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Entscheidung VG 9 K 861/18.A


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 9. Kammer Entscheidungsdatum 17.11.2021
Aktenzeichen VG 9 K 861/18.A ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2021:1117.9K861.18.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin, nach eigenem Bekunden kenianische Staatsangehörige und christlicher Religionszugehörigkeit, eigenen Angaben den Kisii zugehörig, reiste mittels eines durch Italien erteilten Schengenvisums nach ihren Angaben über den Landweg aus Italien am 10. März 2018 in die Bundesrepublik ein und stellte am 16. März 2018 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.

In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 20. März 2018 gab die Klägerin an, ihre Eltern, ihre zwei Kinder, ihr Bruder, drei Schwestern und ihre Großfamilie würden noch in Kenia leben. Zu diesen habe sie derzeit keinen Kontakt. In Kenia habe der Kontakt noch bestanden. Ihr Kinder seinen zehn und acht Jahre alt und würden bei ihren Eltern leben. Ihre Schwestern seien nicht beschnitten. Wo ihre Schwestern jetzt in Kenia leben würden, wisse sie nicht.

Sie habe das Abitur abgelegt und ein Jahr das Collage für Hotelmanagement besucht, dieses aber nicht abgeschlossen, da sie schwanger geworden sei. Sie habe bis zwei Monate vor ihrer Ausreise in einem Friseursalon gearbeitet. Ihren Lebensunterhalt habe sie aus der Friseurtätigkeit finanziert. Sie habe mit ihren Eltern zusammengelebt und von diesen gelegentlich auch finanzielle Unterstützung erhalten. Ihre wirtschaftliche Lage sei durchschnittlich gewesen. Sie habe 2017 einmal eine politische Kampagne vor den Wahlen unterstützt.

Zum Hintergrund ihrer Ausreise im Jahr 2017 gab die Klägerin im Wesentlichen an, sie habe Kenia verlassen, weil in ihrem Dorf in Kisii FGM praktiziert werde. Die Leute vor Ort würden die Mädchen zwingen, das durchführen zu lassen. Normalerweise würden sie sich verstecken, wenn die Leute kämen, die diese Prozedur durchführen. Wenn diese Leute weg seien kämen die Mädchen zurück ins Dorf. Ihre Eltern hätten den Tanten verschwiegen, dass die Klägerin nicht beschnitten sei. Dann hätten die Tanten dies ermittelt. Einige ihrer Tanten hätten das ganze Jahr 2017 gewollt, dass sie sich beschneiden lasse. Ihre Eltern hätten das nicht gewollt. Die Tanten hätten mit ihren Eltern diskutiert. Zu Beginn des Jahres 2017 sei versucht worden, sie zu beschneiden. Es sei Besuch gekommen. Nach und nach habe man ihr gesagt, dass sie an dem Tag beschnitten werden solle. Ihre Eltern hätten dann die Polizei gerufen. Die habe gesagt, das die Dorfgemeinschaft entscheiden könne, was mit ihr passiere. Die Dorfgemeinschaft habe entschieden, dass die Beschneidung obligatorisch sei. Mit ihren Eltern habe sie besprochen, dass sie nachts aus dem Dorf fliehen solle. Ihre Eltern hätten ihr Geld gegeben, damit sie nach Nairobi gehen könne. Ihr Dorf habe sie im März 2017 verlassen. In Nairobi habe sie sich einer Tanzgruppe angeschlossen und sich engagiert, die Ausreise zu organisieren. Sie habe bei Freunden gelebt. In Nairobi habe sie unbehelligt leben können

2016 sei sie schon einmal wegen der drohenden Beschneidung aus Kenia ausgereist. Sie sei nach Kenia zurückgekehrt, weil sie geglaubt habe, ihre Dorfgemeinschaft habe ihre Meinung geändert. Sie habe gehofft, dass sie akzeptieren, dass FGM verboten sei.

Die Klägerin erklärt nicht nach Kenia zurück zu können, da sie nicht zurück in ihr Dorf gehen könne, wo ihre Familie lebe. Ansonsten wüsste sie nicht, was sie in Kenia anfangen solle.

