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Entscheidung 4 U 13/21


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Zivilsenat Entscheidungsdatum 15.12.2021
Aktenzeichen 4 U 13/21 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:1215.4U13.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 17.12.2020 – Az. 13 O 259/19 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.750.000,00 €, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Beklagte ist Bauträgerin eines Bauvorhabens in B…-K…. Die Klägerin ist eine von den Erwerbern der durch die Beklagte hergestellten Wohnungen gebildete Wohnungseigentümergemeinschaft, die gegen die Beklagte Ansprüche auf erstmalige mangelfreie Herstellung des Werks geltend macht.

Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2019 reichte die Klägerin beim Landgericht Potsdam eine Klage auf erstmalige mangelfreie Herstellung des von der Beklagten geschuldeten Bauwerks ein, wobei sie als Anschrift der Beklagten deren im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift „Am … … in … T…“ angab.

Mit E-Mail vom 8. Januar 2020 teilte Herr I… H…, der sich gegenüber der … GmbH (im Folgenden: Verwalterin), die ihrerseits zum 1. Januar 2020 die Wohnungseigentumsverwaltung der Klägerin übernommen hatte, als Vertreter der Beklagten vorgestellt hatte, als Kontaktdaten der Beklagten die Anschrift des Steuerbüros J… W… in K… W… sowie weiter mit, dass die Beklagten durch zwei mit Namen und Anschriften benannte Rechtsanwaltskanzleien vertreten werde. Außergerichtlich korrespondierte die …-Verwalterin in der Folgezeit über das Steuerbüro W… mit Herrn H…, der sich den Wohnungseigentümern als Bauleiter der Beklagten vorgestellt hatte.

Mit Schreiben vom 4. Februar 2020 zeigte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegenüber der (neuen) Verwalterin die Vertretung der Beklagten an, wobei er für die Beklagte deren im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift angab.

Mit Verfügung vom 5. Februar 2020 teilte das Landgericht Potsdam dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit, dass die Klageschrift der Beklagten unter deren Geschäftsanschrift in T… nicht habe zugestellt werden können, nach dem postalischen Vermerk sei der Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln. Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2020 gab die Klägerin gegenüber dem Landgericht an, eine andere als die im Handelsregister eingetragene Anschrift sei der Klägerin nicht bekannt, und beantragte gleichzeitig die öffentliche Zustellung der Klageschrift, die durch das Landgericht am 9. März 2020 bewilligt wurde.

Mit Schreiben vom 27. Februar 2020 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an Herrn H… (unter Verwendung der Anschrift c/o Steuerbüro J… W… …) und wies namens der Wohnungseigentümer dessen Ladung vom 13. Februar 2020 zu einem Abnahmetermin mangels Vorlage einer Originalvollmacht zurück, was er damit begründete, „dass in der Vergangenheit häufig nicht klar war, wer den Bauträger rechtsgeschäftlich vertreten darf“.

Ebenso bat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Prozessbevollmächtigten der Beklagten, der mit E-Mail vom 16. März 2020 die Vertretung der Beklagten angezeigt hatte, mit seiner Antwort-E-Mail vom selben Tag um Nachweis der Vollmacht und begründete dies damit, dass „nicht mehr erkennbar ist, wer eigentlich die Gesellschaft vertritt“. Darauf, dass er sowohl den Prozessbevollmächtigten der Beklagten als auch Herrn H… bereits mehrfach zur Vorlage von Originalvollmachten aufgefordert habe, wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ebenso in einem weiteren Schreiben vom 14. April 2020 hin.

Am 29. Juni 2020 hat das Landgericht gegen die Beklagte ein Versäumnisurteil erlassen, welches ebenso wie ein Korrekturbeschluss vom 17. Juli 2020 erneut im Wege der öffentlichen Zustellung zugestellt wurde.

