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Griechenland; anerkannte Schutzberechtigte; Sekundärmigration; Rückführung; Abschiebungsverbot; unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; Situation extremer materieller Not; drohende Obdachlosigkeit; bestandskräftige Ablehnung des Asylantrags als unzulässig


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 23.11.2021
Aktenzeichen OVG 3 B 54.19 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2021:1123.OVG3B54.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 29 Abs 1 Nr 2 AsylVfG 1992, § 31 Abs 3 S 1 AsylVfG 1992, § 60 Abs 5 AufenthG, Art 3 MRK, Art 4 EUGrdRCh

Leitsatz

In Griechenland anerkannten Schutzberechtigten droht im Falle ihrer Rückführung nach Griechenland die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK, Art. 4 GRC).

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über ein Abschiebungsverbot in Bezug auf Griechenland.

Der 1993 geborene Kläger ist Palästinenser mit Herkunft aus Syrien. Er reiste im Mai 2018 nach Deutschland ein und stellte in der Folge einen Asylantrag. Zuvor war ihm am 24. Mai 2017 in Griechenland internationaler Schutz gewährt worden.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Griechenland oder einen anderen Staat mit Ausnahme von Syrien an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Fall der Abschiebung befristete das Bundesamt auf 30 Monate (Ziffer 4).

Auf die hiergegen gerichtete, in Bezug auf die Unzulässigkeitsentscheidung später wieder zurückgenommene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Urteil vom 10. Januar 2019 unter Aufhebung von Ziffer 2, Ziffer 3 (mit Ausnahme der getroffenen Feststellung, dass der Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden darf) und Ziffer 4 des Bescheides vom 25. Juli 2018, hinsichtlich des Klägers ein Abschiebungsverbot für Griechenland festzustellen. Angesichts der Lebensverhältnisse in Griechenland drohe anerkannten Schutzberechtigten dort eine mit Art. 3 EMRK unvereinbare unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.

Die Beklagte hat zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung unter Bezugnahme auf Erkenntnismittel und Rechtsprechung im Einzelnen ausgeführt, warum eine Rückführung des Klägers nach Griechenland aus ihrer Sicht keine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. Januar 2019 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC für offensichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes Bezug genommen. Beide haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung der anderslautenden Entscheidung im Bescheid des Bundesamtes vom 25. Juli 2018 (Ziffer 2) verpflichtet, ein Abschiebungsverbot in Bezug auf Griechenland festzustellen. Der Kläger kann eine solche Feststellung gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG und Art. 3 EMRK beanspruchen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Maßgeblich für die Beurteilung seines Begehrens ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG).

Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist u.a. in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.

Die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für eine solche Feststellung liegen im Hinblick darauf vor, dass das Bundesamt den Asylantrag des Klägers in Ziffer 1 des Bescheides vom 25. Juli 2018 wegen des ihm in Griechenland zuerkannten internationalen Schutzes gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt hat. Die Unzulässigkeitsentscheidung ist bestandskräftig geworden und nicht mehr Verfahrensgegenstand, da der Kläger die Klage insoweit zurückgenommen hat. Darauf, dass Lebensverhältnisse im Staat der Schutzgewährung, die eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK begründen, – wie inzwischen geklärt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. - juris Rn. 101, und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a. - juris Rn. 43; dazu BVerwG, Urteile vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 - juris Rn. 36 und vom 20. Mai 2020 - 1 C 34.19 - juris Rn. 15) – nicht allein bei der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen sind, sondern bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung führen, kommt es daher hier nicht an.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Zum Gewährleistungsinhalt des Art. 3 EMRK ist in der Rechtsprechung geklärt, dass mangelhafte Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne dieser Bestimmung darstellen können, wenn die Missstände ein bestimmtes Mindestmaß an Schwere erreichen, das von allen Umständen des Falles abhängt und das erreicht sein kann, wenn die betroffenen Personen ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen (vgl. m.w.N. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 11; s.a. BVerfG, Beschlüsse vom 31. Juli 2018 - 2 BvR 714/18 - juris Rn. 18, und vom 8. Mai 2017 - 2 BvR 157/17 - juris Rn. 15).

Im Hinblick auf den fundamentalen Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der von jedem Mitgliedstaat verlangt, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 - juris Rn. 81), kommt die Feststellung eines mit den Lebensbedingungen in einem anderen Mitgliedstaat begründeten Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht, die der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu der mit Art. 3 EMRK wortgleichen und gleichbedeutenden Schutzgewährung des Art. 4 GRC (vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. - juris Rn. 89 und - C-163/17 - juris Rn. 91) konkretisiert hat (zu dem im rechtlichen Ansatz identischen Prüfungsmaßstab nach Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC s.a. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2021 - 1 C 6.20 - juris Rn. 19).

Danach fallen systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRC, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt und die dann erreicht ist, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Diese Schwelle ist selbst bei durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Ob in dem Mitgliedstaat der Schutzgewährung systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen, die die schutzberechtigte Person der Art. 4 GRC verletzenden Gefahr extremer materieller Not aussetzen würden, ist auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 - juris Rn. 37 ff. unter Bezugnahme auf EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. - juris Rn. 89 - 91 und - C-163/17 - juris Rn. 91 - 93 sowie Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a. - juris Rn. 39).

Hiervon ausgehend ist zugunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen, denn ihm droht im Falle der Rückkehr nach Griechenland zur Überzeugung des Senats die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK, Art. 4 GRC.

Nach Griechenland zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus werden dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit elementarste Bedürfnisse nicht befriedigen können. Sie werden im Regelfall für längere Zeit nicht in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu erwirtschaften, und für sie besteht mangels staatlicher und sonstiger Hilfen das ernstliche Risiko, in eine Situation extremer materieller Not zu geraten und insbesondere keinen Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft zu erhalten (ebenso OVG Münster, Urteile vom 21. Januar 2021 - 11 A 1564/20.A - juris Rn. 30 und - 11 A 2982/20.A - juris Rn. 32; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 - 10 LB 244/20 - juris Rn. 27; a.A. für arbeitsfähige alleinstehende Personen OVG Schleswig, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 - juris Rn. 75).

Angesichts der Lage des griechischen Arbeitsmarkts und der Voraussetzungen für den Zugang zu Sozialleistungen werden nach Griechenland zurückkehrende Schutzberechtigte dort regelmäßig für längere Zeit nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um Wohnraum anzumieten und ihr Existenzminimum zu sichern.

