Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 2 B 6/20


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 09.12.2021
Aktenzeichen 2 B 6/20 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2021:1209.2B6.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 74 Abs 1 Alt 2 AsylVfG 1992, § 8 VwZG, § 36 Abs 3 S 1 AsylVfG 1992, § 10 AsylVfG 1992, § 31 Abs 1 S 3 AsylVfG 1992

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Kläger, türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, erstreben die Gewährung internationalen Schutzes.

Die Klägerinnen reisten im Juni 2014 in das Bundesgebiet ein und stellten hier am 1. Juli 2014 einen Asylantrag. Anschließend zogen sie innerhalb Berlins wie folgt mehrfach um, ohne dies dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: BAMF) mitzuteilen: Zunächst waren sie in der Erstaufnahmeeinrichtung „B ... “ in der F ... Berlin und vom 1. August 2014 bis zum 15. Dezember 2015 in der Erstaufnahmeeinrichtung der P ... in der M ... Berlin untergebracht; in dieser Zeit wurde der Kläger geboren. Letztgenannte Unterbringung meldete das Landesamt für Gesundheit und Soziales (im Folgenden: LAGeSo) dem BAMF am 1. August 2014. Vom 16. Dezember 2015 bis 28. Februar 2016 lebten die Kläger in der Gemeinschaftsunterkunft der P ... in der P ... Berlin. Hiervon hatte das BAMF Kenntnis, weil ihm die P ... am 5. Januar 2016 eine bezirkliche Meldebestätigung übersandt hatte. Seit dem 1. März 2016 wohnen die Kläger gemeinsam mit dem Ehemann der Klägerin zu 1. bzw. Vater der Kläger zu 2. und 3., dessen Asylantrag seit Dezember 2016 rechtskräftig abgelehnt ist, in einer Wohnung in der A ... Berlin der  ... . Diese meldete den Umzug der Kläger am 17. Februar 2016 dem damaligen Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, jetzt Landesamt für Einwanderung (im Folgenden: LEA). Das LEA teilte dem BAMF mit Schreiben vom 22. März 2016 mit, dass die Kläger unter der Adresse M ... Berlin gemeldet seien.

Daraufhin lud das BAMF die Kläger unter der letztgenannten Adresse zur Anhörung. Nachdem das Ladungsschreiben als unzustellbar zurückgekommen und der Termin von den Klägern nicht wahrgenommen worden war, gab das BAMF ihnen mit wiederum an die letztgenannte Anschrift adressiertem Schreiben Gelegenheit, ihre schutzwürdigen Belange schriftlich darzulegen. Auch auf dieses Schreiben reagierten die Kläger nicht.

Mit Bescheid vom 2. Dezember 2016 lehnte das BAMF die Anträge der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorlägen und forderte sie auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würden sie in die Türkei abgeschoben. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete das BAMF auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Das BAMF übergab den an die Adresse M ... Berlin gerichteten Bescheid am 5. Dezember 2016 zur Post, die ihn nicht zustellen konnte. Die Kläger erhielten den Bescheid erstmals am 31. Januar 2017 von Mitarbeitenden des LEA in Kopie ausgehändigt, als sie dort zur Verlängerung ihrer Aufenthaltsgestattung vorsprachen.

Am 8. Februar 2017 haben sie Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Die Kläger haben geltend gemacht, die Zustellung des Bescheides sei nicht bewirkt worden. Die Zustellungsfiktion des § 10 AsylG greife vorliegend nicht ein, weil sie nicht gewusst hätten, dass sie die Anschriftenänderungen dem BAMF hätten mitteilen müssen. Hierüber seien sie nicht in einer Sprache, die sie verstünden, belehrt worden. Außerdem gelte die Zustellungsfiktion nicht, weil das BAMF den Bescheid nicht an die nach Aktenlage aktuelle Adresse der Kläger versandt habe. Deswegen sei auch keine Heilung nach § 8 VwZG eingetreten. Im Übrigen betrage die Klagefrist ein Jahr, weil die Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Bescheids unrichtig sei. Darin sei aufgegeben worden, die Klage in deutscher Sprache abzufassen, was die Möglichkeit der (mündlichen) Klageerhebung zur Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts ausschließe. Die Jahresfrist sei gewahrt. Des Weiteren hätte das BAMF das Verfahren nicht nach § 30 AsylG abschließend bescheiden, sondern nach § 33 AsylG einstellen müssen, weil dann eine Wiederaufnahme möglich sei.