Am 20. Oktober 2020 hat die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und mit Begründungsschriftsatz vom 2. November 2020 gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung hätten weder für die Klageschrift noch für das Versäumnisurteil vorgelegen. Sie hat behauptet, die Beklagte habe schon im April 2019 die zustellungsfähige Adresse „c/o Steuerbüro J… W…, …straße …, … K… W…“ gehabt, was der die Klägerin vertretenden (neuen) Verwalterin auf deren Nachfrage nach einer zustellungsfähigen Anschrift per E-Mail vom 8. Januar 2020 mitgeteilt worden sei. Ferner sei der Hausverwaltung mit Schreiben vom 4. Februar 2020 und dem Klägervertreter mit E-Mail vom 16. März 2016 im Zusammenhang mit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums mitgeteilt worden, dass der jetzige Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der auch bereits in den Vorjahren, zuletzt in Gesprächen mit dem Beiratsvorsitzenden der Klägerin im November 2019 u.a. über einen Verjährungsverzicht der Beklagten in Bezug auf Ansprüche auf Fertigstellung der Eigentumswohnungen, im Namen der Beklagten aufgetreten sei, deren rechtliche Interessen vertrete. Sie hat gemeint, der Klägervertreter hätte sich daher an die benannten Vertreter der Beklagten wenden müssen, um Auskünfte zu einer Zustelladresse zu erlangen. Außerdem hätte an den rechtsgeschäftlichen Vertreter der Beklagten, Herrn I… H…, zugestellt werden können.

Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten mit Urteil vom 17. Dezember 2020 gemäß § 341 ZPO verworfen, da er nicht innerhalb der am 21. September 2020 abgelaufenen Einspruchsfrist von einem Monat eingelegt worden sei. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren.Eine Zustellung an der inländischen Geschäftsanschrift der Beklagten sei nicht erfolgreich gewesen. Eine andere für Zustellungen empfangsberechtigte Person sei im Handelsregister für die Beklagte nicht eingetragen gewesen. Eine Zustellung habe weder an das Steuerbüro W… noch an die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten erfolgen müssen. Die Mitteilung der Adresse des Steuerbüros W… an die Hausverwaltung … GmbH in einer E-Mail vom 8. Januar 2020 enthalte keinerlei Hinweis darauf, dass das Steuerbüro für die Beklagte zustellungsbevollmächtigt sei. Auch an die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei nicht im Hinblick auf die E-Mail vom 16. März 2020 zuzustellen gewesen, da eine von der Klägerin am selben Tag angeforderte Vollmacht nicht vorgelegt worden sei. Inwieweit Herr H… zustellungsbevollmächtigt gewesen sei, erschließe sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts hat die Beklagte am 21. Januar 2021 Berufung eingelegt, mit der sie das Ziel der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht, hilfsweise die Abänderung des Urteils und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, erreichen möchte. Sie macht geltend, sie habe erst im Rahmen eines Schriftsatzes in einem anderen Verfahren am 19. Oktober 2020 Kenntnis von dem Versäumnisurteil erhalten. Die Zustellung an die Beklagte sei für die Klägerin möglich gewesen, denn diese habe Kenntnis von einer inländischen Anschrift der Beklagten „c/o Steuerbüro J… W…“ gehabt. Die Klägerin sei, ohne weitere Ermittlungen anstellen zu müssen, in der Lage gewesen, dem Gericht diese Adresse mitzuteilen. Die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils sei unter schweren Verfahrensfehlern erfolgt, weil die Zustellung ohne einen Antrag der Klägerin auf Durchführung der öffentlichen Zustellung erfolgt sei sowie ohne einen vorherigen Versuch der Zustellung an die im Handelsregister eingetragene Adresse. Im Übrigen habe – wie sich erst im Verlauf des Berufungsverfahrens herausgestellt habe - die Beklagte bereits im März 2019 mit Wirkung zum 1. April 2019 bei der Deutschen Post den als Anlage BK 4 vorgelegten Nachsendeauftrag an die neue Anschrift c/o Steuerbüro J… W… gestellt gehabt; seit Ende des Jahres 2019 sei beim Steuerbüro W… auch ein Briefkasten mit entsprechender Bezeichnung angebracht worden. Dass die Beklagte entgegen den handelsrechtlichen Vorschriften versäumt habe, die im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift zu ändern, beruhe darauf, dass es nach dem Umzug des Büros der Beklagten zu Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern gekommen sei und deshalb Beschlüsse zur Sitzverlegung und Geschäftsadresse nicht wirksam hätten gefasst werden können. Der Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, sie habe die Zustellung der Klage und damit auch das Versäumnisurteil treuwidrig verhindern wollen. Mit der gegebenen Begründung hätte das Landgericht der Beklagten jedenfalls eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ablehnen dürfen. Dem Landgericht sei bekannt gewesen, dass die Beklagte nicht habe wissen können, aus welchen Gründen bereits die Klageschrift öffentlich zugestellt worden sei. Dies hätte die Beklagte nur durch die beantragte Akteneinsicht in Erfahrung bringen können, die ihr jedoch erst am 6. Januar 2021 gewährt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Potsdam, Az. 13 O 259/19, verkündet am 17. Dezember 2020, zugestellt am 21. Dezember 2020, aufzuheben und festzustellen, dass der Einspruch der Beklagten rechtzeitig erfolgt ist sowie die Sache zur weiteren Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen,

