Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 20. Senat | Entscheidungsdatum | 26.10.2021 | |
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Aktenzeichen | L 20 AS 1147/21 B ER PKH | ECLI | ECLI:DE:LSGBEBB:2021:1026.L20AS1147.21B.ER.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2021 aufgehoben, soweit damit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für sie abgelehnt wurde.
Den Antragstellern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt H, Z, P, beigeordnet.
Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
I.
Die Beschwerde der Antragsteller richtet sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht (SG), in dem die Antragsteller Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II – für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2021 begehrt haben.
Die Antragsteller hatten zuletzt bis 30. April 2021 SGB-II-Leistungen vom Antragsgegner erhalten und deren Weiterbewilligung ab Mai 2021 unter dem 20. Mai 2021 beantragt.
Unter dem 10. August 2021 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zu 1) zur Mitwirkung, konkret zur Überausendung des ausgefüllten Vermieterformulars und - vermutlich - auch der EKS auf. Daraufhin teile die Antragstellerin zu 1) dem Antragsgegner am 26. August 2021 telefonisch mit, dass sie die EKS 5/21 bis 10/21 bisher nicht geschickt habe, da sie keinerlei Einkünfte habe und gedacht habe, dass dies dann unrelevant sei.
Die EKS betreffend diesen Leistungszeitraum reichten die Antragsteller am 26. August 2021 beim Antragsgegner ein.
Im Telefonat vom 31. August 2021 mit dem Antragsgegner verwiesen die Antragsteller auf eine ihnen angedrohte Wohnraumkündigung wegen ausstehender Mietzahlungen.
Am 6. September 2021 beantragten die Antragsteller bei dem Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Gewährung von PKH mit Übersendung der dafür erforderlichen Unterlagen, da über den Weiterbewilligungsantrag noch nicht entschieden worden war. Das SG leitete den Antrag am selben Tage per ERV an den Antragsgegner zu Stellungnahme binnen einer Woche weiter.
Mit Schreiben vom selben Tage beantragten die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller beim Antragsgegner hinsichtlich der endgültigen Leistungsfestsetzung für den davor gelegenen Leistungszeitraum (Oktober 2020 bis April 2021), „nunmehr nach fast 6 Monaten eine Entscheidung zu treffen und Nachzahlungen auf deren Fremdgeldkonto zu überweisen“.
Mit Bescheid vom 14. September 2021 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den streitigen Zeitraum von Mai bis Oktober 2021 unter Angabe der Kontoverbindung der Antragstellerin zu 1) als Zahlungsweg.
Unter Verweis auf seinen Bescheid vom selben Tage teilte der Antragsgegner im gerichtlichen Eilverfahren mit Schriftsatz vom 14. September 2021 mit, dass er nicht eher habe entscheiden können, da die EKS von den Antragstellern erst am 26. August 2012 bei ihm eingegangen sei und sodann erst die Prüfung derselben habe vorgenommen werden müssen.
Am 16. September teilte die Antragstellerin zu 1) dem Antragsgegner mit, dass ihr vormaliges Konto gelöscht sei und gab ihre neue Bankverbindung an.
Da auf diesem neuen Konto keine Zahlungseingänge des Antragsgegners zum Bescheid vom 14. September 2021 zu verzeichnen waren, erklärten die Antragsteller das erstinstanzliche Verfahren nicht für erledigt.
Mit Beschluss vom 27. September 2021 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Bewilligung von PKH mit der Begründung ab, dass den Antragstellern mit Bescheid vom 14. September 2021 Leistungen rückwirkend für die Zeit von Mai bis Oktober 2021 bewilligt worden seien und ein Anordnungsgrund nicht bestehe.
Hiergegen haben die Antragsteller am 28. September 2021 sowohl in der Hauptsache als auch hinsichtlich der PKH-Entscheidung Beschwerde erhoben, Auszahlung der Leistungen aus dem Bescheid vom 14. September 2021 sowie die Gewährung von PKH für das Beschwerdeverfahren beantragt. Sie, die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, hätten den Antragsgegner für den Fall, dass es Schwierigkeiten bei der Auszahlung gebe, darauf hingewiesen, dass Nachzahlungen auf das Anwalts-Fremdgeldkonto gezahlt werden könnten.
Die Überweisung des Antragsgegners ging am 5. Oktober 2021 auf dem neuen Konto der Antragstellerin zu 1) ein. Dies dem Gericht am 6. Oktober 2021 mitteilend erklärten die Antragsteller das Verfahren in der Hauptsache für erledigt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz – SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegt worden. Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung – ZPO – erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei dürfen an die Prüfung der Erfolgsaussicht keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschluss vom 30. Oktober 1992, 1 BvR 1486/91, NJW 1992, 889). Eine Rechtsverfolgung ist dann hinreichend Erfolg versprechend, wenn das Gericht nach vorläufiger summarischer Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers unter Berücksichtigung des Vortrages des anderen Beteiligten zumindest für vertretbar und den Prozesserfolg nicht nur für fernliegend hält. Eine Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache erfolgt im Rahmen der Prüfung der Erfolgswahrscheinlichkeit im Prozesskosten-hilfeverfahren nicht, Prozesskostenhilfe darf jedoch verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347-362, Rn. 26).
