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Entscheidung 12 U 42/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 16.12.2021
Aktenzeichen 12 U 42/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:1216.12U42.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 05.02.2021 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Potsdam, Az. 4 O 333/19, teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.783,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.08.2019 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von den Sachverständigenkosten des Sachverständigen Uwe Schmidt, Herzbergstraße 28, 12055 Berlin in Höhe von 1.426,17 € freizustellen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.08.2019 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 650,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.08.2019 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den § 517 ff. ZPO eingelegte Berufung des Klägers hat zum weit überwiegenden Teil Erfolg.

Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus den §§ 7 Abs. 1, 11 S. 2 StVG bzw. §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB jeweils i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG in dem tenorierten Umfang zu.

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG liegen vor. Der Sturz des Klägers und die infolge dessen geltend gemachten Schäden sind noch dem Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 zuzurechnen.

Zwar ist es, wie mittlerweile zwischen den Parteien unstreitig ist, nicht zu einer Berührung zwischen dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 und dem Motorrad des Klägers gekommen. Dies schließt jedoch eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG nicht aus. Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist. Es kommt maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang des Kraftfahrzeuges steht, wobei die Haftung nicht davon abhängt, ob sich der Führer des in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat oder es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Andererseits reicht die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus. Vielmehr muss das Fahrzeug oder das Fahrverhalten seines Fahrers über die bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst haben, das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (vgl. BGH NJW 2010, 3713 Rn. 5; BGH NJW 2017, 1173 Rn. 11 ff. jeweils m.w.N.).

Im Streitfall ist bei einer Würdigung der Gesamtschau der vorliegenden Umstände ein solcher Kausalzusammenhang zwischen dem Fahrverhalten des Beklagten zu 1 und dem Sturz des Klägers gegeben. Der Beklagte zu 1 hat eine kritische Gefahrenlage geschaffen, in dem er unter Verstoß gegen § 8 Abs. 2 S. 2 StVO in die vorfahrtberechtigte B… eingebogen ist und dadurch den Kläger zu einem Ausweichmanöver veranlasst hat, in dessen Verlauf der Kläger zu Fall gekommen ist. Zwar ist es letztlich zum Sturz des Klägers durch die streifende Kollision des Motorrades der nachfolgenden Zeugin S... mit seinem Motorrad gekommen. Dies schließt jedoch den Kausalzusammenhang nicht aus, da auch das von der Zeugin S... durchgeführte Ausweichmanöver durch den Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1 veranlasst worden ist. Grundsätzlich kann der Verursachungsbeitrag eines Zweitschädigers einem Geschehen eine Wendung geben, die die Wertung erlaubt, dass die durch den Erstunfall geschaffene Gefahrenlage für den Zweitunfall von völlig ungeordneter Bedeutung ist und eine Haftung des Erstschädigers nicht mehr rechtfertigt (vgl. BGH NJW 2004, 1375; BGH NJW 2011, 292; BGH NJW 2013, 1679 Rn. 10). Wirken in einem weiteren Unfall die besonderen Gefahren fort, die sich bereits im ersten Unfallgeschehen ausgewirkt haben, kann der Zurechnungszusammenhang hingegen nicht verneint werden. So liegt der Fall auch hier. Die durch das verkehrswidrige Einbiegen des Beklagten zu 1 geschaffene Gefahrenlage hat sich auch auf die Fahrweise der Zeugin S... ausgewirkt und damit zu der Kollision beigetragen, ohne dass man sagen kann, dass die Fahrweise des Beklagten zu 1 dadurch von völlig untergeordneter Bedeutung geworden ist.

Auch der Umstand, dass der Kläger, als er sich nach seinem Ausweichmanöver auf der Linksabbiegerspur der Gegenfahrbahn befunden hat, sein Motorrad abgebremst hat, führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu einer Unterbrechung des Kausalverlaufes. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich bei dem Abbremsen des Klägers um einen Umstand handeln würde, der vorher vernünftigerweise nicht in Betracht hätte gezogen werden können. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob Grund für das Abbremsen herannahender Gegenverkehr auf der Gegenfahrbahn war oder der Kläger, wie es das Landgericht angenommen hat, seiner Verärgerung über den Vorfahrtverstoß des Beklagten zu 1 Ausdruck verleihen wollte. In beiden Fällen handelt es sich nicht um einen Umstand, der außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegt und daher vom Beklagten zu 1 vernünftigerweise nicht hätte in Betracht gezogen werden müssen. Der Kläger hat selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anschaulich und glaubhaft geschildert, dass er es so empfunden habe, dass er einer Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 nur haarscharf entgangen sei und er deshalb, um dieses Erlebnis zu verarbeiten, nicht einfach habe weiterfahren können, und er deshalb abgebremst habe. Dies ist für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar und führt nicht dazu, dass aufgrund der verständlichen Reaktion des Klägers eine Haftung der Beklagten nicht mehr als gegeben anzusehen wäre. Selbst wenn der Kläger seiner Verärgerung über die Fahrweise des Beklagten zu 1 hätte Ausdruck geben wollen, führt dies nicht zu einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, da angesichts des groben Verkehrsverstoßes des Beklagten zu 1 eine solche Reaktion des Klägers jedenfalls menschlich verständlich erscheint.