hilfsweise

das Urteil des Landgerichts Potsdam, Az. 13 O 259/19 verkündet am 17. Dezember 2020, zugestellt am 21. Dezember 2020, abzuändern und der Beklagten wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages und tritt dem weitergehenden Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig; in der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.

Das Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 29. Juni 2020 wegen Versäumung der Einspruchsfrist verworfen.

1. Zwar ist der Beklagten – wie der Senat bereits mit Beschluss vom 16. März 2021 ausgeführt hat – das Versäumnisurteil vom 29. Juni 2020 nicht wirksam im Wege der öffentlichen Zustellung gemäß § 185 ZPO zugestellt worden, sodass die öffentliche Zustellung den Lauf der Einspruchsfrist nach § 339 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht in Gang setzen konnte. Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete Zustellung löst die Zustellungsfiktion des § 188 ZPO nicht aus und setzt keine Frist in Lauf (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2018 - I ZR 20/18 – juris, Rn.11).

Entgegen der Auffassung der Beklagten war allerdings kein Antrag der Klägerin auf öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils erforderlich. Am 1. Juli 2002 ist das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206) in Kraft getreten. Nach §§ 166 Abs. 2, 186 ZPO bedarf es für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung keines Antrags (mehr), wenn die Zustellung von Amts wegen zu erfolgen hat (Münchener Komm. ZPO-Häublein/Müller, 6. Aufl. § 186 Rdn. 4), wie dies bei einem Versäumnisurteil der Fall ist, § 310 Abs. 3 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine wirksame öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils lagen jedoch insoweit nicht vor, als (auch) für dieses zunächst ein Zustellungsversuch an der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsadresse in T… hätte erfolgen müssen. Eine öffentliche Zustellung nach § 185 Nr. 2 ZPO konnte erst erfolgen, wenn sich eine Zustellung an diese im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift als nicht möglich erwies. Einen Zustellversuch an die Geschäftsanschrift im Handelsregister hat das Landgericht vor der Anordnung der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils mit Beschluss vom 29. Juni 2020 jedoch nicht veranlasst. Dies war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil bereits die Klageschrift unter dieser Adresse nicht hatte zugestellt werden können.

Die Vorschriften über die Zustellung dienen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs (BVerfG, NJW-RR 2010, 421, 422). An die Feststellung der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung sind wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung für die Gewährung rechtlichen Gehörs sowie der Intensität eines Eingriffs in dieses grundrechtsgleiche Recht durch eine öffentliche Zustellung hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2018 - I ZR 20/18 - juris Rn. 16; Urteil vom 4. Juli 2012 - XII ZR 94/10 - Rn. 17, Beschluss vom 17. Januar 2017 - VIII ZR 209/16, juris Rn. 4 jeweils mwN). Die Zustellfiktion der öffentlichen Bekanntmachung ist deshalb verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist (vgl. BVerfG, NJW 1988, 236).

