Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 18.11.2021 | |
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Aktenzeichen | 9 UF 154/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:1118.9UF154.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts- Familiengericht - Oranienburg vom 02.08.2021 (Az. 31 F 43/21) wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Kindesmutter auferlegt.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 € festgesetzt.
I.
Die Beteiligten zu 1. und zu 2. sind die Eltern der nichtehelichen Kinder N… H…, geboren am …2011, und S… H…, geboren am ...2013.
Die Kindeseltern trennten sich im Januar 2014. Die beiden Kinder blieben bei der Mutter, die seinerzeit allein sorgeberechtigt war. Die Mutter verzog kurze Zeit später von L…, wo die Familie zusammengelebt hatte, nach B….
In der Folgezeit stritten die Eltern in zahlreichen gerichtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg über die elterliche Sorge und auch das Umgangsrecht.
Mit Beschluss vom 03.05.2016 (Az. 147 F 10732/14) übertrug das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg dem Vater die gemeinsame elterliche Sorge für N… und S….
Im November 2016 wechselte N… - im Einvernehmen mit der Mutter - in den Haushalt des Vaters. Das Kind zeigte massive Verhaltensauffälligkeiten. N… besuchte die Mutter und die Schwester an jedem zweiten Wochenende. In der anderen Woche hielt sich S… im väterlichen Haushalt auf, sofern die Mutter den Kontakt ermöglichte.
Im November 2017 stellte die Mutter N… im (X)-Klinikum B…-W… wegen angeblicher Misshandlungen des Vaters vor. Der Junge blieb mehrere Tage im Krankenhaus und wurde später wieder in die Obhut des Vaters entlassen.
Seit Januar 2018 hatte die Mutter nur noch begleiteten Umgang mit N…, bis sie den Kontakt abbrach. Von September 2019 bis November 2020 fanden wieder begleitete Umgangskontakte statt; danach wurde der Umgang nicht mehr begleitet.
S… wechselte am 16.09.2019 in den Haushalt des Vaters.
Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hatte dem Vater mit Beschluss vom 11.09.2019 (Az. 147 F 9075/16) das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge sowie das Recht zur Entscheidung in Kita- und Schulangelegenheiten für beide Kinder zur alleinigen Ausübung übertragen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Mutter blieb ohne Erfolg (KG Berlin, Beschluss vom 25.05.2020 - 19 UF 86/19).
Mit Schreiben vom 24.06.2021 zeigte das Jugendamt dem Amtsgericht eine Kindeswohlgefährdung an und beantragte, im Wege der einstweiligen Anordnung die gesamte elterliche Sorge auf den Fachbereich Jugend zu übertragen. Am 21.06.2021 habe N… einer vertrauten Lehrkraft der P… Grundschule in L… glaubhaft berichtet, dass er und seine Schwester vom Vater geschlagen würden. Die Kinder hätten Angst vor ihm. Der Vater sei auch gegenüber seiner Lebensgefährtin (Frau C… L…) und deren beiden minderjährigen Kindern gewalttätig.
Am 23.06.2021 hatte das Jugendamt die Kinder der Kinderschutzambulanz des (Y) Klinikum B…-B… vorgestellt und sodann in Obhut genommen. N… und S… wurden in einer Wohngruppe untergebracht.
Das Amtsgericht hat daraufhin das vorliegende Kinderschutzverfahren (Az. 31 F 43/21) eingeleitet.
Der Vater hat die erhobenen Vorwürfe bestritten und sich darauf berufen, dass die Mutter die Kinder manipuliere. Dies sei schon in der Vergangenheit so gewesen, wie die in den zahlreichen Gerichtsverfahren durchgeführten Ermittlungen (u.a. Sachverständigengutachten) zeigten.
In dem Verfahren 31 F 42/21, Amtsgericht Oranienburg, hat der Vater im Wege der einstweiligen Anordnung die Herausgabe der beiden Kinder gefordert (Beschwerdeverfahren 9 UF 153/21).
Die Mutter hat sich für die Anordnung kinderschutzrechtlicher Maßnahmen ausgesprochen, was näher begründet worden ist.
