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Entscheidung 6 K 4295/17.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 6. Kammer Entscheidungsdatum 20.10.2021
Aktenzeichen 6 K 4295/17.A ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2021:1020.6K4295.17.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffer 5 – 7 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Juli 2017 verpflichtet, festzustellen, dass in der Person der Klägerinnen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerinnen zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerinnen sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit.

Die Klägerin zu 1., mittels russischen Inlands- und Reisepass ausgewiesen, ist die Mutter der 2003 geborenen und mittels russischen Reisepass und Geburtsurkunde ausgewiesenen Klägerin zu 2., die aus der geschiedenen Ehe der Klägerin zu 1. stammt.

Die Klägerinnen reisten über Polen in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 24. Juni 2013 bei der Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) förmliche Asylanträge, welche das Bundesamt am 8. Oktober 2013 mit Blick auf die beigeführte polnische Aufenthaltsgestattung und die Zustimmung der polnischen Behörden als unzulässig ablehnte. Den dagegen gerichteten Eilantrag lehnte das erkennende Gericht mit Beschluss vom 23. Oktober 2013 ab (VG 6 L 758/13.A). Aufgrund einer seitens der Ausländerbehörde angenommenen schweren Erkrankung der Klägerin zu 1. unterblieb in der Folge eine Aufenthaltsbeendigung. Unter Hinweis auf den Ablauf der Überstellungsfrist hob das Bundesamt mit Bescheid vom 26. Juni 2014 den Überstellungsbescheid auf. Das Klageverfahren stellte der zuvor zuständige Einzelrichter nach übereinstimmender Erledigungserklärung mit Beschluss vom 8. Juli 2014 ein (VG 6 K 3850/13.A).

Zu der persönlichen Anhörung am 6. August 2014 beim Bundesamt erschienen die Klägerinnen nicht. Die Klägerin zu 1. teilte bereits zuvor der Ausländerbehörde mit, dass sie aufgrund einer schweren Erkrankung ihrer Mutter bzw. Oma der Klägerin zu 2. unverzüglich ausreisen wolle. Die Klägerinnen nahmen den Asylantrag zurück und die Ausreise erfolgte – unter Gewährung finanzieller Unterstützung – am 8. August 2014.

Daraufhin stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 11. September 2014 die Asylverfahren ein und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorlägen.

Am 8. Oktober 2014 reisten die Klägerinnen dann nach Österreich ein und stellten dort am 9. Oktober 2014 Asylanträge. Am 21. Juli 2015 wurde dort A..., Klägerin im Verfahren VG 6 K 4294/17.A geboren.

Am 19. September 2015 reisten die beiden Klägerinnen gemeinsam mit A...in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 23. September 2015 förmliche Asylanträge bei der Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamts.  Als Begründung führte die Klägerin zu 1. an, aufgrund häuslicher Gewalt und drohender Kindesentziehung seitens ihres „Ehemanns“ in Österreich und seiner dort lebenden Verwandten geflohen zu sein.

Mit Bescheid vom 22. Oktober 2015 lehnte das Bundesamt die Asylanträge mit Blick auf einschlägige Eurodac-Treffer und die Zustimmung der österreichischen Behörden als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Österreich an. Der dagegen gerichteten Eilantrag blieb ohne Erfolg (VG 6 L 1943/15.A). Die entsprechende Klage wies das erkennende Gericht mit Urteil vom 22. Februar 2016 (VG 6 K 4850/15.A) ab.

Die Klage auf Verpflichtung der Beklagten, den Überstellungsbescheid aufzuheben und eine Erklärung zum Selbsteintritt abzugeben, stellte der vormals zuständige
Berichterstatter nach übereinstimmender Erledigungserklärung mit Beschluss vom 23. Dezember 2016 ein (VG 6 K 2955/16.A). Den entsprechenden Eilantrag nahmen die Klägerinnen zurück (VG 6 L 764/16.A).