Mit Blick auf die Verfahrensgarantie des Art. 103 Abs. 1 GG hätte das Landgericht im vorliegenden Fall vor der Anordnung der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils nicht auf einen erneuten Zustellversuch unter der im Handelsregister eingetragenen Adresse in T… verzichten dürfen. Die Anordnung der öffentlichen Zustellung nach § 185 ZPO erfolgt nicht für das gesamte Verfahren, sondern für ein konkretes zuzustellendes Schriftstück. Die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung mussten damit nicht nur vor der Zustellung der Klageschrift, sondern auch vor Zustellung des Versäumnisurteils geprüft werden. Von einem erneuten Zustellversuch konnte auch nicht deswegen abgesehen werden, weil die Klageschrift ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 1. Februar 2020 unter dieser Anschrift nicht hatte zugestellt werden können. Zwar lagen – worauf die Klägerin zutreffend hinweist - zwischen der fehlgeschlagenen Zustellung der Klage und der Bewilligung der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils am 29. Juni 2020 lediglich rund fünf Monate und damit ein Zeitraum, für den der BGH in der Entscheidung vom 31. Oktober 2018 (I ZR 20/18, juris Rn. 18) die Möglichkeit eines Rückgriffs auf vorherige Erkenntnisse ausdrücklich offen gelassen hat. Da dem Landgericht jedoch, soweit ersichtlich, außer dem postalischen Vermerk „Adressat unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ keinerlei Erkenntnisse betreffend die Beklagten vorlagen, war auch innerhalb dieses Zeitraums ex ante nicht auszuschließen, dass die Beklagte hätte dafür gesorgt haben können, dass ihr unter der im Handelsregister eingetragenen Adresse (wieder) zugestellt werden konnte; zudem bestand die Möglichkeit, dass der erste Zustellversuch unsorgfältig ausgeführt worden war. Darauf, dass – anders als in dem der Entscheidung des BGH vom 31. Oktober 2018 zugrunde liegenden Fall - ex post betrachtet eine Zustellung an die Beklagte unter der im Handelsregister eingetragenen Anschrift auch im Juni/Juli 2020 nicht erfolgreich gewesen wäre, kommt es nicht an.

2. Die Beklagte kann sich auf den danach vorliegenden Zustellungsmangel jedoch gemäß § 242 BGB nicht berufen.

Auch in einem Fall, in dem eine öffentliche Zustellung unwirksam ist, kann es dem dadurch Begünstigten gemäß § 242 BGB verwehrt sein, die Unwirksamkeit der Zustellung im Prozess geltend zu machen. Als rechtsmissbräuchlich hat der BGH das Berufen auf eine unwirksamen öffentlichen Zustellung an eine natürliche Person erachtet, wenn der Zustellungsempfänger zielgerichtet versucht hat, eine Zustellung, mit der er sicher rechnen musste, zu verhindern (BGH, Beschluss vom 28. April 2008 – II ZR 61/07).

Dies zugrunde gelegt, stellt sich das Berufen der Beklagten auf die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils als rechtsmissbräuchlich dar.

a) Die Beklagte musste nach ihrem eigenen Vortrag, wonach ihr nunmehriger Prozessbevollmächtigter im Jahr 2019 mit dem Beiratsvorsitzenden der Klägerin über einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung gegen die mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Ansprüche auf Fertigstellung der Eigentumswohnanlage gesprochen und die Beklagte diesen abgelehnt hatte, mit der Einreichung der entsprechenden Klage bis zum 31. Dezember 2019 rechnen. Gleichzeitig musste der Beklagten klar sein, dass die Klägerin dabei die im Handelsregister eingetragene, tatsächlich jedoch nicht mehr zustellungsfähige, Anschrift angeben würde. Die Beklagte hat gleichwohl – unstreitig - weder ihrer handelsrechtlichen Verpflichtung aus § 31 HGB zur Anmeldung einer Änderung ihrer Geschäftsanschrift genügt, noch hatte sie, obwohl ausweislich des ebenfalls von ihr selbst vorgelegten Nachsendeauftrages an die Deutsche Post AG vom 27. März 2019 ihre im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift bereits seit dem 1. April 2019 nicht mehr bestand, der Klägerin oder den für diese handelnden Personen – sei es dem Beiratsvorsitzenden der Klägerin oder der bis zum 31. Dezember 2019 von der Klägerin beauftragten Verwalterin - eine neue zustellungsfähige Anschrift mitgeteilt. Die Beklagte hat damit durch ihr Verhalten zumindest provoziert, dass eine Zustellung der zu erwartenden Klage nicht erfolgreich erfolgen konnte.

