, 15089; Beschl. v. 03. 11.1994 - LwZB 5/94, Rdn. 5, juris = BeckRS 9998, 95029; OLG Brandenburg a.d.H., Urt. v. 10.02.1999 - 1 U 44/98, Rdn. 31, juris; Urt. v. 22.04.2020 - 11 U 159/19, Rdn. 4, juris = BeckRS 2020, 7599; OLG München, Urt. v. 21.01.2011 - 10 U 3446/10, Rdn. 17, juris = BeckRS 2011, 01860; ferner BeckOK-ZPO/Elzer, 42. Ed., § 310 Rdn. 70; Hk-ZPO/Saenger, 9. Aufl., Vorbem. zu §§ 300 bis 329 Rdn. 10). Ob die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 ZPO gegeben sind, insbesondere der Zurückverweisungsantrag einer Partei vorliegt, spielt in diesem Zusammenhang keine maßgebliche Rolle, weil dieser Vorschrift offensichtlich zugrunde liegt, dass die erste Instanz durch die angegriffene Entscheidung – insgesamt oder wenigstens partiell – beendet wurde und die Sache selbst bei dem Berufungsgericht zur Entscheidung angefallen ist, woran es allerdings in Konstellationen der streitgegenständlichen Art gerade fehlt; für das Prozedere bei Schein- oder Nichturteilen enthält die Zivilprozessordnung keinerlei Regelungen (so bereits OLG Brandenburg a.d.H. [11 U 159/19] aaO).

2. Das angefochtene Urteil ist vom Landgericht Cottbus prozessordnungswidrig nicht verlautbart worden und konnte deshalb aus seinem Entwurfsstadium nicht heraustreten.

a) Es war gemäß § 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO verkündungsbedürftig, weil es aufgrund der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom 12.11.2020 (Protokoll GA I 175) ergehen sollte. Die Zivilkammer hatte zunächst Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 03.12.2020 bestimmt (GA I 175R), der dann – mit Verfügung ihres Vorsitzenden (GA I 176) – auf den 10.12.2020 verlegt worden ist. Ein – unterzeichnetes (§ 163 ZPO) – gerichtliches Protokoll, mit dem sich allein die erforderliche Verkündung nachweisen ließe (§ 165 Satz 1 i.V.m. §160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO; vgl. dazu BGH, Beschl. v. 16.02.1989 - III ZB 38/88, Rdn. 5, juris = BeckRS 2008, 18024; Beschl. v. 21.04.2015 - VI ZR 132/13, Rdn. 11, juris = BeckRS 2015, 08997; BAG, Urt. v. 14.10.2020 - 5 AZR 712/19, LS und Rdn. 10, juris = BeckRS 2020, 33221), befindet sich weder bei den hiesigen Gerichtsakten noch konnte es – wie die Nachfrage des Senats ergeben hat – bei der Eingangsinstanz aufgefunden und nachgereicht werden. Das ausgedruckte Protokollformular, welches maschinenschriftlich auf den 10.12.2020 datiert und zu den Akten genommen worden ist (GA I 177), trägt keine Unterschrift und gibt auch keine Auskunft darüber, wer zu dem Verkündungstermin erschienen war und was für eine Art von Entscheidung verlautbart wurde. Die am 17.08.2021 aktenkundig gemachte Überzeugung des Vorsitzenden der Zivilkammer, das Urteil verkündet und darüber ein Protokoll aufgenommen zu haben, das vermutlich außer Kontrolle geraten sei (GA II 252), vermag dessen Vorlage ebenso wenig zu ersetzen wie der Verkündungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nach § 315 Abs. 3 Satz 1 ZPO (vgl. dazu BGH [III ZB 38/88] aaO; BAG aaO; OLG Brandenburg a.d.H., Urt. v. 10.02.1999 - 1 U 44/ 98, Rdn. 30, juris; jeweils m.w.N.).

