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Entscheidung 2 U 25/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Zivilsenat Entscheidungsdatum 23.11.2021
Aktenzeichen 2 U 25/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:1123.2U25.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Grundurteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus vom 27.04.2021, Az. 3 O 121/20, dahin abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf einen Gebührenwert bis 6.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den beklagten Landkreis im Wege der Amtshaftung auf Ersatz von Verdienstausfall wegen unterbliebener Bereitstellung eines Betreuungsplatzes für ihre Tochter in Anspruch.

Die Klägerin meldete am 11.07.2017 für ihre am …2017 geborene Tochter bei der Stadt … (im Folgenden auch: Stadt) einen Betreuungsbedarf ab dem 01.04.2018 an. Die Stadt, die durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gemäß § 12 Abs. 1 KitaG Bbg verpflichtet ist, auf ihrem Gebiet die betreffenden Aufgaben für den Beklagten durchzuführen, stellte durch Bescheid vom 07.09.2017 einen Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kindertagesstätte ab dem 16.02.2018 mit einer täglichen Betreuungszeit bis zu 6,0 Stunden fest. Mit Schreiben vom 17.01.2018 teilte sie der Klägerin mit, dass deren Tochter voraussichtlich erst im Sommer 2018 mit einem Kindergartenplatz versorgt werden könne. Unter dem 21.03.2018 kündigte die Stadt der Klägerin die Zurverfügungstellung eines Kindergartenplatzes ab August 2018 an.

Die Klägerin hat behauptet, dass sie aufgrund der verspäteten Zurverfügungstellung des Kindergartenplatzes ihre Erwerbstätigkeit nicht wie geplant habe wiederaufnehmen können, weshalb ihr für den Zeitraum vom 16.04.2018 bis zum 30.06.2018 ein Verdienstausfallschaden in Höhe von insgesamt 5.550,06 € entstanden sei. Mit ihrer Klage hat sie den Beklagten auf eine entsprechende Zahlung nebst Verzugszinsen ab dem 26.08.2019 sowie auf Freistellung von den Kosten vorgerichtlicher Rechtsverfolgung in Höhe von 782,07 € in Anspruch genommen.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat hinsichtlich möglicher Ansprüche nach § 1 StHG die Einrede der Verjährung erhoben und im Übrigen insbesondere geltend gemacht, dass dem Schadensersatzbegehren die fehlende Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz entgegenstehe.

Das Landgericht hat mit Grundurteil vom 27.04.2021 darauf erkannt, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt sei. Es hat dafür gehalten, dass der Klägerin aus § 839 BGB ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zustehe, weil dieser seine Pflicht verletzt habe, der Tochter der Klägerin einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen. Der Anspruch, hinsichtlich dessen Höhe der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif sei, scheitere aus vom Landgericht näher ausgeführten Erwägungen auch nicht an der fehlenden Inanspruchnahme primären Rechtsschutzes. Wegen der weiteren Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen und der tragenden Gründe wird auf das Urteil Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit einer Berufung, mit der er den Klageabweisungsantrag unter Wiederholung und Vertiefung seiner erstinstanzlichen Rechtsauffassung, wonach der Klageforderung § 839 Abs. 3 BGB entgegenstehe, weiterverfolgt.

Er beantragt,

das Grundurteil des Landgerichts Cottbus zum Az. 3 O 121/20 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit näherer Darlegung, wobei sie ebenfalls ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der überreichten Unterlagen, im Übrigen auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die nach § 304 Abs. 1, 1. Halbs., § 511 Abs. 1 ZPO statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten wegen der nicht rechtzeitigen Bereitstellung eines Betreuungsplatzes für ihre am …2017 geborene Tochter ein Schadensersatzanspruch aus keinem Rechtsgrund zu.