Durch die vergangene Finanz- und Wirtschaftskrise haben sich die Arbeitschancen in Griechenland allgemein deutlich verschlechtert (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, 1. Juni 2021, S. 27). Infolge der Corona-Pandemie ging das Bruttoinlandsprodukt im Jahre 2020 um 8,2 % zurück, während die Arbeitslosenrate bei 16,3 % lag (vgl. European Commission, Enhanced Surveillance Report Greece, June 2021, S. 11 ff.). Nach den jüngsten statistischen Berichten (vgl. eurostat: Harmonisierte Arbeitslosenquoten – monatliche Daten, Aktualisierung vom 4.11.2021) betrug die saisonbereinigte Arbeitslosigkeit im September 2021 immer noch 13,3 %, während der EU-Durchschnitt bei 7,3% lag. Sollen vor der Finanz- und Wirtschaftskrise mehr als 1 Mio. Migranten in Griechenland beschäftigt gewesen sein, ging bereits während der Rezession von 2009 bis 2013 ein Drittel der von ausländischen Arbeitskräften besetzten Stellen verloren (vgl. EURES, Arbeitsmarktinformationen – Griechenland, Juli 2021). Soweit ersichtlich, fehlen zwar nähere Zahlen dazu, inwiefern (zurückkehrende) anerkannte Schutzberechtigte von den schlechten Arbeitsmarktchancen besonders betroffen sind. Sie haben jedoch im Vergleich mit griechischen Staatsangehörigen regelmäßig schlechtere Aussichten, einen Arbeitsplatz zu finden, denn sie verfügen nicht über die gleichen Voraussetzungen wie Sprachkenntnisse, soziale und familiäre Netzwerke sowie geographische und kulturelle Kenntnisse. Eine landesweite Strategie oder gezielte Programme der staatlichen Arbeitsagentur zu ihrer Arbeitsmarktintegration existieren nicht. Von der griechischen Regierung in der Vergangenheit angekündigte Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme wurden bisher nicht umgesetzt. Darüber hinaus gibt es in Griechenland kein Verfahren zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, was weitere Hindernisse beim Zugang zur Beschäftigung schafft. Drittstaatsangehörige sind in den Arbeitslosenstatistiken generell überrepräsentiert (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 21; s.a. aida, Country Report: Greece – Update 2020, S. 248; EURES, Arbeitsmarktinformationen – Griechenland, Juli 2021).

Auch nach Beurteilung der Deutschen Botschaft in Athen gestaltet sich die Arbeitssuche für anerkannte Schutzberechtigte im Hinblick auf die Konkurrenzlage auf dem Arbeitsmarkt als äußerst schwierig. Erreichbar können Hilfsarbeiterjobs, insbesondere in der Landwirtschaft sein. Die Covid-19-Pandemie verschlechtert aber die marginalen Möglichkeiten von anerkannten Schutzberechtigten, auch nur einer Hilfsarbeit nachzugehen, erheblich (vgl. Deutsche Botschaft Athen, Bericht zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 6). Es ist zurückkehrenden Schutzberechtigten deshalb so gut wie unmöglich, eine Erwerbstätigkeit in Griechenland zu finden.

Außerdem werden für den Zugang zum Arbeitsmarkt zahlreiche behördliche Dokumente benötigt. Dies stellt international Schutzberechtigte in der Praxis vor hohe Hürden. Oftmals sind sie nicht in der Lage, die erforderlichen Dokumente zu erhalten (Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 11 ff.; vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 - 10 LB 244/20 - juris Rn. 53 ff.). Um legal angestellt zu sein, benötigt man eine gültige Aufenthaltserlaubnis (ADET), eine Steueridentifikationsnummer (AFM) und eine Sozialversicherungsnummer (AMKA) (vgl. Accord, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für <nach Griechenland zurückkehrende> Personen mit internationalem Schutzstatus, 26. August 2021, S. 24).

Probleme bereitet bereits die Erlangung einer gültigen Aufenthaltserlaubnis, die deshalb von Bedeutung ist, weil sie für die Beantragung einer Sozialversicherungsnummer benötigt wird (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 12). Für ihre Erteilung reicht nicht allein der Anerkennungsbescheid der Asylbehörde, sondern es wird zusätzlich ein sog. „ADET-Bescheid“ des Regionalbüros der Asylbehörde benötigt, durch den die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis angewiesen wird. Erst mit einem solchen Bescheid kann bei der Passbehörde der griechischen Polizei ein Termin vereinbart werden, um die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. In der Praxis gibt es zwischen Beantragung und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Wartezeiten von bis zu einem Jahr. International Schutzberechtigte, die keine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzen, haben deshalb zunächst keinen Zugang zum Arbeitsmarkt (Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 12, 14, 15; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 - 10 LB 244/20 - juris Rn. 55). Soweit die Beklagte demgegenüber (im Zusammenhang mit dem durch die Sozialversicherungsnummer ebenfalls ermöglichten Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung) auf die inzwischen eingeführte automatisierte Vergabe einer vorläufigen Sozialversicherungsnummer hinweist und vorträgt, das Problem des Ablaufs vorläufiger Sozialversicherungsnummern, bei dem es sich um eine Softwarefehlfunktion gehandelt habe, sei nun behoben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dies auch Schutzberechtigte – wie den Kläger – betrifft, deren Asylverfahren schon vor dem April 2020 abgeschlossen wurden. Denn die Praxis, dass Asylbewerber/innen bei der Ausstellung der Aufenthaltsgestattung eine vorläufige Sozialversicherungsnummer erhalten, besteht erst seit April 2020 (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 13).

Weitere Schwierigkeiten ergeben sich u.a. daraus, dass für die Ausstellung der Steueridentifikationsnummer der Nachweis eines festen Wohnsitzes erforderlich ist, der etwa durch einen auf eigenen Namen ausgestellten Mietvertrag oder eine Stromrechnung für eine Mietwohnung erbracht werden kann. International Schutzberechtigte, die obdachlos sind oder einen entsprechenden Nachweis nicht vorlegen können, erhalten deshalb keine Steueridentifikationsnummer (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 15; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 - 10 LB 244/20 - juris Rn. 56). Ferner gibt es Verzögerungen bei der Vergabe durch die zuständigen Finanzämter. Soweit zu deren Abhilfe im Dezember 2020 verfügt wurde, dass Steueridentifikationsnummern nunmehr bei der Registrierung des Asylantrags automatisch durch die Asylbehörde vergeben werden sollen, profitieren diejenigen Personen, deren Asylantrag bereits registriert oder beschieden wurde, davon nicht (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 15 f.).