b) Zwar kann ein Protokoll, das eine tatsächlich durchgeführte Verkündung nicht ausweist, gemäß § 164 ZPO berichtigt werden (so Musielak in Voit/Musielak, ZPO, 18. Aufl., § 311 Rdn. 4 a.E.). Im Streitfalle hilft dies aber nicht weiter; laut höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es nach dem Ablauf der fünfmonatigen Frist des § 517 ZPO, die hier bei einer Verkündung am 10.12.2020 mit dem 10.05.2021 geendet hätte, nicht mehr möglich, ein beweiskräftiges Verkündungsprotokoll zu erstellen (vgl. BGH, Urt. v. 13.04.2011 - XII ZR 131/09, LS und Rdn. 19 ff., juris = BeckRS 2011, 10062; Beschl. v. 21.04.2015 - VI ZR 132/13, Rdn. 14, juris = BeckRS 2015, 08997; ferner Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., § 311 Rdn. 3a a.E.). Demzufolge muss im vorliegenden im Berufungsverfahren davon ausgegangen werden, dass keine Verkündung stattgefunden hat (vgl. BeckOK-ZPO/Elzer, 42. Ed., § 310 Rdn. 42 und 51). Für die Verlautbarung der Entscheidung durch schlichte Zustellung nach § 310 Abs. 3 ZPO – anstelle der Verkündung – waren weder die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt noch hatte die Zivilkammer diese Verfahrensweise beabsichtigt. Die Zustellung, die am 21.12.2020 durch die Geschäftsstelle verfügt wurde (GA I 183), diente offensichtlich dazu, den Parteien das – vermeintlich schon verkündete – Urteil zu übermitteln, um die Berufungsfrist des § 517 ZPO in Lauf zu setzen. In einer solchen Konstellation handelt es sich nicht um einen auf die Wahl der Verlautbarungsart begrenzten Verfahrensfehler; es mangelt vielmehr an der Verlautbarung selbst, weshalb dann statt eines Urteils ein bloßer Entwurf vorliegt (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.1984 - VI ZB 25/83, Rdn. 10, juris = BeckRS 1984, 30372490; OLG München, Urt. v. 21.01.2011 - 10 U 3446/10, Rdn. 16, juris = BeckRS 2011, 01860; ferner MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl., § 310 Rdn. 11, m.w.N.).

C. Der Ausspruch, wonach für das Verfahren in der zweiten Instanz keine Gerichtskosten zu erheben sind, beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG. Denn bei richtiger Behandlung der Angelegenheit durch das Landgericht wären die Kosten des hiesigen Berufungsrechtsstreites, in dem der Fortgang der Sache selbst nicht gefördert werden kann, sondern allein die gebotene Beseitigung des fehlerhaften Prozederes der Eingangsinstanz möglich ist, nicht angefallen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 29.10.1986 - IVa ZR 119/85, Rdn. 8, juris; OLG Brandenburg a.d.H., Urt. v. 10.02.1999 - 1 U 44/98, Rdn. 33, juris; OLG Rostock, Urt. v. 24.03.2004 - 6 U 124/02, Rdn. 33, juris = BeckRS 2005, 09195). Demgegenüber kommt eine Niederschlagung von Gerichtskosten des ersten Rechtszuges nicht in Betracht, weil für das angegriffene Urteil an sich keine selbstständigen Gerichtsgebühren entstanden sind (arg. GKG-KV Nr. 1210) und eine Ermäßigung der Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen im Falle einer nichtstreitigen Erledigung der Sache gemäß GKG-KV Nr. 1211 nach der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung weiterhin möglich ist (vgl. dazu OLG Brandenburg a.d.H. aaO). Über die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens, speziell die den Prozessparteien erwachsenen außergerichtlichen Aufwendungen, hat die Zivilkammer im Schlussurteil zu befinden, da der Ausspruch über die Kosten des Rechtsstreits prinzipiell einheitlich erfolgen muss und derzeit noch nicht feststeht, welche Seite letztlich inwieweit unterlegen sein wird (vgl. dazu OLG Köln, Urt. v. 18.03.1987 - 2 U 99/86, BeckRS 9998, 06297; ferner BeckOK-ZPO/Wulf, 42. Ed., § 538 Rdn. 33; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl., § 97 Rdn. 9; Hk-ZPO/Gierl, 9. Aufl., § 97 Rdn. 14; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 538 Rdn. 58). Eine Kostentrennung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO kommt grundsätzlich allein dann in Betracht, wenn das jeweilige Rechtsmittel – was im Streitfall allerdings nicht zutrifft – vollumfänglich erfolglos geblieben ist (vgl. Hüßtege aaO Rdn. 2 und 8; ferner Zöller/Herget aaO, § 97 Rdn. 7).

D. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Berufungsurteiles stützt sich auf § 708 Nr. 10 ZPO. Obwohl es selbst keinen vollstreckungsfähigen Inhalt im eigentlichen Sinne hat und die vorläufige Vollstreckbarkeit der angefochtenen Entscheidung gemäß § 717 Abs. 1 ZPO bereits mit der Verkündung des aufhebenden Urteils außer Kraft tritt, ist in den Fällen der vorliegenden Art ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erforderlich, weil nach der zwar keineswegs unumstrittenen, aber doch wohl noch immer herrschenden Auffassung, die der Senat teilt, das zuständige Vollstreckungsorgan die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil laut § 775 Nr. 1 und § 776 Satz 1 ZPO erst einstellen und bereits getroffene Vollstreckungsmaßregeln aufheben darf, wenn ihm eine vollstreckbare Ausfertigung vorgelegt wird (so insb. OLG München, Urt. v. 18.09.2002 - 27 U 1011/01, Rdn. 75, juris; vgl. ferner dazu OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.05.1984 - 10 U 254/83, JZ 1984, 635 = BeckRS 1984, 04042; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 708 Rdn. 9; MüKoZPO/Götz, 6. Aufl., § 704 Rdn. 6 und § 708 Rdn. 17; Hk-ZPO/Kindl, 9. Aufl., § 708 Rdn. 12; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl., § 708 Rdn. 11; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 538 Rdn. 59; a.M. BeckOK-ZPO/Ulrici, 42. Ed., § 717 Rdn. 5; offen lassend BGH, Beschl. v. 01.08.2013 - VII ZB 1/13, Rdn. 17, juris = BeckRS 2013, 14240; jeweils m.w.N.). Für Schutzanordnungen i.S.d. § 711 ZPO ist allerdings kein Raum, weil es an einem vollstreckbaren Leistungsausspruch im Berufungsurteil fehlt.

