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Entscheidung 21 Ks 1/20


Metadaten

Gericht LG Cottbus 1. Große Strafkammer Entscheidungsdatum 31.08.2020
Aktenzeichen 21 Ks 1/20 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

I. Der Angeklagte ist des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig.

Er wird daher zu einer Freiheitsstrafe von

9 (neun) Jahren

verurteilt.

II. Der Angeklagte wird dem Grunde nach verurteilt, an den Nebenkläger Schmerzensgeld und Schadenersatz zu zahlen. Es wird festgestellt, dass der Angeklagte zudem verpflichtet ist, dem Nebenkläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden aus der Tat vom 30. September 2019 zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Dritte übergegangen ist.

III. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens sowie die Kosten der Nebenklage, des Adhäsionsverfahrens und die dem Nebenkläger entstandenen Kosten zu tragen.

Angewendete Vorschriften:

§§ 211, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, 21, 22, 23, 49 Abs. 1, 52 StGB

Gründe

I. (Persönliche Verhältnisse)

Der Angeklagte ... ...... wurde am 19. März 1994 in ............ (…….) geboren. Gemeinsam mit seiner zwei Jahre älteren Schwester wuchs er bei seinen in Eltern in ............ auf. Die Beziehung der Eltern war von dem Alkoholkonsum des Vaters geprägt, der sowohl seine Ehefrau als auch die Kinder schlug, wenn er getrunken hatte. Auch von seiner Mutter erhielt der Angeklagte gelegentlich Schläge, wenngleich ihn diese nicht beeindruckten. Die Eltern trennten sich zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt.

Als der Angeklagte acht Jahre alt war, verzog die gesamte Familie nach ............ . Dort besuchte er die Grundschule. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigte der Angeklagte Verhaltensauffälligkeiten. So ärgerte und bestahl er andere Kinder, weshalb er alsbald in einer Sonderklasse unterrichtet wurde. Dennoch musste er die sechste Klasse wiederholen. Bereits im Alter von zwölf bzw. dreizehn Jahren begann der Angeklagte Alkohol zu konsumieren. Im Alter von 14 Jahren befand er sich erstmalig in einer Psychiatrie.

Seit dem Alter von 14 bzw. 15 Jahren ist bei dem Angeklagten eine Epilepsie-Erkrankung mit Grand-Mal-Anfällen (ICD-10: G40.9) bekannt, wobei die Ursache hierfür nicht diagnostiziert werden konnte. Diesbezüglich erhält er Medikamente, die er überwiegend regelmäßig einnimmt.

Ebenfalls zu dieser Zeit trat zu dem täglichen Konsum einer Flasche Wodka die Einnahme von Betäubungsmitteln, vor allem Marihuana (1 Gramm täglich) und Kokain (0,2 bis 0,5 Gramm täglich), hinzu. Nach eigenen Angaben sei er von einer Party zur anderen gezogen und habe auch während der Schulzeit Alkohol getrunken. Im Alter von 15 bzw. 16 Jahren befand sich der Angeklagte in einer therapeutischen Einrichtung in ............, wo seine Alkohol- und Drogenproblematik aufgearbeitet werden sollte. Er verließ die Einrichtung jedoch vorzeitig nach einem Jahr und führte den regelmäßigen Alkoholkonsum bis zum Alter von 18 Jahren fort.

Dies mag neben der Tatsache, dass er faul gewesen sei und sich eher vor der Schule oder auf dem Schulhof statt in der Klasse aufgehalten habe, ein Grund dafür gewesen sein, dass er die Hauptschule trotz der Tatsache, dass er die achte Klasse wiederholt hatte, ohne Abschluss verließ. Sodann durchlief der Angeklagte berufsfördernde Maßnahmen im nicht näher bekannten Umfang.

Im Alter von 17 Jahren begann er neben Alkohol, Marihuana und Kokain auch Heroin einzunehmen; dies rauchte er. Die Kammer konnte nicht aufklären, wie der Angeklagte in der Folgezeit bis zu seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg im Jahr 2012 lebte. Dort verbüßte er sodann eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten teilweise. Während der Haft holte er seinen Hauptschulabschluss nach, wobei er eine Durchschnittsnote von 2,1 erreichen konnte.

Nach seiner Inhaftierung zog er zu seiner Mutter nach ............. Diese verzog jedoch zu ihrem neuen Partner nach ............, wohin ihr der Angeklagte kurzzeitig folgte, aber alsbald nach ............ zog.

In den Jahren 2013 bis 2018 lebte er von Regelleistungen nach dem SGB II, wobei er nebenbei als Lagerist, Maler und Maurer arbeitete, ohne dies gegenüber der Agentur für Arbeit anzuzeigen. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt begann er eine Lehre zum Maurer, die er jedoch aufgrund seiner Epilepsie-Erkrankung im Jahr 2015 oder 2016 abbrechen musste.

In ............ bewegte er sich im Umfeld von Drogenkonsumenten. Er trank zwar weiterhin Alkohol, dies aber lediglich unregelmäßig. Recht bald nach seiner Entlassung wurde er von Heroin abhängig. So rauchte er täglich 0,5 bis ein Gramm, durchlief jedoch mehrfach kalte Entzüge. Zudem stand er in Kontakt zur Suchtberatung und absolvierte erfolglos mehrere Entgiftungen. Im Drogenmilieu lernte er seine Freundin, die auch Betäubungsmittel konsumierte, kennen und führte mit dieser eine zehnmonatige Beziehung. Sie verstarb jedoch. In der Folge verletzte sich der Angeklagte mit einem Messer im Bauch- und Brustbereich sowie am linken Arm.

In seiner Freizeit trainierte er zwei- bis dreimal wöchentlich Mixed Martial Arts.

Im August 2019 verzog der Angeklagte zunächst zu seiner Mutter, die zu ihrem Lebensgefährten nach ............ gezogen war. Da seine Mutter seine Anwesenheit eigentlich nicht wünschte und Angst vor ihm hatte, zog er auf ihre Vermittlung zu einer Bekannten, der Zeugin ............ in die ... in ... . Diese half ihm, Regelleistungen nach dem SGB II zu beantragen sowie bei der Suche nach einer eigenen Wohnung, welche er ab dem 11. Oktober 2019 in ... hätte anmieten können. Als er nach ... verzog, rauchte er täglich nur noch 0,1 Gramm Heroin, welches er in ... erwarb.

Nach seiner Inhaftierung in hiesiger Sache nahm er auch während der Untersuchungshaft für ca. eine Woche noch Heroin und Subutex, welches er in die Justizvollzugsanstalt auf nicht näher bekannte Weise eingeschmuggelt hatte, zu sich, um sich selbst runter zu dosieren. Er wurde bis zum 29. Oktober 2019 mit Doxepin, einem Beruhigungsmittel, behandelt.

Der Angeklagte ist bisher wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

1. Die Staatsanwaltschaft ............ sah am 8. Juni 2009 in dem Verfahren 171 Js 590/09 von der Verfolgung einer Körperverletzung und einer Bedrohung gemäß § 45 Abs. 1 JGG ab.

2. Die Staatsanwaltschaft ............ sah am 19. Juni 2009 von der Verfolgung einer gefährlichen Körperverletzung in dem Verfahren 171 Js 920/09 gemäß § 45 Abs. 1 JGG ab.

3. Am 22. Dezember 2009 sah die Staatsanwaltschaft ............ ferner von der Verfolgung eines Vergehens des gemeinschaftlichen Vortäuschens einer Straftat im Verfahren 171 Js 1869/09 gemäß § 45 Abs. 1 JGG ab.

4. Im Verfahren 171 Js 87/10 verwarnte das Amtsgericht Kerpen den Verurteilten am 18. März 2010 wegen einer Körperverletzung. Zudem legte es ihm die Erbringung von Arbeitsleistungen auf.

5. Wiederum das Amtsgericht Kerpen erkannte mit Urteil vom 15. Juli 2010 in dem Verfahren 171 Js 259/10 wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Vortäuschen einer Straftat auf eine Jugendstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

6. Mit Urteil vom 2. Dezember 2010 verhängte das Amtsgericht Kerpen in dem Verfahren 171 Js 899/10 wegen zwei Fällen der räuberischen Erpressung, Körperverletzung, Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Kerpen vom 15. Juli 2010 eine Einheitsjugendstrafe von achtzehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

7. Mit Urteil vom 20. Oktober 2011 erkannte das Amtsgericht Kerpen in dem Verfahren 171 Js 1414/10 wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Kerpen vom 15. Juli 2010 und 2. Dezember 2010 auf eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Diese Jugendstrafe verbüßte der Verurteilte teilweise in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg. Mit Beschluss vom 7. Februar 2013 setzte das Amtsgericht Heinsberg die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung aus.

8. Das Amtsgericht Brühl erkannte in dem Verfahren 172 Js 545/14 mit Urteil vom 25. September 2014 wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Kerpen vom 15. Juli 2010, 2. Dezember 2010 und 20. Oktober 2011 auf eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Jugendstrafe wurde nach zweimaliger Verlängerung mit Wirkung vom 6. Februar 2019 erlassen und der Strafmakel beseitigt.

9. Das Amtsgericht Bonn verhängte in dem Verfahren 36 Js 1419/15 wegen Erschleichen von Leistungen mit Strafbefehl vom 21. September 2015 eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,00 Euro.

10. Das Amtsgericht Wipperfürth erkannte in dem Verfahren 981 Js 3181/17 mit Urteil vom 9. Mai 2018 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, eine Freiheitsstrafe von sechs Wochen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafaussetzung wurde widerrufen. Der Verurteilte verbüßte die Freiheitsstrafe vollständig.

11. Mit Strafbefehl vom 5. April 2019 verhängte das Amtsgericht ............ im Verfahren 722 Js 4811/18 wegen Erschleichen von Leistungen eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15,00 Euro.

II. (Tatsächliche Feststellungen)

Am 30. September 2019 hielten sich der Angeklagte und der Zeuge ... in der Wohnung von dessen Mutter, der Zeugin ............, in der ... in ... auf und tranken zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt am Nachmittag jeder drei Flaschen Schlossbier à 0,5 Liter. Im Anschluss begaben sich die beiden zum Netto-Markt in ..., wo der Angeklagte gegen 16:00 Uhr eine 0,7 Liter-Flasche Wodka stahl. Sodann begaben sie sich zur bft-Tankstelle, in der die Zeugin ... arbeitete. Dort aßen sie Würstchen, verließen etwa nach einer halben Stunde die Tankstelle und gingen zurück zur Wohnung der Zeugin ... . Als sie dort gegen 17:00 Uhr ankamen, begannen sie Wodka aus der gestohlenen Flasche zu trinken. Bis etwa 19:00 Uhr leerten sie die Flasche vollständig, wobei jeder etwa die Hälfte trank. Sodann verließen sie erneut die Wohnung, um den nahegelegenen Rewe-Markt aufzusuchen, um dort weitere Alkoholika zu besorgen. Auf dem Weg dorthin bedrohte der Angeklagte im Stadtgebiet von ... mehrere Passanten, wobei er diesen auch ein Messer vorhielt, und warf mehrere Verkehrsschilder um.