In der Regel wird es zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten auch nicht möglich sein, Zugang zu staatlichen Sozialleistungen wie insbesondere der (allgemeinen) sozialen Grundsicherung oder dem sozialen Wohngeld zu erhalten. Die monatlichen Leistungen, die Schutzsuchenden während des Asylverfahrens gewährt werden, werden 30 Tage nach Erhalt des Anerkennungsbescheids eingestellt. Dies betrifft namentlich die nur Schutzsuchenden zustehenden Leistungen aus Mitteln des UNHCR („Cash-Assistance“ bzw. „Cash-Card-System“, vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 18; Accord, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für <nach Griechenland zurückkehrende> Personen mit internationalem Schutzstatus, 26. August 2021, S. 3; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 - 10 LB 244/20 - juris Rn. 69 m.w.N.). Reguläre Leistungen des griechischen Sozialsystems können international Schutzberechtigte zwar zu den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige in Anspruch nehmen. Die meisten dieser Leistungen sind jedoch an so lange Voraufenthaltszeiten geknüpft, dass alle Schutzberechtigten, die keinen ununterbrochenen mehrjährigen Aufenthalt in Griechenland vorweisen können, davon ausgeschlossen sind. Spezielle Überbrückungsleistungen, bis Schutzberechtigte die Voraussetzungen des griechischen Sozialsystems erfüllen können, existieren nicht (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 18).

Die Inanspruchnahme des 2017 eingeführten sozialen Solidaritätseinkommens, das 200 Euro pro Haushalt beträgt und für jeden Erwachsenen um 100 Euro sowie für jedes Kind um 50 Euro erhöht wird, setzt u.a. den Nachweis eines zweijährigen ununterbrochenen und legalen Aufenthalts in Griechenland durch Vorlage der Steuererklärungen der Vorjahre voraus (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 5; Auswärtiges Amt – im Folgenden AA –, Auskünfte vom 28. Januar 2020 an das VG Leipzig, S. 2 f., und vom 4. Dezember 2019 an das VG Berlin, S. 9). Diese Voraussetzungen erfüllen nach Griechenland zurückkehrende Schutzberechtigte jedoch regelmäßig ebenso wenig wie die weitere Voraussetzung des Nachweises einer Meldeadresse, z.B. anhand eines mindestens sechs Monate vor der Antragstellung unterzeichneten Mietvertrags oder einer nur unter besonderen Voraussetzungen zu erlangenden Obdachlosenbescheinigung (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 18 f.; Accord, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für <nach Griechenland zurückkehrende> Personen mit internationalem Schutzstatus, 26. August 2021, S. 12; zu bürokratischen und sprachlichen Hürden auch MIT, Beitrag vom 25. Februar 2021 zu dem EASO Asyl-Report 2021, unter 13.).

Von zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten nicht erfüllbare Voraufenthaltszeiten gelten auch für das 2019 eingeführte Wohngeld in Höhe von 70 Euro für eine Einzelperson und höchstens 210 Euro für einen Haushalt, das den Nachweis eines ununterbrochenen legalen Aufenthalts von fünf Jahren voraussetzt (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 5; Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 19; Accord, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für <nach Griechenland zurückkehrende> Personen mit internationalem Schutzstatus, 26. August 2021, S. 18).

Angesichts der absehbaren vollständigen Hilfsbedürftigkeit nach Griechenland zurückkehrender anerkannter Schutzbedürftiger und der mangelnden staatlichen Unterstützung, insbesondere im Hinblick auf die fehlende Bereitstellung von Unterkünften, ist beachtlich wahrscheinlich, dass diese Personengruppe akut von Obdachlosigkeit bedroht ist.

Anerkannte Schutzberechtigte sind grundsätzlich für ihre Unterkunft selbst verantwortlich. Ein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen existiert in Griechenland für sie nicht (vgl. AA, Auskunft an das VG Leipzig vom 28. Januar 2020). Ebenso wie andere Wohnungssuchende müssen sie sich Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt beschaffen. Eine Möglichkeit, in Flüchtlingslagern oder anderen staatlichen Unterkünften untergebracht zu werden, besteht für zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte nicht, da diese Einrichtungen nur noch für nicht anerkannte Schutzsuchende zur Verfügung stehen. Dies gilt ebenso für die Unterkünfte des Hilfsprogramms „ESTIA“ (Emergency Support To Integration & Accommodation), das zur Unterstützung von Schutzsuchenden, nicht aber von anerkannten Schutzberechtigten vorgesehen ist. Zwar konnten Schutzsuchende, die in den genannten Unterkünften untergebracht waren, in der Vergangenheit nach ihrer Anerkennung als Schutzberechtigte weiter dort wohnen. Mit dem am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen neuen Asylgesetz wurden sie aber verpflichtet, die Unterkünfte für Schutzsuchende innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Anerkennung zu verlassen. Diese Frist wurde durch eine Gesetzesänderung im März 2020 auf 30 Tage verkürzt. Nach einem zweimonatigen Aufschub wegen der Corona-Pandemie wird die Vorschrift inzwischen seit Juni 2020 umgesetzt. Allein für besonders vulnerable Gruppen (Familien, Schwangere, unbegleitete Minderjährige, Schwerkranke) ist seitdem noch eine Verlängerung des Aufenthalts in den Unterkünften möglich (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 1; AA, Auskunft an das VG Magdeburg vom 26. November 2020; Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 6; aida, Country Report: Greece, 2020 Update, S. 245).

Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass der Deutschen Botschaft in Athen keine Berichte von Medien oder Nichtregierungsorganisationen über Zwangsräumungen von Unterkünften des ESTIA-Programms bekannt seien und in Gesprächen mit Vertretenden der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und Mitarbeitenden von Unterkünften zu erfahren gewesen sei, dass es nur vereinzelt, insbesondere bei Personen ohne besonderen Schutzbedarf (allein reisende Männer) Räumungen durch die Polizei gegeben haben solle, stellt dies die ausdrückliche Einschätzung der Botschaft, dass die geänderten Vorschriften zur Räumung der Unterkünfte aus dem Asylverfahren von der griechischen Regierung seit Juni 2020 durchgesetzt werden, nicht in Frage, zumal die Botschaft im Zusammenhang damit ausführt, dass letztlich die meisten Betroffenen ihre Wohnungen nach nachdrücklicher Aufforderung verlassen (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 1 u. 2). Dass die Regelungen zur Beendigung der Unterbringung anerkannter Schutzberechtigter in Unterkünften für das Asylverfahren tatsächlich umgesetzt werden, wird ferner durch Berichte bestätigt, nach denen Schutzberechtigten in ESTIA-Unterkünften von den Betreiberorganisationen Räumungsaufforderungen zugestellt und rechtliche Schritte angedroht werden, falls sie die Wohnungen nicht fristgerecht verlassen (so Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 7). Unerheblich ist danach auch der Hinweis der Beklagten auf den Rückgang der Anzahl der staatlich untergebrachten Asylbewerbenden von 92.838 (31. Dezember 2019) über 64.756 (31. Dezember 2020) auf 53.705 (31. Mai 2021), der nach Auskunft der Deutschen Botschaft im Wesentlichen auf die Verringerung der Personen in den Erstaufnahmeeinrichtungen (sog. RICs auf den Hotspots auf Inseln und am Evros) und die Beendigung der ergänzenden Unterbringung in Hotels zurückzuführen ist (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 1). Soweit die Beklagte daraus ableitet, es seien höhere Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen vorhanden, stehen diese nach der geschilderten gesetzlichen Regelung nicht für anerkannte Schutzberechtigte zur Verfügung.

