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Entscheidung OVG 9 B 19.18


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 18.01.2022
Aktenzeichen OVG 9 B 19.18 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0118.OVG9B19.18.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 240 AO, § 227 AO, § 12c Abs 2 KaG BE, § 8 Abs 7 S 2 KaG BE

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das zweitinstanzliche Verfahren auf 855,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt den Erlass von Säumniszuschlägen.

Sie ist Eigentümerin eines Grundstücks in Z ... . Die Beklagte zog sie für dieses Grundstück mit Nacherhebungsbescheiden vom 3. Juli 2012 zu einem Beitrag für die Herstellung der zentralen Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung i. H. v. 4.762,54 Euro und zu einem Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Wasserversorgungsanlage i. H. v. 983,78 Euro heran. Die Klägerin legte gegen diese Bescheide mit Schreiben vom 26. Juli 2012 Widerspruch ein, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. hier keine Anwendung finden könne, da dies einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot darstellen würde. Zugleich beantragte sie hinsichtlich beider Bescheide die Aussetzung der Vollziehung. Diese Aussetzungsanträge lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 28. August 2012 ab. Nachdem die Klägerin unter dem 14. Februar 2013 u. a. darauf hingewiesen hatte, dass die Ablehnung der Aussetzung fehlerhaft sei, teilte die Beklagte ihr unter dem 27. Februar 2013 mit, dass auch in Ansehung der Schreiben vom 14. Februar 2013 an der Ablehnung der Aussetzungsanträge festgehalten werde.

Die Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 22. März 2013 zurück. Am 17. April 2013 erhob die Klägerin Klage gegen die Beitragsbescheide. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2013 kündigte die Bürgermeisterin der Stadt Z ... wegen der offenen Beitragsforderungen und verwirkter Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 855,00 Euro in Amtshilfe für den Beklagten die Zwangsvollstreckung an. Nachfolgend beglich die Klägerin sowohl die Beitragsforderungen als auch die Säumniszuschläge.

Mit Schreiben vom 20. Januar 2016 beantragte sie bei der Beklagten den Erlass der Säumniszuschläge, die dies mit Bescheid vom 10. März 2016 ablehnte. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin am 2. Juni 2016 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.

Im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14 und BvR 3051/14 - hob die Beklagte die Beitragsbescheide mit Aufhebungsbescheiden vom 21. Oktober 2016 auf. Das gegen die Beitragsbescheide gerichtete Klageverfahren erklärten die Beteiligten daraufhin übereinstimmend für erledigt.

Im vorliegenden, den Erlass der Säumniszuschläge betreffenden Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 23. Januar 2018 unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, die mit der Ankündigung der Zwangsvollstreckung vom 17. Oktober 2013 in Höhe von 855 Euro geforderten Säumniszuschläge zu erlassen. Zwar seien die streitigen Säumniszuschläge nicht schon deshalb zu erlassen, weil die Beklagte die Beitragsbescheide vom 3. Juli 2012 als Reaktion auf den Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 aufgehoben habe. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 5 b) und Abs. 2 KAG i. V. m. § 240 Abs. 1 Satz 4 AO blieben bei einer Aufhebung festgesetzter Abgaben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt. Mit dieser Regelung habe der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auch dann zu entrichten seien, wenn sich die Abgabenfestsetzung später als unrechtmäßig erweise. Um einen Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit zu rechtfertigen, müssten besondere – über die (bloße) Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheides hinausgehende – Umstände des Einzelfalls hinzukommen. Solche besonderen Umstände seien hier indessen gegeben, da es der Klägerin nicht möglich gewesen sei, nach Bekanntgabe der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Beitragsbescheide einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen. Die beantragte Aussetzung der Vollziehung habe die Beklagte abgelehnt. Den Versuch, verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, habe die Klägerin zwar nicht unternommen. Dies sei aber auch nicht zumutbar gewesen. Bis zum Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 wäre ein solcher Versuch von vornherein aussichtlos gewesen. Ob die Klägerin eine Erstattung der verwirkten Säumniszuschläge auch noch durch einen nach der Entscheidung des BVerfG gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hätte erreichen können, könne offenbleiben. Ein solcher Antrag habe sich dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch bei Anwendung gesteigerter anwaltlicher Sorgfaltspflichten nicht aufdrängen müssen. Es könne der Klägerin deshalb nicht zum Nachteil gereichen, dass sie diese Möglichkeit nicht erkannt habe. Zudem wäre ein solcher gerichtlicher Eilantrag mit einem nicht unerheblichen Kostenrisiko verbunden gewesen, da das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses bei – wie hier – fehlender anstehender Vollstreckung nicht hinreichend geklärt sei.

