Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 25.01.2022 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 S 41/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0125.OVG6S41.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 107 Abs 1 AEUV, Art 108 Abs 3 S 3 AEUV, Art 13 Beihilfeverfahrensordnung, § 4 Nr 9b UStG, § 36ff RennwLottG, GlüStVG RP 2021 |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.
1. Die Antragstellerin, Anbieterin von Internet-Glücksspielen mit Sitz in Malta, sieht sich durch die am 1. Juli 2021 in Deutschland in Kraft getretene Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes (RennwLottG) in ihrem Recht auf Wahrung des beihilferechtlichen Durchführungsverbots aus Art. 108 Abs. 3 Satz AEUV beeinträchtigt und begehrt vorläufigen Rechtsschutz. Hintergrund ist der zum 1. Juli 2021 in Kraft getretene neue Glückspielstaatsvertrag, der die Veranstaltung von Glücksspielen im Internet in bestimmtem Umfang mit Erlaubnis der zuständigen Behörde zulässt, namentlich virtuelle Automatenspiele und Online-Poker. Das geänderte RennwLottG besteuert diese nun zugelassenen virtuellen Glücksspiele mit einer Spieleinsatzsteuer von 5,3% (§§ 36 ff. RennwLottG), während terrestrische Anbieter dieser Glücksspiele weiterhin den landesrechtlichen Steuern (Spielbankenabgabe für terrestrische Glückspiele in öffentlichen Spielbanken, Vergnügungssteuer als örtliche Aufwandssteuer für terrestrische Glücksspiele in gewerblichen Spielhallen und Gaststätten) sowie kumulativ der umsatzsteuermäßigen Besteuerung des Bruttospielertrages unterliegen. Umsätze, die unter das RennwLottG fallen, sind hingegen weiterhin umsatzsteuerbefreit (§ 4 Nr. 9 Buchstabe b UStG). Die European Gaming und Betting Association (EGBA) hat im Mai 2021 gegen die nationalen Rechtsänderungen Beschwerde bei der Kommission erhoben mit dem Argument, die nicht notifizierte unterschiedliche Besteuerung stelle eine Beihilfe zugunsten der terrestrischen Anbieter dar und verstoße gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV. Die Antragstellerin begehrt mit ihrem Eilantrag, der Antragsgegnerin aufzugeben, die in der Beschwerde der EGBA aufgeführten Beihilferegelungen nicht durchzuführen, bis die Kommission einen abschließenden Beschluss gefasst habe, und unwiederbringliche Rechtsverletzungen der Antragstellerin durch wirksame Aussetzungsmaßnahmen sicherzustellen. Um die Einsatzsteuer begleichen zu können, müsste sie ihre Ausschüttungsquote unter das international übliche Niveau absenken und Einnahmeverluste hinnehmen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit dem streitgegenständlichen Beschluss abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Auf der Grundlage der dargelegten Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 VwGO) ergibt sich kein Grund für eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
a) Die angestrebte Regelung kann schon deshalb nicht erlassen werden, weil - worauf die Antragsgegnerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren hingewiesen hat - die Verwaltungsgerichte nicht die Rechtsmacht haben, der Antragsgegnerin die beantragte Handlung aufzugeben. Die Antragstellerin möchte der Antragsgegnerin auferlegt wissen, die in dem Beschwerdeverfahren der EGBA angegriffenen Beihilferegelungen vorerst nicht durchzuführen. Das Durchführungsverbot hinsichtlich der besorgten Privilegierung der terrestrischen Anbieter soll nach den Ausführungen der Antragstellerin (Schriftsatz vom 13. September 2021, S. 2 ff.) dadurch bewirkt werden, dass die Antragsgegnerin die gesetzliche Einsatzsteuer für virtuelle Automatenspiele und Online-Poker für nicht anwendbar erklärt oder die Finanzämter anweist, eine 5,3%-ige Einsatzsteuer auch für stationäre Anbieter zu erheben. Die Verwaltungsgerichte können die Antragsgegnerin indes nicht in allgemeiner Weise anweisen, eine gesetzlich bestimmte Steuer generell nicht zu erheben oder ohne gesetzliche Rechtsgrundlage eine Steuer gegenüber Dritten zu erheben. Die Ausführungen der Antragstellerin, dass ihr Antrag weder darauf gerichtet sei, dass das Gericht der Antragsgegnerin aufgebe, eine weitere Steuer zu erheben, noch eine Besteuerung nach dem RennwLottG auszusetzen, sondern „lediglich“ darauf, dass die angegriffenen Beihilferegelungen nicht durchgeführt werden, bleibt ein Fehlschluss, weil die angegriffenen Beihilferegelungen in der in Bezug genommenen Beschwerde der EGBA bei der Kommission gerade mitgliedstaatliche Steuergesetze zum Gegenstand haben. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin mit dem Begehren auf Aussetzung der vermeintlichen Beihilferegelungen in toto der Sache nach eine Art Verbandsklagebefugnis für alle betroffenen Anbieter in Anspruch nimmt, die ihr nach dem nationalen System des subjektiven Rechtsschutzes nicht zukommt. Eine Aussetzungsanordnung im Beschwerdeverfahren der EGBA nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/1589 vom 13. Juli 2015 ist der Kommission vorbehalten.