Die Nichterfüllung des Anspruchs nach § 24 Abs. 2 SGB VIII auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege trotz rechtzeitiger Bedarfsanmeldung durch den örtlich und sachlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe stellt zwar eine Amtspflichtverletzung dar, die unter den weiteren Voraussetzungen von § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG sowie § 1 Abs. 1 StHG einen Anspruch betroffener Eltern auf Ersatz eines hierdurch verursachten Verdienstausfallschadens begründen kann (vgl. BGH, Urteil vom 20.10.2016 – III ZR 278/15 – NJW 2017, 397). Vorliegend sind diese Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt.

Das Schadensersatzbegehren der Klägerin scheitert jedenfalls daran, dass sie nicht um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht hat, als absehbar war, dass sie für ihre Tochter den beantragten Betreuungsplatz zum 16.02.2018 nicht erhalten werde, § 839 Abs. 3 BGB, § 2 StHG.

Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Die Vorschrift zielt darauf ab, eine Subsidiarität der Schadensersatzpflicht im Verhältnis zu den primären Rechtsschutzmitteln zu begründen und den Schadensersatzanspruch bei rechtswidrigem Handeln des Staates der verwaltungsgerichtlichen Klage nachzuordnen. Dem Verletzten soll auf diese Weise die Wahlmöglichkeit genommen werden, entweder den rechtswidrigen Hoheitseingriff mit den ordentlichen Rechtsschutzmitteln abzuwehren oder aber diesen zu dulden und dafür zu „liquidieren“ (statt vieler Papier/Shirvani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 839 BGB, Rn. 390 m.w.N.). Diesem gesetzgeberischen Anliegen entsprechend sind dabei unter Rechtsmitteln alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne zu verstehen, die sich unmittelbar gegen eine Maßnahme der Verwaltungsbehörde richten. Dazu gehören insbesondere auch Anträge im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO.

Ähnlich § 839 Abs. 3 BGB bestimmt § 2 StHG, dass natürliche und juristische Personen alle ihnen möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen haben, um einen Schaden zu verhindern oder zu mindern, und dass eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht zu einer entsprechenden Einschränkung oder zum Ausschluss der Haftung führt. Anders als § 839 Abs. 3 BGB sieht die innerhalb des Anwendungsbereichs des brandenburgischen Staatshaftungsgesetzes gegenüber § 839 Abs. 3 BGB speziellere Vorschrift des § 2 StHG damit als Sanktion neben dem Ausschluss des Schadensersatzanspruchs auch dessen Einschränkung vor, sodass dem Grunde nach Raum für eine nach § 839 Abs. 3 BGB nicht vorgesehene Abwägung bleibt. Ungeachtet dieser Unterschiede stimmen beide Vorschriften aber darin überein, dass nur ein schuldhaftes Verhalten des Geschädigten Einfluss auf den Schadensersatzanspruch hat. Im Hinblick auf die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs immer wieder betonte Einordnung der StHG-Regelungen in das bestehende Haftungssystem sind daher die zum Primärrechtsschutz und zur Schadensabwendungspflicht entwickelten Grundsätze des Amtshaftungsrechts auch auf einen konkurrierenden Anspruch aus § 1 Abs. 1 StHG anwendbar (vgl. Dörr, in: BeckOGK BGB, Stand: 01.08.2021, § 839 BGB, Rn. 966).

Vorliegend hätte die Klägerin nach dem Schreiben der Stadt vom 17.01.2018 verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Anspruch nehmen können. Denn danach war für sie absehbar, dass der ab dem 16.02.2018 bestehende Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für ihre Tochter voraussichtlich erst im Sommer 2018 erfüllt und damit ihr Vorhaben, ab Mitte April 2018 ihre Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen, behindert wird.