Mit Schriftsatz vom 6. März 2017 hat das BAMF den angegriffenen Bescheid insoweit aufgehoben, als die Asylanträge als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG abgewiesen worden seien. Außerdem hat es erklärt, der Bescheid bleibe im Übrigen aufrechterhalten und sei weiter Gegenstand des anhängigen Verfahrens. Die Kläger haben daraufhin geltend gemacht, die Klagefrist sei auch deshalb gewahrt, weil die Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Bescheids durch die Teilaufhebung nachträglich unrichtig geworden sei und die Klagefrist nunmehr ein Jahr betrage.

Mit den Klägern am 25. Januar 2019 und der Beklagten am 23. Januar 2019 zugestelltem Urteil hat das Verwaltungsgericht Berlin die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger hätten die für die Klageerhebung maßgebliche Wochenfrist mit der Klageerhebung am 8. Februar 2017 nicht eingehalten. Die Klagefrist habe mit der Übergabe des Bescheids am 31. Januar 2017 zu laufen begonnen. Denn von diesem Zeitpunkt an habe der den Klägern in Kopie überreichte Bescheid nach § 8 VwZG als zugestellt gegolten. Die Klagefrist sei durch die im Prozess erklärte Teilaufhebung des angegriffenen Bescheides weder wiedereröffnet noch verlängert worden. Die Teilaufhebung sei eine materiell begünstigend wirkende Teilregelung, die den Bescheid im Übrigen unberührt lasse. Die ursprüngliche Rechtsbehelfsbelehrung sei infolge der Teilaufhebung nicht unrichtig geworden. Denn die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung richte sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei auch nicht aus sonstigen Gründen unrichtig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelte dies insbesondere für den Hinweis, die Klage müsse in deutscher Sprache abgefasst sein. Wiedereinsetzung in die Klagefrist sei nicht zu gewähren gewesen, weil die Kläger nicht glaubhaft gemacht hätten, dass sie ohne Verschulden verhindert gewesen seien, die Klagefrist einzuhalten.

Hiergegen richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 27. März 2020 zugelassene Berufung der Kläger. Zu deren Begründung tragen die Kläger, nachdem ihnen der Beschluss am 30. März 2020 zugestellt worden ist, mit am 27. April 2020 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz unter anderem zur Zulässigkeit der Klage vor, für die Heilung von Zustellungsmängeln nach § 8 VwZG sei die Überreichung einer einfachen Fotokopie ohne Unterschrift nicht ausreichend.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,

das ihnen am 25. Januar 2019 und der Beklagten am 23. Januar 2019 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in den Personen der Kläger festzustellen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Streitakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§ 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil sie nicht binnen einer Woche nach Zustellung des angegriffenen Bescheids erhoben worden ist (§ 74 Abs. 1 Alt. 2 i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 AsylG und § 8 VwZG).

1. Die Wochenfrist war hier maßgeblich, weil das BAMF die Anträge der Kläger in dem angegriffenen Bescheid als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebung angedroht hat, wenn sie nicht fristgemäß ausreisen (§ 30 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG). Denn bei offensichtlicher Unbegründetheit sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung innerhalb einer Woche zu stellen (§ 36 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 HS 1 AsylG) und die Klage nach § 74 Abs. 1 Alt. 2 AsylG binnen derselben Frist zu erheben.

2. Diese Frist haben die Kläger mit der am 8. Februar 2017 erhobenen Klage versäumt, da die Klagefrist gemäß § 57 Abs. 1 VwGO am 31. Januar 2017 begann und am 7. Februar 2017 endete (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 188 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB).

a) Der Bescheid gilt nach § 8 Alt. 1 VwZG als am 31. Januar 2017 zugestellt. An diesem Tag wurde der Klägerin zu 1. der Bescheid bei einem Termin im LEA in Form einer Kopie, die mit dem Original übereinstimmt, übergeben.

Nach § 8 Alt. 1 VwZG gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

aa) Der streitgegenständliche Bescheid ist ein schriftliches Dokument i.S.v. §§ 8, 2 Abs. 1 VwZG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG, dessen formgerechte Zustellung nicht nachgewiesen ist.

Die nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG vorgeschriebene Zustellung richtet sich nach dem Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes (§ 1 Abs. 1 VwZG). Bei der hier vom BAMF gewählten (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 VwZG) Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gelten gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG für die Ausführung der Zustellung die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Die Zustellung in der Erstaufnahmeeinrichtung der P ... in der M ... Berlin gemäß § 177 und § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durch die Post blieb ohne Erfolg, da die Kläger dort nicht mehr wohnten. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung gemäß § 181 ZPO wurde nicht veranlasst.