b) Die von der Antragstellerin geltend gemachte Verletzung einer prozessualen Hinweispflicht durch das Verwaltungsgericht (Ziffer I. der Begründung) führt nicht weiter, weil eine bloß kassatorische Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht in Betracht kommt und ein Verfahrensfehler der ersten Instanz für sich genommen der Beschwerde nicht zum Erfolg verhilft, sondern durch die Gelegenheit zum entsprechenden Vortrag in der Beschwerdeinstanz geheilt wird (vgl. OVG NW, Beschluss vom 2. November 2021 - 1 B 897/21 - juris Rn. 9). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht nicht gegen seine Hinweispflichten verstoßen. Die Antragstellerin leitet einen Verstoß daraus her, dass sie mehrfach eine mündliche Verhandlung angeregt und um einen Hinweis für den Fall gebeten habe, dass die Kammer den Vortrag der Antragstellerin als nicht ausreichend erachten sollte und die Kammer ihr telefonisch mitgeteilt habe, dass alle wesentlichen Umstände vorgetragen worden seien, dann aber in dem Beschluss angenommen habe, die Antragstellerin habe unter verschiedenen Gesichtspunkten nicht glaubhaft gemacht, dass ihr eine Antragsbefugnis nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV zukomme. Diese Annahme des Verwaltungsgerichts beruhte auf einer bestimmten rechtlichen Bewertung der geltend gemachten Umstände, die die Antragstellerin für rechtsfehlerhaft hält und der sie vertiefende Rechtsausführungen in der Beschwerdebegründung entgegenhält (Ziffern II. und III. der Beschwerdebegründung). Das Verwaltungsgericht war nicht verpflichtet, vor seiner Entscheidung Hinweise zu seiner rechtlichen Bewertung zu erteilen. Ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz liegt in einer vermeintlich rechtsfehlerhaften Bewertung der Antragsbefugnis der Antragstellerin sowie des Umstands, dass die Kommission kein förmliches Hauptprüfungsverfahren eingeleitet hat, ebenfalls nicht.
c) Ob insoweit die rechtlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts zutreffen (dagegen Ziffern II. und III. der Beschwerdebegründung) lässt der Senat dahinstehen. Denn die Antragstellerin hat jedenfalls die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass voraussichtlich durch Besteuerung bestimmter virtueller Glücksspiele durch das RennwLottG den terrestrischen Anbietern keine staatliche Beihilfe gewährt wird, durch ihren hierauf bezogenen Beschwerdevortrag (Ziffer IV. der Beschwerdebegründung) nicht substantiell in Frage gestellt. Dass der Gesetzgeber mit der Marktöffnung für virtuelle Automatenspiele und Online-Poker durch den Staatsvertrag die neu zugelassenen Online-Glücksspiele einer Steuer nach Maßgabe des RennwLottG nach dem Spieleinsatz unterwirft, begründet auf der Grundlage der Darlegungen der Antragstellerin weiterhin nicht die Annahme eines Vorteils und einer selektiven Maßnahme im Sinne des Beihilferechts. Dazu im Einzelnen:
Artikel 107 Absatz 1 AEUV definiert staatliche Beihilfen als staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Die Übertragung staatlicher Mittel kann etwa in Form von direkten Zuschüssen, Darlehen, Garantien, Beteiligungen am Kapital von Unternehmen sowie Sachleistungen erfolgen, wobei eine positive Mittelübertragung nicht erforderlich ist; ein Einnahmenverzicht des Staates reicht aus. Der Verzicht auf Mittel, die der Staat andernfalls eingenommen hätte, stellt eine Übertragung staatlicher Mittel dar (Urteil des Gerichtshofs vom 16. Mai 2000, Frankreich/Ladbroke Racing Ltd und Kommission, C-83/98 P, Rn. 48 bis 51). Einnahmenverluste, die aus den von einem Mitgliedstaat gewährten Steuer- und Abgabenbefreiungen oder -ermäßigungen oder aus dem Erlass von Geldbußen oder -strafen resultieren, sind als staatliche Mittel im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV anzusehen (Urteil des Gerichtshofs vom 15. März 1994, Banco Exterior de España, C-387/92, Rn. 14 zu Steuerbefreiungen; ferner Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe, Abl. EU 2016, C 262/1 Rn. 51).