Dass nach Griechenland zurückkehrende Schutzberechtigte nicht mit einer Aufnahme in Unterkünften für Asylbewerber rechnen können, wird angesichts der beschriebenen Regelung und nach den Informationen über ihre grundsätzliche Umsetzung auch nicht durch die Angabe der Beklagten in Frage gestellt, die Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten lebe weiter in Lagern sowie Sammelunterkünften. Allerdings sollen nach Berichten von Flüchtlingsorganisationen Anfang Februar 2021 landesweit noch 10.405 Menschen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde, in Flüchtlingslagern gelebt haben; in ESTIA-Unterkünften seien es Ende 2020 noch 6.199 anerkannte Schutzberechtigte gewesen (vgl. Pro Asyl/ RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 7; mit ähnlichen Zahlen AA, Auskunft an das VG Magdeburg vom 26. November 2020; vgl. ferner Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 2, wonach ein Drittel der Bewohner des Empfangs- und Identifikationszentrums <RIC> Mavrovouni bei Kara Tepe anerkannte Schutzberechtigte sein sollen). Dies deutet indes allein darauf hin, dass die gesetzliche Regelung, nach der Schutzsuchende die ihnen zugewiesenen Unterkünfte nach Zuerkennung internationalen Schutzes zu verlassen haben, noch nicht vollständig umgesetzt wurde. Die Gesetzesänderung stellte die Praxis vor große Herausforderungen, da es zuvor offenbar sehr lange keine regelmäßigen Exmittierungen aus den Lagern gegeben hatte, nun aber gleich eine große Anzahl von Personen auf einmal die Unterkünfte verlassen mussten (vgl. Accord, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für <nach Griechenland zurückkehrende> Personen mit internationalem Schutzstatus, 26. August 2021, S. 18). Aufgrund der geänderten Rechtslage ist aber davon auszugehen, dass die genannten Personen gesetzlich verpflichtet sind, die Unterkünfte zu verlassen und somit gehalten sind, sich Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen. Jedenfalls lässt sich aus einer verzögerten Umsetzung der geänderten Regelungen nicht ableiten, dass nach Griechenland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte erneut in den Unterkünften für Schutzsuchende aufgenommen werden.

Zurückkehrende Schutzberechtigte erfüllen regelmäßig nicht die Voraussetzungen, um eine Unterstützung aus dem von der IOM geleiteten Programm „HELIOS“ (Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection) zu beanspruchen. Dieses Programm gilt als das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für anerkannte Schutzberechtigte (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 7). Es umfasst nicht unmittelbar die Bereitstellung von Wohnraum, bietet aber neben Integrationskursen und Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche u.a. monatliche Mietzuschüsse über eine Laufzeit von höchstens 12 Monaten ab der Zuerkennung des Schutzstatus. Das inzwischen als HELIOS II neu aufgelegte Programm kann indes nur von Schutzberechtigten in Anspruch genommen werden, die nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden. Weiter setzt es voraus, dass der Begünstigte zum Zeitpunkt seiner Anerkennung in einer offiziellen Unterkunft für Asylbewerber untergebracht war. Zudem muss er sich innerhalb einer Antragsfrist von zwölf Monaten nach Zuerkennung des Schutzstatus für das Programm angemeldet haben (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 7 f.; Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 4). Das HELIOS-Programm soll dabei unterstützen, einen nahtlosen Übergang von einer griechischen Hilfsmaßnahme zu einer europäischen zu erhalten; an in Deutschland oder im anderen Ausland lebende Migrantinnen und Migranten richtet sich das Programm originär nicht (vgl. AA, Auskunft vom 21. August 2020 an das VG Bayreuth, S. 2). Zahlreiche zurückkehrende Schutzberechtigte wie auch der Kläger, dem bereits vor dem 1. Januar 2018 internationaler Schutz zuerkannt worden ist, erfüllen diese Voraussetzungen nicht, auch weil sie sich nicht innerhalb von zwölf Monaten nach Schutzgewährung für das Programm angemeldet haben.

Dass die griechischen Behörden einer Obdachlosigkeit zurückkehrender Schutzberechtigte ausreichend abhelfen, lässt sich auch nicht aus ihrem Umgang mit den Personen ableiten, die sich im Jahre 2020 nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung auf dem Victoria-Platz in Athen niedergelassen hatten. Nach einem Bericht von Pro Asyl/RSA (Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 6) haben die griechischen Behörden auf die offensichtlichen Auswüchse der massenhaften Obdachlosigkeit auf zentralen Plätzen in Athen wie dem Victoria-Platz mit Zwangsräumungen durch die Polizei reagiert. Die betroffenen Menschen wurden danach in teils überfüllte Flüchtlingslager im Umkreis von Athen (z.B. Malakasa, Elaionas, Schisto und Thiva) und sogar in die Abschiebungshaftanstalt Amygdaleza gebracht, wo sie unregistriert sich selbst überlassen worden seien (s. dazu auch Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 3; US State Department, Greece 2020 Human Rights Report, Section 2 f). Der Bericht verweist auf eine Falldokumentation (vgl. RSA, Recognised but unprotected: The situation of refugees in Victoria Square, 3. August 2020), aus der sich im Einzelnen ergibt, dass den obdachlos gewordenen Personen keine längerfristige und zumutbare Unterkunft zugewiesen wurde. Die getroffenen Maßnahmen belegen danach nicht, dass nach Griechenland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte mit einer staatlichen Unterbringung rechnen können.