Ein entsprechender Antrag hätte aller Voraussicht nach dazu geführt, dass der Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet worden wäre, der Klägerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache einen Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege für eine Betreuung ab dem 16.02.2018 im Umfang von bis zu 6 Stunden täglich nachzuweisen. Denn für die Tochter der Klägerin bestand ein Rechtsanspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII, der im Übrigen von dem Beklagten bzw. der Stadt … nicht infrage gestellt, sondern vielmehr in dem Bescheid vom 07.09.2017 festgestellt und im Schreiben vom gleichen Tage anerkannt worden ist. Darauf, ob der Beklagte gemessen an seinen Kapazitäten und den weiteren Anträgen auf Betreuung in der Lage gewesen wäre, diesen Anspruch zu erfüllen, wäre es für den Ausgang des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht angekommen, da der Anspruch nicht unter einem Kapazitätsvorbehalt steht und daher durch eine etwaige Kapazitätserschöpfung nicht berührt wird (BVerfG, Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16 – E 147, 185, Rn. 134; BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 – 5 C 19/16 – E 160, 212, Rn. 34 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.06.2019 – 10 ME 134/19 – BeckRS 2019, 12120; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.03.2018 – OVG 6 S 2.18 – zitiert nach juris, Rn. 11).

Entgegen der vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung ist auch nicht zulasten des insofern darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten offen geblieben, ob der Beklagte eine zu Gunsten der Klägerin ergangene verwaltungsgerichtliche Entscheidung umgesetzt hätte. Der dahingehende Vortrag des Beklagten hierzu ist zwar wenig konkret geblieben. Indes kann der Beklagte insofern eine tatsächliche Vermutung dahingehend für sich in Anspruch nehmen, dass er einer vollziehbaren verwaltungsgerichtlichen Entscheidung Folge geleistet hätte. In einem Rechtsstaat ist nämlich grundsätzlich davon auszugehen, dass Behörden gerichtliche Entscheidungen beachten (BGH, Urteil vom 11.03.2010 – III ZR 124/09 – NJW-RR 2010, 1465; Senat, Urteil vom 21.01.2021 – 2 U 104/20 – BeckRS 2021, 2111, Rn. 25; Urteil vom 27.10.2020 – 2 U 115/18 – BeckRS 2020, 35296, Rn. 16; Urteil vom 30.06.2020 – 2 U 61/19 – BeckRS 2020, 17111, Rn. 24). Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, dass sich die zuständigen Träger der Jugendhilfe – wie dem Senat aus ähnlich gelagerten Rechtsstreiten bekannt ist – nach Erlass einer entsprechenden vollziehbaren verwaltungsgerichtlichen Anordnung in aller Regel sehr kurzfristig in der Lage zeigen, den Anspruchsberechtigten einen Betreuungsplatz nachzuweisen. Auch vorliegend ist daher zu vermuten, dass der Klägerin, wenn sie nach dem Schreiben der Stadt vom 17.01.2018 und einer angemessenen Bedenkzeit von allenfalls wenigen Tagen einen Antrag gemäß § 123 VwGO gestellt hätte, auf eine in diesem Fall kurzfristig zu erwarten gewesene stattgebende verwaltungsgerichtliche Entscheidung von dem Beklagten jedenfalls bis zum 16.04.2018 ein Betreuungsplatz nachgewiesen worden wäre.