Bei der Anhörung beim Bundesamt am 24. Januar 2017 gab die Klägerin zu 1. im Wesentlichen an, die Klägerin zu 2. sei ihr im Alter von sechs Monaten weggenommen worden als ihr Ehemann und Vater der Klägerin zu 2. verschwunden gewesen sei. Die Klägerin zu 1. sei dann bei den Schwiegereltern der Klägerin zu 1. aufgewachsen. Als die Klägerin zu 1. erfahren habe, dass es der Klägerin zu 2. gesundheitlich sehr schlecht gehe, habe sie ihre „Tochter gestohlen“ und sei im Juni 2013 ausgereist. Sie sei dann im August 2014 nach Moskau zurückgereist, da ihr Vater sie gebeten habe zurückzukehren und er angegeben habe, ihre Mutter sei krank. Sie sei dann in Moskau drei Wochen von ihrer Familie in einer Wohnung eingesperrt
gewesen und sei dort von ihrem Vater sowie ihren Brüdern geschlagen worden. Als ihr Vater aufgrund einer Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus musste, haben die Klägerinnen die Wohnung verlassen und seien dann schließlich nach Österreich gelangt. Nach der Geburt von A...habe ihr neuer Ehemann sie geschlagen und habe ihr die Tochter wegnehmen wollen. Nach seiner Inhaftierung haben die Eltern ihres neuen Ehemanns, welche seit 15 oder 16 Jahren in Österreich leben, ihr das Kind wegnehmen wollen. Aus diesem Grund könne sie nicht nach Österreich zurückkehren. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland befürchte sie, dass ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet werde, vielleicht werde sie umgebracht. Es sei eine Schande, was sie getan habe

Mit Bescheid vom 20. Juli 2017 hob das Bundesamt den Überstellungsbescheid vom 22. Oktober 2015 auf (Ziff. 1), lehnte den Antrag der Klägerinnen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 2), auf Asylanerkennung (Ziff. 3) und auf subsidiären Schutz (Ziff. 4) jeweils ab. Es stellte fest, das Abschiebungsverbote nicht vorlägen (Ziff. 5). Das Bundesamt forderte die Klägerinnen auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und drohte die Abschiebung in die Russische Föderation an. Ferner befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 7). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen für ein weiteres Asylverfahren lägen vor, da der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung vorläge. Es läge indes keine staatliche Verfolgung vor, die Klägerin zu 1. sei daher auf die Inanspruchnahme der Polizei zu verweisen gewesen, die auch zur Verfügung gestanden hätte, so dass auch keine Wiederholungsgefahr hinsichtlich etwaiger Körperverletzung und Beleidigung durch Familienangehörige bestehe. Das schließe auch aus, die Klägerin zu 1. als zugehörig zu einer sozialen Gruppe zu verstehen. Ferner bestehe interner Schutz innerhalb der Russischen Föderation, weshalb auch kein subsidiärer Schutz gewährt werden könne. Abschiebungsverbote kämen nicht in Betracht, da die vorgelegten Atteste hinsichtlich der posttraumatischen Belastungsstörung der Klägerin zu 2. bereits nicht die notwenige Qualität aufweisen und im Übrigen die Versorgung in der Russischen Föderation insoweit gewährleistet sei.

Am 28. Juli 2017 haben die Klägerinnen Klage erhoben. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, die Klägerinnen gehörten einer sozialen Gruppe an, nämlich der Gruppe tschetschenischer Frauen, die alleinstehend leben – getrennt, verwitwet oder geschieden – und ihrer Kinder. Staatlicher Schutz stehe nicht zur Verfügung. Es drohe konkret die Kindesentziehung. Ferner stehe eine inländische Fluchtalternative bereits deshalb nicht zur Verfügung, da den Klägerinnen es nicht gelingen werde, ein menschenwürdiges Überleben zu sichern. Zur ergänzenden Begründung verweist die Klagebegründung auf verschiedene Erkenntnisquellen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Juli 2017 verpflichtet, den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;

hilfsweise den Klägerinnen subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;

weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den streitgegenständlichen Bescheid.