Soweit die griechischen Behörden im Hinblick auf obdachlose Schutzberechtigte im Stadtzentrum von Athen mit der IOM Maßnahmen abgestimmt hatten, waren auch diese nur von vorübergehender Dauer. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes hat das griechische Migrationsministerium im September 2020 im Rahmen einer zusätzlichen Kooperation mit der IOM vereinbart, dass sie eine zweimonatige Unterkunft im Rahmen von HELIOS sicherstellen solle; das Ministerium wollte Notfallkapazitäten in einem bestehenden Lager in Athen für diese Personen zur Verfügung stellen (vgl. Auskunft des AA an das VG Magdeburg vom 26. November 2020). Das daraufhin ins Leben gerufene temporäre Programm lief jedoch im Februar 2021 aus (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 6; Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 2; Accord, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für <nach Griechenland zurückkehrende> Personen mit internationalem Schutzstatus, 26. August 2021, S. 17). Nach Mitteilung der Deutschen Botschaft gibt es keine neuen Erkenntnisse zu der auch von der Beklagten angesprochenen Vereinbarung zwischen der Stadt Athen, der IOM und dem griechischen Ministerium für Migration und Asyl vom November 2020 zur geplanten Errichtung einer Unterkunft in Elaionas im Süden Athens, die anerkannten Schutzberechtigten eine vorübergehende Unterkunft bieten soll. Mit dem Bau der Einrichtung sei noch nicht begonnen worden (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 3).

Die im Jahre 2020 getroffene Vereinbarung verdeutlicht, dass die griechischen Behörden einen Bedarf an zusätzlichen Unterkunftsmöglichkeiten für eine Aufnahme anerkannter Schutzberechtigter gesehen haben. Darauf lässt auch das vom Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) bekannt gemachte bilaterale Vorhaben schließen, Griechenland im Rahmen eines von der IOM zu implementierenden Projekts („ISBIG – Integration Support of Beneficiaries of International Protection in Greece“) bei der Unterbringung, medizinischen Grundversorgung und weiteren Versorgung anerkannter Schutzberechtigter zu unterstützen, zu dem allerdings bisher nur eine Absichtserklärung vorliegt (vgl. Pressemitteilung des BMI vom 22. Juli 2021 nebst veröffentlichter deutsch-griechischer Absichtserklärung vom 21. Juli 2021).

Die Unterbringung zurückkehrender anerkannter Schutzberechtigter in Obdachlosenunterkünften ist zwar grundsätzlich möglich, stößt aber auf Kapazitätsgrenzen. In Athen etwa gibt es vier Obdachlosenunterkünfte. Es ist äußerst schwierig, dort zugelassen zu werden, weil die Unterkünfte chronisch überfüllt sind und Wartelisten führen. Von Flüchtlingsorganisationen in den vergangenen Jahren durchgeführte Kapazitätsanfragen in der Region Attika sprechen dafür, dass die verfügbaren Plätze auch in anderen Landesteilen nicht ausreichen (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 10; s.a. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 4; aida, Country Report: Greece, 2020 Update, S. 247).

Zurückkehrende Schutzberechtigte können auch nicht in genügendem Umfang auf von Nichtregierungsorganisationen bereitgestellten Wohnraum oder sonstige Unterstützungsleistungen dieser Organisationen bei der Wohnungssuche zurückgreifen, denn diese können nur begrenzte und insgesamt nicht ausreichende Unterkunftsmöglichkeiten anbieten. Die Deutsche Botschaft Athen weist auf das die kommunalen Unterbringungseinrichtungen ergänzende Angebot von Nichtregierungsorganisationen hin und benennt beispielhaft eine Organisation in Athen mit 50 Plätzen. Die Botschaft führt aber aus, dass die Zahl der Unterkünfte in Athen insgesamt nicht ausreichend ist und Nichtregierungsorganisationen Schutzberechtigte nicht flächen- und bedarfsdeckend unterstützen können (Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 3 f.). Ebenso berichten Hilfsorganisationen, dass es in der Region Attika neben HELIOS von April 2018 bis März 2021 lediglich noch ein kleineres, inzwischen beendetes kommunales Projekt gegeben habe, über das Mietzuschüsse beantragt werden konnten; andere Programme von Nichtregierungsorganisationen zur Unterstützung international Schutzberechtigter beim Zugang zu Wohnraum seien ihnen nicht bekannt. Im April 2021 wurde mitgeteilt, dass mehrere Organisationen (Greek Council for Refugees, SolidarityNow, Arsis und PRAKSIS) angegeben hätten, dass sie derzeit keinen Wohnraum oder Wohnraumunterstützung außerhalb des HELIOS-Programms anböten; es existiere auch keine Liste mit Organisationen, die Wohnraum für international Schutzbedürftige anböten (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 10).

Das Vorbringen der Beklagten bietet keine Grundlage für eine abweichende Beurteilung. Die Beklagte weist darauf hin, dass zahlreiche Organisationen Unterstützung u.a. bei der Wohnungsfindung leisteten, wovon einige punktuell selbst Wohnraum anböten (z.B. Caritas Hellas, Orange House, PRAKSIS). In ländlicheren Gegenden habe etwa die kirchliche Organisation Perichoresis zahlreiche Wohnungen angemietet, die sie Flüchtlingen zur Verfügung stelle (124 Wohnungen, die 600 Personen Unterkunft bieten können). In Athen und Thessaloniki biete „Solidarity Now“ ergänzend Unterstützung bei einer temporären Unterbringung in Hotels und Privatunterkünften. Aus den Angaben der Beklagten ergibt sich jedoch nicht, dass die genannten Organisationen entgegen der Einschätzung der deutschen Botschaft und den Erkenntnissen der Hilfsorganisationen hinreichende Hilfe leisten können. Dass die Organisationen über freie Wohnplätze in erforderlichem Umfang verfügen, legt die Beklagte nicht dar. Ebenso wenig verhält sie sich dazu, für welchen Zielgruppen Unterkünfte angeboten werden. Einige der von der Beklagten benannten Organisationen (PRAKSIS, Solidarity Now) bieten nach dem oben zitierten Bericht einer Flüchtlingsorganisation derzeit keinen Wohnraum und keine Wohnunterstützung außerhalb des – zurückkehrenden Schutzberechtigten regelmäßig nicht zugänglichen – HELIOS-Programms an. Auch die von anderen Organisationen angebotenen Unterkünfte unterliegen rechtlichen und kapazitären Einschränkungen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – im Folgenden: BFA –, Länderinformation der Staatendokumentation: Griechenland, vom 1. Juni 2021, S. 26; Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 10; RSA/Pro Asyl, Written Submissions in Kurdestan Darwesh and others v. Greece and the Netherlands before the ECHR vom 4. Juni 2000, Rn. 44 ff. und Annex 1).