Umstände, die diese Vermutung widerlegten oder entkräfteten, sind nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann insbesondere weder aus dem Unterlassen der rechtzeitigen Zurverfügungstellung eines Betreuungsplatzes noch aus den Hinweisen der Stadt auf diesbezügliche Kapazitätsengpässe darauf geschlossen werden, dass dem Beklagten die Zurverfügungstellung eines entsprechenden Platzes unmöglich und für ihn daher auch eine dahingehende verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung nicht umsetzbar gewesen wäre. Dem Landgericht ist zwar im Grundsatz darin beizutreten, dass von einer um die Einhaltung ihrer Verpflichtungen bemühten Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erwarten ist, ihre Möglichkeiten zur Erfüllung gesetzlich begründeter Ansprüche auch ohne vorherige Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch den Anspruchsinhaber auszuschöpfen. Indes kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Nichterfüllung eines gesetzlich begründeten Anspruchs der hier in Rede stehenden Art – jedenfalls nach bisheriger Rechtslage – nicht unmittelbar sanktioniert ist, was zumindest zuweilen dazu zu führen scheint, dass sich die verpflichteten Hoheitsträger sehenden Auges aus mutmaßlich fiskalischen Gründen über ihre gesetzlichen Verpflichtungen und damit ihre Gesetzesbindung hinwegsetzen. Für eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO gilt hingegen anderes. Sie ist gemäß § 172 VwGO vollstreckbar, wobei der Vollstreckungsschuldner im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens ganz konkret darlegen muss, alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, dem Kind einen Platz zu verschaffen. Es bedarf ggf. eines genauen Nachweises aller Gruppengrößen, des Personalschlüssels und der Fluktuation der letzten Monate. Unter Umständen kann auch zu prüfen sein, ob der Wechsel von Kindern zwischen Vormittags- und Nachmittagsgruppen möglich ist oder ob für ein anderes Kind beispielsweise ein Verlassen der Kindertagesstätte wegen Wohnortwechsels der Eltern in Betracht kommt. Dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe obliegt es insofern, alle auch überobligatorischen Anstrengungen zu unternehmen, um den Betreuungsplatz zu verschaffen. Vorliegend kommt hinzu, dass der Vollstreckungsschuldner auch dann der nach § 24 SGB VIII verpflichtete örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist, wenn die betreffenden Aufgaben durch Vereinbarung von einem anderen Verwaltungsträger übernommen worden sind (OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.11.2019 – 10 OB 210/19 – NJW 2020, 632), sodass sich hier nicht nur das Verfahren nach § 123 VwGO, sondern auch ein etwaig anschließendes Vollstreckungsverfahren nicht gegen die Stadt, sondern gegen den Beklagten gerichtet hätte. Damit hätte der Beklagte spätestens im Vollstreckungsverfahren Gelegenheit erhalten, zur Erfüllung des Anspruchs weitergehende Anstrengungen als die Stadt zu unternehmen, beispielsweise durch Umorganisation, Aufstockung von Platzzahlen, unter Umständen unter Inkaufnahme eines höheren Betreuungsschlüssels, ggf. auch durch kurzfristige Anmietung weiterer Räumlichkeiten und Einstellung von Personal oder Ausweitung der Arbeitszeit teilzeitbeschäftigter pädagogischer Fachkräfte.

Aufgrund der demnach für die Beklagte streitenden tatsächlichen Vermutung, der im Rahmen der freien Beweiswürdigung eine starke indizielle Bedeutung zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2018 – KZR 26/17 – NJW 2019, 661, Rn. 56) und die nach dem Vorstehenden auch nicht durch besondere Umstände widerlegt oder erschüttert ist, ist der Senat mit dem nach § 286 ZPO erforderlichen Grad an Gewissheit davon überzeugt, dass der Beklagte der Klägerin auf eine zeitnahe nach dem Schreiben der Stadt vom 17.01.2018 erwirkte verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung jedenfalls bis zum 16.04.2018 einen entsprechenden Betreuungsplatz nachgewiesen hätte. Weiteren Vortrags des Beklagten hierzu, insbesondere die vom Landgericht für erforderlich gehaltene substantiierte Darlegung eines hypothetischen Kausalverlaufs, bedarf es nach Auffassung des Senats nicht. Dies gilt zumal deshalb, weil – wie der Beklagte zu Recht einwendet – die konkreten Handlungsmöglichkeiten des Beklagten insbesondere auch von dem Zeitpunkt abhängig gewesen wären, zu dem eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung ergangen wäre.