b) Daran hat sich auch nichts dadurch geändert, dass der der Klägerin als Bauleiter der Beklagten bekannte Zeuge H… der nunmehrigen Verwalterin der Klägerin mit E-Mail vom 8. Januar 2020 (B 3; Bl. 176 d.A.) als Kontaktdaten der Beklagten zum einen das Steuerbüro Jens W… mit Anschrift und Telefonnummern und zum anderen mitgeteilt hat, dass die Beklagte durch zwei ebenfalls mit Namen und Anschriften bekannt gegebene Rechtsanwaltskanzleien, darunter diejenige der nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten, vertreten werde. Selbst wenn man den – durch eidesstattliche Versicherung des Zeugen H… vom 2. November 2020 (B 4; Bl. 177 d.A.) untersetzten und unter Beweis gestellten - Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt, wonach die Verwalterin zuvor ausdrücklich um die „zustellungsfähige“ Anschrift der Beklagten gebeten habe, so waren die der Klägerin mit der E-Mail vom 8. Januar 2020 übermittelten Kontaktdaten für den Zweck der Zustellung der vorliegenden Klage nicht geeignet.

aa) Die Angabe der Anschrift des Steuerbüros J…- W… – mag sie auch anschließend als c/o-Adresse von der Verwalterin, etwa mit deren Schreiben vom 17. Januar 2020 (Bl. 405 d.A.), und von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der außergerichtlichen Korrespondenz mit dem Zeugen H… erfolgreich genutzt worden sein – ermöglichte der Klägerin nicht, die Anforderungen an die Angabe einer zustellungsfähigen Anschrift im Rahmen eines Zivilprozesses zu erfüllen. Ein Kläger hat in der Klageschrift eine ladungsfähige Anschrift des Beklagten anzugeben, bei der die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass dort eine ordnungsgemäße Zustellung vorgenommen werden kann. Diese Angabe muss daher darauf gerichtet sein, eine Übergabe der Klageschrift an den Zustellungsempfänger selbst zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 28. Juni 2018 – I ZR 257/16 -, Rn. 13 - 15, juris). Danach genügt bei juristischen Personen des Privatrechts als ladungsfähige Anschrift die Angabe der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift, sofern dort gemäß § 170 Abs. 2 ZPO Zustellungen an den Leiter, also bei juristischen Personen an deren Organ als gesetzlichen Vertreter (vgl. Saenger/Siebert, ZPO, 7. Aufl., § 170 Rn. 5), oder den rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter im Sinne von § 171 ZPO bewirkt werden können (BGH, Urteil vom 28. Juni 2018 – I ZR 257/16 –, Rn. 18, juris). Eine c/o-Adresse genügt diesen Anforderungen deshalb bei einer juristischen Person auf Beklagtenseite grundsätzlich ebensowenig wie dies – wenn auch aus anderen Gründen – bei einer natürlichen Person der Fall ist (vgl. dazu nur OLG Frankfurt, Urteil vom 15. Mai 2014 – 16 U 4/14 – juris Rn. 15). Daran ändert es auch nichts, wenn – wie die Beklagte behauptet – beim Steuerbüro W… Ende 2019 ein Briefkasten mit entsprechender Bezeichnung der Gesellschaft angebracht worden sein soll; eine wirksame Ersatzzustellung gemäß § 180 ZPO wird allein dadurch nicht ermöglicht. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein c/o-Zusatz im Handelsregister eintragungsfähig ist, hängt doch dessen Eintragungsfähigkeit ihrerseits davon ab, dass davon auszugehen ist, dass dieser Zusatz zu einer Geschäftsanschrift einer GmbH, für die unter der Anschrift keinen Geschäftsraum und keine Wohnung ihres gesetzlichen Vertreters besteht, der besseren Auffindbarkeit der zur Annahme einer Zustellung befugten Person dient und nicht der Verschleierung der Zustellmöglichkeiten oder dem Vortäuschen einer solchen Möglichkeit (vgl. dazu nur: OLG Hamm, Beschluss vom 13. Januar 2016 – I-27 W 2/16, juris Rn. 3 m.w.N.). Eine derartige Eintragung in das Handelsregister, die dann den Schluss zugelassen hätte, dass unter der c/o-Anschrift eine zur Annahme einer Zustellung befugte Person erreichbar sein würde, hatte die Beklagte jedoch gerade nicht veranlasst. Dies wiederum kann die Beklagte – zur Meidung des Vorwurfs des Rechtsmissbrauchs - nicht allein damit erklären, dass infolge von Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern Beschlüsse zu einer Sitzverlegung und zur Änderung der Geschäftsadresse nicht wirksam hätten gefasst werden können, ihrem in I… lebenden Geschäftsführer, der der deutschen Sprache nicht mächtig und mit dem deutschen GmbH-Recht nicht vertraut sei, seine Befugnis zur Mitteilung der geänderten Geschäftsadresse nicht bekannt gewesen sei und er zudem infolge der pandemiebedingten Reisebeschränkungen im Jahr 2020 eine Änderung der Geschäftsadresse nicht habe veranlassen können. Von den Organen einer in Deutschland werbend tätigen juristischen Person kann vielmehr erwartet werden, dass sie derartige Schwierigkeiten zu überwinden in der Lage ist.