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 27. März 2018, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Asylanerkennung und die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen. Ferner forderte es die Klägerin unter Androhung der Abschiebung nach Kenia auf, das Bundesgebiet binnen 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, dass die Klägerin keine begründete Furcht vor einer Beschneidung schlüssig dargelegt habe. Das Vorbringen sei derart unkonkret und oberflächlich, dass nicht davon auszugehen sei, dass sie die geschilderten Ereignisse selbst erlebt habe. Wann sich was, wie und wann genau abgespielt haben soll, vermöge die Klägerin nicht anschaulich zu erläutern. Widersprüchlich sei auch, dass die Klägerin angebe, dass sie Kenia aus demselben Grund bereits im Jahr 2016 verlassen habe und für einen Monat in Italien gewesen sei, um dann wieder nach Kenia zurückzukehren. Außerdem könne die Klägerin in Kenia staatlichen Schutz und den Schutz nichtstaatlicher Organisationen in Anspruch nehmen und ihr würden inländische Fluchtalternativen zur Verfügung stehen.

Die Klägerin hat am 3. April 2018 Klage erhoben, mit dem sie ihr Begehren weiter- verfolgt und verweist auf ihren Vortrag im Asylverfahren. Sie meint, der Bescheid sei in Ziffer sechs fehlerhaft, da sich § 11 Aufenthaltsgesetz geändert habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 27. März 2018 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und sie als Asylberechtigte anzuerkennen,

hilfsweise,

ihr den subsidiären Schutz zuzuerkennen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt der Klage unter Verweis auf den angefochtenen Bescheid entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Bundesamtsakte (Gz. 7447457-243) und die Ausländerakte der Klägerin.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 10. August 2021 durch die Einzelrichterin (§ 76 Abs. 1 AsylG).

Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandeln und entscheiden, denn diese ist rechtzeitig geladen und in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die Klage zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des
Bundesamtes vom 27. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deswegen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Diese hat weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf Zuerkennung von Asyl und subsidiären Schutz nach § 4 AsylG. Zudem liegen in ihrer Person keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vor.

1. Eine Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin nach eigenen Angaben auf dem Landweg aus einem Mitgliedstaat der europäischen Gemeinschaft in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Abs. 1 der Vorschrift ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist, § 3a Abs. 1 AsylG. Zwischen den nach § 3a AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen und den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG ausgehen vom Staat, Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung im Sinne des § 3d zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn interner Schutz besteht. Entscheidend ist insoweit, ob an dem verfolgungssicheren Ort das Existenzminimum des Asylsuchenden gewährleistet ist. Im Falle fehlender Existenzgrundlage ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben; dies gilt auch dann, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 – 10 C 11.07 –, juris Rn. 32, unter Berufung auf die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 16/5065, S. 185).

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen. Gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9) ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. zu diesen Maßstäben zuletzt BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 – juris, Rn. 20 ff.; vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, dort Rn. 19 f., 32 m. w. N.).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt voraus, dass das Gericht von der Wahrheit – und nicht nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen hat. Insbesondere hinsichtlich der den Schutzanspruch begründenden Vorgänge im Verfolgerland darf das Gericht dabei aber wegen der sachtypischen Beweisnot keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind. Wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, dient dabei in erster Linie das Vorbringen des Asylsuchenden dem Gericht als Grundlage dafür, sich von der Wahrheit des von ihm behaupteten Verfolgungsschicksals zu überzeugen. Zu einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kann deswegen allein schon der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden führen, sofern dieser unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles glaubhaft ist. Voraussetzung ist insoweit, dass der Betreffende unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildert, der geeignet ist, den von ihm geltend gemachten Anspruch zu tragen; bei erheblichen Widersprüchen kann ihm nur geglaubt werden, wenn er diese überzeugend auflöst (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, juris Rn. 15 sowie vom 12. November 1985 - 9 C 27.85 -, juris Rn. 16).

Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt, hat die Klägerin keine begründete Furcht vor einer Beschneidung schlüssig dargelegt. Das Gericht teilt die Ansicht der Beklagten, dass das Vorbringen so unkonkret und oberflächlich ist, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie die geschilderten Ereignisse selbst erlebt hat. Wann sich was, wie und wann genau abgespielt hat vermochte die Klägerin nicht glaubhaftzumachen. Zutreffend führt die Beklagte auch aus, dass es widersprüchlich ist, dass die Klägerin angibt, dass sie Kenia aus demselben Grund bereits im Jahr 2016 verlassen hat, um dann wieder nach Kenia zurückzukehren. Außerdem stehen der Klägerin in Kenia inländische Fluchtalternativen zur Verfügung. Das Gericht folgt den überzeigenden Ausführungen der Beklagten im Bescheid und macht sie sich gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zu Eigen.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach Satz 2 der Vorschrift die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes (Nr. 3). Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Die für den Flüchtlingsschutz geltenden unionsrechtlichen Vorgaben einschließlich des Prognosemaßstabes sind auf den subsidiären Schutz ebenfalls anzuwenden, d.h. es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 18, 22 m. w. N.).

Die Beklagte führt zutreffend aus, dass die Klägerin weder von Seiten des kenianischen Staates, noch durch nichtstaatliche Dritte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Todesstrafe, Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung befürchten muss, da der kenianische Staat Schutz vor Übergriffen nichtstaatlicher Akteure gewährleitet. Auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG ist nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 1. und auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid verwiesen, die sich das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG zu eigen macht.

3. Die Klägerin hat auch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz1 AufenthG.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) insbesondere dann mit Art. 3 EMRK unvereinbar, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung der ernsthaften Gefahr („real risk“) der Todesstrafe, der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wäre. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass in Fällen, in denen gleichzeitig über die Gewährung von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz zu entscheiden ist, bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf eine durch einen konkret handelnden Täter drohende Verletzung des Art. 3 EMRK ausscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, a. a. O. Rn. 36). Allgemeine Gefahren wie schlechte humanitäre Bedingungen im Zielstaat führen im Hinblick darauf, dass die Konvention hauptsächlich dem Schutz bürgerlicher und politischer Rechte dient, nur in besonderen Ausnahmefällen zur Unvereinbarkeit der Abschiebung mit Art. 3 EMRK. Für einen solchen Ausnahmefall ist bei der Klägerin unter Berücksichtigung der aus den vorliegenden Erkenntnissen ersichtlichen ökonomischen Lage nichts ersichtlich.

Für einen solchen Ausnahmefall ist bei der Klägerin nichts ersichtlich. Das gilt sowohl unter Berücksichtigung der derzeitigen Covid-19-Pandemie als auch angesichts der ökonomischen Situation in Kenia im Allgemeinen und speziell der individuellen Umstände der Klägerin.

Kenia ist wie die meisten anderen afrikanischen Staaten an der COVAX-Initiative der WHO beteiligt; mit Stand 10. November 2021 sind 5.813.553 Impfdosen verabreicht worden (Dashboard der WHO). Derzeit sind weniger als 10 % der kenianischen Bevölkerung vollständig geimpft, viele sind auch nur einmal geimpft. Neben den bisher erfolgten Lieferungen des Impfstoffs von AstrasZeneca (1 Millionen Dosen Anfang März) bekam Kenia Anfang September erste Lieferungen des Impfstoffs von Johnson & Johnson (141.600 Dosen) und Pfizer/Biontech (795.600 Dosen). Weitere Lieferungen, z.B. von Moderna sind angekündigt. Insgesamt erhielt Kenia bislang 4,2 Millionen Impfdosen. Die Regierung hofft, bis Jahresende 10 Millionen Menschen impfen zu können, bis Ende 2022 26 Millionen Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 54 Millionen. Die Zahl der Coronainfektionen sinkt im Oktober weiter auf ein Minimum. (GTAI, Carsten Ehlers, 28. Oktober 2021, Tourismus und Gastronomie profitieren vom Ende der Ausgangssperre, abgerufen unter www.gtai.de.). Das Dashboard der WHO (zuletzt aufgerufen am 12. November 2021) verzeichnete 254.057 bestätigte Covid-19 Erkrankungen und 5.314 Tote. Die sieben Tage Inzidenz liegt bei 472,48 pro 100.000 Einwohner. Kenia ist nach den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amts von Covid 19 weiterhin betroffen. Kenia ist seit Ende Oktober kein Hochrisikogebiet mehr. Regionale Covid 19 Schwerpunkte sind Nairobi mit den benachbarten Counties Machakos, Kiambu, Nakuru, Kajiado sowie Mombasa und Kisumu. Westkenia verzeichnet derzeit ein erhöhtes Infektionsgeschehen (Deltavariante), Kenia: Reise- und Sicherheitshinweise -COVID-19-bedingte Reisewarnung-, abgerufen unter https://www.auswaertiges-amt.de, Stand: 12. November 2021.