Das Unterlassen eines Vorgehens nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, welches mithin aller Voraussicht nach den Eintritt des Schadens verhindert, nämlich dazu geführt hätte, dass der Klägerin rechtzeitig ein Betreuungsplatz für ihre Tochter zur Verfügung gestellt worden und ihr damit eine Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit zu dem von ihr ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt möglich gewesen wäre, ist von der Klägerin i.S.d. § 254 BGB zu vertreten. Grundsätzlich darf zwar der Bürger von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns ausgehen und demgemäß darauf vertrauen, dass die Behörden das ihnen Obliegende richtig und sachgemäß tun. Der Bürger braucht deshalb, solange er nicht hinreichenden Anlass zu Zweifeln hat, nicht anzunehmen, dass die Behörden falsch handeln (BGH, Urteil vom 18.10.1990 – III ZR 260/88 – NVwZ-RR 1991, 171). Vorliegend bestand für die Klägerin aber Anlass zu Zweifeln in diesem Sinne. Denn die Ankündigung im Schreiben der Stadt vom 17.01.2018, der Tochter der Klägerin voraussichtlich erst ab Sommer 2018 einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, stand in offenem Widerspruch zu dem mit Bescheid vom 07.09.2017 festgestellten Betreuungsbedarf ab dem 16.02.2018. Angesichts dessen, dass seitens der Stadt mithin offen angekündigt worden ist, einen bestehenden Anspruch (bewusst) nicht zu erfüllen, lag für einen durchschnittlich aufmerksamen und umsichtigen Rechtsunkundigen die Annahme einer Amtspflichtverletzung zumindest nahe, was Anlass gab, rechtskundigen Rat einzuholen, wie es die Klägerin schließlich später auch getan hat. Hätte sie sich bereits zeitnah nach dem Schreiben der Stadt vom 17.01.2018 entsprechend verhalten, wäre ihr nach dem Vorstehenden aller Wahrscheinlichkeit nach zur Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO geraten worden, da ein Anordnungsanspruch sowie ein Anordnungsgrund ohne weiteres glaubhaft zu machen waren und eine entsprechende verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung wegen der Möglichkeit der Vollstreckung begründete Aussicht darauf bot, das sachliche Ziel der Klägerin, nämlich die Zurverfügungstellung eines Betreuungsplatzes für ihre Tochter, zu erreichen.

Von daher ist dem Landgericht auch nicht darin zu folgen, dass die Vorwerfbarkeit der Nichteinlegung des Rechtsbehelfs deshalb zu verneinen sei, weil die Klägerin nach der Mitteilung der Stadt vom 17.01.2018 zwar die Rechtswidrigkeit der Versagung des von der Klägerin zu beanspruchenden Betreuungsplatzes habe erkennen können, angesichts der von der Stadt geltend gemachten Ausschöpfung der Kapazitäten aber nicht habe annehmen können, ihr Sachziel durch eine gerichtliche Eilentscheidung zu erreichen. Denn auch diesbezüglich war die Einholung rechtskundigen Rats aufgrund des offenkundig rechtswidrigen Verhaltens der Stadt veranlasst gewesen.

Die Einlegung des mithin gebotenen Rechtsbehelfs nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO war der Klägerin entgegen ihrem Vorbringen in der Berufungsinstanz auch nicht wegen zweifelhafter Erfolgsaussichten unzumutbar. Dass § 24 Abs. 2 SGB VIII einen einklagbaren Leistungsanspruch begründet, der nicht unter einem Kapazitätsvorbehalt steht, entsprach bereits zum hier in Rede stehenden Zeitpunkt gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (s. etwa BVerfG, Urteil vom 21.07.2015 – 1 BvF 2/13 – E 140, 65; Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16 – a.a.O.; BGH, Urteil vom 20.10.2016 – III ZR 302/15 – BeckRS 2016, 19371; BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 – 5 C 19/16 – a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.08.2017 – OVG 6 S 30.17 – BeckRS 2017, 124987). Auch wenn, wie die Klägerin geltend macht, zu dieser Zeit noch hiervon abweichende verwaltungsgerichtliche Entscheidungen ergangen seien sollten, bestand demnach eine geklärte Rechtslage.