Nach den Angaben von Flüchtlingsorganisationen finden die meisten Schutzberechtigten wegen der hohen Nachfrage nach Mietwohnungen und des Mangels an erschwinglichen Wohnungen keine Wohnung (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 9). Unabhängig von der Frage der Finanzierbarkeit wird ihnen das private Anmieten von Wohnraum durch das in Griechenland traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Griechenland, vom 1. Juni 2021, S. 26; AA, Auskunft vom 26. September 2018, S. 5).

Im Übrigen ist Obdachlosigkeit in Griechenland wegen der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen selbst unter Griechen verbreitet. So gibt es für Mitte 2019 Schätzungen, wonach allein im Athener Stadtzentrum ca. 1.500 obdachlose Griechen gelebt haben sollen (vgl. taz, Obdachlosigkeit in Griechenland, 1. August 2019; s. auch radio FM4, Obdachlosigkeit in Athen, 4. Februar 2018: „1.100 bis 2.000 Menschen auf der Straße, Hunderte andere in verlassenen Gebäuden“). Auch wenn dies unterschiedliche Gründe haben kann, bestätigt dies grundsätzlich die Auskünfte zum unzureichenden Angebot geeigneter Unterkünfte.

Flüchtlingsorganisationen berichten ebenfalls überzeugend, dass international Schutzbedürftige meist von Obdachlosigkeit betroffen sind (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 5). Vielen der aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehrenden Schutzberechtigten bleibe nichts anderes übrig, als auf der Straße zu schlafen und sich selbst um Wasser, Nahrung und sanitäre Einrichtungen zu kümmern (MIT, Bericht: The Living Conditions of Applicants and Beneficiaires of International Protection, Februar 2021, S. 26 f.). Fehlender Zugang zu Unterbringungsstrukturen führe zu Armut und Obdachlosigkeit. Nach Griechenland zurückgekehrte Schutzberechtigte müssten sich oft informell an andere Asylbewerber oder Geflüchtete wenden, um vorübergehend ein Dach auf dem Kopf zu haben. Oftmals würden sie auf der Straße leben, ohne Zugang zu Dienstleistungen, selbst wenn es um die Deckung des Grundbedarfs an Lebensmitteln und Milch für kleine Kinder gehe, so die Schilderung von Schutzberechtigten im Jahre 2020 (vgl. MIT, Beitrag zu dem EASO Asyl-Report 2021 vom 25. Februar 2021, unter 13.).

Der Annahme einer drohenden Obdachlosigkeit steht nicht entgegen, dass vielfach geäußert wird, Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen und Migranten stelle „kein augenscheinliches Massenphänomen“ dar (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 2 unter Verweis auf vorangegangenen Auskünfte des AA), denn es gestaltet sich als schwierig, die Situation der Obdachlosigkeit mittels persönlicher Beobachtungen in der Öffentlichkeit verlässlich einzuschätzen (so auch Bericht der Deutschen Botschaft Athen, ebenda, S. 3). Zudem gab es immer wieder Berichte über Obdachlose, die auf der Straße leben (vgl. etwa Adelheid Wölfl, Das Elend der anerkannten Flüchtlinge auf dem griechischen Festland, Der Standard vom 30. September 2020; dieselbe: Anerkannte Flüchtlinge auf griechischem Festland obdachlos, Der Standard vom 22. Januar 2021; Cedric Rehman, Redaktionsnetzwerk Deutschland, Flüchtlinge in Athen: Ein Leben wie menschliches Treibgut, 20. Oktober 2020). Oftmals leben anerkannte Schutzberechtigte aber auch in verlassenen Häusern ohne Strom- und Wasseranschluss oder in vergleichbar prekären Verhältnissen, die weniger sichtbar zutage treten (vgl. MIT, The Living Conditions of Applicants and Beneficiaries of International Protection, Februar 2021, S. 23; zur Obdachlosigkeit von Schutzsuchenden auch BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Griechenland vom 1. Juni 2021, S. 18).

Die Gefahr der Obdachlosigkeit zurückkehrender Schutzberechtigter lässt sich ferner nicht mit dem Argument verneinen, es gebe zu wenig Berichte über eine Obdachlosigkeit dieser Personengruppe. Dass es nur wenige Fallberichte zu nach Griechenland abgeschobenen Schutzberechtigten gibt, die in eine Situation der Obdachlosigkeit geraten sind (vgl. z.B. Pro Asyl, Abschiebungen ins Nichts: Zur Situation von anerkannten Flüchtlingen in Griechenland, 7. Januar 2019, S. 2 ff.; Pro Asyl/RSA, In Griechenland stehen abgeschobene anerkannte Flüchtlinge vor dem Nichts – eine Fallstudie, 30. Januar 2019; Pro Asyl/RSA, Stellungnahme: Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, 23. Juni 2017), muss vor dem Hintergrund gewürdigt werden, dass Rückführungen nach Griechenland bisher nur in geringer Zahl erfolgt sind. Weiter ist zu berücksichtigen, dass viele anerkannte Schutzberechtigte aus Griechenland in andere europäische Länder weiterwandern und diese Sekundärmigration gegenwärtig zu einer partiellen Entspannung der dortigen Lage beiträgt. Nach einem Zeitungsbericht unter Berufung auf Angaben des BMI (vgl. Helene Bubrowski, Seehofer zu Flüchtlingspolitik: „Schlüssel der Lösung liegt wohl in Moskau“, FAZ vom 20. Oktober 2021) sind von Januar bis September 2021 34.000 anerkannte Schutzberechtigte von Griechenland nach Deutschland gekommen. Nach einem andern Bericht (vgl. Thomas Gutschker, Alte Gräben in der EU-Migrationspolitik tun sich auf, FAZ vom 8. Juni 2021) hatte das BMI in einem Schreiben an die EU-Kommission aufgelistet, dass seit Juli 2020 mehr als 17.000 Personen Asylanträge in Deutschland gestellt hatten, denen bereits in Griechenland internationaler Schutz gewährt worden war. Nach den Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung haben 2020 nur wenige und im Jahr 2021 keine Rückführungen nach Griechenland stattgefunden. Hintergrund ist u.a., dass das Bundesamt Asylanträge von anerkannten Schutzberechtigten aus Griechenland schon seit Dezember 2019 „rückpriorisiert“ und damit für sie faktisch einen Entscheidungsstopp verhängt hat (vgl. Meyerhöfer, Asylmagazin 6/2021, S. 200). Wie der Vertreter der Beklagten gegenüber dem Senat angegeben hat, sind dort deshalb derzeit Verfahren im fünfstelligen Bereich anhängig. Im Falle der Verneinung eines Abschiebungsverbots wäre also damit zu rechnen, dass wieder in größerem Umfang Rückführungen nach Griechenland stattfinden.