Das Urteil ist der Beklagten am 20. Juni 2018 zugestellt worden. Sie hat am 3. Juli 2018 die schon vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt und die Berufung am 20. August 2018 begründet.

Die Beklagte bringt im Wesentlichen vor: Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei nach der Rechtsprechung unbillig, wenn das Rechtsmittel des Abgabenschuldners gegen die Abgabenfestsetzung erfolgreich gewesen sei und der Abgabenschuldner alles getan habe, um die Aussetzung der Vollziehung des Abgabenbescheides zu erreichen und ihm diese, obwohl an sich möglich und geboten, versagt worden sei. Diese Grund-sätze habe das Verwaltungsgericht zu weit ausgelegt. Unbilligkeit liege nicht schon vor, wenn die Aussetzung im Eilverfahren versagt worden sei und der Kläger später im Hauptsacheverfahren Erfolg habe. Vielmehr müsse die Aussetzung im Zeitpunkt der Eilentscheidung möglich und geboten gewesen und trotzdem versagt worden sein. Daran fehle es hier, da bis zur Entscheidung des BVerfG vom 12. November 2015 keine ernstlichen Richtigkeitszweifel an der Rechtmäßigkeit der ergangenen Beitragsbescheide bestanden hätten. Zudem wäre der Versuch, einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen, für die Klägerin sehr wohl zumutbar gewesen. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 10. Mai 2016 - 1 BvR 2322/14 - hätte sie in diesem Fall sogar gegen die gerichtlichen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren unmittelbar Verfassungsbeschwerde erheben und auf diesem Weg eine Klärung der allein noch offenen verfassungsrechtlichen Fragen erreichen können.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2018 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für richtig. Es trage dem Umstand Rechnung, dass ihr Eilrechtsschutz bis zur Entscheidung des BVerfG vom 12. November 2015 nicht gewährt worden wäre. Ihr habe nicht zugemutet werden können, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, der ohnehin keinen Erfolg gehabt hätte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung der Beklagten gemäß § 130a Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält; die Beteiligten sind dazu gehört worden.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

Es kann offen bleiben, ob als Rechtsgrundlage für den erstrebten Erlass der Säumniszuschläge § 12 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a KAG in Verbindung mit § 227 AO oder § 12c Abs. 2 KAG in Betracht kommt. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieser Normen sind, jedenfalls soweit es um die hier in Rede stehende sachliche Unbilligkeit geht, identisch (vgl. Beschluss des Senats vom 10. Februar 2017 - OVG 9 N 200.13 -, juris Rn. 7).

Voraussetzung für einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen ist demnach, dass die Erhebung einer Abgabe oder abgabenrechtlichen Nebenleistung zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Bei der Billigkeitsprüfung müssen demgemäß solche Umstände außer Betracht bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Eine für den Abgabepflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt in der Regel keine Billigkeitsmaßnahme (vgl. Beschluss des Senats vom 10. Februar 2017 - OVG 9 N 200.13 -, juris Rn. 8).

Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Anforderung öffentlicher Abgaben entfalten keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Bestehen an der Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung ernstliche Zweifel oder hätte die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge, so soll die Behörde die Vollziehung aussetzen (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Tut sie das nicht, kann auf Antrag das Gericht tätig werden und nach demselben Maßstab vorläufigen Rechtsschutz gewähren (§ 80 Abs. 5, Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 VwGO). Das Gesetz mutet danach dem Adressaten der Abgabenfestsetzung zu, die Abgabe selbst bei Erhebung von Widerspruch und Klage vorläufig erst einmal zu zahlen, es sei denn, er erlangt eine behördliche Aussetzung der Vollziehung oder gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz.