bb) Die Angabe der Anschriften zweier die Beklagte vertretender Rechtsanwaltskanzleien in der E-Mail vom 8. Januar 2020 war für die Klägerin ebenso unbehelflich. In welchen Angelegenheiten welche dieser Kanzleien für die Beklagte bevollmächtigt war, ergab sich daraus nicht.

b) Daran, dass die Beklagte die Klägerin zumindest darüber im Unklaren gelassen hat, unter welcher Anschrift und/oder an welche Person eine Zustellung wirksam hätte erfolgen können, hat sich auch in der Folgezeit nichts geändert.

Zwar zeigte der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegenüber der Verwaltung der Klägerin unter Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung mit Schreiben vom 4. Februar 2020 (Bl. 178 d.A.) in Zusammenhang mit der Vorbereitung der Abnahme des Gemeinschaftseigentums die Vertretung der Beklagten an, gab in diesem Schreiben jedoch ebenso wie in Klageschriften vom 20. Februar 2020 gegen einzelne Wohnungseigentümer (Bl. 193 d.A.) für die Beklagte deren im Handelsregister aufgeführte Geschäftsadresse in T… an.

Hinzu kommt, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sowohl gegenüber dem Zeugen H… – mit Schreiben vom 27. Februar 2020 (Bl. 406 d.A.) - als auch gegenüber dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten - mit E-Mail vom 16. März 2020 (Bl. 181 d.A.) und Schreiben vom 14. April 2020 (Bl. 203 d.A.) - mehrfach deren Bevollmächtigung in Zweifel zog und dies jeweils begründete sowie die Vorlage von Originalvollmachten verlangte, ohne dass diesem Anliegen – mag dies insbesondere auf Seiten des Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch in Unkenntnis der von der Klägerin erhobenen Klage geschehen sein - entsprochen worden wäre.

