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Entscheidung 1 OLG 53 Ss-OWi 71/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 06.12.2021
Aktenzeichen 1 OLG 53 Ss-OWi 71/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:1206.1OLG53SS.OWI71.21.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg a. d. H. vom 16. Oktober 2020 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 16. Oktober 2020 setzte das Amtsgericht Brandenburg a. d. H. gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Öffnung seines Gesundheits- und Fitnessstudios entgegen § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 SARS-CoV-2-EindV in der Fassung vom 22. März 2020, §§ 16, 17 Abs. 4 in Verbindung mit 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG eine Geldbuße in Höhe von 500,00 € fest. Den Feststellungen des Amtsgerichts zufolge hatte der Betroffene seit Inkrafttreten der SARS-CoV-2-EindV am 17. März 2020 sein Gesundheits- und Fitnessstudio zu keinem Zeitpunkt geschlossen, sondern den Geschäftsbetrieb mit verkürzten Öffnungszeiten und eingeschränktem Kursangebot ununterbrochen fortgesetzt. Am 06. Mai 2020 habe ein Außendienstmitarbeiter der Stadt … dies festgestellt.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene über seine Verteidigerin rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt und das Rechtsmittel nach am 12. November 2020 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe mit Anwaltsschriftsatz vom 11. Dezember 2020, der am selben Tag bei dem Amtsgericht eingegangen ist, begründet. Er rügt mit näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Stellungnahme vom 01. November 2021, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Betroffenen freizusprechen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 OWiG statthaft und entsprechend §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

2. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Der Betroffene ist aus Rechtsgründen freizusprechen.

a) Gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg vom 17. März 2020 (SARS-CoV-2-EindV vom 17. März 2020, GVBl. II Nr. 10) war der Sportbetrieb unter anderem in Fitnessstudios untersagt. Die genannte Verordnung wurde durch die am 23. März 2020 in Kraft getretene SARS-CoV-2-EindV vom 22. März 2020 (GVBl. II Nr. 11) abgelöst, deren § 4 in Bezug auf Fitnessstudios keine inhaltliche Änderung erfuhr. Auch die SARS-CoV-2-EindV vom 31. März 2020 (GVBl. II Nr. 13) erfuhr § 4 betreffend Fitnessstudios keine Veränderung. Am 20. April 2020 trat die SARS-CoV-2-EindV vom 17. April 2020 (GVBl. II Nr. 21) in Kraft. Das in § 4 der Vorfassungen geregelte Verbot des Sportbetriebs unter anderem in Fitnessstudios wurde nunmehr in § 5 Abs. 1 der Neufassung geregelt, erfuhr aber wiederum in Bezug auf Fitnessstudios keine inhaltliche Änderung. Eine solche erfolgte schließlich nicht durch die SARS-CoV-2-EindV vom 24. April 2020 – diese Neufassung änderte § 5 der Vorfassung nicht.

Die SARS-CoV-2-EindV vom 17. April 2020 normierte in § 13 erstmals eine Bußgeldbewehrung von Verstößen. Die genannte Vorschrift lautet:

„Verstöße gegen die in den §§ 1 bis 12 dieser Rechtsverordnung enthaltenen Gebote und Verbote stellen gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes eine Ordnungswidrigkeit dar und können mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro geahndet werden.“

In § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG heißt es: „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Rechtsverordnung nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 Buchstabe c, d, e, g oder Nr. 8 Buchstabe c, § 13 Abs. 3 S. 1, § 17 Abs. 4 S. 1 oder Abs. 5 S. 1, § 20 Abs. 6 S. 1 oder Abs. 7 S. 1, § 23 Abs. 8 S. 1 oder S. 2, § 32 S. 1, § 38 Abs. S. 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 3 oder 5 oder § 53 Abs. 1 Nr. 2 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.“

b) Auf der Grundlage dieser Normenhistorie kommt eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit des Betroffenen allein auf der Grundlage der am 20. April 2020 in Kraft getretenen SARS-CoV-2-EindV vom 17. April 2020 in Betracht. Diese Vorschrift entspricht indessen nicht dem von Verfassungs wegen zu beachtenden Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG). Sie ist ferner nicht geeignet, das Blankett des § 73 Abs. 1a IfSG wirksam auszufüllen. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des 2. Senats für Bußgeldsachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in dessen Beschluss vom 31. März 2021 (2 OLG 53 Ss-OWi 84/21, Juris) an, in dem es unter Bezugnahme auf die dortige Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg wie folgt heißt:

„a) Das allgemeine Bestimmtheitsgebot wird für Strafgesetze in Art. 103 Abs. 2 GG konkretisiert; § 3 OWiG hat diese Voraussetzung ins Ordnungswidrigkeitenrecht übernommen (keine Ahndung ohne Gesetz als Verfassungsgrundsatz).