Unterdessen trafen sich der Nebenkläger, der spätere Geschädigte und Zeuge ............, und der Zeuge ... gegen 20:00 Uhr an einer Mauer in der Nähe der Kirche, welche südlich der Sparkasse, die im Kreuzungsbereich der …………/…………. in ... liegt, auf eine Zigarette. Im Bereich zwischen der Sparkasse und der Kirche befindet sich der Kirchhof, an welchen sich in westlicher Richtung eine etwa 80 Zentimeter hohe Feldsteinmauer sowie im Anschluss hieran eine gleich hohe Mauer anschließt. Dahinter befindet sich in westlicher Richtung eine Wiese, an welche sich in westliche Richtung ein blauer Zaun, an welchen sich wiederum ein Grundstück und sodann die Kohlgasse, welche in nördlicher Richtung in die Alte Gartenstraße mündet, anschließt.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor 20:50 Uhr kamen zufällig der Angeklagte und der Zeuge ... ebenfalls an diesen Ort. Der Angeklagte versetzte dem Zeugen ... unvermittelt eine Backpfeife und nahm sich dessen Zigarette, die dieser in der Hand hielt. Zudem holte er ein Küchenmesser der Marke Ernesto mit einer Klingenlänge von ca. 21 Zentimetern unter seiner Jacke hervor und drohte dem Geschädigten und dem Zeugen ..., sie abzustechen. Daraufhin flüchteten beide in verschiedene Richtungen. Der Angeklagte steckte das Messer wieder ein und rief dem Zeugen ..., der sich zwar hinter die Mauer in Richtung ………… begeben, jedoch lediglich zehn bis dreißig Meter entfernt hatte, zu, dass dieser sein Handy habe liegen lassen, alles nur ein Spaß sei und er zurückkommen könne, was dieser auch tat.

Der Zeuge ... nahm sodann sein Handy an sich und rief den Geschädigten an. Dieser hatte aufgrund des Geschehenen ein ungutes Gefühl und erwog die Polizei zu rufen. Nachdem ihm der Zeuge ... jedoch versicherte, dass alles in Ordnung sei, kehrte er zu der Mauer zurück, da er seinem Freund ver ... e. Dort angekommen, erkannte er den ..., mit dem er die gleiche Klasse im Oberstufenzentrum besuchte. Der Angeklagte, der schräg rechts vor dem Geschädigten stand, gab sowohl dem Geschädigten als auch dem Zeugen ..., die beide dicht vor der Mauer mit dem Rücken zu dieser standen, eine Zigarette und sie rauchten gemeinsam. Währenddessen unterhielten sich die vier jungen Männer u. a. darüber, wo man in ... Betäubungsmittel erwerben könne und wo der Angeklagte herkomme. Das Gespräch dauerte zwischen fünf bis zehn Minuten und verlief ruhig und friedlich.

Als sich der Geschädigte R...., der sich zu diesem Zeitpunkt infolge der geführten freundlichen Unterhaltung und der Tatsache, dass er zwischenzeitlich seinen Mitschüler ... erkannt hatte, keinerlei Gefahr mehr versah, zu seinem links von ihm stehenden Freund ... umdrehte, holte der Angeklagte, der die Situation bewusst hierfür ausnutzte, vom Geschädigten unbemerkt erneut das Küchenmesser hervor. Er versetzte ihm, der völlig überrascht und deshalb ohne jede Abwehrchance war, in dem Moment, als er sich wieder dem Angeklagten zuwandte, hiermit einen Stich in die rechte Brust. Der Zeuge ..., der das Ziehen des Messers noch wahrgenommen hatte, weil er dem Angeklagten gegenüberstand, floh sofort, rief jedoch einen Freund an, den er bat, den Notruf anzurufen.

Unterdessen versetzte der Angeklagte, der den Geschädigten mit seiner linken Hand an dessen rechten Schulter festhielt, damit er nicht fliehen konnte, in schneller Folge weitere sechzehn Stiche (drei weitere Stiche in den Bauch- und Brustbereich, einen Stich in Richtung des Kopfes sowie jeweils sechs Stiche in den rechten und linken Arm). Der Geschädigte versuchte mit seiner linken Hand die rechte Hand des Angeklagten, mit der dieser das Messer führte, zu ergreifen, um weitere Stiche abzuwehren. Er versuchte zudem fortlaufend, sich dem Angeklagten zu entziehen, was ihm letztlich durch den Griff in das Messer, der den Angeklagten kurzzeitig aus dem Konzept brachte, gelang. Er kletterte über die Mauer, wobei ihm der Angeklagte einen letzten Stich in den Rücken versetzte. Sodann lief der Geschädigte über die Wiese, kletterte über den blauen Zaun und lief die Kohlgasse in Richtung der Alten Gartenstraße entlang. Als er diese erreichte, lief er weiter in östliche Richtung und setzte sich aufgrund des Blutverlusts stark geschwächt auf den Platz vor einem Restaurant im Kreuzungsbereich Alte Gartenstraße/Kleinleipischer Straße. Während seiner Flucht versuchte er zunächst Autos anzuhalten, was misslang. Daraufhin rief er einen Freund an und bat diesen den Notruf zu wählen. Nach etwa acht Minuten traf ein Rettungswagen ein. Der Geschädigte wurde vor Ort behandelt und in ein Krankenhaus verbracht, wo er chirurgisch versorgt wurde. Lediglich aufgrund der sehr schnellen medizinischen Versorgung konnte sein Leben gerettet werden.

Unterdessen flüchteten auch der Angeklagte und der Zeuge ... vom Tatort. Sie liefen den Weg in Richtung Sparkasse in nördlicher Richtung entlang und bogen sodann in die Kleinleipischer Straße ein, welche sie in westlicher Richtung entlangliefen. Kurz bevor der Angeklagte das Tatmesser auf einer Höhe von 1,86 Meter in eine zwei Meter hohe Hecke, welche das Grundstück Kleinleipischer Straße 17 zur Straße hin begrenzt, steckte, sagte er: „Scheiße, was habe ich getan?“

Sodann begaben sich der Angeklagte und der Zeuge ... in die Wohnung der Zeugin ... . Dort zog der Angeklagte die von ihm getragene Kleidung (eine graue Winterjacke, ein T-Shirt, eine graue Kapuzenjacke, eine Jeans sowie ein Paar Turnschuhe) aus, versteckte diese in einem Kissenbezug neben einem Bett in dem Zimmer, in dem er schlief, und zog sich neue Kleidung an. Zudem sagte er zu dem Zeugen ..., dass „der Junge noch Lebenswillen“ gehabt hatte, da er weggelaufen sei.

Als die Zeugin ... gegen 22:00 Uhr nach dem Ende ihrer Spätschicht an der bft-Tankstelle zurückkam, schilderte ihr der sichtlich nervöse Angeklagte, dass er mit ihrem Sohn, dem Zeugen ..., draußen gewesen und beide auf Russen getroffen seien. Mit diesen sei der Zeuge ... mitgegangen. Da die Geschichte, die der Angeklagte zudem durcheinander erzählte, aus ihrer Sicht nicht stimmig war, und sie sich darüber ärgerte, dass der Angeklagte ihren Sohn mit Russen hat ziehen lassen, brach sie das Gespräch ab und schickte die jungen Männer ins Bett.

Zuvor telefonierte der Angeklagte um 23:11 Uhr im Beisein der Zeugin ... mit seiner Mutter und erzählte dieser, dass er „Scheiße gebaut“ habe, dass es eine Messerstecherei gegeben und dass der Zeuge ... dies gesehen habe. Dem Telefongespräch war eine Kommunikation mit seiner Mutter mittels Textnachrichten gegen 23:00 Uhr vorausgegangen, in denen er sie u. a. bat, ihn anzurufen. Zudem schrieb er: „Ein Mensch ist tot.“

Gegen 02:00 Uhr erschienen Polizeibeamte, welche sowohl den Angeklagten als auch den Zeugen ... als Tatverdächtige ermittelt hatten, und nahmen beide vorläufig fest. Auf der Wache wirkte der Angeklagte um 03:15 Uhr an einem Atemalkoholtest sowie einem Drogenvortest mit. Hierbei wurde eine Atemalkoholkonzentration von 0,45 Promille festgestellt. Der Drogenvortest war negativ. Der Angeklagte war bei Begehung der Tat nicht ausschließbar erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt.

Infolge der Stiche sowie des weiteren Kampfgeschehens erlitt der Geschädigte folgende Verletzungen:

eine 3,5 Zentimeter lange von rechts oben nach links unten angeordnete glattrandige Hautwunde des rechten Brustkorbs sowie eine 1,5 Zentimeter lange von leicht links oben nach rechts unten angeordnete glattrandige Hautwunde des linken Brustkorbs, eine vier Zentimeter lange glattrandige Wunde im linken Achselbereich, eine 4,5 Zentimeter lange glattrandige Hautwunde unmittelbar unterhalb der rechten Achselhöhle, eine 2,5 Zentimeter lange glattrandige Hautwunde unterhalb des rechten Rippenbogens sowie eine 2,5 cm lange glattrandige Hautwunde der rechten Flankenregion.

Der Stich in den Rücken führte zu einer ein Zentimeter langen, glattrandigen Hautwunde links unterhalb der Rippen.

An seiner linken Hand befanden sich eine 2,5 Zentimeter lange, glattrandige Hautwunde der Schwimmhaut zwischen dem ersten und zweiten Finger an der Handfläche, eine zwei Zentimeter lange, glattrandige Hautwunde unmittelbar vor dem Daumenballen, eine 2,5 Zentimeter lange, in Fingerlängsrichtung angeordnete, glattrandige Hautwunde der Beugeseite des fünften Fingers am Grundglied, eine vier Zentimeter lange, in Fingerlängsrichtung angeordnete, glattrandige Hautwunde der Außen- und Streckseite des fünften Fingers im Bereich des Mittelgelenks und Grundgliedes, eine ein Zentimeter lange, in Fingerlängsrichtung angeordnete, glattrandige Hautwunde der Streckseite des vierten Fingers am Mittelglied sowie eine im Durchmesser 1,5 Zentimeter betragende, unregelmäßig geformte Hautschürfung am Grundgelenk der Streckseite des zweiten Fingers an der dem dritten Finger zugewandten Region.

Am rechten Arm erlitt der Geschädigte insgesamt sieben glattrandige Hautwunden: eine drei Zentimeter und eine zwei Zentimeter lange Wunde an der Vorderseite des Oberarms unmittelbar in Höhe der Achselhöhle, eine 3,5 Zentimeter lange Wunde an der Außenseite des Oberarmes im körpernahen Anteil und unmittelbar darunter eine 2,5 Zentimeter lange, von links oben nach rechts unten angeordnete Wunde an der Vorderseite des Oberarms, eine vier Zentimeter lange Wunde an der Beugeseite des Unterarms, eine 2,5 Zentimeter lange Wunde an der Außenseite des Unterarms im körpernahen Anteil sowie eine 3,5 mal zwei Zentimeter messende Wunde der Streck- und Daumenseite des Unterarms unmittelbar oberhalb des Handgelenks. Zudem erlitt er eine fünf mal 3,5 Zentimeter messende glattrandige Hautwunde der Außenseite des linken Oberarmes unmittelbar oberhalb des Ellenbogens.

Zudem erlitt er eine 1,5 Zentimeter lange glattrandige Hautwunde der rechten Schläfenregion, zwei zum Teil parallel angeordnete, jeweils ca. drei Zentimeter lange kratzerförmige Hautabschürfungen der rechten Halsseite sowie Hautschürfungen im Bereich des rechten Beines, welche er sich auf seiner Flucht zuzog.

Die Stich-Schnitt-Verletzungen des Rumpfes führten zu der Eröffnung beider Brusthöhlen und der Ausbildung einer sogenannten Gasbrust. Dies bedeutet, dass in die Lungen Gas einströmt, was zu deren Zusammenfallen führt. Zudem wurde am rechten Oberarm die Oberarmschlagader verletzt, was unbehandelt zu einem Todeseintritt binnen etwa 25 Minuten geführt hätte.

Der Geschädigte wurde für einen nicht näher bekannten Zeitraum im Krankenhaus behandelt. Die Wunden sind mittlerweile ausgeheilt. Jedoch verblieben auf dem Körper teils auffällige Narben. Im rechten Unterarm und in der rechten Hand verblieb ein Taubheitsgefühl, weshalb der Geschädigte mit diesem Arm nicht mehr schwer heben kann und teilweise auch Gegenstände fallen lässt. Zudem kann der Geschädigte den kleinen Finger der linken Hand aufgrund der Durchtrennung einer Sehne nicht mehr gerade strecken. Nach eigenen Angaben leidet er unter Alpträumen und Schlafstörungen, die er bisher noch nicht psychologisch behandeln lassen wollte, da er der Ansicht war, dass dies nicht hilfreich sei.