Erledigt sich das Verfahren, bevor über den PKH-Antrag entschieden wurde, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des PKH-Gesuchs (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. April 2019 – 1 BvR 2111/17 –, juris Rn. 25). Diese ist gegeben, wenn der Antragsteller das Streitverhältnis i.S.v. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO dargestellt, sich ordnungsgemäß über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erklärt und die erforderlichen Belege vorgelegt hat sowie dem Prozessgegner angemessene Zeit zur Stellungnahme i.S.v. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingeräumt war (vgl. Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Juni 2020 – L 14 R 53/20 B –, juris Rn. 15; Leopold, in: Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK-SGG, § 73a Rn. 59 [Stand: 1. Januar 2021]). Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife hat zur Folge, dass für eine Gewährung von PKH kein Raum mehr ist, wenn der Prozessgegner den streitigen Anspruch noch innerhalb seiner Äußerungsfrist erfüllt; denn in diesem Fall entfällt eine u.U. bei Antragstellung noch gegebene Erfolgsaussicht (vgl. Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 127 Rn. 16; Wache, in: Münchner Kommentar zur ZPO, Bd. 1, 6. Auflage 2020, § 114 Rn. 77). Im Hinblick auf den Zweck der PKH, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes aneinander anzugleichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 – 2 BvR 94/88 u.a. –, BVerfGE 81, 347, 356), ist dies nicht zu beanstanden. Denn der Antragsteller kann in diesem Fall seine Klage bzw. seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz für erledigt erklären bzw. im gerichtskostenfreien Verfahren nach § 183 SGG zurücknehmen, so dass eine ursprünglich u.U. gegebene Erfolgsaussicht bei der Kostengrundentscheidung berücksichtigt werden kann (vgl. für den Zivilprozess Wache, a.a.O.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. April 2021 – L 2 AS 100/21 B –, juris, Rn. 13).
Im vorliegenden Verfahren ist Bewilligungsreife jedoch bereits am 13. September 2021, mithin einen Tag vor Erlass des Bewilligungsbescheides vom 14. September 2021 und entsprechender Mitteilung des Antragsgegners gegenüber dem SG, eingetreten. Der mit Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verbundene PKH-Antrag ist am Montag, den 6. September 2021, gestellt und noch am selben Tage durch das SG dem Antragsgegner „per ERV“ zur Stellungnahme „binnen einer Woche“ übermittelt worden. Erst am Dienstag, den 14. September 2021, somit einen Tag nach Ablauf der Stellungnahmefrist, hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass die begehrten Leistungen mit Bescheid vom 14. September 2021 bewilligt wurden.
Damit hat sich der Rechtsstreit zwar in der Sache, jedoch hier maßgeblich nicht bis zur Entscheidungsreife erledigt.
Im Zeitpunkt der Entscheidungsreife bot die Rechtsverfolgung vor dem Sozialgericht eine hinreichende Aussicht auf Erfolg und erschien auch nicht mutwillig. Zu diesem Zeitpunkt bestand – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – ein Anordnungsanspruch aufgrund eines ungedeckten SGB-II-Bedarf der Antragsteller, wovon letztlich auch der am 14. September 2021 ergangene Bewilligungsbescheid ausgeht.
Anders als des SG meint, bestand auch ein Anordnungsgrund, da die Antragsteller ihren Bedarf seit Mai 2021 nicht aus eigenen Einkünften (selbständige Tätigkeit und Kindergeld) vollständig decken konnten, deshalb – nach eignem Vorbringen - Mietzahlungen ausstanden und eine Wohnraumkündigung drohte. Aus den PKH-Unterlagen ergeben sich keine gegenteiligen Anhaltspunkte. Zwar ist dem Antragsgegner zuzugestehen, dass es vor einer Entscheidung über den Antrag auf Leistungen zunächst einer Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch Einreichung der EKS bedurfte. Er hat die EKS jedoch erst unter dem 10. August 2021, also fast drei Monate nach Antragstellung angefordert und die die EKS wurde bereits am 26. August 2021 eingereicht.
Die Rechtsverfolgung im Rahmen des Eilantrags war im Zeitpunkt der Entscheidungsreife auch nicht rechtsmissbräuchlich.
Nach § 114 Abs. 2 ZPO ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Antragsteller, wenn sie keine Prozesskostenhilfe erhielten, die Kosten also selbst tragen müssten, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abgesehen hätten, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Es stand ihnen keine einfachere und kostengünstigere Möglichkeit zur Verfügung.
Nach Einreichung der für den streitigen Zeitraum erstellten EKS am 26. August 2021 lagen dem Antragsgegner die notwendigen Antragsunterlagen vollständig zur Prüfung vor. Es kann im Rahmen der PKH-Gewährung dahinstehen, ob den Antragstellern allein oder auch dem Antragsgegner die späte Einreichung der EKS vorzuwerfen ist. Jedenfalls hatten die Antragsteller angesichts der sich abzeichnenden finanziellen Notsituation am 6. September 2021, 10 Tage nach Eingang der Unterlagen beim Antragsgegner, keine weitere und einfachere Möglichkeit, die beantragten Leistungen zu erlangen. Ein weiteres Zuwarten auf eine möglichst baldige Bearbeitung durch den Antragsteller wäre zwar zweifelsfrei ein kostengünstigeres, jedoch angesichts des vorliegenden Anordnungsgrundes nicht ebenso effektives Mittel gewesen und daher von den Antragstellern nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen gewesen.
Da ausweislich der im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Erklärung über persönliche und wirtschaftliche Verhältnisses auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen des § 114 ZPO vorliegen, war den Antragstellern Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).