Ebenso wenig überzeugt die Annahme, zurückkehrenden Schutzberechtigten stünden ungeachtet des Fehlens staatlicher Unterbringungsmöglichkeiten informelle Möglichkeiten der Unterkunftsfindung durch eigene Strukturen und durch Inanspruchnahme landsmännischer Vernetzung zur Verfügung (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 3). Auch wenn sich derartige informelle Möglichkeiten vereinzelt bieten können, muss bei realistischer Einschätzung davon ausgegangen werden, dass sie begrenzt, prekär und nicht hinreichend verlässlich sind. Die zur Hilfe bereiten Landsleute sind vielfach - etwa als Schutzsuchende - selbst von Unterstützungsleistungen abhängig. Informelle Unterkunftsmöglichkeiten sind wegen der dort herrschenden menschenunwürdigen Zustände zudem häufig unzumutbar (so auch OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 - 10 LB 244/20 - juris Rn. 49). Im Übrigen ist nicht für alle Rückkehrer gewährleistet, dass sie Zugang zu einer solchen solidarischen Hilfe erhalten.

Anzeichen für eine durchgreifende Entspannung der Situation sind derzeit nicht zu erkennen. Im Jahre 2020 hatte sich die Lage gegenüber dem Vorjahr deutlich verschärft. Dies ging zum einen auf die bereits erwähnte, seit Juni 2020 umgesetzte Gesetzesänderung zurück, nach der anerkannte Schutzberechtigte die ihnen während des Asylverfahrens zugewiesenen Unterkünfte verlassen müssen. Nach dem Feuer in der Nacht vom 8. auf den 9. September 2020 im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos waren zudem zahlreiche Flüchtlinge von den griechischen Inseln auf das Festland verbracht worden oder gelangt (vgl. BT-Drs. 19/25036 vom 8. Dezember 2020, S. 4; UNHCR, Greece Update, Moria Fire Emergency, 23. Oktober 2020; s.a. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2021 - 11 A 2982/20.A - juris Rn. 51 ff.). Zudem war die Anzahl anerkannter international Schutzberechtigter aufgrund beschleunigter Asylverfahren im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr sprunghaft angestiegen (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 6; aida, Country Report Greece, 2020 Update, S. 10). Für das Jahr 2021 zeichnet sich zwar wieder ein Rückgang der Zahl abgeschlossener Verfahren ab. Jedoch liegt die Zahl anerkannter Schutzberechtigter weiter auf einem hohen Niveau (5.250 bzw. 4.550 positive erstinstanzliche Entscheidungen im ersten bzw. zweiten Quartal 2021, Quelle: eurostat, First instance decisions by outcome and recognition rates, Q1 und Q2 2021). Legt man die Zahlen des zweiten Quartals 2021 zugrunde, so ist monatlich mit etwa 1.500 anerkennenden erstinstanzlichen Entscheidungen zu rechnen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass jedenfalls bis Anfang diesen Jahres noch viele anerkannte Schutzberechtigte in offiziellen Unterkünften untergebracht, aber gesetzlich verpflichtet waren, diese zu verlassen. Insoweit ist auf die bereits erwähnten Berichte hinzuweisen, nach denen Anfang Februar 2021 landesweit noch 10.405 Menschen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde, in Flüchtlingslagern gelebt haben sollen; in ESTIA-Unterkünften seien es Ende 2020 noch 6.199 anerkannte Schutzberechtigte gewesen (vgl. Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland vom April 2021, S. 7; mit ähnlichen Zahlen AA, Auskunft an das VG Magdeburg vom 26. November 2020).

Zwar ist nicht verlässlich feststellbar, wie viele anerkannte Schutzberechtigte, deren Anzahl auch infolge von Abwanderung bzw. Sekundärmigration variiert, sich derzeit in Griechenland auf Wohnungssuche befinden (vgl. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 1). Angesichts der weiterhin hohen Zahl monatlich neu anerkannter Schutzberechtigter besteht aber eine erhebliche ungedeckte Nachfrage dieser Personengruppe nach Wohnraum. Bei Annahme einer Rückführungsmöglichkeit würde die Situation durch eine hohe Zahl zurückkehrender Sekundärmigranten weiter verschärft.

Nach alledem ist beachtlich wahrscheinlich, dass den Betroffenen für einen unbestimmten, nicht lediglich kurzen Zeitraum eine Situation extremer materieller Not droht, weil sie weder eine angemessene Unterkunft finden noch aus eigener Erwerbstätigkeit oder zumindest mithilfe staatlicher Unterstützung (Sozialleistungen) die notwendigen Mittel aufbringen können, um ihre Existenz zu sichern. Der griechische Staat hat an dieser Situation einen erheblichen Anteil. Angesichts seiner Überforderung mit der insbesondere seit 2015/16 zuströmenden hohen Zahl an Schutzsuchenden hat er – wohl auch zur Verhinderung von Migrationsanreizen – im Umgang mit anerkannten Schutzberechtigten zuletzt eher auf eine restriktive, „harte“ Linie gesetzt, mit der Folge, dass die Betroffenen im Wesentlichen sich selbst überlassen sind und nicht oder kaum auf staatliche Hilfe hoffen können. Auch wenn es zumindest punktuell auch gegenläufige Tendenzen gab (etwa durch ein befristetes Pilotprogram zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit im Winter 2020/2021), kommt die Haltung des griechischen Staates für die Betroffenen einer Gleichgültigkeit zumindest gleich. Offenbar ist er bislang weder willens noch in der Lage gewesen, Politik, Gesetzgebung und Verwaltung darauf auszurichten, dafür Sorge zu tragen, dass zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten das erforderliche Mindestmaß an Fürsorge und Unterstützung zuteil wird, um sie vor einer Situation extremer materieller Not zu bewahren. Stattdessen unterstützt er die Schutzberechtigten bei der Ausstellung von Reisedokumenten, wozu nach Presseberichten mehrere Stellen eingerichtet wurden (vgl. Accord, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für <nach Griechenland zurückkehrende> Personen mit internationalem Schutzstatus, 26. August 2021, S. 3; s.a. Bericht der Deutschen Botschaft Athen zur Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland vom Juni 2021, S. 1). Die Initiative mehrerer europäischer Mitgliedstaaten, die die EU-Kommission angesichts der Sekundärmigration aus Griechenland in einem Schreiben vom 1. Juni 2021 aufgefordert haben, dafür zu sorgen, dass die Aufnahmebedingungen in Griechenland europäischen Mindeststandards entsprechen, hat bisher nicht zu einer greifbaren Verbesserung der Lage geführt (vgl. Thomas Gutschker, Alte Gräben in der EU-Migrationspolitik tun sich auf, FAZ vom 8. Juni 2021; Accord, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für <nach Griechenland zurückkehrende> Personen mit internationalem Schutzstatus, 26. August 2021, S. 4).