Nach Anhörung der Beteiligten und Vernehmung der C… L… als (präsente) Zeugin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 02.08.2021 den Antrag des Jugendamts auf Übertragung der elterlichen Sorge vom 24.06.2021 zurückgewiesen. Im Ergebnis der Ermittlungen gebe es keine belastbaren Belege dafür, dass es tatsächlich zu den behaupteten Gewaltausbrüchen im Haushalt des Vaters gekommen sei. Das Gericht habe keine Zweifel daran, dass sich die Kinder, wie vom Jugendamt berichtet, geäußert haben. Das Helfersystem wie auch die Kinderschutzambulanz des (Y) Klinikum B…-B… habe sich aber nicht mit der Vorgeschichte der Familie beschäftigt, die Anlass zu Zweifeln an der Darstellung gebe. Es sei nicht erwogen worden, dass N… - wie schon in der Vergangenheit - mithilfe von Anschuldigungen seinem Wunsch, mehr Zeit mit der Mutter zu verbringen, Nachdruck verleihen wollte. Die Aussagen der Kinder seien nicht glaubhaft, was näher ausgeführt wird. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen.
Gegen den vorbezeichneten Beschluss hat die Mutter mit einem am 09.08.2021 beim Amtsgericht eingegangen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, mit der sie erreichen will, dass dem Antrag des Jugendamts stattgegeben wird. Sie rügt eine mangelnde Aufklärung des Sachverhalts durch das Amtsgericht und eine Stigmatisierung ihrer Person. Es liege eine akute Kindeswohlgefährdung vor, die ignoriert werde. Selbst wenn die Aussagen der Kinder zur Gewalt des Vaters nicht zutreffen würden, läge eine extreme seelische Belastung vor, weil N… und S… nicht beim Vater leben wollten.
Die Mutter hat das Verfahren 35 F 104/21 beim Amtsgericht eingeleitet, in dem sie den Antrag gestellt hat, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und die schulischen Angelegenheiten für beide Kinder allein zu übertragen.
Die Kinder sind am 04.08.2021 in den Haushalt des Vaters zurückgekehrt.
Der Vater verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näheren Darlegungen.
Gleiches gilt für die Verfahrensbeiständin.
II.
Die Beschwerde ist unzulässig und unterliegt deshalb der Verwerfung. Der Mutter fehlt es für die Einlegung eines Rechtsmittels gegen den angefochtenen Beschluss an der Beschwerdeberechtigung gemäß § 59 Abs. 1 FamFG.
Nach dieser Vorschrift steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. In einem Amtsverfahren wie der vorliegenden Kindschaftssache nach § 151 Nr. 1 FamFG setzt die Beschwerdeberechtigung keine erstinstanzliche Beteiligtenstellung voraus und wird auch nicht durch diese begründet, sondern definiert sich allein über die durch die Entscheidung bewirkte materielle Beschwer (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 59 Rn. 3).
Recht im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG ist jedes durch Gesetz verliehene oder durch die Rechtsordnung anerkannte, von der Staatsgewalt geschützte private oder öffentliche subjektive Recht. Die Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG besteht grundsätzlich nur dann, wenn in eine solcherart geschützte Rechtsposition des Beschwerdeführers unmittelbar eingegriffen wird, was nur der Fall ist, wenn der Eingriff direkte Folge der angegriffenen Entscheidung ist (Johannsen/Henrich/Althammer, Familien-recht, 7. Aufl., § 59 FamFG Rn. 3; Senat, Beschluss vom 05.07.2011 - 9 UF 112/11). Voraussetzung ist eine unmittelbare Beeinträchtigung des Beschwerdeführers in einem ihm zustehenden subjektiven Recht (BGH, FamRZ 2016, 1146; NJW 2012, 2039). Ein bloßes berechtigtes Interesse an der Änderung oder Beseitigung der Entscheidung genügt insoweit nicht (BGH, a.a.O.).