In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin zu 1. informatorisch befragt worden; hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Die Klägerin zu 2. ist der mündlichen Verhandlung – ohne Vorlage von Attesten – ferngeblieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte zu diesem Verfahren sowie den Verfahren VG 6 K 4850/15.A, VG 6 K 1943/15.A, VG 6 K 4851/15.A, VG 6 L 1944/15.A, VG 6 K 2955/16.A, VG 6 L 764/16.A, VG 6 K 2956/16.A, VG 6 L 765/16.A sowie VG 6 K 4294/17.A und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, nachdem in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungs-gerichtsordnung - VwGO -).

Die Klage ist zulässig und in dem tenorierten Umfang begründet.

I. 1. Die Klägerin zu 1. hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz des Asylgesetzes - AsylG -) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. Juli 2017 ist insoweit nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1. mithin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Bei dem Asylantrag vom 23. September 2015 der Klägerin zu 1. handelt es sich um einen unzulässigen Folgeantrag i.S.d. §§ 71, 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.

Die Vorschrift ist vorliegend anwendbar. Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift in Fällen, in denen vor der Rücknahme des Antrags, wie hier, eine Anhörung noch nicht stattgefunden hat (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. § 71 Rn. 7 wegen Fehlens einer Bezugsbasis für die Beurteilung des Folgeantrags), bietet bereits der eindeutige Wortlaut keinen Anhalt. Zudem besteht hier kein Bedürfnis für eine teleologische Reduktion, da der Klägerin zu 1. hier mit dem Anhörungstermin am 6. August 2014 im ersten Asylverfahren, mithin vor der Ausreise am 8. August 2014 sogar die konkrete Möglichkeit eröffnet war, ihre Asylgründe im Erstverfahren geltend zu machen und sie durch die Antragsrücknahme aus eigenem Antrieb hierauf verzichtet hat. Aus diesem Verzicht kann sie nunmehr keine günstigere Sachlage für sich herleiten (vgl. ebenso: Verwaltungsgericht Göttingen, Urteil vom 17. September 2019 - 2 A 557/17 -, BeckRS 2019, 21771, Rn. 10; BeckOK AuslR/Dickten, 30. Ed. 1.7.2021, AsylG § 71 Rn. 6; Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 71 Rn. 8).

Bedenken hinsichtlich der Einordung des Asylantrags vom 23. September 2015 als Folgeantrag i.S.d. § 71 Abs. 1 AsylG werden weder geltend gemacht, noch sind sie sonst ersichtlich.

Nach der vom Gericht vorzunehmenden Prüfung der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 AsylG – trotz der positiven Zulässigkeitsprüfung des Bundesamts (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Dezember 1987 - 9 C 285.86 -, juris Rn. 17) – ist dieser Asylantrag unbeachtlich. Nach § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG ist ein Folgeantrag nur dann beachtlich, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Letzteres ist u.a. dann der Fall, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert hat oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Nach § 51 Abs. 2 AsylG ist Voraussetzung, dass der Antragsteller ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Antragsteller seine Gründe für seine Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen, vgl. § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 S. 1, Halbsatz 2 VwGO. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Antragstellers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

Die Klägerin zu 1. hat Wiederaufgreifensgründe i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG nicht schlüssig dargelegt.