Die grundsätzliche Pflicht, die Abgabe auch dann zu begleichen, wenn gegen den Abgabenbescheid Widerspruch oder Klage erhoben worden ist, wird dadurch flankiert, dass bei Nichtzahlung Säumniszuschläge anfallen. Diese haben den Zweck, den aus der Nichtzahlung resultierenden Zinsverlust der öffentlichen Hand auszugleichen und den Abgabenpflichtigen zur Zahlung zu bewegen. Nach der gesetzlichen Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b KAG i. V. m. § 240 Abs. 1 Satz 1 AO setzt die Entstehung des Säumniszuschlags allein voraus, dass die Abgabe wirksam festgesetzt und auf diese trotz Fälligkeit nicht geleistet wurde. Darüber hinaus ergibt sich aus § 240 Abs. 1 Satz 4 AO, dass bereits verwirkte Säumniszuschläge von einer späteren Änderung oder Aufhebung des Abgabenbescheids unberührt bleiben. Daraus folgt, dass keine unmittelbare Abhängigkeit zwischen Abgabe und Säumniszuschlägen besteht, die bei einem Erfolg im Hauptsacheverfahren gegen den Abgabenbescheid immer zugleich die verwirkten Säumniszuschläge entfallen ließe. Vielmehr bleiben die entstandenen Säumniszuschläge unberührt und können grundsätzlich auch dann erhoben werden, wenn sich die Abgabenerhebung später als unrechtmäßig erweist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung bestehen nicht (vgl. Beschluss des Senats vom 14. März 2011 - OVG 9 N 71.10 -, juris Rn. 15 ff.). Das Bestehenbleiben der Säumniszuschläge auch bei einem Klageerfolg findet seine Rechtfertigung gerade in dem mit dem Säumniszuschlag verfolgten Zweck und ist den Betroffenen auch deshalb zumutbar, weil sie unter bestimmten Umständen die Aussetzung des Abgabenbescheides erlangen und damit auch den Säumniszuschlägen entgehen können.

Soweit der Gesetzgeber den Betroffenen zumutet, Säumniszuschläge auch dann zu zahlen, wenn sich der - nicht ausgesetzte - Abgabenbescheid im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweist, darf das nach dem eingangs Ausgeführten grundsätzlich nicht durch eine Billigkeitsentscheidung überwunden werden. Deshalb sind verwirkte Säumniszuschläge nur dann im Wege des Billigkeitserlasses wegen sachlicher Unbilligkeit zu beseitigen, wenn (1.) das Rechtsmittel des Abgabenschuldners gegen die Abgabenfestsetzung in der Hauptsache Erfolg hatte und (2.) der Abgabenschuldner alles Zumutbare getan hat, um die Aussetzung der Vollziehung des Abgabenbescheides zu erreichen und (3.) ihm diese, obwohl an sich möglich und geboten, versagt wurde (vgl. Beschlüsse des Senats vom 28. November 2013 - OVG 9 N 136.12 u. a. -, juris Rn. 11, und vom 10. Februar 2017 - OVG 9 N 200.13 -, juris Rn. 10, jeweils m. w. N.). Maßstab für Letzteres ist nach der Rechtsprechung des Senats, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides bestanden (§ 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt., i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO), die Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheides also überwiegend wahrscheinlich war. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, wie die Rechtslage (nunmehr) im Zeitpunkt der Entscheidung über den Billigkeitserlass zu bewerten ist (vgl. Beschluss vom 13. Juli 2017 - OVG 9 N 178.13 -, juris Rn. 10; vgl. zum Billigkeitserlass nach § 227 AO auch BFH, Beschluss vom 2. März 2017 - II B 33/16 -, juris Rn. 16; Urteile vom 13. Januar 2005 - V 3 35/03 -, juris Rn. 33 f., und vom 21. April 2005 – V R 16/04 -, juris Rn. 20, 27 f.).

