Gericht | VG Frankfurt (Oder) 10. Kammer | Entscheidungsdatum | 24.11.2021 | |
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Aktenzeichen | 10 K 95/21.A | ECLI | ECLI:DE:VGFRANK:2021:1124.10K95.21.A.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 71a Abs 1 AsylVfG 1992 |
Für die Frage, ob ein Zweitantrag vorliegt, weil ein Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossen ist, kommt es auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland an.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. Januar 2021 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben 1990 geboren und tschadischer Staatsangehöriger. Er äußerte am 19. Januar 2018 in der Erstaufnahmeeinrichtung des Regierungspräsidiums Karlsruhe ein Asylbegehren, wovon das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am selben Tag Kenntnis erlangte. Am 29. Januar 2018 stellte der Kläger beim Bundesamt einen förmlichen Asylantrag.
In der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 29. Januar 2018 gab der Kläger an, 2016 in Frankreich einen Asylantrag gestellt zu haben. Sein Antrag sei zweimal abgelehnt worden; einmal von einer Behörde und einmal von einem Gericht. Danach habe er seine Wohnung verlassen müssen.
Der Kläger legte ferner den Bescheid der französischen Asylbehörde (Office Français de Protection des Refugés et Apatrides, OFPRA) vom 16. Juni 2017 sowie das am 29. November 2017 verkündete Urteil des französischen Asylgerichtshofs (Cour Nationale du Droit d‘asile, CNDA) vor.
Im Rahmen der schriftlichen Anhörung zum Zweitantrag am 29. Januar 2018 trug der Kläger vor, keine anderen als die bereits in Frankreich vorgebrachten Asylgründe geltend machen zu wollen. Sein Leben im Tschad sei zerstört. Sein Eigentum und sein Haus seien von der Regierung beschlagnahmt worden; zudem sei er ein Jahr und einen Monat im Gefängnis gewesen. Im Fall einer Rückkehr in den Tschad werde man ihn festnehmen und im Gefängnis töten. Bereits während seines letzten Gefängnisaufenthalts habe man ihn mit dem Tod bedroht.
Am 2. Februar 2018 akzeptierten die französischen Behörden die Wiederaufnahme des Klägers auf der Grundlage des Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO).
Mit Bescheid vom 5. Februar 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag wegen der internationalen Zuständigkeit Frankreichs für dessen Prüfung als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Frankreich an. Gegen den Bescheid erhob der Kläger vor dem erkennenden Gericht Klage (VG 5 K 475/18.A). Das Klageverfahren wurde durch Beschluss vom 17. April 2018 eingestellt, nachdem die Klage wegen Nichtbetreibens des Verfahrens als zurückgenommen galt.
Nach Ablauf der Überstellungsfrist hob das Bundesamt den Bescheid vom 5. Februar 2018 durch Bescheid vom 25. September 2018 auf und ging in das nationale Verfahren über.
Mit Bescheid vom 20. Januar 2021, zugestellt am 26. Januar 2021, lehnte das Bundesamt den in Deutschland gestellten Asylantrag erneut als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte das Fehlen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG fest (Ziffer 2). Ferner forderte es den Kläger zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids auf und drohte für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung in die Republik Tschad an. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und den Lauf der Ausreisefrist setzte das Bundesamt bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist aus; im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht (Ziffer 3). Schließlich verfügte das Bundesamt ein auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG (Ziffer 4). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass es sich bei dem Asylantrag des Klägers um einen Zweitantrag handele, da zuvor ein Asylverfahren in Frankreich erfolglos abgeschlossen worden sei. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien nicht gegeben. Auf den Bescheid wird Bezug genommen.
Gegen den Bescheid vom 20. Januar 2021 hat der Kläger am 1. Februar 2021 Klage vor dem erkennenden Gericht erhoben und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt.
Der Kläger trägt ergänzend vor, nicht ausreichend angehört worden zu sein. Zudem fehle es an einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Asylantrags in Frankreich; jedenfalls sei nicht erkennbar, dass die vorgelegten Dokumente übersetzt worden seien. Ferner drohe ihm im Tschad ein ernsthafter Schaden wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie; dies sei auch von Amts wegen als Wiederaufgreifensgrund zu berücksichtigen gewesen. Der Kläger legt schließlich medizinische Schriftstücke vor, ausweislich derer er 2017 in Frankreich wegen Schmerzen im linken Knöchel in Behandlung war.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 20. Januar 2021 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
Auf eine Anfrage der Beklagten zum Ablauf der Frist zur Einlegung von Rechtsbehelfen beim französischen Staatsrat (Conseil d‘ Ḗtat) gegen das Urteil des CNDA hat eine Verbindungsbeamtin des Bundesamtes mit Mitteilung vom 13. April 2021 erklärt, dass laut Auskunft der französischen Dublin-Unit die zweimonatige Frist am 8. Januar 2018 abgelaufen sei.
Eine an den CNDA gerichtete Anfrage des Gerichts zu den näheren Umständen ist unbeantwortet geblieben.