Entgegen der Ansicht des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid kann mit den vorgetragenen Schlägen, Beleidigungen und dem vorgetragenen Eingespeertsein in der M...Wohnung durch ihre eigene Familie im Jahr 2014 eine relevante nachträgliche Änderung der Sachlage zu ihren Gunsten i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht begründet werden. Bei der geschilderten Behandlung durch ihre Familie handelt es sich um einen andauernden Sachverhalt, der bereits zum Zeitpunkt der Stellung des ersten Asylantrags in Deutschland in gleicher Weise vorgelegen hat. Die Sachlage hat sich mithin nicht geändert. Vielmehr beruht die vorgetragene Behandlung durch ihre Familie – nach dem klägerischen Vortrag – aus der Beeinträchtigung der Familienehre durch die „Wegnahme“ der Klägerin zu 2., mithin ein Vorgang, der bereits vor dem ersten Asylantrag in Deutschland stattgefunden hatte. Es liegt auch keine qualitative Änderung der das persönliche Schicksal der Klägerin zu 1. bestimmenden Umstände vor, die eine Sachlagenänderung begründen könnte. Die Klägerin zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung
vielmehr auf die entsprechende Frage angegeben, dass sie bereits vor der ersten Ausreise vor allem von ihren Brüdern geschlagen worden sei. Zudem hat sie geschildert, dass es bereits zuvor vorgekommen sei, dass sie eingeschlossen worden sei und nirgendwo mehr hingehen durfte.

Ebenso liegt keine Änderung der Sachlage hinsichtlich der befürchteten zwangsweisen Trennung von ihren Kindern vor.

Hinsichtlich K..., der Klägerin zu 2. hat die Klägerin zu 1. angegeben, bereits vor der Stellung des ersten Asylantrags in Deutschland in der Russischen Föderation von ihr getrennt gelebt zu haben. Damals hatte sich die befürchtete Gefahr folglich bereits realisiert. Zudem zeigt die Antwort der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung auf die Frage, was sie bei der Anhörung beim Bundesamt im Jahr 2014 geantwortet hätte, wenn sie nach ihren damaligen Befürchtungen bei einer Rückkehr befragt worden wäre („Ich weiß, was passiert wäre und was auch jetzt passieren würde. Wenn man mir die Kinder lassen würde, dann könnte ich das alles machen. Aber das wird nicht passieren.“), dass sich die Befürchtungen und damit die vorgetragene Verfolgungsgefahr aus Sicht der Klägerin zu 1. gleich darstellt. All die damit verbundenen Umstände hätte die Klägerin zu 1. in dem früheren Verfahren gelten machen können, vgl. § 51 Abs. 2 VwVfG. Die damit einhergehenden Umständen können folglich nicht zu einer neuen inhaltlichen Prüfung führen.