Die Klägerin zu 1. war für sich und die Kläger zu 2. und 3. nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 VwZG empfangsberechtigt, weil die Zustellung des Bescheids nach dem Gesetz an sie zu richten war (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43/95 –, juris Rn. 27 zur Vorgängervorschrift § 9 VwZG). Einen Bevollmächtigten im Sinne des § 7 VwZG hatten die Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestellt. Der angegriffene Bescheid ist ihr am 31. Januar 2017 mit der Aushändigung durch Mitarbeitende des LEA in Form einer Kopie tatsächlich zugegangen.

Entgegen der Ansicht der Kläger stimmt die ausgehändigte Kopie mit dem Original des Bescheides überein. Dem steht nicht entgegen, dass die Kopie keine Unterschrift enthält, da der Originalbescheid ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des BAMF ebenfalls nicht unterschrieben ist (vgl. Bl. 57-61 VV 5 ... des BAMF), sondern dieselbe – nach § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG zulässige – Namenswiedergabe der oder des Beauftragten enthält wie in der im Verwaltungsvorgang des LEA befindlichen und den Klägern übergebenen Kopie des Bescheides (vgl. S. 14-18 VV des LEA). Ebenso wenig ist die dem LEA übersandte Fassung des Bescheids nach dem Akteninhalt mit dem Wort „Kopie“ überschrieben (vgl. S. 14-20 VV des LEA). Auch sonst bestehen keine Anhaltspunkte, dass die der Klägerin zu 1. übergebene Kopie nicht dem Original entspricht. Die Kläger haben bei Aushändigung des Bescheids durch das LEA keine Zweifel an dessen Qualität und Identität geltend gemacht. Vielmehr haben sie den Ernst der Lage verstanden, sich einen Tag später anwaltlichen Beistand gesucht und gegen den Bescheid zeitnah am 8. März 2017 Klage erhoben.

Der erforderliche Zustellungswille des BAMF ist ebenfalls gegeben. Zwar reicht die Aushändigung einer Kopie des Bescheids durch eine andere Behörde nicht, wenn die zuständige Behörde nicht den Willen hatte, den Bescheid dem Adressaten bekanntzugeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997, a. a. O., Rn. 29). Das BAMF hatte hier jedoch Zustellungswillen. Aus dem missglückten Zustellungsversuch ergibt sich, dass der Bescheid mit seinem Wissen und Wollen in der Absicht, Rechtsfolgen auszulösen, aus dem internen Bereich herausgegeben worden ist. Zur Heilung ist nicht erforderlich, dass auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten vom Willen der Behörde erfasst wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997, a. a. O.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Juli 2020 – OVG 3 B 2/20 –, juris Rn. 23).

bb) Für den Eintritt der Heilungswirkung nach § 8 Alt. 1 VwZG reicht es aus, dass den Klägern eine mit dem Original übereinstimmende Kopie des Bescheides tatsächlich zugegangen ist.

Nach der Rechtsprechung u.a. des Bundesverwaltungsgerichts und Teilen des Schrifttums genügt der Zugang einer Fotokopie, die das Original nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt, um die Heilung zu erreichen, weil damit der Zweck der Bekanntgabe, nämlich dem Adressaten zuverlässige Kenntnis vom Inhalt des Bescheids zu verschaffen, erreicht wird (vgl. zur Vorgängervorschrift d. § 9 VwZG: BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 – 8 C 43/95 –, juris Rn. 29; BFH, Urteil vom 19. Mai 1976 – I R 154/74 –, juris Rn. 14; ebenso zu § 8 VwZG: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. April 2017 – OVG 11 S 18.17 –, juris Rn. 3; OVG Hamburg, Beschluss vom 29. Oktober 2004 – 4 Bs 392/04 –, juris Rn. 4; Olthaus in Sadler/Tillmanns, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2020, § 8 VwZG Rn. 7; Ronellenfitsch in: BeckOK VwVfG, Stand: Oktober 2019, § 8 VwZG Rn. 12; Stelkens in: Stelkens/Bonk, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 107 f.; Schwarz in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juli 2017, § 8 VwZG Rn. 7; offengelassen: Bayer.VGH, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 5 ZB 17.31905 –, juris Rn. 8). Dem entspricht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der nahezu identischen Vorschrift des § 189 ZPO für den Zugang eines inhaltsgleichen Schriftstücks, etwa einer Foto- oder Faxkopie, eines Scans oder einer E-Mail (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 12. März 2020 – I ZB 64/19 –, juris Rn. 24; Urteil vom 20. April 2018 – V ZR 202/16 –, juris Rn. 21; Urteil vom 22. Dezember 2015 – VI ZR 79/15 –, juris Rn. 21; Dörndorfer, in: BeckOK ZPO, Stand: 1.Juli2021, § 189 Rn. 4; Häublein/Müller, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 189 Rn. 17).