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Mit der Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO (i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b KAG) hat der Gesetzgeber die Möglichkeit in Kauf genommen, dass Abgabenpflichtige zunächst im vorläufigen Rechtsschutzverfahren unterliegen und Säumniszuschläge entstehen, die Klage später aber doch Erfolg hat. Dieses Prozessrisiko ergibt sich typischerweise schon aus der geringeren Prüfungstiefe im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem Hauptsacheverfahren. Jedenfalls einem nicht der Härtefallregelung des § 80 Abs. 4 Satz 3 Hs. 2 VwGO unterfallenden Abgabenpflichtigen wird damit vom Gesetzgeber – in zumutbarer Weise – auferlegt, eine Einschätzung zu treffen, ob überwiegende Erfolgsaussichten schon bei der überschlägigen Prüfung im Eilverfahren bestehen oder ob es sicherer erscheint, die geforderte Abgabe zunächst zu entrichten und für den Fall eines Obsiegens im Klageverfahren den gezahlten Betrag zuzüglich Prozesszinsen zurückzuerhalten (vgl. Beschluss des Senats vom 14. März 2011 - OVG 9 N 71.10 -, juris Rn. 18). Diese gesetzgeberische Entscheidung würde unterlaufen, wenn man bei der Prüfung der Frage, ob eine Vollziehungsaussetzung möglich und geboten war, auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Billigkeitsantrag abstellen würde. Denn dann müssten regelmäßig der bessere Erkenntnisstand des Hauptsacheverfahrens oder auch eine zwischenzeitliche Änderung bzw. Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Erlasswege berücksichtigt werden. Dies wäre nicht sachgerecht. Die mit der fehlenden Akzessorietät zwischen den Säumniszuschlägen und der abgabenrechtlichen Hauptforderung typischerweise verbundenen Härten sind vom Gesetzgeber gewollt und deshalb nicht im Wege des Billigkeitserlasses zu beseitigen. Hierzu besteht nur dann Anlass, wenn sich die dem oben beschriebenen Regelungssystem zugrunde liegende Annahme, dass der Bürger dann, wenn an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides ernstliche Zweifel bestehen oder dessen sofortige Vollziehung für ihn eine Härte im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zur Folge hätte, die behördliche Aussetzung der Vollziehung oder jedenfalls gerichtlichen Eilrechtsschutz erreichen kann, im Einzelfall als unzutreffend erwiesen hat (vgl. Beschluss des Senats vom 10. Februar 2017 - OVG 9 N 200.13 -, juris Rn. 10). Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Billigkeitsentscheidung liefe zudem dem Zweck der Säumniszuschläge zuwider, der u. a. darin besteht, die rechtswidrige Nichtbeachtung der Pflicht zur vorläufigen Zahlung zu sanktionieren (vgl. Beschluss vom 10. Februar 2017, a. a. O., Rn. 9; BFH, Urteil vom 13. Januar 2000 - VII R 91/98 -, juris Rn. 20 f.). Es ist nicht sanktionsfrei in das Belieben des Adressaten eines Abgabenbescheides gestellt, diese Zahlungsverpflichtung unbeachtet zu lassen. Zahlt der Veranlagte trotz fehlender behördlicher oder gerichtlicher Vollziehungsaussetzung nicht, hat er es grundsätzlich selbst zu verantworten, wenn er Säumniszuschläge entrichten muss (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2011 - OVG 9 N 71.10 -, juris Rn. 17).

Gemessen daran liegen vorliegend die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass der Säumniszuschläge nicht vor.

Die Klägerin hat zwar letztlich mit ihrer Klage gegen die Nacherhebungsbescheide in der Weise Erfolg gehabt, als die Beklagte sie in Ansehung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2961/14, 1 BVR 3051/14 -, juris) klaglos gestellt hat. Nach dieser Entscheidung besteht gegenüber der Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. in denjenigen Fällen Vertrauensschutz, in denen nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. in der Auslegung durch das OVG Frankfurt (Oder) schon vor dem 1. Februar 2004 keine Beiträge mehr hätten erhoben werden können.

Die Klägerin hat aber schon nicht alles Zumutbare getan, um die Aussetzung der Vollziehung der Nacherhebungsbescheide zu erreichen.

Zwar hat die Klägerin mit Schreiben vom 26. Juli 2012 bei der Beklagten einen Aussetzungsantrag gestellt und nach dessen Ablehnung mit Schreiben vom 14. Februar 2013 nochmals eine Aussetzung angeregt, was die Beklagte ebenfalls abgelehnt hat. Insoweit hat die Klägerin indessen nicht weiter nachgesetzt und insbesondere keinen Eilantrag nach § 80 Abs 5, Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 VwGO gestellt. Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, dies sei ihr wegen der bis dahin bestehenden Rechtsprechung der brandenburgischen Verwaltungsgerichte, des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, des Bundesverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zur Frage der Anwendbarkeit des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. wegen Aussichtslosigkeit nicht zumutbar gewesen, mag das ungeachtet der Möglichkeit, nach einem erfolglosen verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren Verfassungsbeschwerde zu erheben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2016 - 1 BvR 2322/14 -, juris Rn. 12 ff.), zutreffend sein. Jedenfalls hat die Klägerin aber schon deshalb nicht alles Zumutbare zur Erlangung einer Aussetzung der Vollziehung getan, weil sie nach dem Bekanntwerden des genannten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 – die Nacherhebungsbescheide waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgehoben und ihr Klageverfahren lief noch – keinen erneuten Aussetzungsantrag gestellt hat, obwohl ein solcher Antrag nicht mehr aussichtslos gewesen wäre.