III. (Beweiswürdigung)

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf den glaubhaften Angaben des Sachverständigen Dipl.-Med. H..., der den Angeklagten am 26. und 27. November 2019 explorierte und demgegenüber dieser Angaben über seine Person machte.

Diese wurden teilweise durch die Angaben des Zeugen KHK R... , der die Mutter des Angeklagten, die Zeugin E... J.... , vernommen hatte und die ihm gegenüber auch biografische Angaben über ihren Sohn machte, bestätigt. Die Zeugin J...  machte in der Hauptverhandlung zwar von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO Gebrauch, gestattete jedoch nach qualifizierter Belehrung die Verwertung ihrer Angaben aus ihrer polizeilichen Vernehmung durch KHK R... .

Darüber hinaus werden die Angaben des Angeklagten auch durch die Zeugin ............ bestätigt, soweit diese über die Umstände der Wohnsitznahme des Angeklagten in ihrer Wohnung bekundete.

Die Feststellungen zum strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten beruhen auf dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 4. Juni 2020.

Die tatsächlichen Feststellungen beruhen auf den in der Hauptverhandlung ausweislich des Protokolls erhobenen Beweisen.

Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen. Gegenüber dem Sachverständigen Dipl.-Med. H..., der diese Angaben anschaulich in der Hauptverhandlung wiedergab, hat er jedoch im Rahmen der Exploration angegeben, dass er sich nicht mehr an viel erinnern könne. Er sei am Tattag betrunken gewesen. Er habe gemeinsam mit dem Zeugen ... eine Flasche Wodka und zwei bis drei Sixpacks Bier getrunken, wobei jeder etwa die Hälfte getrunken habe. Irgendwer habe dann irgendwem etwas mit einem Messer angetan. Irgendetwas mit einem versuchten Mord sei passiert. Er sei bei der polnischen Frau festgenommen worden. Ob er an diesem Tag Drogen genommen habe, wisse er nicht genau.

Diesen Angaben kann die Kammer nur teilweise folgen.

Soweit der Angeklagte Angaben zu dem Vortatgeschehen machte, stimmen diese insoweit mit den Angaben des Zeugen ... überein, als dieser bestätigte, dass er gemeinsam mit dem Angeklagten Bier und Wodka konsumiert habe. Im Gegensatz zu dem Angeklagten konnte der Zeuge ... jedoch konkret angeben, dass sie am Tattag zunächst im Netto-Markt Schloss-Bier gekauft und beide zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt am Nachmittag jeweils drei Flaschen à 0,5 Liter getrunken hätten. Sie seien sodann zum Netto-Markt gegangen, wo der Angeklagte gegen 16:00 Uhr eine 0,7 Liter Wodka-Flasche entwendet habe. Sodann seien sie zur bft-Tankstelle, wo seine Mutter arbeite, gegangen. Dort hätten sie Würstchen gegessen und seien im Anschluss in die Wohnung ... zurückgekehrt. Hier hätten sie ab etwa 17:00 Uhr gemeinsam die Wodka-Flasche geleert, wobei jeder in etwa gleich viel getrunken habe. Sodann hätten sie sich zum Rewe-Markt begeben wollen, um weiteren Alkohol zu erwerben. Zudem habe er, der Zeuge ..., Stress suchen wollen, worunter er eine Schlägerei verstehe. Dies habe er jedoch nicht mit dem Angeklagten abgesprochen. Auf dem Weg zum Rewe-Markt hätten sie zwei Verkehrsschilder umgeworfen. Sodann seien sie am Tatort, dem Kirchplatz in der Nähe der Sparkasse, eingetroffen.

Die Kammer ist bezüglich der Feststellungen zum Vortatgeschehen lediglich insoweit dem Angeklagten gefolgt, als dieser den Konsum von Alkohol in Form von Bier und Wodka einräumte. Soweit er angab, dass sie sich zwei bis drei Six-Packs Bier geteilt hätten, erscheint dies im Hinblick darauf, dass der alkoholgewöhnte Angeklagte bzgl. des Tattages eine Erinnerungslücke haben will, jedoch konkrete Angaben zu dem konsumierten Alkohol machen kann, wenig nachvollziehbar.

Die Kammer ist zum Vortatgeschehen der glaubhaften Schilderung des Zeugen ... gefolgt. Dieser hat detailliert das Vortatgeschehen geschildert, welches teilweise durch die Angaben der Zeugin ............ und des Zeugen KHK R...  bestätigt wird.

So teilte letzterer mit, dass an dem Tattag mehrere Strafanzeigen erstattet worden seien, die einen Bezug zum Angeklagten und dem Zeugen ... aufwiesen. So liege eine Strafanzeige des Netto-Marktes gegen den Angeklagten wegen des Diebstahls einer Flasche Wodka vor; der Vorfall soll sich gegen 16:00 Uhr des Tattages ereignet haben. Zudem seien mehrere Strafanzeigen eingegangen, bei denen verschiedene Passanten angegeben hätten, durch Vorhalten eines Messers bedroht bzw. erschreckt und beleidigt worden zu sein. Ferner seien mehrere Verkehrsschilder umgeworfen worden. Die Polizei habe daraufhin mit den betroffenen Personen eine Wahllichtbildvorlage durchgeführt, wobei diese Zeugen den Angeklagten als Täter wiedererkannt hätten.

Die Zeugin ............ bestätigte, dass ihr Sohn und der Angeklagte sie am Nachmittag in der bft-Tankstelle besucht und Würstchen gegessen hätten. Als der Angeklagte die Toilette aufgesucht habe, habe ihr Sohn ihr erzählt, dass sie Alkohol getrunken hätten und dass der Angeklagte im Netto-Markt eine Flasche Wodka gestohlen habe.

Der Aufenthalt in der bft-Tankstelle wird auch durch die durch die Polizei ausgewerteten Videoaufnahmen der Tankstelle belegt. Wie KHK R...  berichtete, habe sich in der Auswertung ergeben, dass sich der Angeklagte und der Zeuge ... zwischen 16:00 Uhr und 17:00 Uhr dort aufgehalten hätten.

Im Hinblick darauf, dass der Zeuge ... keinerlei Belastungstendenzen aufwies und er zudem deutlich darauf hinwies, wenn er sich an konkrete Details nicht erinnern konnte, hatte die Kammer keinen Zweifel an dessen Angaben zum Verlauf des Tattages bis zum Eintreffen am Tatort.

Soweit der Angeklagte gegenüber dem Sachverständigen Dipl.-Med. H... angeben hatte, dass er nicht wisse, ob er am Tattag Drogen konsumiert habe, ist die Kammer im Hinblick auf den negativen Drogenvortest, den der Angeklagte gegen 03:15 Uhr des Folgetags durchführte, davon ausgegangen, dass ein solcher am Tattag nicht stattgefunden hat.

Soweit der Angeklagte gegenüber dem Sachverständigen Dipl.-Med. H... zum eigentlichen Tatgeschehen erklärt habe, dass irgendjemand irgendetwas mit einem Messer getan habe, ist die Kammer aufgrund der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise davon überzeugt, dass es der Angeklagte war, der mittels eines Küchenmessers insgesamt achtzehnmal auf den Rumpf, den Kopf und die beiden Arme des Geschädigten R.... einstach.

Insoweit schilderten die Zeugen R.... und ... im Kerngeschehen übereinstimmend, dass sie sich am Abend des Tattages gegen 20:00 Uhr an der Kirche unweit der Sparkasse auf eine Zigarette getroffen hätten. Der Zeuge ... habe auf der Mauer gesessen, vor der ............ gestanden habe. Aus Richtung Sparkasse seien dann der Angeklagte und der Zeuge ... hinzugekommen. Nach den Angaben des Geschädigten habe der Angeklagte nach einer Zigarette gefragt, was beide abgelehnt hätten. Der Zeuge ... berichtete hiervon jedoch nicht. Die Kammer ist insoweit dem Zeugen ... gefolgt, da auch der Zeuge ... ausdrücklich bestätigt hat, dass es zunächst keinerlei Gespräche gegeben habe.

Der Geschädigte und der Zeuge ... gaben im Folgenden übereinstimmend an, dass der Angeklagte dem Zeugen ... mit der flachen Hand eine Backpfeife versetzt und diesem die Zigarette aus der Hand genommen habe. Er habe gesagt, dass er sie abstechen wolle, und habe sogleich ein Küchenmesser, welches er in seinem Hosenbund verwahrt habe, gezogen. Daraufhin habe sich der Zeuge ... hinter die Mauer begeben und sei etwa zehn bis dreißig Meter weggelaufen. Der später Geschädigte sei in Richtung Markt gelaufen und habe sich außer Sicht- und Hörweite befunden, als der Angeklagte dem Zeugen ... hinterhergerufen habe, dass er ihn nicht abstechen wolle, dass alles nur ein Spaß sei und er zurückkommen könne. Zudem lägen noch ihre Sachen, u. a. ein Handy, bei ihm. Daraufhin sei der Zeuge ... zurückgekehrt und habe sodann den Geschädigten auf dessen Handy angerufen. Der Geschädigte sei skeptisch gewesen und habe erwogen, die Polizei zu rufen. Er habe sich jedoch von seinem Freund, der ihm mitteilte, dass alles in Ordnung sei, überzeugen lassen und sei an die Mauer beim Kirchhof zurückgekehrt.

Dort habe sich der Geschädigte an die Mauer gestellt. Links von diesem habe der Zeuge ... gestanden. Der Angeklagte habe sich leicht schräg nach rechts versetzt vor ihnen befunden. Der Zeuge ... habe aus Sicht des Geschädigten links neben dem Angeklagten gestanden. Das Messer, welches der Angeklagte zuvor gezogen gehabt habe, sei nicht mehr zu sehen gewesen.

Der Angeklagte habe ihnen sodann eine Zigarette ausgegeben. Erst dann hätten sie den Zeugen ... erkannt, der gemeinsam mit dem Geschädigten eine Klasse des Oberstufenzentrums besuche. Gemeinsam hätten sich die vier jungen Männer über einen längeren Zeitraum unterhalten, wobei der Zeuge ... die Gesprächsdauer mit vier bis fünf Minuten und der Geschädigte mit fünf bis zehn Minuten einschätzte. U. a. sei Gesprächsthema gewesen, wo man in ... Betäubungsmittel erhalte und wo der Angeklagte herkomme, woraufhin dieser entgegnete, dass er aus Frankfurt/Main komme, wie der Zeuge ... anschaulich berichtete. Auf die Frage des Zeugen, was er in der Region mache, erwiderte er, dass er zu einem Kollegen gezogen sei. Der Zeuge ... habe nur still danebengestanden. Sowohl der Zeuge R.... als auch der Zeuge ... berichteten von einem ruhigen, friedlichen Gesprächsverlauf. Einen Streit oder Beleidigungen habe es nicht gegeben.

Als sich der Geschädigte gerade nach links zu seinem Freund umgedreht habe, habe der Angeklagte ein Messer gezogen und unvermittelt auf ihn eingestochen, nachdem er sich ihm wieder zuwandte. Bereits in diesem Moment sei der Zeuge ... geflüchtet. Er habe sich auf der Flucht umgedreht und gesehen, wie der Geschädigte sich gekrümmt und zudem geschrien habe. Dennoch sei er weitergelaufen und habe einen Freund telefonisch gebeten, die Polizei zu rufen, und diesem den Sachverhalt geschildert. Insoweit konnte der Zeuge ... zum weiteren Geschehen nach dem ersten Stich keine ergiebigen Angaben machen.