Auf den Eilantrag (VG 10 L 31/21.A) hin hat der seinerzeitige Einzelrichter mit Beschluss vom 1. März 2021 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Bundesamtsakte und der Gerichtsakte zum Verfahren VG 10 L 31/21.A Bezug genommen.
Die Klage hat Erfolg.
Die Anfechtungsklage ist nach § 42 Abs.1 Var. 1 VwGO statthaft (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 13) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat der Kläger die einwöchige Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 2. Hs. AsylG gewahrt.
Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid vom 20. Januar 2021 ist zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG liegen nicht vor. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Bei dem Asylantrag des Klägers handelt es sich entgegen der Auffassung der Beklagten um keinen Zweitantrag gemäß § 71a Abs. 1 AsylG. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Dies ist hier nicht der Fall.
Die Frage, ob ein zuvor in einem sicheren Drittstaat betriebenes Asylverfahren durch bestandskräftige Ablehnung oder endgültige Einstellung beendet worden ist, richtet sich insgesamt nach dem betreffenden ausländischen Asylverfahrensrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4.16 – juris). Es obliegt dem Bundesamt, den negativen Abschluss des Erstverfahrens im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu belegen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, 30. Ed., Juli 2021, § 71a AsylG Rn. 3).
Zwar hat der Kläger ausweislich der vorgelegten Dokumente sowie seiner eigenen Angaben bereits in Frankreich einen Asylantrag gestellt, der erst von der französischen Asylbehörde und später durch Urteil des französischen Asylgerichtshofs abgelehnt worden ist. Hinzu kommt die Mitteilung der Verbindungsbeamtin des Bundesamtes vom 13. April 2021, dass laut Auskunft der französischen Dublin-Unit die zweimonatige Rechtsbehelfsfrist gegen das Urteil des CNDA am 8. Januar 2018 abgelaufen sei. Diese Mitteilung lässt sich aber nicht mit den Daten der vorgelegten Dokumente in Einklang bringen, wonach das am 29. November 2017 verkündete Urteil des CNDA am 5. Dezember 2017 zugestellt worden ist. Wie die zweimonatige Frist zur Beantragung einer Revision beim französischen Staatsrat unter diesen Umständen bereits am 8. Januar 2018 hätte abgelaufen sein können, erschließt sich nicht. Hinweise auf einen etwaigen Rechtsmittelverzicht des Klägers sind nicht ersichtlich. Auch wenn man grundsätzlich die Einholung einer entsprechenden Auskunft durch das Bundesamt als ausreichend für die Beantwortung der Frage ansieht, ob das Asylverfahren in dem anderen Staat erfolglos abgeschlossen worden ist, kann dies jedenfalls dann nicht gelten, wenn – wie hier – erhebliche Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der eingeholten Auskunft bestehen. Da die Beklagte die aufgezeigten Unstimmigkeiten nicht ausräumen konnte, geht dies in der hier vorliegenden Anfechtungssituation zu ihren Lasten.
Die Revision beim französischen Staatsrat ist auch als ordentlicher Rechtsbehelf und nicht etwa als Äquivalent zur Verfassungsbeschwerde in Deutschland anzusehen. Der Conseil d’ Ḗtat hat keine unmittelbare Entsprechung im deutschen Rechtssystem; neben Rechtsprechung gehört auch eine beratende Tätigkeit zu seinen Aufgaben (vgl. Bick, NVwZ 2018, 545, 547).
In seiner Funktion als oberstes Verwaltungsgericht, das in der Regel als Revisionsgericht entscheidet (vgl. Bick, NVwZ 2018, 545), unterscheidet sich sein Prüfprogramm nicht wesentlich von dem anderer Rechtsmittelgerichte (siehe die Ausführungen auf der Seite des CNDA, http://www.cnda.fr/Demarches-et-procedures/Voies-de-recours-contre-les-decisions-de-la-CNDA/Devant-le-Conseil-d-Etat, letzter Abruf 24. November 2021). So überprüft der Staatsrat keine Tatsachen, sondern Verfahrensrügen sowie die korrekte Rechtsanwendung durch den Asylgerichtshof (vgl. auch die Darstellung verschiedener asylrechtlicher Staatsrat-Entscheidungen bei Iljic, NVwZ 2018, 1022 ff.). Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass gegen das Urteil des CNDA noch ein ordentlicher Rechtsbehelf zur Verfügung stand (vgl. auch VG Potsdam, Beschluss vom 16. November 2017 – VG 6 L 1374/17.A – juris Rn. 9; dies voraussetzend wohl auch VG Frankfurt [Oder], Beschluss vom 24. Juni 2020 – VG 6 L 274/20.A). Dass bereits nach der ablehnenden Entscheidung des Asylgerichtshofs in Frankreich offenbar Leistungen eingestellt worden sind, da der Kläger nach eigenen Angaben seine Wohnung verlassen musste, führt für sich genommen zu keinem anderen Ergebnis.
Die Frist von zwei Monaten ab Zustellung des Urteils des CNDA (siehe http://www.cnda.fr/Demarches-et-procedures/Voies-de-recours-contre-les-decisions-de-la-CNDA/Devant-le-Conseil-d-Etat, letzter Abruf 24. November 2021) für einen Rechtsbehelf des Klägers war zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland noch nicht abgelaufen – und zwar unabhängig davon, ob man auf das in der Erstaufnahmeeinrichtung des Regierungspräsidiums Karlsruhe geäußerte Asylbegehren vom 19. Januar 2018 oder auf den förmlichen Asylantrag beim Bundesamt vom 29. Januar 2018 abstellt.
