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Entscheidung 7 K 78/17


Metadaten

Gericht VG Cottbus 7. Kammer Entscheidungsdatum 12.10.2021
Aktenzeichen 7 K 78/17 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2021:1012.7K78.17.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen § 35a GGVSEB, § 42 Abs 2 VwGO, § 45 Abs 1 StVO, Art 14 GG

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheids vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Allgemeinverfügung der Stadt C...zur Bestimmung des Fahrweges für die Beförderung von gefährlichen Gütern gemäß der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt vom 16. September 2016.

Der Kläger ist Anlieger eines Grundstücks in der K..., einer Landesstraße (L50). Sie verläuft parallel der Bundesautobahn A 15 zwischen den Anschlussstellen C....

Der Beklagte erließ am 16. September 2016 die o.g. Allgemeinverfügung, wobei als Datum des „Inkrafttretens“ der 1. Januar 2017 genannt wird. Die K... wird unter Punkt 2.2 der Allgemeinverfügung in das sog. Positivnetz außerhalb der Autobahnen für den Transport von Gefahrgütern aufgenommen, denn in diesem Punkt wird die L 50 benannt. In Punkt 1.4 werden „sonstige geeignete Straßen“ als Möglichkeit des Transportweges aufgeführt, ohne näher zu bestimmen, welche Straßen dies sind. Die Allgemeinverfügung wurde im Amtsblatt der Stadt C...vom 22. Oktober 2016 bekannt gemacht.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 14. November 2016 Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung ein und gab zur Begründung an, dass die L 50 weder über einen Fuß- noch einen Radweg verfüge; in der K...befinde sich ein Kindergarten, die K... sei zu schmal und die Fahrbahnführung habe zur Folge, dass Gefahrguttransporter die Gegenfahrbahn nutzen müssten. All dies habe eine erhöhte Verkehrsgefährdung zur Folge.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2016, mit Postzustellungsurkunde am 20. Dezember 2016 zugestellt, zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, für den Bereich der Landesstraße „49“ seien keine Kriterien für ein Negativnetz ersichtlich, daher habe das Positiv- und Negativnetz wie geschehen geregelt werden müssen.

Der Kläger hat am 13. Januar 2017 Klage erhoben.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 19. Januar 2017 gegenüber dem Kläger erklärt, dass die Beschreibung im Widerspruchsbescheid zur L 49 zu Unrecht erfolgt sei, gemeint gewesen sei die L 50.

Der Kläger meint, seine Klage sei zulässig, insbesondere sei er klagebefugt. Er führt hierzu mehrere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts an. Als Grund für seine eigene Betroffenheit macht er eine zu erwartende Verkehrssteigerung im Bereich seines Grundstücks geltend.

Er meint, die Klage sei auch begründet. Zum einen sei die Allgemeinverfügung zu unbestimmt, zum anderen leide sie an Ermessensfehlern. Der Beklagte sei offenbar davon ausgegangen, dass er bei der Bestimmung des Positiv- und Negativnetzes keine Wahl gehabt habe, und die Belange des Klägers seien nicht berücksichtigt worden.

Der Kläger beantragt,

die Allgemeinverfügung der Stadt C...zur Bestimmung des Fahrweges für die Beförderung von gefährlichen Gütern gemäß der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt nach § 35 Abs. 3 GGVSEB vom 16. September 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist darauf, dass die vom Kläger zitierte Rechtsprechung zur Klagebefugnis hier nicht greife. Es sei auch keine Zunahme des Gefahrgutverkehrs zu befürchten, da grundsätzlich die Autobahnbenutzungspflicht gelte. Außerdem sei die L 50 im Falle einer Sperrung der Autobahn auch ohne Fahrwegbestimmung als ausgewiesene Umleitungsstrecke zu nutzen.

Die Allgemeinverfügung sei nicht zu unbestimmt, insbesondere sei die Verwendung „unbestimmter Rechtsbegriffe“ zulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 84 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden vorher gehört.

Die Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung des Beklagten ist bereits unzulässig, da der Kläger nicht klagebefugt ist.

Nach § 42 Abs. 2 VwGO muss ein Kläger geltend machen können, in eigenen Rechten betroffen zu sein. Hierfür ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Verletzung subjektiver Rechte des Klägers nicht von vornherein nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist. Eine derartige Rechtsverletzung scheidet hier aber von vornherein aus.