Die - ohnehin vagen und von einer einseitigen Belastungstendenz zulasten des Klägers geprägten - Angaben der Zeugin Sch... stehen dem nicht entgegen. Sie stehen überdies im Widerspruch zu dem Vortrag der Parteien, da die Zeugin Sch... als einzige eine Berührung des Motorrades des Klägers mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 gesehen haben will. Einer Wiederholung der Beweisaufnahme durch erneute Vernehmung der Zeugin Sch... bedurfte es nicht, da die Angaben der Zeugin zum einen nicht ergiebig waren und es zum anderen letztlich für eine Bejahung des Kausalzusammenhangs nicht darauf ankommt, aus welchem Grund der Kläger nach dem Ausweichmanöver abgebremst hat.

Die somit nach § 17 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge führt im Streitfall zu einer vollständigen Haftung der Beklagten.

Wie bereits ausgeführt, ist dem Beklagten zu 1 ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 S. 2 StVO vorzuwerfen. Dieser hat sich auch entsprechend kausal ausgewirkt, indem dadurch der Kläger zu seinem Ausweichmanöver veranlasst worden ist. Ob dies objektiv erforderlich war, ist dabei ohne Bedeutung. Ebenso ist ohne Bedeutung, an welcher Stelle der Kläger letztlich zu Fall gekommen ist. Dass eine Behinderung des Klägers bereits deshalb ausgeschlossen war, weil der Beklagte zu 1 bereits vollständig über eine bestimmte Strecke in die Vorfahrtstraße eingefahren war, so dass die Wartepflicht des Beklagten zu 1 bereits wieder entfallen war, ist nicht feststellbar.

Dem Kläger ist ein Verkehrsverstoß nicht vorzuwerfen. Ein etwaiger Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO steht nicht fest und würde sich zudem nicht zugunsten der Beklagten auswirken. Die Beklagten haben auch nicht bewiesen, dass sich tatsächlich kein Gegenverkehr näherte und dem Kläger ein zügiges Überholen des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 möglich gewesen wäre. Auch ein etwaiger Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO würde sich im Streitfall nicht zugunsten der Beklagten auswirken, da der Beklagte zu 1 durch das Abbremsen des Klägers nicht behindert oder belästigt worden ist. Einen in Betracht kommenden Verkehrsverstoß der Zeugin S..., die möglicherweise mit zu geringem Sicherheitsabstand dem Motorrad des Klägers gefolgt ist und deshalb nicht mehr hat ausweichen können, muss sich der Kläger ebenfalls im Verhältnis zu den Beklagten nicht zurechnen lassen. Insoweit haften die Beklagten und die Zeugin S... dem Kläger gegebenenfalls als Gesamtschuldner für den eingetretenen Schaden.

Im Ergebnis der Abwägung tritt somit allein die aus der Betriebsgefahr des Motorrades in Betracht kommende Haftung des Klägers hinter dem grob verkehrswidrigen Verhalten des Beklagten zu 1 vollständig zurück.

Die Schadenshöhe ist zwischen den Parteien nicht im Streit. Der Kläger kann somit den Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 4.022,50 €, die Kosten für die beschädigte Kleidung in Höhe von 708,95 €, die Stilllegungskosten in Höhe von 32,00 € sowie Freistellung von den Gebühren des Sachverständigen … in Höhe von 1.426,17 € in voller Höhe ersetzt verlangen.

Der Kläger hat ferner Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes, das der Senat mit 500,00 € bemisst. Der Kläger erlitt infolge des Sturzes Hautabschürfungen am Fuß und am linken Ellenbogen sowie eine Prellung am linken Unterschenkel. Er war für 4 Tage krankgeschrieben. Die Verletzungen sind folgenlos verheilt. Angesichts der doch glücklicherweise relativ geringfügigen Verletzungen hält der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € unter Berücksichtigung vergleichbarer Entscheidungen betreffend Prellungen und Hautabschürfungen, die sich in diesem Bereich bewegen, für angemessen, aber auch ausreichend.

Schließlich hat der Kläger Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, allerdings nur auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von bis zu 7.000,00 €. Bei einer 1,3 Geschäftsgebühr ergibt sich zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer ein erstattungsfähiger Betrag in Höhe von 650,34 €. Hinsichtlich des weitergehenden geltend gemachten Betrages war die Berufung daher zurückzuweisen.

Verzugszinsen nach §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB kann der Kläger erst ab dem Tage nach dem Zugang des Ablehnungsschreibens der Beklagten zu 2 (§ 187 Abs. 1 BGB) verlangen. Die Beklagte zu 2 befand sich mit dem Zugang des Ablehnungsschreibens, das den Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des auf der Kopie ersichtlichen Eingangsstempels am 28.08.2019 zugegangen ist, in Verzug. Dieser Verzugseintritt wirkt Kraft der Regulierungsvollmacht der Beklagten zu 2 auch zulasten des Beklagten zu 1.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 S. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Zuvielforderung des Klägers ist nur geringfügig und hat nur geringfügig höhere Kosten veranlasst. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Senat entscheidet anhand der hier vorliegenden Umstände des Einzelfalles. Der Rechtsstreit weist auch keine grundsätzlich schwierigen oder entscheidungsbedürftigen Rechtsfragen auf, die eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich machen.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 3 ZPO i.V.m. § 47 Abs. 1 S. 1 GKG auf 7.041,62 € festgesetzt.