Jedoch hat der Geschädigte anschaulich und von Emotionen untergelegt berichtet, dass der Angeklagte ihn nunmehr mit der linken Hand an der rechten Schulter festgehalten und ihm weitere Stiche, deren Anzahl er nicht genau benennen könne, versetzt habe. Der Zeuge ... habe die ganze Zeit unbeteiligt danebengestanden. Er - der Geschädigte - habe versucht mit der linken Hand das Messer zu greifen, wodurch seine Hand verletzt worden sei. Letztlich sei es ihm gelungen sich dem Griff des Angeklagten zu entreißen und über die Mauer zu gelangen. Noch als er die Mauer überstiegen habe, habe er einen Stich in den Rücken verspürt. Auch der Angeklagte und der Zeuge ... seien wohl weggelaufen, hätten aber einen anderen Weg gewählt. Er habe auf seiner Flucht beide vor sich laufen sehen, nachdem er über den Zaun geklettert sei. Zunächst habe er - der Geschädigte - versucht Autos anzuhalten, was jedoch nicht geglückt sei. Sodann habe er einen Freund angerufen und diesen gebeten, den Notruf zu wählen.

Die Kammer ist dieser Schilderung des Tatgeschehens gefolgt. Zum einen decken sich die Angaben der beiden Zeugen R.... und ... im Wesentlichen. Zum anderen werden sie auch durch die - wenngleich - spärlichen Angaben des Zeugen ... bestätigt.

Dieser gab zwar zunächst an, dass er sich an das eigentliche Tatgeschehen nicht erinnern könne, da es für ihn ein Trauma darstelle. Die Kammer vermochte aber in dieser Angabe lediglich den Wunsch des Zeugen zu sehen, sich nicht mehr mit dem Tattag beschäftigen zu müssen, was insbesondere dadurch bestätigt wird, dass er auf Nachfragen gleichwohl das Geschehen schildern konnte, wobei er hierbei klar abgrenzte, woran er sich tatsächlich noch zu erinnern vermochte. So bestätigte er den Vorfall unmittelbar nach ihrem Eintreffen am Tatort, dass der Angeklagte hiernach das gezogene Messer weggesteckt hatte sowie die Position aller Beteiligten im Rahmen des längeren Gesprächs. Er führte weiterhin aus, dass er nicht habe sehen können, wie der Angeklagte zum zweiten Mal das Messer gezogen habe. Er habe lediglich wahrgenommen, dass er den Geschädigten festgehalten habe, dass dieser versucht habe, die Hand des Angeklagten zu ergreifen und sich loszureißen, was ihm letztlich gelungen sei. Er habe nicht wirklich mitbekommen, von wie vielen Stichen der Geschädigte getroffen worden sei; er meine, es seien zwei bis fünf gewesen. Er sei zu geschockt gewesen, um einzugreifen. Dann seien sowohl der Geschädigte als auch sie selbst weggelaufen.

Für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugen R.... und ... spricht auch, dass diese das Kerngeschehen im Wesentlichen gleich im Rahmen von einer bzw. zwei Vernehmungen bei der Polizei und der Hauptverhandlung geschildert haben.

Wie der zum damaligen Zeitpunkt eingesetzte Polizeibeamte PK Weißbach schilderte, habe der Zeuge ... das Tatgeschehen, wie unter II. festgestellt, bereits unmittelbar nach der Tat geschildert und erste Hinweise zu der Person des Angeklagten und des Zeugen ... gegeben. Zudem hätten, so der Zeuge KHK R... , sowohl der Zeuge ... als auch der Geschädigte R.... im Rahmen ihrer förmlichen Vernehmung am 2. Oktober 2019 das Geschehen, wie unter II. festgestellt, im Wesentlichen übereinstimmend geschildert. Zudem, so der Zeuge KHK R...  weiter, hätten beide Zeugen den Angeklagten im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage als Täter erkannt. Auch zu diesem Zeitpunkt hätten sich die Aussagen der vorgenannten Zeugen mit den Angaben des Zeugen ..., der zum damaligen Zeitpunkt noch als Beschuldigter geführt worden sei, und das Geschehen umfassend geschildert habe, gedeckt, wie KHK R...  weiter ausführte.

Die Angaben der Zeugen R...., ... und ... werden auch durch die Ergebnisse der kriminaltechnischen Ermittlungen gestützt.

Wie sich aus dem im Selbstleseverfahren eingeführten Protokoll über die kriminaltechnische Tatortarbeit vom 9. Oktober 2019 ergibt, befand sich an einer etwa 80 Zentimeter hohen, aus Feldsteinen bestehenden Mauer, welche sich rechtsseitig hinter dem Sparkassengebäude befand, eine 40 Zentimeter mal 30 Zentimeter große bluttypische Anhaftung (Spur 01.01.1) sowie in 80 Zentimeter Entfernung an der Mauer eine weitere drei mal drei Zentimeter große bluttypische Anhaftung (Spur 01.02.2). An einem blauen Zaun, welcher sich am anderen Ende der Wiese befindet, wurde eine weitere blutverdächtige Anhaftung (Spur 01.20) gesichert. Darüber hinaus befanden sich im Bereich der Kohlgasse bis zur Alten Gartenstraße massive bluttypische Auftropfungen, von denen u. a. die Spur 01.22, welche sich in einer Entfernung von 31 Metern vom Zaun entfernt befand, gesichert wurde. Im Rahmen der molekulargenetischen Untersuchung dieser Spuren habe sich ausweislich des ebenfalls im Selbstleseverfahren eingeführten Berichts über biologische Untersuchungen vom 3. Juli 2020 ergeben, dass es sich hierbei um menschliches Blut handele, wobei in sämtlichen Spuren ein DNA-Merkmalsprofil aufgefunden werden konnte, welches demjenigen des Geschädigten entspreche. Insoweit werden die Angaben des Geschädigten zum eigentlichen Tatort sowie seiner Flucht unzweifelhaft bestätigt.

Darüber hinaus befanden sich an der Kleidung des Angeklagten Blutspuren, die nach dem Ergebnis des Berichts über biologische Untersuchungen vom 3. Juli 2020 dem Geschädigten zuzuordnen sind.

Wie der Zeuge ... berichtete, habe sich der Angeklagte nach der Rückkehr in die Wohnung der Zeugin ... der bei der Tat getragenen Kleidung und der Schuhe, die mit Blut behaftet gewesen seien, entledigt und habe diese in einem Kissenbezug neben dem Bett versteckt. Dort habe sie die Zeugin ..., wie diese anschaulich berichtete, am Morgen des 1. Oktober 2019 zufällig gefunden. Sie habe den Kissenbezug sofort in eine Lidl-Tüte verpackt und ihn zur Polizeiwache verbracht, was durch die Zeugen KOKin S...  und KHK R...  bestätigt wurde. Von diesen Kleidungsstücken wurden ein Paar Schuhe (Spuren 2.28.1, 2.28.2), eine Jeans-Hose (Spur 2.29), ein T-Shirt (2.30) und eine Winter-Jacke (Spur 2.33) molekulargenetisch untersucht, wobei sowohl Abriebe von der auf dem Körper des Trägers liegenden Seite sowie der Außenseite gefertigt wurden.

Nach dem Ergebnis des Berichts über biologische Spuren vom 3. Juli 2020 wurden an den vorgenannten Kleidungsstücken jeweils mehrere Abriebe von blutverdächtigen Anhaftungen gefertigt. Bei diesen handele es sich um menschliches Blut, welches dem Geschädigten zuzuordnen sei, da die DNA-Merkmalskombination mit der des Geschädigten übereinstimme.

Soweit in den Abrieben von blutverdächtigen Anhaftungen an der Jeans und dem T-Shirt ein DNA-Merkmalsprofil aufgefunden wurde, welches mit demjenigen des Angeklagten übereinstimmt, dürfte dies darauf zurückzuführen sein, dass sich der Angeklagte - möglicherweise im Rahmen des Tatgeschehens - selbst verletzt hat. Auch in der Wohnung der Zeugin ... wurden in der Küche am Fensterbrett links (Spur 02.22), auf dem Küchenfußboden unterhalb des linken Stuhles (Spur 02.24), auf welchem der Angeklagte regelmäßig gesessen hat, wie die Zeugin ... in der Hauptverhandlung und zuvor gegenüber der Zeugin KOKin S...  angegeben hatte, sowie an der linken Tischkante des Küchentischs (Spur 02.25) Abriebe von blutverdächtigen Substanzen gefertigt, welche nach dem Bericht über biologische Untersuchungen eine DNA-Merkmalskombination aufgewiesen habe, die derjenigen des Angeklagten zuzuordnen sei. Dies deutet nach Überzeugung der Kammer darauf hin, dass der Angeklagte geblutet haben muss, als er sich in der Wohnung der Zeugin ... befunden hatte, so dass er sein eigenes Blut an die von ihm getragene Kleidung (möglicherweise beim Umziehen, jedoch auch zu einem früheren Zeitpunkt) angetragen hat.

Nach Überzeugung der Kammer sind die Kleidungsstücke dem Angeklagten zuzuordnen. So berichtete der Zeuge ..., dass der Angeklagte ein orange-schwarz-weiß-gestreiftes T-Shirt (tatsächlich ist es rot-schwarz-weiß gestreift) sowie Jacke, Hose und Schuhe getragen habe, ohne letztere jedoch näher zu beschreiben. Die bei der Tat getragene Kleidung habe er gewechselt, bevor die Zeugin ... am Tatabend in die Wohnung zurückgekehrt sei, und habe diese hinter dem Bett versteckt. Dort habe sie die Zeugin ... tatsächlich auch am Morgen des 1. Oktober 2019 aufgefunden, wie sie anschaulich berichtete.

Diese Angaben werden auch durch die Ergebnisse der biologischen Untersuchung gestützt. An den Abrieben der zum Körper des Trägers liegenden Stellen wurden überwiegend DNA-Merkmalskombinationen aufgefunden, die dem Angeklagten zuzuordnen sind. Soweit an dem Abrieb an dem Schild an der Innenseite des rechten Schuhs (Spur 02.28.2.6), dem inneren Halsbereich (Spur 02.33.5), dem Ärmelbund innen (Spuren 02.33.6 bis 02.33.8) und der Innenseite der rechten Tasche der Winterjacke (Spur 02.33.9) ein Merkmalsgemisch aufgefunden wurde, welches nicht in allen PCR-Systemen reproduzierbar war und bei welchem der Geschädigte Hauptverursacher bzw. neben einer unbekannten Person Mitverursacher war, schließt dies nach Überzeugung der Kammer nicht aus, dass der Angeklagte diese Jacke bei der Tat getragen hat. Die Antragung von DNA des Geschädigten ist dadurch erklärbar, dass diese durch dessen Blut bzw. im Rahmen des Kampfgeschehens angetragen wurde. Wann und wie die unbekannte Person ihre DNA an die Jacke angetragen haben könnte, ließ sich nicht aufklären, ist jedoch in Anbetracht der Angaben der Zeugen ... und ... sowie der Tatsache, dass die Kleidung mit Blut des Geschädigten bedeckt war, nicht relevant.

Zudem spricht die Tatsache, dass an dem als Tatwerkzeug genutzten Küchenmesser, welches aufgrund der Angaben des Zeugen ... durch KOKin S...  am 1. Oktober 2019 sichergestellt wurde (Spur 01.26) eine DNA-Merkmalskombination, die dem Geschädigten zuzuordnen ist, für die Angaben der Zeugen.

Wie sich aus dem Bericht über biologische Spuren vom 3. Juli 2020 weiter ergibt, wurden von einer Klingenseite sowie dem Griff mehrere Abriebe von blutverdächtigen Substanzen gesichert (Spuren 01.26.1, 01.26.4 bis 01.26.6), bei welchen es sich um menschliches Blut handele. Darüber hinaus wurden Abriebe von der Klinge mit wenig bzw. keinen blutverdächtigen Anhaftungen (Spur 01.26.2, 01.26.7, 01.26.8), des Übergangs zum Messergriff (Spur 01.26.9) sowie der Ritzen und Kanten des Griffes (Spur 01.26.3) gefertigt. An sämtlichen Abrieben wurden DNA-Merkmale aufgefunden, die dem Geschädigten zuzuordnen seien.

