Gericht | OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 26.10.2021 | |
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Aktenzeichen | 10 UF 22/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:1026.10UF22.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 23. März 2021 – 44 F 94/19 – aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Im Übrigen obliegt dem Amtsgericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 € festgesetzt.
I.
Die Mutter und der Vater sind die zunächst gemeinsam sorgeberechtigten, seit Anfang 2018 dauerhaft voneinander getrennt lebenden Eltern des zwölfjährigen B... und des achtjährigen K... P.... Beide Kinder wurden nach der Trennung der Eltern zunächst im Wechselmodell, anschließend im erweiterten Wochenendumgang betreut. Mittlerweile werden die Kinder nahezu ausschließlich durch die Mutter betreut.
B... ist Diabetiker (Diabetes Mellitus Typ I). Die Mutter verfügt über eine medizinische Ausbildung, sie ist Kinderkrankenschwester und hat wegen B...s Erkrankung eine Fortbildung als Diabetesfachberaterin absolviert. Während die Eltern zunächst gemeinsam einen schulmedizinischen Ansatz verfolgten, steht der Vater nunmehr auch alternativen Behandlungsmethoden offen gegenüber. Dadurch spitzen sich die ohnehin großen Konflikte der beiden Eltern weiter zu.
Die Mutter hat erstinstanzlich beantragt, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Gesundheitssorge für die beiden Kinder zu übertragen. Der Vater hat im amtsgerichtlichen Termin am 8. Januar 2021 erklärt:
"Ich bin damit einverstanden, dass meine Söhne B... P..., geboren am … .2009, und K... P..., geboren am … .2012, ihren Lebensmittelpunkt bei der Antragstellerin hier in der Stadt … haben."
Anschließend schlossen Mutter und Vater im Termin nach Anhörung von Verfahrensbeiständin und Kindern den nachfolgend auszugsweise wiedergegebenen
„Umgangsvergleich:
1.) Der Antragsgegner ist berechtigt und verpflichtet, mit seinen Söhnen B... und K... P... wie folgt Umgang zu haben:
In den ungeraden Kalenderwochen von donnerstags nach der Schule bis zum darauffolgenden Montag zum Schulbeginn. Für den Fall, dass die Kinder keine Schule haben sollten, beginnt die Umgangszeit donnerstags um 16:00 Uhr und endet montags um 7:15 Uhr. Der Antragsgegner und die Antragstellerin sind damit einverstanden, dass die Kinder dann jeweils zu Fuß die Schule oder die Wohnung des anderen Elternteils aufsuchen.“
[...]
4.) Die Antragstellerin und der Antragsgegner nehmen den Hinweis der Sachverständigen ernst, dass aus ihrer Sicht und aus Sicht der Verfahrenbeiständin K... ein Bedürfnis nach mehr Umgang mit dem Antragsgegner hat. Sie werden daher beide sehr aufmerksam auf die Bedürfnisse ihrer Söhne achten und es ihnen ermöglichen, über die in diesem Vergleich getroffenen Regelungen hinaus nach gemeinsamer Absprache Umgang mit dem Antragsgegner zu haben.“
Das Amtsgericht hat ferner die Gesundheitssorge mit Beschluss vom 9. Februar 2021 der Mutter zur alleinigen Ausübung übertragen, das Verfahren im Übrigen für erledigt erklärt und insgesamt über die Kosten des Verfahrens entschieden.
Der Vater hat den mit dem Vergleichsschluss bestimmten Umgang mit seinen Kindern jedoch auch auf Aufforderungen der Mutter nicht wahrgenommen. Mit Schriftsatz vom 11. März 2021 hat die Mutter deshalb beantragt, das Amtsgericht solle auf die Verhängung eines Ordnungsgsmittels bei Zuwiderhandlung hinweisen. Daraufhin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 23. März 2021 den im Termin am 8. Januar 2021 geschlossenen Umgangsvergleich gebilligt und einen Hinweis auf der Grundlage von § 89 Abs. 2 FamFG erteilt.
Gegen diese gerichtliche Billigung richtet sich die Beschwerde des Vaters. Er meint, es fehle an der erforderlichen Anhörung der Kinder und des Jugendamtes vor der Billigung. Auch sei die mehr als zwei Monate nach Vergleichsschluss erfolgte Billigung deutlich zu spät vorgenommen und habe daher schon unter diesem Gesichtspunkt nicht ohne erneute Anhörung ergehen dürfen. Darüber hinaus sehe er sich aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Wahnehmung des vereinbarten Umgangs in der Lage. Insgesamt habe schon zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Billigung des Vergleichs sein Einvernehmen mit diesem Vergleich nicht mehr vorgelegen.