Der Bestimmtheitsgrundsatz enthält mehrere Folgerungen: Die Norm muss – was hier unproblematisch der Fall ist – vor der Tat bestanden haben (Rückwirkungsverbot), damit sie eine Bestimmungswirkung auf den Handelnden ausüben konnte. Sie muss aber auch das missbilligte Verhalten hinlänglich bestimmt bezeichnen (BVerfGE 14, 245, 251 = NJW 1962, 1563, 1564; 32, 346, 362 = NJW 1972, 860, 862; KK/Mitsch, OWiG, 5. Auflage, Einl. Rn. 122 m. w. N.; Bohnert NStZ 1988, 134), Gleichgültig ist, ob die Norm, welche die Bußgelddrohung enthält, selbst ihre Voraussetzungen benennt oder auf eine andere Norm verweist; das Bestimmtheitsverlangen erstreckt sich dann auf die Bezugsnorm (BVerfG NJW 1987, 3175). Verfassungsrechtlich ist geklärt, dass Bußgeldnormen auch durch Rechtsverordnungen (BVerfGE 14, 174, 185 = NJW 1962, 1339; 14, 245, 251 = NJW 1967, 1221; 38, 348, 371 = NJW 1975, 727, 730; 51, 60, 73 = NJW 1979, 1981, 1982) und durch Satzungen (BVerfGE 32, 346, 362 = NJW 1972, 860, 862; LK/Dannecker § 1 Rn. 129) gefüllt werden können. Dem Bestimmtheitsgebot müssen dann sowohl die ausfüllenden als auch die hierzu ermächtigenden Normen genügen (BVerfGE 32, 346, 362 = NJW 1972, 860, 862).

Blankettstrafgesetze – oder wie hier Blankettordnungswidrigkeitentatbestände – genügen den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen. Auch die das Blankettstrafgesetz ausfüllenden Vorschriften müssen dementsprechend den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen.

Diesen Anforderungen wird § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG in Verbindung mit § 13 SARS-CoV-2-EindV nicht gerecht. § 13 SARS-CoV-2-EindV verweist nämlich ohne nähere Differenzierung auf sämtliche Gebote und Verbote, die in §§ 1 bis 12 SARS-CoV-2-EindV genannt sind. Welche konkreten Verstöße vorliegend bußgeldbewehrt sind, ist für den Normanwender nicht ohne weiteres erkennbar. Die von § 13 SARS-CoV-2-EindV umfassten Regelungen betreffen Veranstaltungen, Versammlungen, Gewerbebetriebe, spezielle Betriebe der Kampfmittelbeseitigung, Zusammenkünfte, Gaststätten, den Personaleinsatz in bestimmten Betrieben, Berufsregelungen und vieles mehr. Der Normanwender müsste, um erkennen zu können, ob sein Handeln bußgeldbewehrt ist oder nicht, die gesamte Verordnung auf ihre Verbote und Gebote überprüfen und zudem das Vorliegen möglicher Ausnahmetatbestände für Ge- und Verbote in seine Überlegungen einstellen. Hinzu kommt noch, dass nach § 5 Abs. 1 SARS-CoV-2-EindV der „Sportbetrieb auf und in … Fitnessstudios … untersagt“ ist, jedoch nicht (wie bei Thermen, Wellnesszentren und ähnlichen Einrichtungen) der Betrieb „von“. Ob diese Norm lediglich die Nutzer von Fitnessstudios zum Adressaten hat oder darüber hinaus auch die Betreiber von Fitnessstudios zu deren Schließung verpflichtet, ist – jedenfalls, was die Bußgeldbewehrung und einen möglichen Verstoß gegen das strafrechtliche Analogieverbot betrifft – ebenfalls nicht eindeutig ersichtlich.

b) …

Bei § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG handelt es sich um ein sogenanntes „unechtes Blankett mit Rückverweisungsklausel“. Um die oben dargestellten Bestimmtheitsmängel zu vermeiden, müssen Bußgeldblankette die zu bewehrenden Vorschriften durch eine paragraphengenaue Angabe der Verordnungsermächtigung bezeichnen und eine Rückverweisungsklausel enthalten. Die Norm wird dementsprechend – da sie die Ermächtigungsnorm, aufgrund derer der Landesgesetzgeber die SARS-CoV-2-EindV erlassen hat, ausreichend benennt – den Bestimmtheitsanforderungen gerecht.

§ 13 SARS-CoV-2-EindV verweist hingegen nicht – und schon gar nicht „für einen bestimmten Tatbestand" - auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG. Nach dem genauen Wortlaut der Norm konstatiert diese lediglich, dass es sich bei den Verstößen gegen die Ge- und Verbote der §§ 1 bis 12 SARS-CoV-2-EindV bereits um Ordnungswidrigkeiten handelt. Dass der Verordnungsgeber den Bußgeldtatbestand des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG ausfüllen wollte, lässt sich hingegen der Norm nicht entnehmen. (Hierzu wäre beispielsweise eine Formulierung wie in der nunmehr geltenden Fassung der SARS-CoV-2-EindV, wonach ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG handelt, wer eine im Folgenden konkret bezeichnete Tat begeht, erforderlich gewesen.)

Da es somit an einer ausreichend bestimmten Bußgeldnorm fehlt, anhand derer das Verhalten des Betroffenen – Weiterbetrieb seines Fitnessstudios – sanktioniert werden kann, ist der Betroffene freizusprechen.“

Diese Ausführungen entsprechen der Sach- und Rechtslage, der Senat schließt sich ihnen an.

Das Rechtsbeschwerdegericht hat von der durch § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG in Verbindung mit § 354 Abs. 1 StPO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, selbst in der Sache zu entscheiden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.