Der Senat vermag dem Landgericht ferner nicht darin beizutreten, dass § 839 Abs. 3 BGB vorliegend nicht zum Tragen komme, wenn der Beklagte eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung zum Anlass genommen haben würde, die Tochter der Klägerin gegenüber einem anderen anspruchsberechtigten Kind zu bevorzugen, sodass es lediglich zu einer Verlagerung des Schadens gekommen sein würde. Abgesehen davon, dass nach dem Vorstehenden hier nicht festzustellen ist, dass eine Erfüllung des Anspruchs der Klägerin nur durch Nichterfüllung des entsprechenden Anspruchs eines Dritten möglich gewesen wäre, ist für § 839 Abs. 3 BGB und ebenso für § 2 StHG allein auf den tatsächlich eingetretenen Schaden abzustellen. Eine andere Würdigung ist auch nicht, wie das Landgericht meint, nach dem Zweck der Vorschrift geboten oder gerechtfertigt. Vielmehr verlangt das mit § 839 Abs. 3 BGB verfolgte gesetzgeberische Anliegen, den Schadensersatzanspruch bei rechtswidrigem Handeln des Staates der verwaltungsgerichtlichen Klage nachzuordnen, eine auf den im konkreten Einzelfall geltend gemachten Schaden bezogene Betrachtungsweise. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts, die darauf hinausliefe, es dem Betroffenen zu überlassen, entweder verwaltungsgerichtlichen (Eil-) Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen oder aber Schadensersatz mit der Begründung zu beanspruchen, bei Inanspruchnahme primären Rechtsschutzes würde ein entsprechender Schaden bei einem Dritten eingetreten sein, steht daher in klarem Widerspruch sowohl zum Wortlaut als auch zum Sinn und Zweck der Vorschrift.

Die vom Landgericht angestellten Erwägungen zur Rechtswidrigkeit der bevorzugten Vergabe von Betreuungsplätzen an Kinder, deren Eltern verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen haben, greifen ebenfalls nicht durch. Denn in einem Vollstreckungsverfahren nach § 172 VwGO ist allein der titulierte Anspruch des Vollstreckungsgläubigers in den Blick zu nehmen, der zwingend zu erfüllen ist. Die Frage, ob freiwerdende oder neu geschaffene Betreuungsplätze aus Gründen der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG zunächst mit anderen Kindern zu besetzen wären, betrifft hingegen allein den materiell-rechtlichen Anspruch des Vollstreckungsgläubigers, über den im Vollstreckungsverfahren nicht mehr zu entscheiden ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.11.2019 – 10 OB 210/19 – a.a.O.). Da sich der Beklagte demnach in einem Vollstreckungsverfahren nicht darauf berufen könnte, aus materiell-rechtlichen Gründen verpflichtet zu sein, Betreuungskapazitäten vorrangig anderen Anspruchsberechtigten nachzuweisen, vermag der Senat entgegen dem Landgericht auch kein allgemeinen Rechtsgrundsätzen widersprechendes Verhalten darin zu erkennen, dass der Beklagte im vorliegenden Verfahren geltend macht, er würde einer verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidung Folge geleistet haben.

Da mithin davon auszugehen ist, dass bei Einlegung des objektiv gebotenen Rechtsbehelfs, der auch für die Klägerin geboten und zumutbar war, der streitgegenständliche Verdienstausfallschaden insgesamt nicht eingetreten wäre, ist der Anspruch nach § 1 Abs. 1 StHG gemäß § 2 Satz 2 StHG nicht lediglich eingeschränkt, sondern insgesamt ausgeschlossen. Auf die insoweit vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung kommt es demnach nicht mehr an.

2.

Die Nebenentscheidungen begründen sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 708 Nr. 10 Satz 1, §§ 711, 713 ZPO.

Anlass für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht nicht, da die Entscheidung auf der Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze beruht, sodass die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Letzteres gilt auch im Hinblick auf das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 28.05.2021 (13 U 436/19 – BeckRS 2021, 17938). In jener Entscheidung hat sich das Gericht zu den Darlegungsanforderungen, die an den in Anspruch genommenen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bezüglich des Vorhandenseins eines zumutbaren Betreuungsplatz zu stellen sind, zwar abweichend von der hier vertretenen Rechtsauffassung positioniert, sich insofern jedoch nicht mit der der hiesigen Entscheidung insoweit zu Grunde liegenden Rechtsprechung, insbesondere der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.03.2010 (III ZR 124/09 – a.a.O.) auseinandergesetzt.

Der Streitwert ist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO nach der angefochtenen Beschwer des Beklagten festzusetzen.