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend vorausgesetzt, dass die fragliche Maßnahme dem Begünstigten einen Vorteil verschaffen muss, durch den seine normalerweise zu tragenden Belastungen vermindert werden. Das kann in Gestalt vollständiger oder teilweiser Ermäßigung des Steuerbetrags geschehen. Dieser Vorteil muss vom Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährt werden, wobei ein Steuereinnahmeverlust der Verwendung staatlicher Mittel in Form von Steuerausgaben gleichsteht. Als staatliche Beihilfe gelten bei Maßnahmen, die einen Steuervorteil verschaffen, solche Maßnahmen, die die von einem Unternehmen regelmäßig zu tragenden Belastungen vermindern und somit, obwohl sie keine Subventionen im strengen Sinn des Wortes darstellen, diesen nach Art und Wirkungen gleichstehen. Dazu ist in einem ersten Schritt das Bezugssystem zu ermitteln, das heißt die im Mitgliedstaat geltende normale Steuerregelung, und in einem zweiten Schritt festzustellen, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme insofern von diesem Bezugssystem abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsunternehmen einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem Referenzsystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Hingegen umfasst der Begriff der staatlichen Beihilfe staatliche Maßnahmen nicht, die zwar eine Differenzierung zwischen Unternehmen vornehmen und damit a priori selektiv sind, bei denen die Differenzierung jedoch aus der Natur der Sache oder dem inneren Aufbau der Regelung folgt, mit der sie in Zusammenhang stehen (vgl. zu alledem Urteil des Gerichtshofs vom 6. Oktober 2021, Prosegur Compañía de Seguridad/Kommission, - C-55/19 P - juris m.w.N; ferner Bekanntmachung der Kommission, a.a.O., Rn. 127 ff.).
Die Antragstellerin vertritt unter Hinweis auf die vorgenannte Rechtsprechung und die Auffassung der Kommission den Standpunkt, dass aufgrund selektiv strukturierter Bemessungsgrundlagen bzw. Steuersätze ein staatlicher Steuereinnahmeverzicht im Hinblick auf die Anbieter terrestrischer Automaten- und Pokerspiele anzunehmen sei. Diese Auffassung überzeugt nicht. Schon der von der Antragstellerin angenommene Vorteil erscheint beihilferechtlich zweifelhaft. Der vorliegende Sachverhalt ist mit der vom Gerichtshof entschiedenen Konstellation einer Steuerbefreiung oder auch unterschiedlicher Bemessungssätze innerhalb eines einheitlichen Referenzsystems nicht vergleichbar, weil keine Steuerbefreiung in Rede steht und auch nicht innerhalb eines einheitlichen Referenzsystems für bestimmte Unternehmen (selektiv) Steuern gemindert oder normale Belastungen verringert werden. Vielmehr bleibt das Bezugssystem für terrestrische Anbieter unverändert. Sie unterliegen weiterhin den landesrechtlichen Steuern sowie der Umsatzsteuer. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation auch von der Konstellation, die dem Beschluss der Kommission vom 20. September 2011 (C 35/10, ex N 302/10, Abl. EU 2012, L 68/3) über die von Dänemark geplante Maßnahme in Form von Steuern auf Online-Glücksspiele nach dem dänischen Glücksspielsteuergesetz zugrunde lag, das virtuelle wie terrestrische Glücksspiele erfasste und insoweit einen einheitlichen Referenzrahmen bildete, aber die Lizenzinhaber für Spiele in herkömmlichen Spielbanken einem höheren Steuersatz unterwarf als die Lizenznehmer für Spiele in einem Online-Kasino.