Der vom anwaltlichen Prozessbevollmächtigten unter dem 20. Januar 2016 namens der Klägerin gestellte Erlassantrag hinsichtlich der Säumniszuschläge ist kein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Nacherhebungsbescheide gewesen. Auch einen gerichtlichen Eilantrag hat die Klägerin nach dem Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr gestellt, obwohl die Möglichkeit bestand, damit die Aussetzung der Bescheide rückwirkend auf den Erlass zu erreichen und damit auch die Säumniszuschläge zu beseitigen. Zwar hatte die Klägerin die Beiträge (und auch die Säumniszuschläge) inzwischen beglichen, so dass ihr insbesondere keine Zwangsvollstreckung aus den Nacherhebungsbescheiden mehr drohte. Dies hätte aber das Rechtsschutzbedürfnis für einen Aussetzungsantrag nicht entfallen lassen, denn dieser hätte der Klägerin noch etwas genützt. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes zurückwirkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2016 - 9 C 1.15 -, juris Rn. 14, m. w. N.) und in diesem Fall auch bereits verwirkte Säumniszuschläge entfallen (vgl. Beschluss des Senats vom 19. April 2013 - OVG 9 S 82.12 -, juris Rn. 48). Der vorläufige Rechtsschutz dient deshalb nicht allein dem Vollstreckungsschutz, sondern ist auch für das Entstehen von Nebenforderungen von Bedeutung (vgl. auch OVG Greifswald, Beschluss vom 7. Juli 2016 - 1 M 203/16 -, juris Rn. 4 ff.). Jedenfalls für Säumniszuschläge kann dies für das Brandenburgische Landesrecht im Hinblick auf die Rechtsprechung des Senats als geklärt angesehen werden, so dass das Rechtsschutzbedürfnis für entsprechende einstweilige Rechtsschutzbegehren jedenfalls nicht sicher abzusprechen gewesen ist. Zwar kann das Gericht im Rahmen seiner Ermessensausübung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Rückwirkung zeitlich einschränken oder ausschließen, insbesondere die Wirkungen der Entscheidung nur für die Zukunft eintreten lassen. Der Senat hat aber ebenfalls bereits entschieden, dass bei einem Erfolg des Eilantrags „regelmäßig“ die aufschiebende Wirkung rückwirkend anzuordnen ist (vgl. Beschluss vom 19. April 2013 - OVG 9 S 82.12 -, juris Rn. 48) und der Sanktionscharakter der Säumniszuschläge einer rückwirkenden Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegensteht (vgl. Beschluss vom 20. November 2007 - OVG 9 S 34.07 -, juris Rn. 9).

Bestand somit die konkrete Möglichkeit, auch noch nach der Entscheidung des BVerfG vom 12. November 2015 das Entfallen der Säumniszuschläge durch einen gerichtlichen Eilrechtsschutzantrag zu bewirken, dann hätte die Klägerin hiervon Gebrauch machen müssen, um einen Billigkeitserlass zu rechtfertigen. Eine Kenntnis der vorgenannten Rechtsprechung kann jedenfalls bei – wie hier – anwaltlicher Vertretung erwartet werden und ein verbleibendes (überschaubares) Prozessrisiko ist zumutbar gewesen.

Anders als die Klägerin meint, kann im Hinblick auf die Frage, ob sie alles Zumutbare zur Erlangung einer Aussetzung der Nacherhebungsbescheide (und damit zur Vermeidung schon der Entstehung von Säumniszuschlägen) getan hat, nicht allein auf den Zeitraum abgestellt werden, in dem die Säumniszuschläge entstanden sind und der gänzlich vor dem Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 gelegen hat. Das gilt auch in Ansehung der bei der Beklagen gestellten Aussetzungsanträge vom 26. Juli 2012 und 14. Februar 2013. Denn für diesen Zeitraum bis zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts fehlte es jedenfalls an der weiteren Voraussetzung für einen Billigkeitserlass, dass die Aussetzung der Vollziehung geboten gewesen sein muss, also zu Unrecht versagt worden ist. Vor der Entscheidung des BVerfG vom 12. November 2015 war eine Vollziehungsaussetzung nicht geboten, weil in diesem (nach den oben genannten Grundsätzen maßgeblichen) Zeitraum keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung bestanden. Es entsprach bis zur Entscheidung des BVerfG der gefestigten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG auf alle Fälle anwendbar sei (vgl. hierzu etwa Urteil des Senats vom 12. November 2019 - OVG 9 B 11.19 -, juris Rn. 30). Dementsprechend erfolgte die Ablehnung der beantragten Vollziehungsaussetzung durch die Beklagte nicht zu Unrecht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Die Streitwertfestsetzung für das zweitinstanzliche Verfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 3 GKG.