Da der Kläger nicht unmittelbar zum Adressatenkreis der Allgemeinverfügung gehört (dazu a)), muss er sich auf eine drittschützende Norm stützen können, die aber hier nicht vorliegt (dazu b)), oder er muss eine (mittelbare) Verletzung seiner Grundrechte geltend machen können, was ebenfalls nicht erfüllt ist (dazu c)). Auch der vom Kläger vorgetragene Vergleich zu § 45 Straßenverkehrsordnung (StVO) kann kein subjektives Recht für ihn begründen (dazu d)).

a) Die Allgemeinverfügung betrifft nicht unmittelbar den Kläger. Der Regelungsgehalt der Allgemeinverfügung liegt darin, dass bestimmte Straßen einem Straßennetz zugeordnet werden, das sie für Gefahrguttransporte nutzbar oder nicht nutzbar macht. Unmittelbarer Regelungsadressat sind demnach Gefahrguttransporte, die anhand der Bestimmung des Positiv- und Negativnetzes erkennen können, welche Straßen sie nutzen dürfen und welche nicht. Damit liegt auch die vom Kläger angesprochene Vergleichbarkeit mit verkehrsrechtlichen Anordnungen nicht vor, da sich diese an die Verkehrsteilnehmer allgemein richten, zu denen auch der Kläger gehören kann. Er gehört hingegen nicht zum Kreis der Gefahrguttransporteure.

b) Der Kläger kann sich auch nicht auf eine drittschützende Norm berufen, die gerade den Schutz seiner Interessen bezweckt. Dabei ist eine Norm nur dann drittschützend, wenn sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich hinreichend von der Allgemeinheit unterscheidet (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. nur: Urteile vom 28.11.2007 - 6 C 42.06 -, BVerwGE 130, 39 und vom 19.09.1986 - 4 C 8.84 -, juris). Rechtsgrundlage für die Fahrwegbestimmung war zum Zeitpunkt der Allgemeinverfügung § 35 Abs. 3 der Verordnung über die innerstaatliche und grenzüberschreitende Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, mit Eisenbahnen und auf Binnengewässern in der Gültigkeit vom 30. Juli 2016 bis 31. Dezember 2016 bzw. ist zum heutigen Zeitpunkt § 35a Abs. 3 der genannten Verordnung (Neugefasst durch Bek. v. 26. März 2021). Entscheidend ist deswegen der heutige Zeitpunkt, weil es sich bei der Allgemeinverfügung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, da er die entsprechende Fahrwegbestimmung dauerhaft aufrecht erhält. Sowohl die alte als auch die neue Regelung bestimmen keine konkreten Tatbestandsvoraussetzungen hinsichtlich der Fahrwegbestimmung, sie benennen nur Gegenstand und Umfang der Bestimmung, so dass sich dem Wortlaut der Norm nicht entnehmen lässt, dass ein besonderer Personenkreis subjektive Rechte erhält. Aber auch teleologisch ist der Norm kein Drittschutz zu entnehmen. Sinn und Zweck der Verordnung liegt darin, den sicheren Transport bestimmter gefährlicher Güter zu gewährleisten. Dies dient zwar dementsprechend auch dem Schutz der Allgemeinheit, es soll aber gerade kein hiervon abgrenzbarer Personenkreis besonders hervorgehoben werden. Regelungen hinsichtlich konkreter Personenkreise enthält die Verordnung nur insoweit, als es um Pflichten dieser Personen geht, soweit sie am Transportvorgang beteiligt sind (vgl. §§ 17-34a GGVSEB). Der Regelungszweck und der Regelungsumfang beschränkt sich daher darauf, die Transportabläufe und Pflichten der am Transport beteiligten Personen zu bestimmen, dies überlagert nicht etwaige Rechte oder Pflichten, die sich aus anderen gesetzlichen Vorschriften ergeben (können). Dies zeigt bereits der Wortlaut des § 35a Abs. 2 Nr. 2 GGVSEB, der bestimmt, dass der grundsätzlich festgelegte Transport über die Autobahn nach § 35a Abs. 1 GGVSEB dann auf andere Straßen verlagert werden kann, wenn die Benutzung der Autobahn nach den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung ausgeschlossen oder beschränkt ist. Dies zeigt, dass die Regelungen der GGVSEB nicht etwa die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung überlagern, sondern darin ihre Grenze finden. Dementsprechend wäre es einem Schwertransport rechtlich nicht möglich, eine zwar nach der GGVSEB grundsätzlich hierfür vorgesehene Straße zu nutzen, wenn die Regelungen der StVO dem entgegenstehen. Aus diesem Grund geht auch der vom Kläger vorgetragene Vergleich zu subjektiven Rechten von Anliegern und Verkehrsteilnehmern hinsichtlich verkehrsrechtlicher Anordnungen nach § 45 StVO ins Leere. Eine Fahrwegbestimmung nach der GGVSEB legt lediglich fest, welche Straßen für Schwertransporte an sich nutzbar sind; dies berührt und beschränkt aber keine Rechte von Anliegern oder Verkehrsteilnehmern hinsichtlich der Einhaltung von sie schützenden verkehrsrechtlichen Vorschriften bzw. hinsichtlich möglicher verkehrsrechtlicher Anordnungen.