Zwar ist nach einer teilweise vertretenen Auffassung für die Frage des Zeitpunkts des erfolglosen Abschlusses eines in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Asylverfahrens der Zeitpunkt des Übergangs der Zuständigkeit für das Asylverfahren auf die Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe der Regelungen der Dublin-III-Verordnung entscheidend. Im vorliegenden Fall ist die Zuständigkeit für das Asylverfahren mit Ablauf des 2. September 2018 auf Deutschland übergegangen, nämlich sechs Monate nach der ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 2. März 2018 gegen den zunächst ergangenen - am 25. September 2018 wieder aufgehobenen - sog. Dublin-Bescheid des Bundesamts vom 5. Februar 2018, mit dem u.a. die Abschiebung des Klägers nach Frankreich wegen dessen internationaler Zuständigkeit angeordnet worden war (vgl. Art. 29 Abs. 2 Satz 1, Abs.1 Dublin-III-VO). Für eine solche Auslegung des § 71a Abs. 1 AsylG scheint dessen Zweck zu sprechen, nämlich die Beschleunigung des Asylverfahrens, wenn ein Asylsuchender bereits in einem anderen sicheren Drittstaat ein Asylverfahren durchlaufen hat (für diese Auffassung vgl. VG Hannover, Beschluss vom 7. Februar 2019 – 3 B 217/19 – juris Rn. 33). Befürworter dieser Ansicht führen zudem den Vorrang der Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, der zum Handlungsregime der Dublin-III-Verordnung zählt, vor § 71a i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG an (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 3. November 2020 – 1 LB 28/20 – juris Rn. 33 ff.), verhalten sich indes nicht dazu, dass das Bundesamt bei Scheitern des Dublin-Verfahrens den (ursprünglich in Deutschland gestellten) Asylantrag weiter zu prüfen hat (vgl. VG Frankfurt [Oder], Beschluss vom 1. März 2021 – VG 10 L 31/21.A).
Nach der auch von der Kammer vertretenen Gegenauffassung ist jedoch auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland und nicht erst auf einen etwaigen späteren Zuständigkeitsübergang abzustellen, was mit dem klaren Wortlaut des § 71a Abs. 1 AsylG begründet wird. Neben dem insofern bereits unmissverständlichen ersten Halbsatz von § 71a Abs. 1 AsylG („Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens … im Bundesgebiet einen Asylantrag…“) spricht dafür die im Folgenden genannte – zusätzliche – Voraussetzung, wonach ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn u.a. die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese weitere Voraussetzung wäre überflüssig, wenn für die Beurteilung, ob ein erfolgloser Abschluss in einem anderen Mitgliedstaat im Sinne der Vorschrift gegeben ist, erst auf den Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs abzustellen wäre (vgl. VG Frankfurt [Oder], Beschluss vom 13. Februar 2017 – VG 6 L 665/17.A – juris Rn. 6; für diese Ansicht auch VG Augsburg, Beschluss vom 9. Juli 2018 – Au 4 S 18.31170 – juris Rn. 10). Der Wortlaut der Norm differenziert also ausdrücklich zwischen den Voraussetzungen für das Vorliegen eines Zweitantrags und den sonstigen Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, 30. Ed., Juli 2021, § 71a AsylG Rn. 4).
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 14. Dezember 2016 ( – 1 C 4.16 – juris Rn. 40) die Frage offen gelassen. Den Entscheidungsgründen lässt sich allerdings entnehmen, dass § 71a AsylG als überwiegend nationale Vorschrift angesehen wird. Vor dem Hintergrund von Art. 40 und Art. 2 Buchstabe q der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes vom 26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie) ist von einer „Kann-Regelung“ auszugehen, die unionsrechtlich nicht determiniert ist (ähnlich auch BVerwG, Urteil vom 17. November 2020 – 1 C 8.19 – juris Rn. 17 ff. zum Familienasyl nach § 26 AsylG). Bei unionsrechtlich nicht zwingenden Vorschriften können die deutschen Auslegungsregeln zur Anwendung kommen, deren Ausgangspunkt der Wortlaut der Norm ist.
Der Linie der Kammer entsprechend wird der letztgenannten Auffassung gefolgt. Danach ist im Fall des Klägers für die Frage, ob ein Zweitantrag vorliegt, auf die spätestens am 29. Januar 2018 erfolgte Asylantragstellung in Deutschland als maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen; an diesem Stichtag war das Asylverfahren in Frankreich aus den oben ausgeführten Gründen noch nicht erfolglos abgeschlossen.
Wird die Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben, sind auch die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2 des Bescheids), sowie die Abschiebungsandrohung nach §§ 34 Abs. 1, 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG (Ziffer 3 des Bescheids) aufzuheben. Denn beide Entscheidungen sind dann jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 21). Dies muss auch für das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot gelten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.