Danach ist § 8 VwZG auch anwendbar, wenn zwar eine förmliche Zustellung unterblieben ist, aber der Verwaltungsakt dem Adressaten gleichwohl mit dem Willen der Behörde zur Kenntnis gegeben wurde und der tatsächliche Zugang sowie dessen Zeitpunkt auch ohne Einhaltung der Förmlichkeiten des Verwaltungszustellungsgesetzes nachgewiesen sind. Denn die Heilungsvorschrift hat den Sinn, die förmlichen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen, sondern die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der Zustellungszweck anderweitig erreicht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2020 – I ZB 64/19 –, juris Rn. 25 zu § 189 ZPO). Entscheidend ist, ob - wie hier - die Fotokopie das Original nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt. Dies hat seinen Grund darin, dass die Zustellung nach Sinn und Zweck nur dann und insoweit unwirksam ist, als durch den Verstoß gegen die Form die Erreichung des Zwecks selbst vereitelt wird, zu dessen Sicherung die Form geschaffen wurde. Das gilt jedenfalls nicht für den mit der Zustellung verfolgten Zweck der Bekanntgabe des Schriftstücks. Hinsichtlich dieses Zweckes sind das Original und dessen vollständige Fotokopie gleichwertige Schriftstücke (vgl. BFH, Urteil vom 19. Mai 1976, a. a. O., Rn. 14).

Der Wortlaut des § 8 VwZG steht dem nicht entgegen. Zwar knüpft er an das Dokument als solches an, enthält aber keine Vorgabe zu dessen Form. Nach § 2 VwZG muss es sich seit der Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts im Jahr 2005 bei dem zuzustellenden Objekt nicht mehr um ein Schriftstück in Urschrift, eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift, sondern lediglich um ein schriftliches oder elektronisches Dokument handeln (vgl. § 2 VwZG i.d.F.v. 14. Dezember 1976; a.A. Schlatmann in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 12. Aufl. 2021, § 8 VwZG Rn. 5; Tegethoff in: Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 22. Aufl. 2021, § 41 Rn. 78; Danker, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 8 VwZG Rn. 7; Smollich in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 8 VwZG Rn. 6). Soweit sich die Gegenansicht auf die Gesetzesbegründung zu § 2 VwZG beruft, nach der bei der Zustellung eines Dokuments wie bisher die Urschrift, eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift zu übermitteln sei und die Übersendung einer bloßen Fotokopie nicht genüge (vgl. BT-Drs. 15/5216, S. 11), steht dem entgegen, dass dies in dem eindeutigen Wortlaut des neugefassten § 2 VwZG keinen Niederschlag gefunden hat (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 107 f.).

Ebenso wenig kommt es darauf an, ob - wie hier (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG) - die Zustellung des Verwaltungsakts vorgeschrieben ist (a.A. OVG Sachsen, Beschluss vom 8. August 2016 – 3 B 161/16 –, juris Rn. 5; BFH, Beschluss vom 7. November 2008 – X B 55/08 –, juris Rn. 10; Urteil vom 6. Juni 2000 – VII R 55/99 –, juris Rn. 26; offen: OVG Bremen, Urteil vom 24. Februar 2020 – 2 B 304/19 –, juris Rn. 4). Denn die Heilungsvorschrift des § 8 VwZG erfasst nach ihrer systematischen Stellung im Verwaltungszustellungsgesetz sowie dem oben dargelegten Sinn und Zweck jede Form der (gescheiterten) Zustellung, auch die behördlich angeordnete (vgl. § 1 Abs. 2 VwZG).