Darüber hinaus stützt auch die Tatsache, dass an dem Tatmesser Fasern aus der Kleidung des Angeklagten und des Geschädigten aufgefunden wurden und dieses als Tatwerkzeug aus textilgutachterlicher Sicht in Betracht kommt, die Aussagen der unmittelbaren Tatzeugen, insbesondere auch zur Täterschaft des Angeklagten.

Wie sich aus dem im Selbstleseverfahren eingeführten 1. Protokoll über kriminaltechnische Tatortarbeit ergibt, wurde die von dem Geschädigten bei der Tat getragene Kleidung - eine weiße Lacoste-Jacke (Spur 01.25), eine Jeans (Spur 03.01), ein Paar weiße Turnschuhe (Spur 03.02) und ein braunes Basecap (Spur 03.03) - sichergestellt. Diese wurde neben der von dem Angeklagten bei der Tat getragenen Winterjacke (Spur 02.33), dem T-Shirt (Spur 02.30) und der Jeanshose (Spur 02.29) dahingehend untersucht, ob sich Fasern von diesen Kleidungsstücken an dem Tatmesser (Spur 01.26) befinden.

Ausweislich des nachvollziehbaren Berichts über eine Textil- und Textilfaseruntersuchung vom 15. Mai 2020 wurde bei der auflichtmikroskopischen Untersuchung des Messers eine Vielzahl von Fasern aufgefunden, u. a. vereinzelte rote, blaue und graue Baumwollfasern, eine Vielzahl von farblos bis indigoblau gefärbten Baumwollfasern sowie einige blaue, mattierte, texturierte und einzelne graue Polyesterfasern.

Die blauen, mattierten und texturierten Polyesterfasern stimmten mit denjenigen, welche im Obermaterial der weißen Jacke des Geschädigten in einem dunkelblauen Querstreifen, welcher über Brust und Oberarme verläuft, aufzufinden seien, überein, was die Angaben des Geschädigten, dass der Angeklagte ihn zunächst in die Brust stach, stützt.

Die am Messer aufgefundenen grauen Polyesterfasern stimmten mit denjenigen, welche sich im Innenfutter der Winterjacke des Beschuldigten befinden, überein, was die Angaben der Zeugen R...., ... und ... bestätigt, dass der Angeklagte das Messer vor der Tat unter seiner Jacke versteckt hatte.

Hinsichtlich der farblosen bis indigoblauen Baumwollfasern konnte zwar festgestellt werden, dass diese mit den Fasern an den Jeanshosen des Angeklagten und des Geschädigten übereinstimmen. Diese ließen sich jedoch keiner der Hosen zuordnen, da eine entsprechende Differenzierung bei diesen Fasern nicht möglich sei.

Darüber hinaus wurden an der von dem Geschädigten getragenen Jacke mittels des Tatmessers Experimentalstiche durchgeführt, wobei die Jacke auf einen Styroporblock mit Lederauflage gespannt wurde. Die Ränder der Experimentalstiche waren ebenso wie die im Rahmen der Tat ausgeführten Stiche relativ glattrandig, wobei vereinzelt Fadenziehungen auftraten, so dass aus textilgutachterlicher Sicht das sichergestellte Tatmesser im Hinblick auf die Form, Ausprägung, Größe und die Durchtrennungsmerkmale der erzeugten Defekte als verursachendes Werkzeug in Betracht komme.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Geschädigte im Zeitpunkt des ersten Messerstiches nicht mit einem Angriff auf seine Person rechnete, weshalb er, auch weil er sich zu seinem Freund ... umdrehte, wehrlos war. Zwar war das erste Aufeinandertreffen zwischen Angeklagtem, dem Geschädigten und dem Zeugen ... von der Aggressivität des Angeklagten, insbesondere auch dessen Drohung, dass er sie abstechen wolle, geprägt, weshalb die beiden jungen Männer zunächst flohen. Letztlich beruhigte der Angeklagte diese Situation selbst, in dem er dem Zeugen ... versicherte, dass alles in Ordnung und die Drohung nur ein Scherz gewesen sei und sie zurückkommen könnten. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte bereits das zuvor gezeigte Messer weggesteckt. Auch wenn der Geschädigte zunächst erwogen hatte, wegen der Drohung des Angeklagten die Polizei zu rufen, verwarf er diese Idee jedoch, nachdem ihm sein Freund ... versichert hatte, dass alles in Ordnung sei und er diesem auch ver ... e. Als der Geschädigte sodann zurückkehrte, bot der Angeklagte ihm und dem Zeugen ... Zigaretten an, was zu einer weiteren Beruhigung der Situation ebenso beitrug wie das völlig friedlich und ohne Streitigkeiten verlaufende, mindestens fünf Minuten andauernde Gespräch zwischen den vier jungen Männern sowie die Tatsache, dass der Geschädigte in dem Zeugen ... seinen Mitschüler erkannte. Hätte der Geschädigte tatsächlich noch mit einem Angriff des Angeklagten gerechnet, dann hätte er sich nicht zu seinem Freund ... umgedreht, da er in diesem Moment schutzlos gewesen war. Insoweit ist die Kammer davon überzeugt, dass der Geschädigte in diesem Moment mit keinem Angriff des Angeklagten rechnete.

Der Geschädigte war im Zeitpunkt des ersten Angriffs deshalb auch wehrlos, denn er drehte sich nach links zu seinem Freund ... um und somit dem Angeklagten seinen Rücken zu.

Die Feststellungen zum Nachtatgeschehen beruhen auf den glaubhaften Angaben der Zeugen ... und ... .

Der Zeuge ... gab an, dass er gemeinsam mit dem Angeklagten flüchtete, wobei sie in eine andere Richtung als der Geschädigte gelaufen seien. Dabei habe er die blutigen Hände des Angeklagten wahrgenommen. Er habe dem Angeklagten lediglich mitgeteilt, wohin sie laufen sollen. Auf dem Weg zurück in die Wohnung der Zeugin ... habe der Angeklagte das bei der Tat benutzte Messer in ein Gebüsch geworfen, wobei er geäußert habe: „Scheiße, was habe ich gemacht?“ Zwar habe er sich mit dem Angeklagten an diesem Abend noch über das Geschehen unterhalten wollen, doch sei dann seine Mutter zurückgekehrt, der sie eine „Story“ aufgetischt hätten. Die Idee hierfür habe der Angeklagte gehabt. Zuvor habe sich dieser umgezogen und die bei der Tat getragene Kleidung neben dem Bett versteckt. Zudem habe der Angeklagte gesagt, dass „der Junge noch Lebenswillen“ gehabt habe, da er weggelaufen sei. Er habe den Eindruck gehabt, dass der Angeklagte ihn dafür bewundert habe. Darüber, welche Verletzungen der Geschädigte erlitten habe und ob er diese möglicherweise nicht überlebe, habe er selbst nicht nachgedacht.

Diese Angaben werden durch die Zeugin ... insoweit bestätigt, als diese das Geschehen nach ihrer Ankunft im Wesentlichen gleich schilderte. Zudem berichtete sie von dem Telefongespräch des Angeklagten mit seiner Mutter, was durch KHK R... , der die Mutter des Angeklagten vernommen hatte, bestätigt wird. Die Mutter habe ihm gegenüber berichtet, dass der Angeklagte sie um 23:11 Uhr angerufen habe. Ihr sei von einer Messerstecherei, die der Zeuge ... gesehen habe, berichtet worden, wobei ihr Sohn nach ihrem Eindruck nicht involviert gewesen sei. Zudem habe ihr Sohn sie zuvor gegen 23:00 Uhr im Chat gebeten, dass sie ihn anrufen möge. Nachdem er geschrieben habe, dass ein Mensch tot sei, habe sie dies auch getan.

An der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugen ... und ... hat die Kammer keinen Zweifel, decken sich diese doch bzgl. des Geschehens nach dem Eintreffen der Zeugin ... in ihrer Wohnung. Zudem wird die Angabe des Zeugen ... zum Ablageort des Tatmessers insoweit bestätigt, als es der Zeugin KOKin S...  aufgrund der Angaben des Zeugen ... gelang, das Tatmesser sicherzustellen. Im Übrigen schilderten die beiden Zeugen das Geschehen im Wesentlichen konstant im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung und in der Hauptverhandlung. Darüber hinaus hält die Kammer die Zeugen auch für glaubwürdig, waren sie doch nicht bestrebt, den Angeklagten über Gebühr zu belasten.

Die Feststellungen zum Ergebnis des Atemalkoholtests sowie des Betäubungsmittelvortests ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben des Zeugen KHK R... .

Die Feststellungen zu den Verletzungen des Geschädigten beruhen auf dem nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen Dr. Voß. Dieser hat den Geschädigten am 4. Oktober 2019 körperlich untersucht. Hierbei stellte er insgesamt fünf Stich-Schnitt-Verletzungen des Brustkorbs und des Bauchs, eine Stich-Schnitt-Verletzung des Kopfes, sechs Stich-Schnitt-Verletzungen des rechten Armes, sechs Stich-Schnitt-Verletzungen des linken Armes sowie zwei kratzerförmige Hautschürfungen an der rechten Halsseite fest, wobei die Stich-Schnitt-Verletzungen sämtlich chirurgisch versorgt gewesen seien. Die Stich-Schnitt-Verletzungen des Rumpfes hätten zur Eröffnung beider Brusthöhlen sowie in der Folge zu der Ausbildung einer Gasbrust - d. h. das Einströmen von Luft in die Lungen, was zu deren Zusammenfallen führt - geführt. Zudem seien im Rahmen der Computertomografie-Untersuchung Blutungen im rechten Lungenoberlappen sowie mutmaßlich geringe Blutungen in den Brusthöhlen festgestellt worden. Im Rahmen der operativen Versorgung sei ein ca. sechs bis sieben Zentimeter langer Stichkanal mit einem Verlauf zur Mitte, welcher der Hautwunde unterhalb des rechten Rippenbogens zugeordnet werden könne, sowie ein weiterer nach oben steigender, ca. fünf bis sechs Zentimeter langer Stichkanal, welcher der seitlichen Bauchwunde zuzuordnen sei, festgestellt worden. Diese Stiche hätten nicht zu einer Eröffnung der Bauchhöhle geführt, so dass auch keinerlei Organverletzungen zu verzeichnen seien. Darüber hinaus sei die Oberarmschlagader verletzt gewesen, was allein aufgrund des damit einhergehenden erheblichen Blutverlusts zu einem Todeseintritt binnen etwa 25 Minuten geführt hätte. Lediglich durch die schnelle medizinische Versorgung des Geschädigten habe der Todeseintritt verhindert werden können.

Der Sachverständige führte ferner aus, dass die Stich-Schnitt-Verletzungen an beiden Armen und Händen unzweifelhaft als Abwehrverletzungen zu werten seien, was insoweit auch die diesbezüglichen Angaben des Geschädigten und des Zeugen ... bestätigt. Zudem seien die Stich-Schnitt-Verletzungen zwanglos durch die Beibringung mit einem Messer zu erklären, wobei das aufgefundene Tatmesser, welches einseitig angeschliffen ist und eine Klingenlänge von 21 Zentimeter aufweist, geeignet sei, die vorgefundenen Verletzungen zu verursachen.

Aufgrund dieser nachvollziehbaren und detaillierten Erörterungen des Sachverständigen hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass das von dem Geschädigten und dem Zeugen ... geschilderte Geschehen zu den von dem Sachverständigen festgestellten Verletzungen geführt hat, wobei diese durch den Einsatz des später aufgefundenen Tatmessers verursacht worden sind.