Der Hinweis der Antragstellerin auf § 36 Satz 3 RennwLottG führt nicht weiter. Der virtuellen Automatensteuer unterliegen danach nicht das terrestrische Automatenspiel sowie im Internet angebotene Nachbildungen des terrestrischen Automatenspiels, die nur an bestimmten, ortsgebundenen Eingabegeräten gespielt werden können. Darin liegt kein Verzicht auf eine Besteuerung oder eine Befreiung nach dem RennwLottG, sondern lediglich eine Klarstellung. Die Antragsgegnerin weist zutreffend darauf hin, dass die terrestrischen Anbieter schon nicht dem Steuertatbestand nach § 36 Satz 1 RennwLottG unterfallen.
Soweit die Antragstellerin das Vorgehen des Gesetzgebers des Änderungsgesetzes zum RennwLottG als selektiv versteht, weil der Bundesgesetzgeber mit einer einheitlichen Besteuerungssystematik gebrochen habe, indem bislang eine Besteuerung bestimmter Glücksspielarten, etwa der Sport- und Rennwetten, nach dem RennwLottG sowohl die Online- als auch die Offlinevertriebswege erfasst habe, während im neuen RennwLottG nur die Online-Vertriebswege der Automatenspiele und des Pokerspiels der Spieleinsatzbesteuerung unterworfen werden, lässt sie unberücksichtigt, dass nur diese Spiele durch den neuen Glücksspielstaatsvertrag erstmals einen Marktzugang auf Basis einer für alle Länder einheitlich erteilten Erlaubnis der Aufsichtsbehörde erhalten können und der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, dass nur bezogen auf diese Anbieter ein (bundesrechtlicher) Regelungsbedarf zur Unterstützung der Ziele des Staatsvertrages entstanden ist (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates, BT-Drs. 19/28400 S. 42). Die Besteuerungssystematik ist insofern unverändert geblieben, als die Glücksspiele, die nicht der Einsatzbesteuerung nach dem RennwLottG unterliegen, der Besteuerung durch die Länder und kumulativ der Umsatzsteuer unterliegen. Das für die Beurteilung des Vorliegens einer Selektivität im Sinne des Beihilfenrechts maßgebliche Bezugssystem setzt sich aus den kohärenten Vorschriften zusammen, die auf der Grundlage objektiver Kriterien generell auf alle Unternehmen Anwendung finden, die definitionsgemäß in seinen Anwendungsbereich fallen. Im Falle von Steuern setzt sich das Bezugssystem aus Elementen wie der Steuerbemessungsgrundlage, den Steuerpflichtigen, dem Steuertatbestand und den Steuersätzen zusammen. Mögliche Bezugssysteme sind beispielsweise das Körperschaftsteuersystem, das Mehrwertsteuersystem oder das allgemeine Versicherungsbesteuerungssystem (vgl. Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe, a.a.O. Rn. 133). Hiervon ausgehend bestand bezogen auf die Besteuerung von Glücksspielen auch vor der Änderung des RennwLottG kein einheitliches Bezugssystem, sondern eine Besteuerung für bundesgesetzlich durch das RennwLottG erfasste Glückspiele und eine Besteuerung nach Maßgabe der landesrechtlichen Steuergesetze ohne Befreiung von der Umsatzsteuer. Daran hat sich mit der Änderung des RennwLottG im Grundsatz nichts geändert; der Gesetzgeber hat lediglich die Glücksspielformen, die durch den neuen Glücksspielstaatsvertrag erstmals legal auf der Grundlage einer für alle Länder einheitlich erteilten Erlaubnis am Markt auftreten dürfen, in die bestehenden Systeme eingeordnet.