Schließlich erfordert der teilweise hervorgehobene Zweck, die Authentizität des zuzustellenden Schriftstücks zu gewährleisten (vgl. Smollich, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 8 VwZG Rn. 6) nicht in jedem Fall den Zugang des zuzustellenden Dokuments selbst. So ist weitgehend anerkannt, dass ein Zustellungsmangel nach § 8 VwZG grundsätzlich auch durch Akteneinsicht geheilt werden kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Juli 2020 – OVG 3 B 2/20 –, juris Rn. 23; OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 19. Juni 2018 – 3 M 227/18 –, juris Rn. 6; OVG Bremen, Beschluss vom 23. April 2018 – 1 PA 89/17 –, juris Rn. 5; OVG Hamburg, Urteil vom 30. Januar 2017 – 1 Bf 115/15 –, juris Rn. 29). Auch außerhalb der Fälle einer Akteneinsicht tritt die Heilung eines Zustellungsfehlers nach § 8 VwZG mit dem Zugang einer Fotokopie ohnehin nur ein, wenn die zuständige Behörde den erforderlichen Zustellungswillen hat, dem Adressaten eine Fotokopie zugeht, die das Original nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt, so dass er sich zuverlässig Kenntnis vom Inhalt des Bescheids verschaffen kann. Ob etwas anderes gilt, wenn die Authentizität des Bescheides und/oder die Vollständigkeit seines Inhalts in Frage gestellt werden oder Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Kläger haben solche Einwände weder beim LEA, als ihnen die Fotokopie des angefochtenen Bescheides ausgehändigt wurde, noch im Laufe des Rechtsstreits erhoben. Umstände, die zu Zweifeln Anlass gäben, sind ebenfalls nicht erkennbar.

b) Für einen früheren Beginn der Klagefrist ist nichts ersichtlich. Der angefochtene Bescheid gilt nicht bereits mit der Aufgabe zur Post am 5. Dezember 2016 gemäß § 10 Abs. 2 Sätze 2 und 4 AsylG als zugestellt, weil er an die Kläger unter der Adresse M ... Berlin gerichtet war und sie dort bereits nicht mehr wohnhaft waren, als das LEA dem BAMF mit Schreiben vom 22. März 2016 mitteilte, dass die Kläger dort gemeldet seien. Sie wohnten zu diesem Zeitpunkt bereits in der A ... Berlin, was beim LEA aufgrund der Umzugsmeldung der d ... aktenkundig war. Erfolgt die Mitteilung der letzten bekannten Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, an das BAMF nicht durch den Ausländer selbst, sondern – wie hier – durch eine öffentliche Stelle, muss diese Mitteilung zutreffend sein, weil der Ausländer nicht das Risiko der Unrichtigkeit einer nicht von ihm stammenden und ihm regelmäßig nicht bekannten Mitteilung über seine Anschrift trägt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. August 2020 – 1 C 28/19 –, juris Rn. 11).

3. Die Erklärung des BAMF im erstinstanzlichen Verfahren, mit der es den streitgegenständlichen Bescheid insoweit aufgehoben hat, als darin die Anträge der Kläger gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurden, ändert nichts an der Versäumung der Klagefrist.

Die Erklärung führt nicht dazu, dass nachträglich die zweiwöchige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Alt. 1 AsylG gilt mit der Folge, dass die verfristete Klage nachträglich zulässig würde. Denn die Einhaltung der Klagefrist als zwingende Sachurteilsvoraussetzung unterliegt nicht der Disposition der Beteiligten (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997 – 3 C 35/96 –, juris Rn. 37, 47; Urteil vom 11. November 2020 – 8 C 22/19 –, juris Rn. 17 f.).

Ebenso wenig ist die Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Bescheids durch die Erklärung des BAMF im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens nachträglich falsch geworden und hat den Anwendungsbereich des § 58 Abs. 2 VwGO eröffnet. Ohne Erfolg berufen sich die Kläger auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Urteil vom 15. August 2014 – 13 K 4740/13.A –, juris Rn. 28-32). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung der Zeitpunkt ihrer Verwendung maßgeblich (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 20. August 2020 – 1 C 28/19 –, juris Rn. 32). Bei Erlass des Bescheides wies die Belehrung zutreffend auf die einwöchige Klagefrist hin (§§ 74 Abs. 1 Alt. 2, 36 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 HS 1 AsylG).

Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch nicht unrichtig, weil sie den Zusatz enthält, dass die Klage in deutscher Sprache abgefasst sein muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. August 2020, a. a. O., Rn. 31; Urteil vom 29. August 2018 – 1 C 6.18 –, juris Rn. 14 ff.).

4. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) wegen Versäumung der Klagefrist ist nicht zu gewähren. Weder haben die Kläger Wiedereinsetzungsgründe geltend gemacht (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO), noch sind solche ersichtlich.

5. Angesichts der Unzulässigkeit der Klage wegen Versäumung der Klagefrist kommt es auf den weiteren Einwand der Kläger, das BAMF habe nicht nach § 30 AsylG entscheiden, sondern das Verfahren nach § 33 AsylG einstellen müssen, nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 und § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.