Hinsichtlich A..., der Klägerin im Verfahren VG 6 K 4294/17.A, welche nach Abschluss des ersten Asylverfahrens geboren wurde, hat sich die Sachlage zwar nachträglich geändert. Diese Änderung wirkt aber nicht zugunsten der Klägerin zu 1. Sie ist nämlich nicht geeignet, sich möglicherweise für sie günstig auszuwirken. Zwar ist nicht grundsätzlich auszuschließen, dass geschiedenen Frauen und ihren Kindern eine Verfolgung drohen kann (in diesem Sinne etwa: Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 30. August 2018 - VG 33 K 428.16 A -, juris; im Ergebnis bestätigt durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Juli 2019 - OVG 12 N 208.18 -; ebenso: Verwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 29. September 2021 – 2 A 247/19 -, juris). Dies gilt jedoch nicht ohne weiteres für jeden Fall der Trennung von Elternteilen, sondern nur, wenn ein besonderer Verfolgungswille der jeweiligen Familien vorliegt (Beschluss vom 9. Juli 2019 - OVG 12 N 208.18 -). Davon ist hier jedoch nicht auszugehen. Zwar hat die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung angegeben, der Vater von A... sei bei den Eltern der Klägerin zu 1. in Tschetschenien gewesen und habe sie in Passau treffen wollen, sie solle dabei die Geburtsurkunde von A...mitbringen. Nach Überzeugung des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters ist das jedoch nicht ausreichend, um aufgrund des langjährigen Wohnorts des Vaters von A...in Österreich und auch seiner Eltern von einem erforderlichen, besonderen Verfolgungswillen auszugehen. Es ist bereits nicht ersichtlich, wie die Familie des Vaters von A...von einer etwaigen Ausreise aus Deutschland Kenntnis erhalten könnte. Schließlich war der Vater zu einem Zeitpunkt in Tschetschenien, als die Klägerinnen in Deutschland waren. Die Antwort auf die entsprechende Frage, wie der Vater von A...von einer Ausreise erfahren würde, beantwortete die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung insoweit auch ohne Substanz („Er weiß, dass wir in Deutschland sind, da hier auch Bekannte von ihm sind. Ich kann ein Beispiel geben. Wir wurden aus S...und B...in ein Heim in W...gebracht. Gegenüber haben Leute gewohnt, das waren die Nachbarn vom Opa von K.... Die wussten alles, wohin wir gehen, was wir angezogen hatten, weil sie in der Nähe gewohnt hatten und eben Familie waren.“). Es ist auch nicht ersichtlich, wie eine etwaige Registrierung in der Russischen Föderation der Familie des Vaters von A...bekannt werden könnte. Eine insoweit lediglich nicht auszuschließende Möglichkeit, dass der Vater von A...Beziehungen, etwa zu Sicherheitskreisen hat, reicht jedenfalls nicht aus. Im Übrigen spricht gegen die Relevanz der Sachlagenänderung, dass bei einer aufgrund der langjährigen Verwurzelung anzunehmenden Fortdauer des gewöhnlichen Aufenthalts des Vaters von A...und seiner Eltern in Österreich, die Klägerin zu 1. auf den Schutz des österreichischen Staates zu verweisen ist, an deren Wirksamkeit zu zweifeln kein Anlass besteht.

2. In der Person der Klägerin zu 1. liegen indes die Voraussetzungen für die hilfsweise begehrte Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vor. Die entsprechende Ablehnung in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1. in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich dies aus der Anwendung der EMRK ergibt, insbesondere der Bestimmung des Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. § 60 Abs. 5 AufenthG erfasst nur zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 35). Gefahren i.S.v. § 60 Abs. 5 AufenthG müssen grundsätzlich landesweit drohen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen; etwas anderes gilt nur, soweit der Betroffene bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31.Januar 2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26 und Beschluss vom 15. September 2006 – 1 B 116.06 – Rn. 4). Für den Begriff der Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 5 gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 10 B 20/10 – juris Rn. 6).

Dabei kann vorliegend offen bleiben, ob die regelmäßig vorgetragene Ansicht des Bundesamts in derartigen Fallkonstellationen, wonach Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG im Rahmen eines Folgeantrages nach § 71 AsylG – wie der der Klägerin zu 1. – nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bzw. § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG zu prüfen seien und insoweit die ältere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41/99 -, juris; Beschluss vom 15. Januar 2001 - 9 B 475/00 -, juris) auch nach Änderung des § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG durch Art. 6 Nr. 11 c) des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) zum 6. August 2016 fort gilt oder, ob der geänderte Wortlaut des § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG die Feststellungen zu nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG unabhängig von den Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder des § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. den §§ 48, 49 VwVfG verlange (vgl. zum Streitstand nur: BeckOK AuslR/Dickten, 30. Ed. 1.7.2021, AsylG § 71 Rn. 28-30 m.w.N.). Denn auch unter den engeren Voraussetzungen der erstgenannten Ansicht, hat die Klägerin zu 1. im vorliegenden Fall einen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots.