c) Der Senat verkennt nicht, dass die unter a) und b) beschriebenen Verhaltensweisen der Beklagten, jeweils einzeln betrachtet, nicht zwingend darauf schießen lassen, dass die Beklagte damit bewusst und zielgerichtet die Zustellung der Klage verhindern wollte. In der Gesamtschau hatte das Verhalten der Beklagten jedoch die Wirkung, dass sie bzw. für sie verlässlich handlungs- und vertretungsbefugte Entscheidungsträger, die insbesondere auch eine hinreichende Gewähr für eine Empfangsbefugnis für Zustellungen in einem gerichtlichen Verfahren geboten hätten, für die Klägerin nicht greifbar waren. Im Ergebnis steht deshalb das Verhalten der Beklagten einem zielgerichteten Untertauchen einer Gesellschaft gleich. Gerade ein solches Verhalten zu verhindern, ist jedoch Zweck der mit der Regelung des § 185 Nr. 2 ZPO geschaffenen Erleichterung der öffentlichen Zustellung an juristische Personen, die – wie die Beklagte als GmbH - zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift im Handelsregister verpflichtet sind. Insbesondere soll es Gläubigern – wie hier der Klägerin – nicht zugemutet werden, langwierige Recherchen nach etwaigen Vertretern oder deren Aufenthalt anzustellen (BT-Drucks. 16/6140 S. 53).

d) Die Beklagte kann der Annahme der Rechtsmissbräuchlichkeit ihres Berufens auf die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Klägerin habe sich ihrerseits treuwidrig verhalten.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hatte die Klägerin zum Zeitpunkt der Klageerhebung allein aufgrund der im Jahr 2019 geführten Gespräche zwischen dem Beiratsvorsitzenden der Klägerin und dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten keinen hinreichenden Anlass, diesen zum Zwecke einer Zustellung gemäß § 171 ZPO in der Klageschrift als voraussichtlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu benennen, konnte sie doch davon ausgehen, dass eine Zustellung an die Beklagte an deren im Handelsregister eingetragener Anschrift erfolgreich sein und die Beklagte erst dann entscheiden werde, durch wen sie sich im gerichtlichen Verfahren mit der WEG vertreten ließ.

Daran hat sich – aus den bereits ausgeführten Gründen - auch weder durch die E-Mail des Zeugen H… vom 8. Januar 2020 noch durch die erneute außergerichtliche Bestellung des nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gegenüber der neuen Verwalterin der Klägerin vom 4. Februar 2020 etwas geändert. Insbesondere kann der Klägerin auch vor dem Hintergrund dieser Mitteilungen nicht als treuwidrig zur Last gelegt werden, dass sie auf die Mitteilung des Landgerichts vom 5. Februar 2020 mit Schriftsatz vom 14. Februar 2020 erklärt hat, eine andere als die im Handelsregister eingetragene Anschrift der Beklagten sei ihr – selbst nach einer Recherche im Internet - nicht bekannt. Die in der E-Mail vom 8. Januar 2020 mitgeteilte c/o-Anschrift der Beklagten war – wie bereits ausgeführt – für die Zwecke der Zustellung durch das Gericht nicht geeignet und die erste Kontaktaufnahme der Verwalterin der Klägerin unter der c/o-Anschrift mit Schreiben vom 17. Januar 2020 im Übrigen nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin ohne Reaktion geblieben. Das Schreiben des nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 4. Februar 2020 musste bei der Klägerin jedenfalls deshalb Zweifel an dessen Bevollmächtigung zum Empfang der Klage wecken, weil die Angabe der im Handelsregister angegebenen Anschrift der Beklagten gerade im Widerspruch zu der Mitteilung des Gerichts stand.

Schließlich war die Klägerin auch in der Folgezeit bis zur öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils nicht gehalten, dem Gericht eine andere Anschrift der Beklagten oder eine zur Zustellung bereite Person zu benennen, da ihr – wie ausgeführt – insbesondere wegen trotz mehrfacher Bitten nicht erfolgter Vorlage von vom Geschäftsführer der Beklagten unterzeichneten Vollmachten für den Zeugen H… oder den nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch nach dem 14. Februar 2020 keine andere Anschrift der Beklagten in einer Weise bekannt im Sinne des § 185 Nr. 2 ZPO geworden war, dass sie annehmen musste, dort werde eine Zustellung möglich sein.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung aufweist und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO).

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.750.000 € festgesetzt.