Auch die aus den vorliegenden Erkenntnissen ersichtliche ökonomische Lage gibt weder generell noch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Klägerin Anlass für die Annahme eines Ausnahmefalls mit besonders hohem Gefährdungsniveau.

Kenia konnte als regional stärkste Wirtschaftsnation in Ostafrika seit der Jahrtausendwende deutliche wirtschaftliche Fortschritte verzeichnen. Das Wirtschaftswachstum lag relativ konstant bei 5 bis 6 %. Bereits seit 2014 wird Kenia mit einem geschätzten Pro-Kopf-Einkommen von 1.434 US-Dollar (2015) als Middle Income Country klassifiziert; 2018 lag das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen bei 1.455 US-Dollar. Der Mittelstand wächst. Das Wachstum kam der breiten Bevölkerung bisher aber kaum zugute. Das Land bleibt eines der ärmsten der Welt und rangierte 2018 auf Platz 147 von 189 auf dem Human Development Index. Etwa 36,8 % der Kenianer lebten 2018 mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag unterhalb der Armutsgrenze. Kenia ist außerdem ein Land mit äußerst starker sozialer und regionaler Ungleichverteilung von Einkommen. 2015 lebten in Kenias Städten 56 % der Einwohner in Slums. Von den rund 19,7 Millionen erwerbsfähigen Kenianern gehen 2,6 Millionen eine Arbeit im formellen Sektor nach, 12,6 Millionen Menschen im informellen Sektor. Die Jugendarbeitslosigkeit bleibt die größte Herausforderung. 80 % der Arbeitslosen sind unter 35 Jahre alt, 38 % der Personen zwischen 15 und 35 Jahren gehen weder einer Ausbildung nach noch arbeiten sie (BFA, Länderinformationsblatt Kenia, Gesamtaktualisierung vom 17. Juli 2018, S. 26; Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit [GIZ], Länderinformationsportal [LIPortal] Kenia: Wirtschaft & Entwicklung, Stand: Dezember 2020, abgerufen unter https://www.liportal.de/kenia/wirtschaft-entwicklung).

Die Analysten bewerten die wirtschaftlichen Aussichten Kenias für 2022 moderat positiv. Economist Intelligence Unit prognostiziert derzeit ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) in Höhe von 4,3 %. Dabei wären 4,3 % BIP-Wachstum für ein Entwicklungsland wie Kenia auf Dauer nicht ausreichend, um die Lebensverhältnisse der überwiegend armen Bevölkerung spürbar zu verbessern. Die Löhne sind zuletzt so wenig gestiegen wie seit etwa zehn Jahren. Die Wirtschaft funktioniert seit Monaten ungestört. Insbesondere die stark durch die Pandemie in Mitleidenschaft gezogene Gastronomie und der Tourismus kommen besser ins Laufen. Ende Oktober wurden die nächtlichen Ausgangssperren aufgehoben. Mittelfristig ist von einem angespannten wirtschaftlichen Umfeld auszugehen. Negativ könnte sich auf den Tourismus die nur schleppend verlaufende Impfkampagne und auswirken. Die in den vergangenen Jahren stark gestiegene Staatsverschuldung erschwert stimulierende Maßnahmen der Regierung. Die internationalen Geber unterstützen Kenia dennoch mit neuen Krediten. So hat der IWF im Februar 2021 bekannt gegeben, dem Land einen Kredit in Höhe von 2,4 Milliarden US-Dollar zu gewähren. Im Juni nahm Kenias zudem einen weiteren Eurobond in Höhe von 1 Milliarde US-Dollar auf. Sehr unterschiedlich sind die Aussichten für Kenias Branchen im 2. Halbjahr 2021. Hier dürfte es liquiditätsbedingt zu Firmenpleiten kommen, insbesondere im Dienstleitungssektor und speziell bei Klein- und Mittelständlern. Die Produzenten essentieller Nahrungsmittel sowie die exportorientierte Landwirtschaft (Schnittblumen, Avocados, Kaffee, Tee etc.) erfreuen sich einer guten Auftragslage und profitieren vom Wertverlust des Kenia-Schilling im Vergleich zum Euro und US-Dollar. Gemischt sind die Erwartungen im Bausektor. Die kenianische Regierung will 929,5 Milliarden Kenia-Schillinge für die Wiederbelebung der Wirtschaft bereitstellen. Die Europäische Union bietet günstige Kredite an. Die Logistikzentren in Mombasa und Nairobi funktionieren. Der Haven Mombasa verzeichnet im 1. Quartal 2021 einen hohen Umsatzzuwachs (GTAI, Carsten Ehlers, 23. September 2021, a,a,O,). Das Rettungspaket der Regierung erreiche den informellen Sektor nicht (SABC News, Sarah Kimani, COVID-19 cripples crucial Kenya’s informal sector, drives more than 5 million people out of work, 12. Juli 2021).