Darüber hinaus hat der Sachverständige auch nachvollziehbar erörtert, dass die von dem Geschädigten geschilderten möglicherweise dauerhaften Einschränkungen an beiden Armen durch die erlittenen Verletzungen erklärbar seien. Zudem ließen sich auch die von dem Geschädigten angegeben psychischen Folgen auf die Tat zurückführen.

Die Kammer ist zudem davon überzeugt, dass der Angeklagte mit wenigstens bedingtem Tötungsvorsatz handelte.

Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet (vgl. BGH NStZ 2009, 629 m. w. N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH NStZ-RR 2013, 169; NStZ 2012, 207; 2011, 210; 2010, 515; 2009, 629). Angesichts der hohen Hemmschwelle bei solchen Delikten bedarf die Frage der Billigung des Todes indes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind (vgl. BGH Beschluss vom 25. November 2010 = NStZ 2011, 338 m. w. N.).

Zunächst ist festzuhalten, dass der Angeklagte insgesamt fünfmal auf den Brust-, Rücken- und Bauchbereich mittels eines Messers einstach, wobei zwei Stiche unmittelbar den Brustkorb trafen. Diese Stich-Schnitt-Verletzungen führten zur Ausbildung einer Gasbrust und damit zu einer erheblichen Einschränkung der Atmung des Geschädigten. Darüber hinaus brachte er dem Geschädigten eine weitere Verletzung im Kopfbereich sowie jeweils sechs Stich-Schnitt-Verletzungen an beiden Armen bei, wobei die rechte Oberarmschlagader eröffnet wurde und der Geschädigte erheblich Blut verlor. Bereits deshalb bestand eine akute Lebensgefahr für den Geschädigten, der ohne medizinische Hilfe binnen etwa 25 Minuten verblutet wäre.

Es liegt auf der Hand, dass der Angeklagte bereits aufgrund der beigebrachten Verletzungen im sensiblen Brust-Bauch-Bereich sowie dem infolge der Verletzung der Oberarmschlagader erheblichen Blutaustritt, welche er anhand seiner blutbedeckten Hände und seiner blutigen Bekleidung selbst bemerkt hatte, mit dem Eintritt des Todes gerechnet hatte.

Hierfür spricht nach Ansicht der Kammer auch, dass der Angeklagte sich wundernd gegenüber dem Zeugen ... äußerte, dass der Geschädigte noch habe laufen können und gegen 23:00 Uhr seiner Mutter im Rahmen eines Chats mitteilte: „Ein Mensch ist tot.“ Wenngleich er dies erst ca. zwei Stunden nach der Tat schrieb, deutet diese Äußerung jedoch darauf hin, dass er selbst davon ausging, dass die von ihm dem Geschädigten beigebrachten Stich-Schnitt-Verletzungen tödlich gewesen waren.

Die Kammer ist zudem davon überzeugt, dass der Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung die Gefährlichkeit seines Tuns erkannt hatte.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt um 21:00 Uhr eine Blutalkoholkonzentration zwischen mindestens 2,35 Promille und maximal 2,759 Promille aufwies.

Wie der Zeuge ... geschildert hatte, tranken er und der Angeklagte zwischen 17:00 Uhr und 19:00 Uhr gemeinsam eine 0,7 Liter-Flasche Wodka, wobei sie den Inhalt hälftig teilten. Die Kammer hat unter Zugrundelegung der Widmark-Formel - nämlich Alkoholmenge in Gramm (Volumen in Milliliter mal 0,81 Gramm je Milliliter) geteilt durch das mit dem Resorptionsfaktor reduzierte Körpergewicht (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 16. Januar 2008 - 2 StR 532/07) - aufgrund des Konsums von Wodka eine Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille errechnet.

Der Angeklagte hat damit unter Zugrundelegung eines Alkoholgehalts von 40 Prozent, welchen Wodka typischerweise aufweist, einer Trinkmenge von 0,35 Liter sowie dem spezifischen Gewicht von Alkohol von 0,81 Gramm/Milliliter insgesamt eine Alkoholmenge von 113,4 Gramm (= 350 Milliliter Wodka mal 40 Prozent mal 0,81 Gramm/Milliliter) zu sich genommen. Hiervon ist zunächst das Resorptionsdefizit von 10 Prozent (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1989 - 1 StR 419/89) abzuziehen, so dass sich eine Alkoholmenge von 102,6 Gramm (= 113,4 Gramm minus (113,4 Gramm mal 10 Prozent)) ergibt. Unter Berücksichtigung des Körpergewichts des Angeklagten von 62 Kilogramm und dem Reduktionsfaktor von 0,7 für Männer ergibt sich somit eine Blutalkoholkonzentration von 2,36 Promille (= 102,6 Gramm geteilt durch (62 Kilogramm mal 0,7)), welche unter Berücksichtigung des Trinkbeginns um 17:00 Uhr, dem Tatzeitpunkt um 21:00 Uhr sowie dem stündlichen Abbauwert von 0,1 Promille zum Tatzeitpunkt 1,86 Promille betrug.

In diesem Zusammenhang war jedoch auch zu beachten, dass der Angeklagte nach den insoweit überzeugenden Angaben des Zeugen ... bereits am Nachmittag des Tattages drei Flaschen Schloss-Bier, d. h. insgesamt 1,5 Liter, getrunken hat.

Die Kammer hat zunächst unter Zugrundelegung der Widmark-Formel errechnet, welche Blutalkoholkonzentration der Angeklagte zum Tatzeitpunkt aufgewiesen hätte, wenn er lediglich Bier getrunken hätte; diese würde sich auf 0,599 Promille belaufen, wie nachfolgende Berechnung zeigt:

Unter Zugrundelegung eines Alkoholgehalts von 5 Prozent und des spezifischen Gewichts von Alkohol von 0,81 Gramm/Milliliter ergibt sich somit eine Alkoholmenge von 60,75 Gramm (= 1,5 Liter mal 5 Prozent mal 0,81 Gramm/Milliliter). Unter Berücksichtigung des Körpergewichts des Angeklagten von 62 Kilogramm und dem Reduktionsfaktor von 0,7 für Männer ergibt sich somit eine Blutalkoholkonzentration von 1,399 Promille (= 60,75 Gramm geteilt durch (62 Kilogramm mal 0,7). In welcher Höhe der Alkohol letztlich abgebaut worden ist, lässt sich mangels einer konkreten Angabe zum Trinkbeginn, jedoch auch der Nahrungsaufnahme in der bft-Tankstelle gegen 16:00 Uhr nicht berechnen. Bei tätergünstiger Annahme des Trinkbeginns kurz vor 16:00 Uhr (zu diesem Zeitpunkt entwendete der Angeklagte die Wodka-Flasche aus dem Netto-Markt und hat den Angaben des Zeugen ... zufolge keinen Alkohol mehr konsumiert) errechnet sich eine Blutalkoholkonzentration allein durch den Konsum von Bier von 0,899 Promille (= 1,399 Promille abzgl. 5 Stunden x 0,1 Promille), welche zu der durch Konsum des Wodkas verursachten Blutalkoholkonzentration von 1,86 Promille zu addieren wäre, so dass sich eine tätergünstige maximale Blutalkoholkonzentration von 2,759 Promille ergibt.

Dies wird auch durch folgende Kontrollrechnung bestätigt. Nach den Angaben des KHK R...  wurde bei dem Angeklagten um 03:15 Uhr ein Atemalkoholtest durchgeführt, wobei eine Atemalkoholkonzentration von 0,45 Promille festgestellt wurde. Im Hinblick darauf, dass der festgestellte Atemalkoholwert um bis zu 0,5 Promille von der Blutalkoholkonzentration abweichen kann, wie der Kammer aus einer Vielzahl weiterer Verfahren, in der sie diesbezüglich sachverständig beraten war, bekannt ist, ist die Kammer zu Gunsten des Angeklagten von einer Blutalkoholkonzentration von 0,95 Promille um 03:15 Uhr ausgegangen. Unter Berücksichtigung des Tatzeitpunktes um 21:00 Uhr, eines tätergünstigen Abbauwertes von 0,2 Promille pro Stunde und eines Sicherheitszuschlages von 0,2 Promille ergibt sich eine tatzeitbezogene Blutalkoholkonzentration von 2,35 Promille (= 0,95 Promille + 6 x 0,2 x 0,2).

Trotz dieser erheblichen Alkoholisierung erkannte der Angeklagte die Gefährlichkeit seines Tuns.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Angeklagte alkoholgewöhnt war, wie sich aus seinen Schilderungen gegenüber dem Sachverständigen Dipl.-Med. H... ergeben hat. So hat er bis zu seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg regelmäßig Alkohol - in der Regel eine Flasche Wodka am Tag - getrunken. Nach seiner Entlassung habe er nur noch unregelmäßig Alkohol getrunken. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen ... habe er mit dem Angeklagten bereits zu früheren Zeitpunkten gemeinsam Alkohol konsumiert, wobei sie Bier (mehr als drei Flaschen), jedoch keinen Wodka getrunken hätten. Zudem zeigt auch das Auftreten des Angeklagten, dass er zwar unter Alkoholeinfluss stand, dieser jedoch nicht einen Grad erreicht hatte, dass er nicht mehr wusste, was er tat. So war es ihm möglich auf das Verhalten des Geschädigten und des Zeugen ... zu reagieren, nachdem er erstmalig das Küchenmesser gezogen und die Zeugen bedroht hatte. Es gelang ihm den Zeugen ... davon zu überzeugen zurückzukehren. Zudem führte er ein mindestens fünfminütiges Gespräch mit den beiden jungen Männern, in dem er auf Fragen adäquat antwortete. Die Zeugen R.... und ... bekundeten in diesem Zusammenhang, dass sie größere Auswirkungen eines möglichen Alkoholkonsums - mit Ausnahme eines leichten Schwankens sowie leicht lallenden und lauten Sprechens des Angeklagten - nicht festgestellt hätten.

Ein Indiz dafür, dass er die Folgen seines Tuns erkannte, ist auch die Tatsache, dass der Angeklagte bereits wenige Minuten nach der Tat sagte: „Scheiße, was habe ich getan?“. Dies gilt umso mehr, als er sich zeitnah bemühte etwaige Spuren zu verdecken. So entledigte er sich kurz nach der Tat der Tatwaffe und, als er in die Wohnung der Zeugin ... zurückgekehrt war, seiner bei der Tat getragenen Kleidung. Diese verstaute er in einem Kissenbezug, welchen er wiederum neben dem Bett unter einer zusammenklappbaren Matratze versteckte. Zudem versuchte er der Zeugin ... eine Geschichte aufzutischen, um seine Tatbeteiligung zu verschleiern. All dies deutet darauf hin, dass der Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung Vorkehrungen treffen konnte, damit er nicht als Täter überführt werden würde.

Die Kammer ist sich bewusst, dass die Handlungen in der Wohnung der Zeugin ... teilweise in größerer zeitlicher Nähe zu der Tat durchgeführt wurden, so dass insoweit davon auszugehen ist, dass bereits ein Abbau von Alkohol stattgefunden hat. Gleichwohl hat die Kammer in der Gesamtschau der Umstände keinen Zweifel daran, dass dem Angeklagten bei der Begehung der Tat trotz seiner erheblichen Alkoholisierung die Gefährlichkeit seines Tuns bewusst war.