Für die Annahme, von der für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland bestehenden Gefahr, in eine existenzielle Notlage zu geraten und obdachlos zu werden, seien alleinstehende gesunde und arbeitsfähige Personen ausgenommen, besteht keine hinreichende tatsächliche Grundlage. Maßgeblich ist insoweit, dass auch diese Personen angesichts der Arbeitsmarktlage sowie der geschilderten verfahrensmäßigen Voraussetzungen für die Aufnahme einer angestellten Beschäftigung regelmäßig nicht imstande sein werden, alsbald ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften und deshalb ebenfalls in vollem Umfang von Hilfeleistungen abhängig sein werden. Mit ausreichenden Hilfen, insbesondere zur Sicherstellung einer hinreichenden Unterbringung, können sie jedoch weder von staatlicher Seite noch durch die in Griechenland tätigen nichtstaatlichen Hilfsorganisationen rechnen.

Die anderslautende Bewertung durch das OVG Schleswig im Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 - stellt diese Würdigung nicht in Frage. Sie bezieht sich auf die damalige Sachlage und berücksichtigt weder die im Jahre 2020 eingetretene Rechtsänderung noch die seitdem geänderten tatsächlichen Verhältnisse. Inzwischen kann namentlich nicht mehr davon ausgegangen werden, dass – jedenfalls zurückkehrende – anerkannte Schutzberechtigte noch im Rahmen des ESTIA-Programms oder in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber untergebracht werden (vgl. dazu noch OVG Schleswig, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 - juris Rn. 113 ff.). Nicht zu folgen ist auch der Erwägung (OVG Schleswig, Urteil vom 6. September 2019 - 4 LB 17/18 - juris Rn. 116), Personen, die ihre über ESTIA zur Verfügung gestellte Wohnung nach Zuerkennung ihres Schutzstaus in Griechenland verließen, verzichteten in eigener Verantwortung auf diesen Unterkunftsplatz. Für die im vorliegenden Verfahren anzustellende Prognose kommt es auf die jetzige Sachlage an (§ 77 Abs. 1 AsylG). Ein hypothetischer Kausalverlauf und damit die Frage, ob die Lebensbedingungen der Betroffenen sich bei einem Verbleib in Griechenland günstiger entwickelt hätten, ist dagegen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht maßgeblich.

Besondere Umstände, die im Falle des Klägers eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

Dass der Kläger aufgrund individueller Besonderheiten wie etwa seiner Ausbildung, besonderer sozialer Kontakte oder im Hinblick auf die Umstände seines früheren Aufenthalts in Griechenland in der Lage wäre, der ihm dort drohenden existenziellen Notlage zu entgehen, ist nicht ersichtlich.

Im Gegenteil ist wegen der familiären Situation des Klägers von einer besonderen Schutzbedürftigkeit gegenüber der Notlage auszugehen, die ihn in Griechenland erwartet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, eine zwar notwendig hypothetische, aber doch realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen. Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Gefahrenprognose eine gemeinsame Ausreise mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 - juris Rn. 16 f.). Da der Kläger nach den zuletzt eingereichten Unterlagen inzwischen Vater eines im April 2021 geborenen Kleinkindes ist und mit diesem sowie der Kindesmutter, die finnische Staatsangehörige ist, zusammenlebt, ist deshalb zu unterstellen, dass er zusammen mit ihnen nach Griechenland zurückkehren würde, um die familiäre Lebensgemeinschaft aufrecht zu erhalten. Angesichts der Betreuungsbedürftigkeit und besonderen Schutzbedürftigkeit des Kleinkindes wäre die Familie in noch stärkerem Maß als eine alleinstehende Person von den in Griechenland drohenden Lebensbedingungen betroffen.

Es liegt auch keine Zusicherung der griechischen Behörden vor, die geeignet wäre, die Annahme einer drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Griechenland auszuschließen. Soweit sich die Beklagte auf die Erklärung des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 beruft, enthält dieses Schreiben weder eine auf den Fall des Klägers bezogene Einzelfallregelung, noch ist ihm eine hinreichend konkrete Zusicherung zu entnehmen, dass für zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte wie den Kläger entgegen der oben dargestellten Auskunftslage wenigstens in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wäre (vgl. ebenso VGH München, Beschluss vom 25. Juni 2019 - 20 ZB 19.31553 - juris Rn. 20; OVG Münster, Beschluss vom 30. Januar 2020 - 11 A 4558/19.A – juris Rn. 14). Die Erklärung beschränkt sich vielmehr auf die Aussage, dass die EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU in das griechische Recht umgesetzt sei und den Schutzberechtigten die nach der Richtlinie zustehenden Rechte in Übereinstimmung mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschrechtskonvention gewährt würden. Auf die Versorgung zurückkehrender Schutzberechtigter geht das Schreiben nicht konkret ein. Dies gilt in gleicher Weise für die von der Beklagten vorgelegte E-Mail des griechischen Polizeipräsidiums vom 13. Juli 2020, in der dieses die Abgabe einer konkreten Zusicherung unter Hinweis auf die Umsetzung der europäischen Asylrechtsrichtlinien sowie die Vorschriften des griechischen Asylgesetzes ausdrücklich ablehnt.

Da der Kläger nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Griechenland hat, bedarf es keiner Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denn § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bilden einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 17).

2. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (mit Ausnahme der negativen Zielstaatsbestimmung) sowie das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot in dem Bescheid vom 25. Juli 2018 aufgehoben, denn diese Entscheidungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides ist im Hinblick auf das für den Kläger bestehende Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK rechtswidrig, da der Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG voraussetzt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Die in Ziffer 4 des Bescheides getroffene Nebenentscheidung zur Befristung des gesetzlichen Abschiebungsverbots aus § 11 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung ist wegen der der Aufhebung der Abschiebungsandrohung gegenstandslos und deshalb ebenfalls aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.