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag des Jugendamts vom 24.06.2021, im Wege der einstweiligen Anordnung die gesamte elterliche Sorge auf einen Amtsvormund zu übertragen, zurückgewiesen. Rechtlich handelt es sich dabei nicht um einen Antrag, sondern eine Anregung im Sinne des § 24 Abs. 1 FamFG auf Einleitung eines Kinderschutzverfahrens nach § 1666 BGB. Ein solches Verfahren kann von Amts wegen eingeleitet werden. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 02.08.2021 hat das Amtsgericht der Sache nach die Anordnung einer kinderschutzrechtlichen Maßnahme abgelehnt.
Eine Beeinträchtigung der Rechte der Beschwerdeführerin lässt sich aus dem angefochtenen Beschluss nicht herleiten. Ein Eingriff in die elterliche Sorge liegt nicht vor.
Die Mutter wird durch die Ablehnung einer kinderschutzrechtlichen Maßnahme nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt. Werden kinderschutzrechtliche Maßnahmen - wie hier - abgelehnt, so wird dadurch der Schutzanspruch des Kindes gegenüber dem Staat berührt. Das staatliche Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, § 1666 BGB) besteht aber allein zum Schutz des Kindes. Eine Verpflichtung besteht nicht gegenüber den Eltern. Ein Elternteil hat deshalb keinen Anspruch auf hoheitliches Einschreiten zur Gefahrenabwehr gegenüber dem anderen Elternteil (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 31.03.2014 - 13 UF 50/14; OLG Bamberg, Beschluss vom 14.06.2021 - 2 UF 80/21; A. Fischer in: Münchener Kommentar, FamFG, 3. Aufl., § 59 Rn. 43 und 46; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12.05.2021 - XII ZB 34/21 - FamRZ 2021, 1402). Durch die Ablehnung kinderschutzrechtlicher Maßnahmen nach § 1666 BGB wird nicht unmittelbar in die elterliche Sorge eingegriffen, sodass es den Eltern an einer Beschwerdeberechtigung fehlt.
Die Mutter ist seit der Entscheidung des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 11.09.2019 für N… und S… auch nicht mehr vollumfänglich sorgeberechtigt. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge sowie das Recht zur Entscheidung in Kita- und Schulangelegenheiten sind dem Vater zur alleinigen Ausübung übertragen.
Eine Beschwerdeberechtigung kann sich zwar ergeben, wenn mit einer Entscheidung nach §§ 1666, 1666 a BGB einem Elternteil die elterliche Sorge (teilweise) entzogen und dem anderen Elternteil nicht nach § 1680 Abs. 3 BGB übertragen worden ist. Denn die Regelung des § 1680 Abs. 3 BGB begründet unabhängig von der Frage, ob dem Elternteil zuvor die Sorge entzogen wurde oder nie zustand, ein subjektives Recht des anderen Elternteils (BGH, FamRZ 2010, 1242). So liegt der Fall hier aber nicht. Das Amtsgericht hat dem Vater die elterliche Sorge nicht entzogen (und eine Amtsvormundschaft eingerichtet), sondern eine Maßnahme nach §§ 1666, 1666 a BGB abgelehnt. Die Frage, ob der Mutter die elterliche Sorge nach § 1680 Abs. 3 BGB allein zu übertragen war bzw. Teile davon, stellte sich hier überhaupt nicht. Ihr Interesse, nach einer (teilweisen) Entziehung des Sorgerechts des Vaters möglicherweise wieder in Teile des ihr nicht mehr zustehenden Sorgerechts eingesetzt zu werden, ist ein lediglich mittelbares, das eine Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG nicht begründen kann.
Nach alledem war die Beschwerde der Kindesmutter als unzulässig zu verwerfen. Der Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 01.11.2021 auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen. Die Beschwerdeführerin hat von der Möglichkeit einer Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
Die Entscheidung ist - wie angekündigt - ohne erneute persönliche Anhörung der Beteiligten ergangen, weil hiervon keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren (§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Der Beschwerdewert ist gemäß §§ 40 Abs. 1 S. 1, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG festgesetzt worden.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar, § 70 Abs. 4 FamFG.