Zwar liegen – wie dargelegt – die Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor und hat das Bundesamt nach der Antragsrücknahme der Klägerin zu 1. entsprechend § 32 S. 1 AsylG in Ziffer 2 des Bescheids vom 11. September 2014 eine Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG getroffen, welche unanfechtbar geworden ist. Gleichwohl besteht der geltend gemachte Anspruch vorliegend jedenfalls aus europarechtlichen bzw. verfassungsrechtlichen Gründen, unter dem Gesichtspunkt der Ermessensreduktion auf Null nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48 f. VwVfG. Die Aufrechterhaltung der Entscheidung in Ziffer 2 des Bescheids vom 11. September 2014 wäre offenkundig rechtswidrig und schlechthin unerträglich (vgl. zu den Voraussetzungen: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 1 C 26/08 –, juris Rn. 19 f.). Das ist – zur Verhinderung des Entstehens einer Schutzlücke – regelmäßig dann der Fall, wenn der relevante Sachverhalt, hier die erzwungene Trennung der Klägerinnen bei einer Rückkehr in die Russische Föderation im Asylerstverfahren nicht vorgetragen wurde und daher vom Bundesamt in der nach der Antragsrücknahme ergangenen Entscheidung über nationale Abschiebungsverbote nicht berücksichtigt werden konnte (vgl. zu der insoweit vergleichbaren Zweitantragssituation: Huber/Mantel AufenthG/Stern, 3. Aufl. 2021, AsylG § 71a Rn. 10), die nunmehrige Berücksichtigung dieses Vorbringens am Nichtvorliegen der Wiederaufgreifensgründe i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG hinsichtlich der internationalen Schutzansprüche scheitert und überdies eine Berufung auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung in Ziffer 2 des Bescheids vom 11. September 2014 in Bezug auf die inmitten stehenden Grund- (Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) und Konventionsrechte (Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK -) unzumutbar wäre, da die zu beurteilende Verfolgungshandlung – auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verfahrensgegenstände – an sich die für die Gewährung jedenfalls subsidiären Schutzes erforderliche Qualität annimmt (vgl. GK-AsylVfG, EL 113 Oktober 2017, § 71 Rn. 344 f.). Das ist vorliegend der Fall.

Weder berücksichtigt die Entscheidung in Ziffer 2 des Bescheids vom 11. September 2014 die vorgetragene Trennung noch liegen Wiederaufgreifensgründe – wie dargelegt – vor.

Die Berufung auf die Unanfechtbarkeit wäre auch unzumutbar. Nach Ansicht des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters hat die Klägerin zu 1. eine relevante Gefährdungslage für sich und die Klägerin zu 2. dargelegt. Zur Überzeugung des Gerichts ist die – vom Bundesamt auch im streitgegenständlichen Bescheid nicht thematisierte – Tatsache, dass die Familie des Vaters der Klägerin zu 2. ihr im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation danach trachtet, das gemeinsame Kind zwangsweise wegzunehmen, beachtlich wahrscheinlich. Dafür spricht bereits die Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), da die Klägerinnen vor ihrer ersten Ausreise aus der Russischen Föderation 2013 bereits für einen Zeitraum von etwa 10 Jahren durch die Familie des Vaters der Klägerin zu 2. und gegen den Willen der Klägerin zu 1. getrennt waren. Glaubhaftigkeitszweifel hinsichtlich dieser bereits erfolgten Trennung wurden durch die Beklagte bzw. das Bundesamt nicht geltend gemacht, sie sind für das Gericht nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung auch nicht ersichtlich. Die Schilderung zur beachtlich wahrscheinlichen zwangsweisen Trennung der Klägerinnen durch die Familie des Vaters der Klägerin zu 2. in Tschetschenien deckt sich vielmehr mit den vorliegenden Erkenntnissen zur Lage der Frau im Nordkaukasus (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, generiert am 10. Juni 2021, S. 68 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Oktober 2020, in der Fassung vom 21.05.2021, S. 12 f.; Themenpapier der SFH-Länderanalyse Russland/Tschetschenien: «Ehrenmord» der Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH vom 22. März 2019; EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Russische Föderation, Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, S. 33 ff.; Terre des femmes e. V., Situation von Frauen im Nordkaukasus, Stand: 11/2019). Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich danach zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen seien nach wie vor ein Problem in Tschetschenien, aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Häusliche Gewalt, die überall in Russland ein großes Problem darstelle, gehöre in den nordkaukasischen Republiken zum Alltag. Regional- und Zentralbehörden schenkten dem Thema zu wenig Aufmerksamkeit. Erschwert werde die Situation durch die Koexistenz dreier Rechtssysteme in der Region – dem russischen Recht, dem Gewohnheitsrecht (Adat) und der Scharia. Gerichtsentscheidungen würden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richteten sich mehr nach Traditionen als nach den russischen Rechtsvorschriften. In dem Informationsbericht des European Asylum Support Office (EASO) heißt es: „Im Einklang mit den Adat, die besagen, dass Kinder bei der Familie ihres Vaters leben sollten und dass die Kinder das „Eigentum“ des Vaters und seiner Familie sind [...], kommen Kinder, deren Eltern in Tschetschenien geschieden werden, zum Vater. Sehr kleine Kinder leben zunächst bei ihrer Mutter und werden später von ihrem Vater übernommen, und die Mutter darf sie möglicherweise besuchen. […] Es gibt jedoch sehr oft Fälle, in denen die Familie des Ehemannes der Mutter nicht erlaubt, das Kind zu sehen“ (Informationsbericht über das Herkunftsland Russische Föderation zur Situation der Tschetschenen in Russland vom August 2018, S. 34). Die Nähe zum Vater werde für wichtiger gehalten als die Nähe zur Mutter. Für Jungen und Mädchen sei es eine Schande, die Verwandten väterlicherseits nicht zu kennen und nicht zu ehren. Wenn ein Mann seine Kinder bei der Mutter belasse, sei es ebenfalls eine Schande und der Mann gelte als nicht vollwertig. All das führe dazu, dass die Kinder von der Mutter getrennt würden (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Russischen Föderation: Tschetschenien: Lage von Oppositionellen (Unterstützer von Rebellen und ihre Angehörigen) vom 29. Juni 2018).