c) Eine Klagebefugnis ergibt sich auch nicht mittelbar aus Grundrechten des Klägers. Eines Rückgriffs auf die Grundrechte für die Begründung der Klagebefugnis bedarf es nur dann, wenn durch einfachgesetzliche Vorschriften der grundrechtlich geforderte Mindestschutz nicht gegeben ist. Dies ist hier aber nicht ersichtlich, denn der vom Kläger geltend gemachten möglichen Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und Art. 14 Abs. 1 GG kann mittels verkehrsrechtlicher Anordnung nach § 45 StVO Rechnung getragen werden. Denn soweit tatsächlich wegen der örtlichen Gegebenheiten (Straßenbreite, fehlende Rad- und Fußwege) eine erhebliche Gefahrenlage wegen Schwerkrafttransporten gegeben sein sollte – wofür allerdings objektiv bislang nichts ersichtlich ist, da der Kläger hierfür lediglich den bisherigen (straßenverkehrsrechtlich erlaubten) LKW-Verkehr ins Feld führt –, so wäre dies im Rahmen einer Prüfung einer verkehrsrechtlichen Anordnung zu beachten und könnte bei einer entsprechenden Verdichtung der Gefahrenlage dazu führen, dass eine entsprechende Regelung durch die Straßenverkehrsbehörde erfolgt (vgl. für das Vorstehende für den Fall einer Genehmigung der Linienführung einer Buslinie: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Juli 2017 – 9 S 1452/16 –, juris, Rn. 21-24). Soweit also tatsächlich verkehrsrechtliche Maßnahmen wegen Gefahren für Verkehrsteilnehmer notwendig wären und jede andere Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde ermessensfehlerhaft wäre, besteht wegen der Möglichkeit einer Anordnung nach § 45 Abs. 1 StVO daher eine hinreichende einfachgesetzliche Befugnis des Einschreitens. Gleiches gilt für die vom Kläger befürchtete Zunahme von Schwertransporten; auch dies kann er im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer verkehrsrechtlichen Anordnung geltend machen, sofern seine Anliegerrechte zwingend ein solches Einschreiten erforderlich machen.

d) Aber selbst wenn man entgegen der obigen Ausführungen mit der Ansicht des Klägers annähme, dass § 35a GGVSEB zumindest insoweit drittschützend sei, als Anliegern vergleichbar zur Rechtsprechung zu § 45 StVO subjektive Rechte zustünden, ist der Kläger nicht klagebefugt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 45 Abs. 1 StVO ist die Norm grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit und nicht auf die Wahrung der Interessen einzelner gerichtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 04. Juni 1986 – 7 C 76/84 – Rn. 10, BVerwGE 74, 234-241). Gerade das vom Kläger ins Feld geführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 1983 (7 C 102/82) kommt daher auch zum Ergebnis, dass eine Gemeinde hinsichtlich einer Sperrung des durchgehenden Schwerlastverkehrs, die bei einer Nachbargemeinde angeordnet wird, nicht klagebefugt ist.

Ein subjektiver Anspruch kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus § 45 Abs. 1 StVO nur ergeben, wenn die Verletzung der geschützten Individualinteressen eines Klägers in Betracht kommt. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 45 Abs. 1 StVO, insbesondere soweit Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift den Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen herausstellt, umfasst nicht nur die Grundrechte wie körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG). Dazu gehört auch im Vorfeld der Grundrechte der Schutz vor Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 04. Juni 1986 – 7 C 76/84 – Rn. 10, BVerwGE 74, 234-241).

Hierfür ist objektiv aber nichts ersichtlich. Soweit der Kläger in der Klageschrift die Befürchtung anstellt, die Bestimmung des Positivnetzes führe zu einer Erhöhung der Gefahrguttransporte durch seine Straße, ist nichts dafür erkennbar, dass eine derartige Erhöhung zu erwarten ist, die ein zumutbares Maß nach allgemeiner Auffassung übersteigt. Zu beachten ist dabei, dass nach § 35 Abs. 2 Satz 1 GGVSEB a.F. bzw. § 35a Abs. 1 GEVSEB n.F. die entsprechenden Gefahrguttransporte grundsätzlich über die Autobahnen zu führen sind. Es besteht diesbezüglich also auch kein Ermessen; die Autobahnen müssen generell benutzt werden, so dass schon keine freie Wahl der Gefahrguttransporter besteht, statt der A 15 die L 50 zu benutzen. Nur wenn nach § 35 Abs. 2 Satz 2 GGVSEB a.F. bzw. § 35a Abs. 2 GGVSEB n.F. eine der dort genannten Ausnahmen vorliegt, ist ein Verlassen der Autobahn und demnach die Nutzung der L 50 zulässig. Diese Ausnahmen sind eng begrenzt, sie greifen nur, wenn die Entfernung bei Benutzung der Autobahn mindestens doppelt so groß ist wie die Entfernung bei Benutzung anderer geeigneter Straßen, oder die Benutzung der Autobahn nach den Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung oder der Ferienreiseverordnung ausgeschlossen oder beschränkt ist. Aufgrund dieser engen Voraussetzungen ist gar nicht zu erwarten, dass es überhaupt zu einer nennenswerten Zunahme des Gefahrguttransports über die L 50 kommen wird Jedenfalls ist nichts dafür ersichtlich, dass eine etwaige Zunahme das nach allgemeiner Auffassung zumutbare Maß übersteigen würde, so dass selbst bei unterstellter Zugrundelegung der Maßstäbe, wann aus § 45 StVO ein subjektives Recht folgern ist, zumindest deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.