Der Vater beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Amtsgerichts vom 23. März 2021 aufzuheben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Die Mutter beantragt,
die Beschwerde zurückweisen.
Die Mutter verteidigt die amtsgerichtliche Entscheidung. Der Vater sei schon nicht beschwerdebefugt, weil er lediglich die Verletzung formeller Voraussetzungen für den Erlass des Billigungsbeschlusses geltend mache und sich dagegen nicht auf einen Verstoß des Billigungsbeschlusses gegen das Kindeswohl berufe. Sie, die Mutter bestehe weiterhin auf einer Umgangswahrnehmung durch den Vater, da die Kinder immer wieder deutlich machten, dass sie sehr gerne beim Vater seien. Die gesundheitlichen Gründe auf Seiten des Vaters seien nur vorgeschoben, der Vater kümmere sich schließlich auch um die Kinder seiner neuen Lebensgefährtin.
Der Senat hat die Kinder im Beisein der Verfahrensbeiständin und die übrigen Beteiligten mündlich angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Anhörung wird auf den Anhörungsvermerk zum Senatstermin vom 5. Oktober 2021 Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.
1. Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig.
Gegen den Beschluss, mit dem eine Umgangsvereinbarung gebilligt wird, ist die Beschwerde statthaft. Für die Frage der Beschwerdebefugnis kommt es dabei allein auf das Vorliegen der materiellen Beschwer an. Ob der Beschwerde führende Elternteil der Umgangsvereinbarung zuvor zugestimmt hat, ist unerheblich (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 – XII ZB 507/18 –, Rn. 22, juris). Der Vater hat mit seinem Vorbringen, er sehe sich zum Umgang mit seinen Kindern nicht in der Lage, auch hinreichend vorgebracht, dass der Billigungsbeschluss nach seiner Auffassung dem Kindeswohl widerspricht. Wenn nämlich tatsächlich eine ernsthafte und dauerhafte Umgangsverweigerung beim Vater vorliegt, dann kann ein dennoch stattfindender Umgang trotz des entsprechenden Wunsches der Kinder dem Kindeswohl widersprechen (BVerfG, Urteil vom 1. April 2008 – 1 BvR 1620/04 –, BVerfGE 121, 69-108; siehe aber auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. November 2020 – 3 UF 156/20 –, juris).
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 9. Februar 2021, mit dem es die Gesundheitssorge der Mutter übertragen hat, eine Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen festgestellt hat. Denn die Teilerledigung bezieht sich auf die Erklärung des Vaters, er sei mit einem Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Mutter einverstanden, und damit auf den Verfahrensgegenstand Aufenthaltsbestimmungsrecht. Die Frage des Umgangs ist damit von der Teilerledigung nicht berührt. Schon aus diesem Grund kann der Beschluss vom 9. Februar 2021 auch nicht als konkludente Billigung der Umgangsvereinbarung angesehen werden (vgl. hierzu Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. Dezember 2011 – 10 UF 230/11 –, Rn. 21, juris). Daher kann der Senat auch offenlassen, ob eine konkludente Billigung der Umgangsvereinbarung überhaupt möglich ist.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Billigung der Umgangsregelung nach § 156 Abs. 2 S. 2 FamFG lagen nicht vor.
Zwar hat das Amtsgericht die erforderliche Anhörung der Kinder vorgenommen, eine Zustimmung des Jugendamtes war mangels Antrags nach § 162 Abs. 2 S. 2 FamFG nicht erforderlich. Doch lag schon im Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Billigung am 23. März 2021 - und damit mehr als zwei Monate nach Abschluss der Umgangsvereinbarung am 8. Januar 2021 - das erforderliche Einvernehmen des Vaters nicht mehr vor. Denn schon aus den Schriftsätzen der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter vom 11. März und 18. März 2021, die dem Amtsgericht bei Beschlussfassung am 23. März 2021 vorlagen, geht das fehlende Einverständnis des Vaters mit der Umgangsvereinbarung hervor. So hat der Vater ausweislich des Schriftsatzes vom 11. März 2021 die vereinbarten Umgänge trotz mehrfacher Aufforderungen nicht wahrgenommen und ausweislich einer als Anlage vorgelegten E-Mail vorgebracht „Bitte mach Dir Gedanken um die Betreuung unserer Kinder da ich sie vorerst nicht nehmen kann“ (Bl. 218 d.A.). Dieses Verhalten hat sich ausweislich des Schriftsatzes vom 18. März 2021 fortgesetzt, weil der Vater die Umgänge trotz mehrfacher Aufforderungen weiterhin nicht wahrgenommen hat. Hierzu hat der Vater in einer weiteren E-Mail mitgeteilt: „wie bereits mehrfach abgesprochen, kann ich die Kinder vorerst nicht zu den üblichen Zeiten nehmen“ (Bl. 224 d.A.). Schon daraus war erkennbar, dass das bei Abschluss der Vereinbarung am 8. Januar 2021 bestehende Einverständnis nicht mehr bestand und damit die Voraussetzungen für den Erlass des Billigungsbeschlusses am 23. März 2021 nicht mehr vorlagen.