Soweit die Antragstellerin geltend macht, die Einordnung sei inkohärent und von lediglich vorgeschobenen Gründen gestützt, überzeugt der Vortrag nicht. Der Gesetzgeber hat sich ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs von bestimmten Charakteristika des virtuellen Automatenspiels und des Online-Pokerspiels leiten lassen. Dazu heißt es in der Entwurfsbegründung des Gesetzes (a.a.O. S. 42):
Die in das Gesetz eingefügten Steuervorschriften für neue Glücksspielarten erfassen nur die nach dem Glücksspielstaatsvertrag neu zugelassenen online verfügbaren Glücksspiele des virtuellen Automatenspiels und Online-Pokers, weil diese ein eigenständiges Glücksspielangebot darstellen, das nun neben den bereits adäquat besteuerten Glücksspielangeboten entsteht. Schon durch die im Glücksspielstaatsvertrag festgelegten ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen unterscheiden sich virtuelles Automatenspiel und Online-Poker von Angeboten im terrestrischen Bereich u. a. in Gaststätten, Spielhallen und Spielbanken, z. B. hinsichtlich der Ausschüttungsquoten oder gewerberechtlicher Bestimmungen. Darüber hinaus unterscheiden sich diese Online-Angebote von terrestrischen Angeboten ihrer Natur nach bereits grundlegend, trotz u. a. einer oberflächlichen Ähnlichkeit in der Optik. Online-Angebote sind regelmäßig günstiger zu betreiben und ermöglichen wirtschaftlich effizientere Kalkulationen, weil u. a. das Vorhalten physischer Geräte oder von Lokalitäten entfällt. Weiterhin bietet die ständige und ortsungebundene Verfügbarkeit von Online-Angeboten, insbesondere durch mobile Endgeräte, für die Spieler ein permanent verfügbares Erlebnis, dem sich terrestrische Angebote durch ihre Ortsgebundenheit entziehen. Hieraus ergibt sich zugleich ein potenziell erheblich größerer Kundenkreis. Aus diesen Gründen sind diese Online-Angebote auch hinsichtlich ihrer Spielsucht erzeugenden Aspekte anders einzustufen, als die terrestrischen Angebote, z. B. in Spielhallen.
Hierdurch unterscheiden sie sich zudem von den bereits vorhandenen, online angebotenen Renn- und Sportwetten sowie Lotterien und Ausspielungen, bei denen die Wett- und Spielangebote online wie terrestrisch weitgehend identisch sind. Diese unterliegen jeweils den gleichen ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen und der wirtschaftliche Aufwand, z. B. bei Annahmestellen, ist auch bei ihrer terrestrischen Form regelmäßig geringer als bei anderen Glücksspielangeboten.
Mit der Besteuerung von virtuellem Automatenspiel und Online-Poker sollen, wie auch bereits im Rahmen der Besteuerung von Renn- und Sportwetten sowie Lotterien und Ausspielungen, Rechtsgeschäfte besteuert werden, die Gewinne aus dem Spieltrieb der Bevölkerung ziehen. Die Besteuerung zielt auf die im Spielverhalten zum Ausdruck kommende besondere finanzielle Leistungsfähigkeit des Spielers ab. Dabei orientieren sich die Steuersätze für die beiden neuen Glücksspielarten an den bestehenden Regelungen für Renn- und Sportwetten.
Diese Erwägungen des Gesetzgebers erscheinen bei summarischer Betrachtung im Rahmen einer gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative hinreichend tragfähig und werden nicht durch die von der Antragstellerin schlagwortartig angeführte nachfrageseitige Substituierbarkeit der jeweiligen Vertriebswege oder eine geltend gemachte Gleichartigkeit der Angebote, wie sie die Kommission noch in der genannten Entscheidung vom 20. September 2011 unter der (hier zu verneinenden) Abweichung von einem allgemeinen Steuersystem angenommen hat (a.a.O. Rn. 89), in Frage gestellt. Es erscheint vielmehr naheliegend, in den virtuellen Automatenspielen und dem Online-Pokerspiel aus Verbrauchersicht nicht lediglich einen anderen Vertriebsweg für dasselbe Produkt zu sehen. Hierzu hat der Gerichtshof bezogen auf das Mehrwertsteuersystem ausgeführt, dass die Frage, ob zwei Arten von Geldspielautomaten gleichartig sind und die gleiche Behandlung hinsichtlich der Mehrwertsteuer erfordern, zu prüfen sei, ob die Benutzung dieser Gerätearten aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers vergleichbar ist und dieselben Bedürfnisse des Verbrauchers befriedigt, wobei insoweit insbesondere Gesichtspunkte wie die Mindest- und Höchsteinsätze und -gewinne und die Gewinnchancen berücksichtigt werden können (Urteil vom 10. November 2011, The Rank Group, - C-259/10 und C-260/10 -, juris Rn. 43 ff.,58). Die gesetzgeberische Begründung zur Änderung des RennwLottG führt verschiedene Gesichtspunkte wie die Verfügbarkeit, den Zugang und die Ausschüttungsquoten an, die aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers greifbare Unterschiede ausmachen. Demgegenüber dürfte die Erwägung, es handele sich lediglich um einen weiteren Vertriebskanal einer ähnlichen Art von Glücksspielaktivitäten, was sich daran zeige, dass die virtuellen Anbieter erhebliche Bemühungen unternähmen, den Online-Spielern durch Simulierung des herkömmlichen Kasinoerlebnisses das Gefühl zu vermitteln, sie spielten in einer herkömmlichen Kasino-Stätte und nicht in virtueller Umgebung, für sich genommen und angesichts der mittlerweile eingetretenen Verfestigung der Verselbständigung der virtuellen Angebote etwas zu kurz greifen.