E. Die Revision wird durch den Senat – in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG – nicht zugelassen. Denn die vorliegende Rechtssache hat weder grundsätzliche – über den Streitfall hinausgehende – Bedeutung (für eine unbestimmte Vielzahl zu erwartender Streitigkeiten, in denen sich die gleichen Fragen als klärungsbedürftig erweisen) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Judikatur eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht. Das Urteil des erkennenden Senates beruht im Wesentlichen auf der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall und auf der Würdigung von dessen tatsächlichen Umständen. Divergenzen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die höchstrichterlich noch ungeklärte Fragen mit Relevanz für den Ausgang des hiesigen Streitfalles betreffen, sind nicht ersichtlich.

F. Der Gebührenstreitwert fürs Berufungsverfahren beträgt bis € 35.000,00 (§ 3 ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1, § 40 und § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG). Maßgeblich ist – entsprechend dem sogenannten Angreiferinteresseprinzip (vgl. dazu BeckOK-KostR/Schindler, 34. Ed., GKG § 47 Rdn. 1; MüKoZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 3 Rdn. 4, 5 und 10; Roth, MDR 2017, 1153, 1154; Schumann, NJW 1982, 1257, 1260; ferner OLG Brandenburg a.d.H., Beschl. v. 15.10.2019 - 11 W 24/19, Rdn. 3, juris = BeckRS 2019, 28478; OLG Dresden, Beschl. v. 18.12.2019 - 4 W 896/19, Rdn. 3, juris = BeckRS 2019, 34226; jeweils m.w.N.) – in vermögensrechtlichen Streitigkeiten wie hier generell das mit dem Petitum derjenigen Partei, die das Verfahren des jeweiligen Rechtszuges beantragt hat, offenbarte und nach ihrem Rechtsschutzziel in der Hauptsache zu bewertende wirtschaftliche Interesse an der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu Beginn dieser Instanz. Im Streitfall verlangt die Klägerin, die alleinige Rechtsmittelführerin ist, mit ihrem ersten Berufungsantrag die Zahlung eines bezifferten Geldbetrags zum Zwecke der Erfüllung einer Schuld, weshalb insoweit – wie regelmäßig (arg. § 6 Satz 1 ZPO; vgl. BeckOK-KostR/Toussaint aaO § 48 Rdn. 84; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl., § 3 Rdn. 72 und § 6 Rdn. 5; Toussaint/Elzer, KostR, 51. Aufl., ZPO § 3 Rdn. 23 Stichwort Geldforderung; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., § 6 Rdn. 7) – der volle Nennwert mit € 22.400,00 anzusetzen ist. Das Feststellungbegehren schlägt – entsprechend den Grundsätzen der Entscheidung des BGH, Urt. v. 13.12.2000 - IV ZR 279/99 (juris = BeckRS 2001, 223) – jedoch lediglich mit 20 % des dreieinhalbfachen Wertes des einjährigen Differenzbetrages der Versicherungsleistungen zu Buche (arg. § 9 Satz 1 ZPO); der in der Vergangenheit eingetretene Versicherungsfall war bei Einreichung der Klage bereits abgeschlossen (€ 11.760,00 = [€ 2.000,00 p.m. - € 600,00 p.m.] x 12 m. x 3,5 x 0,2). Als Summe ergibt sich der Betrag von € 34.160,00. Die entsprechende Streitwertstufe reicht von € 30.000,01 bis € 35.000,00. Ihre vorgerichtlichen Anwaltskosten, die die Berufungsführerin ferner geltend macht, bleiben – ebenso wie alle miteingeklagten Zinsen – gemäß § 43 Abs. 1 GKG als Nebenforderung streitwertneutral (vgl. BGH, Beschl. v. 25.09.2007 - VI ZB 22/07, Rdn. 4 ff., juris = BeckRS 2007, 17108; ferner BDZ/Dörndorfer, GKG/FamGKG/JVEG, 5. Aufl., GKG § 43 Rdn. 2; BeckOK-KostR/Schindler aaO § 43 Rdn. 11; NK-GK/Schneider, 3. Aufl., § 43 Rdn. 16; Zöller/Herget aaO, § 4 Rdn. 13, m.w.N.).