Die Kammer ist zudem davon überzeugt, dass der Angeklagte den Tod des Geschädigten bei Ausübung der Gewalt gegen den Geschädigten wenigstens billigend in Kauf genommen hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er dem Geschädigten in schneller Folge insgesamt achtzehn Stiche beigebracht hat, wobei er den ersten Stich zielgerichtet in den Brustbereich gesetzt hatte. Zudem zielte er im Folgenden mindestens weitere dreimal auf den besonders sensiblen Brust- und Bauchbereich, in dem sich lebenswichtige Organe befinden. Trotz der massiven Gegenwehr hielt er den Geschädigten fest und stach immer wieder auf diesen ein. Hierbei handelte es sich aufgrund der Bewegung beider Personen um ein dynamisches Geschehen, in dem die Stiche in die Arme durchaus auch den Brust- bzw. Bauchbereich hätten treffen können. Als es dem Geschädigten schließlich gelang, sich dem Griff des Angeklagten zu entwinden und über die Steinmauer zu klettern, versetzte der Angeklagte ihm noch zielgerichtet einen letzten Stich in den Rücken, was nach Überzeugung der Kammer sogar auf eine bewusste und nicht nur eine billigende Inkaufnahme des Todeseintritts hindeuten könnte.

Einen Einfluss der Alkoholisierung des Angeklagten im Hinblick auf die jedenfalls billigende Inkaufnahme des Todes des Geschädigten konnte die Kammer im Hinblick auf die obigen Erwägungen nicht feststellen.

Die Kammer ist ferner davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten bei Begehung der Tat die Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar erheblich eingeschränkt gewesen war.

Die Kammer hat sich diesbezüglich durch den erfahrenen Sachverständigen Dipl.-Med. H... beraten lassen. Dieser schloss zunächst das Vorliegen des Eingangsmerkmals des Schwachsinns aus. Zwar habe der Angeklagte schulische Probleme gehabt und keine Ausbildung absolviert. Dies sei jedoch nicht auf seine intellektuellen Fähigkeiten, sondern seine Verhaltensauffälligkeiten und sein Desinteresse zurückzuführen, denn schließlich habe er einen Schulabschluss im kontrollierenden Rahmen der Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg erreicht.

Es läge auch keine andere schwere seelische Abartigkeit vor.

Zwar sei bei dem Angeklagten von einem multiplen Substanzgebrauch auszugehen, wobei nicht eindeutig zwischen einem schädlichen Gebrauch (ICD-10: F19.1) und einer Abhängigkeit (ICD-10: F19.2) differenziert werden könne, da die Angaben des Angeklagten sowie die fremdanamnestischen Befunde nicht einheitlich seien. Zudem läge ein schädlicher Gebrauch von Alkohol vor (ICD-10: F10.1). Letztlich sei jedoch keine Depravation der Persönlichkeit des Angeklagten infolge des Alkohol- und Drogenmissbrauchs zu verzeichnen.

Darüber hinaus läge bei dem Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F61.0) mit Zügen der emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung des impulsiven Typs sowie der dissozialen Persönlichkeitsstörung vor. Diese sei dadurch gekennzeichnet, dass der Angeklagte unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen handele, eine Neigung zu Wutausbrüchen und Gewalt aufweise, ohne dass er diese kontrollieren könne, sich deutlich und andauernd verantwortungslos verhalte und soziale Normen missachte. Er zeige eine geringe Frustrationstoleranz und habe eine niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten. Auch diese erreiche nicht einen solchen Schweregrad, dass sie mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gleichzusetzen wäre. Der Angeklagte sei vielmehr in der Lage gewesen, sich eine neue Wohnung zu suchen und habe zudem Arbeitslosengeld bezogen. Darüber hinaus habe er Unterstützung durch seine Mutter und die Zeugin ... erhalten, so dass er sich in keiner psychosozialen Belastungssituation befunden habe, die seine Anpassungsfähigkeit überfordert hätte.

Der Sachverständige schloss zudem das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung aufgrund der Epilepsie-Erkrankung des Angeklagten (ICD-10: G40.9) aus. Zwar sei denkbar, dass der Angeklagte bei Auftreten eines Epilepsie-Anfalls aggressives Verhalten zeige. Ein solcher sei jedoch weder bei Begehung der Tat noch am Tattag aufgetreten, wie sich den Schilderungen der Zeugen im Hinblick auf den Zustand des Angeklagten entnehmen ließe. Auch zeige sich bei dem Angeklagten keine sekundäre Persönlichkeitsveränderung infolge von häufigen, regelmäßigen Epilepsie-Anfällen.

Jedoch ging der Sachverständige im Hinblick auf die akute Alkoholintoxikation des Angeklagten (ICD-10: F10.0) zum Tatzeitpunkt davon aus, dass bei diesem eine krankhafte seelische Störung im Sinn von §§ 20, 21 StGB vorgelegen habe.

Wie bereits erörtert, betrug die Blutalkoholkonzentration bei dem Angeklagten im Tatzeitpunkt zwischen mindestens 2,35 Promille und 2,759 Promille. Dies führte bei ihm zum einen zu leichten motorischen Ausfallerscheinungen in Form von Schwanken, wie die Zeugen R...., ... und ... beschrieben, jedoch auch zu Artikulationsschwierigkeiten in Form von Lallen und verwaschener Sprache. Zudem sei er laut gewesen, was die Zeugen R.... und ... ebenfalls auf die Alkoholisierung zurückführten.

Trotz der Alkoholisierung - so der Sachverständige - sei jedoch die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, nicht eingeschränkt gewesen. Hierfür seien keine Hinweise ersichtlich. Nach Überzeugung der Kammer weist zudem gerade das Nachtatverhalten des Angeklagten - nämlich die Reflektion seines Handelns („Scheiße, was habe ich getan?“) sowie das Verstecken des Tatmessers kurz nach der Tat - darauf hin, dass ihm zu diesem Zeitpunkt trotz seiner Alkoholisierung sehr wohl das Unrecht seines Handelns bewusst war. Im Hinblick darauf, dass eben dieser Alkoholisierungsgrad auch bei der im kurzen zeitlichen Abstand zuvor begangenen Tat vorlag, ist ohne jeden Zweifel davon auszugehen, dass bei ihm ebenfalls die Einsichtsfähigkeit in vollem Umfang erhalten war.

Der Sachverständige führte ferner aus, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht vollständig aufgehoben war. Hierfür spreche vor allem, dass der Angeklagte offensichtlich nicht in seiner Bewusstseinslage getrübt, sondern orientiert gewesen sei und einen realen Bezug zur Umgebung aufgewiesen habe. Dies werde vor allem daran ersichtlich, dass er die Situation nach dem erstmaligen Vorzeigen des Messers und der Flucht der Zeugen R.... und ... adäquat erfasst habe, den Zeugen ... zielgerichtet habe zurücklocken können und sodann ein mindestens fünfminütiges Gespräch geführte habe, aus dem heraus er völlig unvermittelt bei günstiger Gelegenheit auf den Geschädigten eingestochen habe. Wenngleich die Situation möglicherweise von der aggressiven Grundhaltung des Angeklagten geprägt gewesen sei, habe der Alkohol enthemmend und stimulierend gewirkt, so dass letztlich eine erhebliche Minderung der Steuerungsfähigkeit nicht auszuschließen sei.

Diesen nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung und Berechnung der möglichen Blutalkoholkonzentration vollumfänglich an.

IV. (Rechtliche Würdigung)

Der Angeklagte hat sich aufgrund des unter II. festgestellten Sachverhalts eines versuchten Mordes gemäß § 211 Abs. 2, 2. Gruppe, Variante 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB strafbar gemacht.

Der Angeklagte handelte heimtückisch im Sinn von § 211 Abs. 2, 2. Gruppe, Variante 1 StGB.

Heimtücke liegt vor, wenn der Täter eine zum Zeitpunkt des Angriffs bestehende Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tat ausnutzt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05 = NJW 2006, 1008). Maßgebend ist insoweit der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (BGH, Urteil vom 23. August 2000 - 3 StR 234/00 = NStZ-RR 2001, 14). Zwar kann die Arglosigkeit des Opfers beseitigt sein, wenn der Tat eine offene Auseinandersetzung mit von vorneherein feindseligem Verhalten des Täters vorangeht, so dass das Opfer akuten Anlass hat, mit einem tätlichen Angriff zu rechnen (BGH, Urteil vom 1. April 2019 - 2 StR 571/08 = NStZ 2009, 501). Ein der Tat vorangegangener bloßer Wortwechsel oder eine nur feindselige Atmosphäre schließt Heimtücke jedenfalls dann nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat. Das gilt ebenso für längere Zeit zurückliegende Aggressionen und Tätlichkeiten (vgl. BGH, Urteil vom 23. August 2000 - 3 StR 234/00).

Zwar war die erste Begegnung zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten dadurch geprägt, dass der Angeklagte dem Zeugen ... sofort eine Ohrfeige versetzte, ihm dessen Zigarette aus der Hand nahm, ein Messer zog und diesen sowie den Geschädigten mit den Worten: „Ich stech euch ab!“ bedrohte. Daraufhin flohen der Geschädigte und der Zeuge ... in verschiedene Richtungen. Diese Bedrohungssituation war jedoch alsbald beendet.

Zum einen steckte der Angeklagte das Messer weg und zum anderen rief er den beiden jungen Männern hinterher, dass sie ihr Handy vergessen hätten, dass alles nur ein Spaß sei und dass sie zurückkommen könnten. Dies tat der Zeuge ... auch und rief sodann seinerseits den Geschädigten an. Zwar erwog dieser zunächst, ob des Geschehens die Polizei zu rufen. Letztlich entschloss er sich hierzu nicht, ließ sich durch den Zeugen ... beruhigen und kehrte an die Mauer zurück.

Auch im Folgenden bot sich für den Geschädigten keinerlei Anlass mit einem erneuten Angriff des Angeklagten zu rechnen. So bot dieser ihm eine Zigarette an. Gemeinsam führten die vier jungen Männer ein mindestens fünf Minuten andauerndes Gespräch, welches friedlich und ohne jegliche Streitigkeiten und Aggressionen geführt wurde. Sie unterhielten sich dabei u. a. darüber, wo man in ... Betäubungsmittel erwerben könne und wo der Angeklagte hergekommen sei. Zur Beruhigung des Geschädigten hat darüber hinaus auch beigetragen, dass der Angeklagte von dem Zeugen ..., den der Geschädigte nach seiner Rückkehr an den späteren Tatort als seinen Klassenkameraden aus dem Oberstufenzentrum erkannt hatte, begleitet wurde. Auch die Tatsache, dass sich der Geschädigte nach links zu seinem Freund ... umdrehte und deshalb in diesem Moment dem Angeklagten den Rücken zukehrte, spricht dafür, dass er von keinerlei Gefahr seitens des Angeklagten mehr ausging und demzufolge mit keinem Angriff rechnete, da er sich ansonsten nicht derart schutzlos dem Angeklagten, der ihn einige Minuten zuvor mit einem Messer bedroht hatte, ausgeliefert hätte. Infolgedessen war der Geschädigte auch nicht in der Lage, auf den völlig überraschenden Angriff des Angeklagten zu reagieren, als er sich zu diesem zurückdrehte.

Dies nutzte der Angeklagte bewusst in feindlicher Willensrichtung aus, was sich unzweifelhaft daraus ergibt, dass er auf eine günstige Gelegenheit - nämlich das Umdrehen des Geschädigten - gewartet hatte. Zwar hatte der Angeklagte bereits im Vorfeld durch seine Versicherung, dass alles nur ein Spaß sei und sie zurückkommen könnten, dem Spendieren einer Zigarette sowie der Durchführung eines längeren, friedlichen Gesprächs die Situation wieder derart beruhigt, dass die beiden jungen Männer nicht mehr mit einem erneuten Angriff rechneten. Dennoch nutzte er die friedliche Lage nicht sofort aus, sondern wartete auf eben diese günstige Gelegenheit, bei er es ihm ohne Weiteres möglich war, überraschend zuzustechen, den Geschädigten zu packen und festzuhalten sowie sodann weiter auf ihn einzustechen, ohne dass Letzterer eine Chance hatte, sich zu wehren.

Der Angeklagte ist nicht strafbefreiend von dem Versuch des Mordes gemäß § 24 StGB zurückgetreten.