Stichhaltige Anhaltspunkte, um die Verfolgungsvermutung nunmehr zu widerlegen, liegen nicht vor. Zwar hat die Klägerin zu 2. zwischenzeitlich die Volljährigkeit nach § 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und Art. 21 des Zivilgesetzbuches der Russischen Föderation erreicht. Es ist indes nicht davon auszugehen, dass damit eine in Tschetschenien anerkannte Eigenständigkeit einhergeht, die den Verfolgungswillen der Familie des Vaters der Klägerin zu 2. zum Erliegen brächte. Vielmehr ist den eingeführten Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass die beschriebene tschetchenische Tradition, der Adat und die Scharia das russische Recht verdrängen.

Die von der Klägerin zu 1. dargelegte, drohende, erzwungenen Trennung stellt eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar. Die zwangsweise Trennung stellt eine schwerwiegende Verletzung ihres grundlegenden Menschenrechts auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und ihres Grundrechts auf Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG dar. Diese garantieren das Recht, mit seinen Kindern bzw. seinen Eltern zusammenzuleben. Zwar ist Art. 8 Abs. 1 EMRK kein Recht, von dem nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Jedenfalls soweit es das elterliche Erziehungsrecht, einschließlich des Rechts mit seinem Kind zusammenzuleben und für sein Wohl zu sorgen, schützt, ist es jedoch als grundlegendes Menschenrecht zu qualifizieren (Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 30. August 2018 – 33 K 428.16 A –, juris Rn. 35 m.w.N.). In dieses Recht wird schwerwiegend eingegriffen, würden die Klägerin zu 1. und zu 2. gegen ihren Willen und ohne Berücksichtigung ihrer Belange und Interessen, mithin ohne eine geordnete Entscheidung über das Erziehungsrecht im Fall der Trennung bzw. Scheidung der Eltern getrennt.