Auch vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Klägerin in Kenia ihre Existenz sichern kann. Sie verfügt über eine gute Schulbildung, ist gesund und befindet sich im erwerbsfähigen Alter und war in Kenia bereits berufstätig.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für das Bestehen solcher Gefahren sind dem Vorbringen der Klägerin keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Covid19-Pandemie. Es handelt sich um eine Gefahr, der die Bevölkerung (weltweit) allgemein ausgesetzt ist. Solche Gefahren sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Eine Ausnahme kann nur bei einer extremen Gefahrenlage begründet sein. Das setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 22 f., und vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, juris Rn. 14 f.). Dass hiervon im Falle der Klägerin auszugehen wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

4. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des angefochtenen Bescheides findet ihre Rechtgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG. Sie ist auch in Ansehung der auf § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Festsetzung der Ausreisefrist von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar ist die gesetzliche Regelung mit den vom EuGH in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 (C-181/16 „Gnandi“, juris) herausgearbeiteten Verfahrensgarantien nicht vereinbar. Die Klägerin ist durch diese anfängliche objektive Unionsrechtswidrigkeit des Bescheides mit und durch die Klageerhebung nicht mehr beschwert, weil die im Gesetz (§ 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG) und im Bescheid benannte außerprozessuale Bedingung eingetreten und die ursprüngliche, objektiv unionsrechtswidrige Fristsetzung damit durch eine unionsrechtskonforme Fristsetzung ersetzt worden ist. Diese neue Regelung der Ausreisefrist verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 – 1 C 1.19 –, juris Rn. 28).

5. Rechtliche Bedenken gegen das vom Bundesamt in Ziffer 6 des Bescheides verfügte und befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot bestehen entgegen der Ansicht des Klägervertreters nicht. Zwar beruht diese Regelung noch auf § 11 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung, die ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot normierte und lediglich eine behördliche Befristungsentscheidung forderte. Sie ist jedoch im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) regelmäßig dahingehend auszulegen, dass durch die behördliche Befristungsentscheidung zugleich mit konstitutiver Wirkung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet wird (vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 27). Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) begegnet die nunmehr anhand von § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 bis 4 und Abs. 3 AufenthG zu betrachtende Befristung des Ein- und Ausreiseverbots auf 30 Monate im Rahmen der gemäß § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle keinen durchgreifenden Bedenken. Dabei kann offenbleiben, inwieweit als persönliche Belange in die Ermessensentscheidung auch Integrationsleistungen des Asylbewerbers während des Aufenthalts im Bundesgebiet einzustellen sind (BVerwG, Urteil vom 7. September 2021, 1 C 467/20, zitiert nach Juris). Denn dass im Falle der Klägerin derartige Belange bestünden, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; § 83b AsylG. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.