Die Kammer hatte zunächst zu prüfen, ob ein sogenannter fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn der Taterfolg aus Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten Mitteln oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2005 - 4 StR 216/05 = NStZ-RR 2006, 168).

Einen solch fehlgeschlagenen Versuch vermochte die Kammer nicht festzustellen. Im Rahmen der Beweisaufnahme konnte nicht sicher festgestellt werden, ob es dem Angeklagten im Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung - nämlich dem Stich in den Rücken des Angeklagten - möglich gewesen wäre, die Tat zu vollenden. Zwar hat der Geschädigte geschildert, dass der Angeklagte aufgrund seines, des Geschädigten, Sprunges über die Mauer und seiner anschließenden Flucht ihm hätte keine weiteren Stiche versetzen können. Jedoch vermochte die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass es für den Angeklagten gleichwohl möglich gewesen wäre, dem bereits aufgrund des Blutverlusts geschwächten Geschädigten hinterherzulaufen und ggf. erneut auf diesen einzustechen, um diesen auf der Stelle zu töten.

Aus Sicht des Angeklagten war der Versuch des Mordes aber bereits beendet.

Beendet ist ein Versuch, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs für möglich hält (vgl. BGH Urteil vom 7. Februar 2018 - 2 StR 171/17 = NStZ-RR 2018, 137). Gleiches gilt, wenn der Täter sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht oder der Erfolg ihm gleichgültig ist (vgl. BGH a.a.O.).

Der Angeklagte ging im Zeitpunkt des letzten Stiches in den Rücken davon aus, dass er alles für die Tötung des Geschädigten Erforderliche getan hatte. Er hatte in schneller Folge dem Geschädigten insgesamt achtzehn Messerstiche versetzt, von denen vier Stiche den Bereich der Brust und des Bauches sowie einer den Rücken und ein weiterer Stich den Oberarm, der die Oberarmschlagader eröffnet hatte, trafen. Aufgrund dessen kam es bei dem Geschädigten zu einem erheblichen Blutverlust, was der Angeklagte aufgrund seiner eigenen blutigen Hände wahrgenommen hat. Zudem äußerte er kurze Zeit nach der Tat: „Scheiße, was habe ich getan?“

Ein weiteres Indiz für diese Annahme ist, dass der Angeklagte, nachdem er mit dem Zeugen ... zur Wohnung der Zeugin ... zurückgekehrt war, anerkennend geäußert hat, dass der Junge Lebenswillen hatte, weil er ihn noch rennen sah. Zudem schrieb der Angeklagte etwa zwei Stunden nach der Tat seiner Mutter: „Ein Mensch ist tot.“ Insoweit ging der Angeklagte ersichtlich selbst (fälschlicherweise) davon aus, dass der Geschädigte aufgrund des Geschehens versterben werde bzw. verstorben ist.

Eine Korrektur dieser Vorstellung im engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang, nämlich aufgrund der Flucht des Geschädigten, hat der Angeklagte nicht vorgenommen.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Geschädigte den massiven Angriff überlebt hätte, hatte der Angeklagte - mit Ausnahme von dessen Flucht - nicht. Zumindest war ihm dies aber auch völlig gleichgültig.

Vielmehr wird anhand seiner Aussage: „Scheiße, was habe ich getan?“ sowie dem Vorzeigen seiner blutigen Hände gegenüber dem Zeugen ... deutlich, dass er offensichtlich vom Schlimmsten, d. h. dem Tod des Geschädigten, ausging. Dem steht auch nicht entgegen, dass er später gegenüber dem Zeugen ... äußerte, dass der Geschädigte Lebenswillen gehabt habe, der sich durch dessen Flucht für ihn gezeigt habe. Die Kammer geht insoweit davon aus, dass der Angeklagte hiermit nicht die Hoffnung verband, dass der Geschädigte den Angriff überlebt hätte, sondern vielmehr lediglich überrascht und verwundert war, dass er trotz der Vielzahl der Stiche zur Flucht überhaupt noch in der Lage war. Dies wird auch durch die Bekundung des Zeugen ... bestätigt, der angab, dass er den Eindruck gehabt habe, dass der Angeklagte den Geschädigten hierfür bewundert habe. Die spätere Textnachricht an seine Mutter spricht ebenfalls gegen eine Korrektur des Rücktrittshorizontes

Die für einen Rücktritt erforderlichen Maßnahmen im Rahmen eines beendeten Versuchs, nämlich die Verhinderung der Vollendung der Tat (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB), hat der Angeklagte nicht unternommen. Vielmehr ist er vom Tatort geflüchtet, ohne sich in irgendeiner Weise um die Rettung des Geschädigten zu bemühen.

Der Angeklagte hat tateinheitlich zum versuchten Mord den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung im Sinn von §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB erfüllt. Diese hat er mittels eines gefährlichen Werkzeugs - nämlich des verwendeten Küchenmessers - sowie einer das Leben gefährdenden Behandlung - das Einstechen auf den Brust- bzw. Bauchbereich sowie auf den Oberarm ist aufgrund der Tatsache, dass nach dem Durchdringen der Haut die Stichtiefe und -richtung nicht mehr kontrolliert werden kann und daher ohne Weiteres lebenswichtige Organe und Gefäße verletzt werden können, generell geeignet das Leben zu gefährden - begangen.

V. (Strafzumessung)

Die Kammer ist von dem gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB ausgegangen.

Wie unter III. ausgeführt, befand sich der Angeklagte aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung bei Ausführung der Stiche auf den Geschädigten nicht ausschließbar im Zustand der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit. Besonders schwerwiegende Gründe, die zur Versagung der Strafrahmenmilderung führen, sind nicht ersichtlich.

Die Kammer hat jedoch von einer (weiteren) Milderung des Strafrahmens gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB abgesehen.

Zwar ist es im vorliegenden Fall „nur“ zu einem Mordversuch gekommen, weshalb zu prüfen war, ob aufgrund des Vorliegens des vertypten Milderungsgrundes im Sinne von §§ 22, 23 Abs. 2 StGB eine Herabsetzung des Regelstrafrahmens über § 49 Abs. 1 StGB infrage kommen kann. Hierbei war eine besonders sorgfältige Abwägung aller Umstände geboten, auch soweit sie für den Angeklagten sprechen, da von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 8 und § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 21; NStZ 2004, 620). Doch hat diese Abwägung aufgrund einer Gesamtwürdigung der wesentlichen Tatumstände und der Persönlichkeit des Angeklagten keinen Anlass für ein Absehen von der in § 211 Abs. 1 StGB fixierten absoluten Strafandrohung gegeben. Bei dieser Gesamtschau ist den wesentlich versuchsbezogenen Umständen besonderes Gewicht beigemessen worden.

Zu Gunsten des Angeklagten vermochte die Kammer lediglich seine alkoholbedingte Enthemmung zu werten.

Zu Lasten des Angeklagten sprach, dass er bereits vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wobei er mehrfach wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt werden musste. Darüber hinaus spricht zu seinen Lasten, dass er ohne jeden Grund einen ihm völlig unbekannten jungen Mann angegriffen hat. Zudem wird aus den Umständen der Tat eine hohe kriminelle Energie des Angeklagten ersichtlich, die sich u. a. auch darin äußert, dass er dem Geschädigten eine Vielzahl von Stichen und selbst nachdem es diesem gelungen war, sich aus dem Griff des Angeklagten zu befreien und zu flüchten, versetzte. Allein aufgrund glücklicher Umstände, nämlich des schnellen Eintreffens des Notarztes, konnte das Leben des Geschädigten gerettet werden. Die Folgen für diesen waren immens. Zwar sind die Stichverletzungen zwischenzeitlich verheilt. Jedoch sind Spätfolgen verblieben. So kann der Geschädigte aufgrund der Durchtrennung der Sehnen den linken kleinen Finger nicht mehr gerade aufrichten. Zudem leidet er auch an Taubheitsgefühlen im rechten Unterarm und in der rechten Hand, weshalb er mit dieser Hand nicht mehr schwer heben kann. Der Geschädigte leidet darüber hinaus an Schlafstörungen und an Alpträumen. Inwieweit dies Auswirkungen auf das weitere Leben des jungen Geschädigten, insbesondere bei der Berufswahl, haben wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.

Unter Abwägung dieser Umstände kam eine Verschiebung des Strafrahmens gemäß §§ 23 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht.

Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat die Kammer, ausgehend von dem gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB, die o. g. für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände, insbesondere die alkoholbedingten Enthemmung, jedoch auch die Art und Weise der Tatbegehung und die Folgen für den jungen Geschädigten R...., erneut abgewogen und hält daher eine Freiheitsstrafe von neun Jahren für tat- und schuldangemessen.

Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kam nicht in Betracht.

Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB konnte bereits deshalb nicht angeordnet werden, da die Kammer im Rahmen der Hauptverhandlung - wie bereits oben unter III. ausgeführt - nicht sicher feststellen konnte, dass bei dem Angeklagten bei Begehung der Tat die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen war.

Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kam ebenfalls nicht in Betracht. Zwar bestehe bei dem Angeklagten unzweifelhaft ein Hang Alkohol und Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren, wie der Sachverständige Dipl.-Med. H... ausführte. Der Angeklagte würde nicht regelmäßig, jedoch zum Teil übermäßig Alkohol und Drogen konsumieren, was in der Vergangenheit bereits dazu geführt habe, dass Kriseninterventionen hätten durchgeführt werden müssen.

Gleichwohl habe kein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum des Angeklagten und der Tatbegehung bestanden. Die Tat sei Ausdruck der aggressiven Einstellung und der Disposition des Angeklagten zu aggressivem und impulsivem Verhalten. Diese Verhaltensweisen würden auch dann auftreten, wenn der Angeklagte keinerlei Alkohol konsumiert habe. So sei dieser ihm - dem Sachverständigen - im Rahmen der Exploration am 27. Oktober 2019 sehr aggressiv gegenübergetreten. Zudem wird dies anhand der Vorverurteilungen ersichtlich. Wie sich aus dem Bundeszentralregisterauszug vom 4. Juni 2020 ergibt, beging der Angeklagte mehrfach Vergehen der gefährlichen Körperverletzung, ohne dass er sich in einem Zustand der erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit befunden habe.

Wenngleich auch zukünftig weitere Straftaten zu erwarten seien, bestünde eine hinreichende Aussicht auf einen Erfolg der Therapie hingegen nicht. Zum einen habe sich der Angeklagte bisher keinerlei ernsthafte Gedanken diesbezüglich gemacht. Zum anderen sei nach Einschätzung des Sachverständigen die Entziehungsanstalt nicht der geeignete Ort zur Behandlung des Verurteilten. Im Vordergrund der Behandlung habe zunächst die Persönlichkeit des Angeklagten, insbesondere die mit den Gewalthandlungen im Zusammenhang stehenden Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen und Verhaltensdispositionen, zu stehen. Hierfür sei die Behandlung in einer sozialtherapeutischen Anstalt mit den speziellen Programmen für Gewaltstraftäter geeigneter. Die (unbehandelten) Persönlichkeitsmerkmale stünden zudem der Erfolgsaussicht ebenfalls entgegen, da sie eine Einsicht in die Behandlungsnotwendigkeit nicht ermöglichen.

Diesen ausführlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen schließt sich die Kammer nach eigener, sorgfältiger Prüfung an.

VI. (Adhäsionsverfahren)

Der Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie Schadenersatz beruht auf §§ 823 Abs. 2, 249, 253 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 211 Abs. 1, 22, 23, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB. Gleiches gilt, soweit der Adhäsionsbeklagte verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden aus der Tat vom 30. September 2019 zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Dritte übergegangen ist.

Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte als Adhäsionsbeklagter den geltend gemachten Anspruch des Adhäsionsklägers anerkannt hat, war gemäß § 406 Abs. 2 StPO wie tenoriert zu entscheiden.

VII. (Kosten)

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 S. 1, 472a Abs. 1 StPO.