Nach der Erkenntnismittellage ist nicht davon auszugehen, dass die im Nordkaukasus agierenden staatlichen Stellen noch sonstige einschlägige Akteure gewillt sind, den dort zu befürchtenden Übergriffen seitens der Familie des Vaters der Klägerin zu 2. Einhalt zu gebieten (vgl. auch Verwaltungsgericht Potsdam, Beschluss vom 31. August 2021 - VG 6 L 182/21.A - und Urteil vom 11. Dezember 2019 - 6 K 1085/16.A -, juris Rn. 42; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 30. August 2018 - 33 K 428.16 A -, juris Rn. 40 f.; Verwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 29. September 2021 – 2 A 247/19 -, juris). So heißt es im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts, dass „bestimmte Gruppen keinen effektiven Rechtsschutz [genießen]. Hierzu gehören neben Oppositionellen, Regimekritikern und Menschenrechtlern auch Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, […]“ (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: Oktober 2020) in der Fassung vom 21.05.2021, S. 12).

Die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist auch nicht ausgeschlossen, weil die Klägerin zu 1. in einem anderen Landesteil der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik Inguschetien der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung nicht entgehen könnte. Nach den vorliegenden Erkenntnissen steht zwar politisch unverdächtigen und erwerbsfähigen Personen aus dem Nordkaukasus generell in den meisten Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative bzw. interner Schutz zur Verfügung (vgl. Auswärtiges Amt, Berichte über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation vom 16. Dezember 2019, S. 14 und vom 02.02.2021 in der Fassung vom 21.05.2021, S. 14; ebenso: für einen aus der Teilrepublik Dagestan stammenden russischen Staatsangehörigen hinsichtlich der Ausweichmöglichkeiten in sonstigen Bereichen der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepubliken des Nordkaukasus: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13. Juli 2017 – 1 VR 3/17 –, juris Rn. 113 ff.; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 7. Januar 2015 – 11 B 12.30471 –, juris Rn. 34; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3. März 2009 – OVG 3 B 16.08 –, juris Rn. 58 ff.). Zudem geht die Verfolgung vorliegend nicht von den föderalen Sicherheitsbehörden aus (vgl. dazu: BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, generiert am 10. Juni 2021, S. 81; EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Russische Föderation Die Situation der Tschetschenen in Russland, August 2018, S. 53; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Oktober 2020, in der Fassung vom 21.05.2021). Es ist indes glaubhaft vorgetragen, dass mehrere Mitglieder der Familie des Vaters der Klägerin zu 2. bei der Polizei arbeiten und ihnen es so möglich ist, den Aufenthaltsort der Klägerin zu 1. in der Russischen Föderation unter Einsatz der Sicherheitsbehörden ausfindig zu machen. Es kann daher dahinstehen, ob von der Klägerin zu 1. vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in anderen Landesteilen niederzulassen.

II. Die Klägerin zu 2. hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz des AsylG) ebenfalls weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. Juli 2017 ist insoweit nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 2. mithin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Es handelt sich bereits – insoweit wird zur Meidung von Wiederholungen auf die obige Begründung verwiesen – um einen unzulässigen Folgeantrag i.S.d. §§ 71, 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Eigene Gründe hat die Klägerin zu 2. bereits nicht vorgetragen.

In der Person der Klägerin zu 2. liegen indes ebenfalls die Voraussetzungen für die hilfsweise begehrte Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Die entsprechende Ablehnung in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist, aus den obigen Gründen, auf die verwiesen wird, rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 2. in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.

III. Die Klage ist in Bezug auf die Ziffern 6 und 7 des angegriffenen Bescheides hinsichtlich beider Klägerinnen ebenfalls begründet. Der Bescheid erweist sich insoweit als rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der in Ziffer 6 verfügten Abschiebungsandrohung liegen wegen der Gewährung von Abschiebungsschutz nicht vor (vgl. § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG). Demnach kann auch das in Ziffer 7 auf der Grundlage von § 75 Nr. 12, § 11 AufenthG verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot samt seiner Befristung keinen Bestand haben.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.