Darüber hinaus wäre ein Widerruf des Einvernehmens bis zur gerichtlichen Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz ohnehin weiter möglich gewesen. Der Widerruf kann auch nach Erlass des erstinstanzlichen Billigungsbeschlusses noch erfolgen, wenn dieser mit der zulässigen Beschwerde angefochten wurde (Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 156 FamFG, Rn. 57; siehe auch BGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 – XII ZB 507/18 –, Rn. 22, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2014 – 10 UF 244/13 –, Rn. 20, juris). Da der Vater auch während des Beschwerdeverfahrens und seiner Anhörung beim Widerruf seines Einverständnisses geblieben ist, lagen auch danach die Voraussetzungen für die Billigung der Umgangsvereinbarung nicht vor.
3. Angesichts des der Aufhebung unterliegenden Bewilligungsbeschusses macht der Senat im Rahmen seines Prognosespielraums (Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 69 FamFG, Rn. 12) von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG auf den Antrag des Vaters an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Angesichts der Schriftsätze der Mutter vom 11. März und 18. März 2021 und der dort ersichtlichen Umgangsverweigerung des Vaters wäre das Amtsgericht jedenfalls zur erneuten Anhörung des Vaters vor Beschlusserlass über die Umgangsvereinbarung verpflichtet gewesen. Dieser Verfahrensfehler führt zur Notwendigkeit einer umfangreichen oder aufwändigen Beweisaufnahme bzw. vergleichbaren Verfahrenshandlungen, da der Abschluss einer Umgangsvereinbarung nicht mehr im Raume steht. Da die Frage des Umgangs in der ersten Instanz erstmals bei Abschluss der Umgangsvereinbarung thematisiert worden ist und das Verfahren im Übrigen die Frage nach dem Aufenthaltsbestimmungsrecht und der Gesundheitssorge betraf, ist den Beteiligten nicht nur erstmals Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Ausgestaltung des Umgangs zu gewähren. Daher dürfte abhängig vom insoweit noch nicht abschätzbaren Gang des Verfahrens jedenfalls eine Anhörung aller Beteiligter, unter Umständen sogar die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Umgang und den Umständen der etwa fortbestehenden väterlichen Umgangsverweigerung erforderlich werden.
Im Hinblick auf den großen Umfang der damit einhergehenden Ermittlungen im Rahmen des insoweit am Anfang stehenden Verfahrens wäre eine Entscheidung durch den Senat untunlich. Daher kann der Senat auch offenlassen, ob die Aufhebung und Zurückverweisung nicht schon gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG angezeigt ist. Dies wird in einer solchen Konstellation teilweise vertreten, weil das Amtsgericht mit dem Wegfall eines verfahrensabschließenden gerichtlich gebilligten Vergleichs nach § 156 Abs. 2 FamFG noch "in der Sache", also über das verfahrensgegenständliche Umgangsbegehren zu entscheiden habe (in diesem Sinne Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 10. September 2019 – 9 UF 21/19 –, Rn. 8, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. August 2017 – II-1 UF 113/17 –, Rn. 11, juris).
4. Mit der Aufhebung und Zurückverweisung hat das Gericht erster Instanz auch über die Kosten der Beschwerde zu entscheiden (vgl. Abramenko in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 69 FamFG, Rn. 20). Der Senat macht allerdings von der ihm nach § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG eröffneten Möglichkeit Gebrauch und ordnet die Nichterhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren an.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 70 FamFG).
6. Gemäß §§ 40, 45 FamGKG beträgt der Regelverfahrenswert für nach dem 01.01.2021 eingeleitete Beschwerdeverfahren (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4, 13 Abs. 3 KostRÄG, § 63 Abs. 1 FamGKG) in Kindschaftssachen 4.000 €; gemäß § 45 Abs. 2 FamGKG auch dann, wenn mehrere Kinder betroffen sind.