Unabhängig von den Erwägungen in der Begründung des Gesetzentwurfs hat die Antragsgegnerin in der erstinstanzlich vorgelegten Mitteilung an die Kommission vom 22. Juli 2021 ausgeführt, dass aus ihrer Sicht eine reine Umsatzbesteuerung des Online-Glücksspiels nicht in Betracht gekommen sei, weil dadurch eine Besteuerung in Deutschland nicht sichergestellt werden könne, weil ferner die steuerliche Bemessungsgrundlage bei der Umsatzbesteuerung beim virtuellen Automatenspiel deutlich stärker gestaltbar sei als bei terrestrischen Angeboten, soweit die Ausschüttungsquote der Disposition des Veranstalters unterliege, und weil im Hinblick auf einen deutlich niedrigeren Aufwand der Veranstalter für ein Online-Angebot deutlich höhere Ausschüttungsquoten möglich seien (a.a.O. S. 4 f.). An diesen in dem Mehrwertsteuersystem und damit in der inneren Logik des Systems begründet liegenden Annahmen der Antragsgegnerin gehen die Ausführungen der Antragstellerin, unterschiedliche ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen könnten die gesetzgeberische Entscheidung nicht rechtfertigen, vorbei. Entsprechendes gilt für die diesbezüglichen Erwägungen in dem von der Antragstellerin angeführten Beschluss des Finanzgerichts Münster vom 27. Dezember 2021 - 5 V 2705/21 U - (juris Rn. 27), der im Übrigen nicht die Frage einer unionsrechtswidrigen Beihilfe zugunsten der terrestrischen Anbieter durch die Änderung des RennwLottG behandelt, sondern die Frage, ob der Grundsatz der umsatzsteuerrechtlichen Neutralität zulasten der terrestrischen Anbieter von Geldspielautomaten in Spielhallen durch eine Freistellung der virtuellen Anbieter von Automatenglücksspielen von der Umsatzsteuer verletzt wird, und mit dem wegen diesbezüglicher Zweifel des Gerichts die Vollziehung eines Bescheids über Umsatzsteuervorauszahlungen gegenüber einem Betreiber von Spielhallen mit Geldspielautomaten vorläufig ausgesetzt worden ist. Die von dem Finanzgericht für möglich gehaltenen Verletzung des umsatzsteuerrechtlichen Neutralitätsgebots zulasten der terrestrischen Anbieter stützt den Standpunkt der Antragstellerin, die eine selektive Benachteiligung der virtuellen Anbieter annimmt, eher nicht.
Soweit die Antragstellerin ausführt, die Antragsgegnerin habe die Dezision der geänderten Besteuerungssystematik gesetzt, indem sie die entsprechenden terrestrischen Angebote von der Spieleinsatzsteuer selektiv ausnehme, dies unterfiele nach den drei kasuistischen Szenarien zur regionalen Selektivität dem ersten Szenario in Rn. 144 der Bekanntmachung der Kommission, bleibt der Bezug zu den erstinstanzlichen Beschlussgründen unklar, ebenso wie die behauptete Einschlägigkeit der Ziffer 1 der Randnummer 144 der besagten Bekanntmachung der Kommission, wonach von einer regionalen Selektivität auszugehen ist, wenn die Zentralregierung eines Mitgliedstaats einseitig beschließt, in einem bestimmten geografischen Gebiet niedrigere Steuern anzuwenden. Die Wirkungen der in Frage stehenden gesetzlichen Regelungen, die die Antragstellerin als bundesrechtliche Zuordnung zu der im Regelfall niedrigeren Besteuerung durch die Länder versteht, beschränken sich nicht auf bestimmte Gebiete oder Länder, sondern gelten allgemein in Bezug auf die Gesetzgebungskompetenzen der Länder und sind im Übrigen Ausfluss der geteilten Gesetzgebungskompetenzen in einem föderalen Bundesstaat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, §§ 52 f. GKG und folgt in der Begründung der erstinstanzlichen Festsetzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).