Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 04.08.2021 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 80/21 (S), 1 Ws 81/21 (S) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0804.1WS80.21S.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Gegen die Angeklagten G... und R... wird die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
Die Haftkontrolle wird für die Dauer von drei Monaten dem Landgericht Neuruppin übertragen.
I.
Die Angeklagten befinden sich seit ihrer jeweiligen vorläufigen Festnahme jeweils am 16. Januar 2021 aufgrund der ihnen am 17. Januar 2021 verkündeten Haftbefehle des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Dezember 2020 (45 Gs 2380/20 und 45 Gs 2379/20) in Untersuchungshaft.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat mit Anklageschrift vom 25. Mai 2021 Anklage zum Landgericht Neuruppin - große Strafkammer - erhoben, die hinsichtlich des Angeklagten R... identisch ist mit den Vorwürfen in dem gegen ihn gerichteten vorgenannten Haftbefehl. Hinsichtlich des Angeklagten G... werden zusätzlich zu den Vorwürfen im gegen ihn gerichteten vorgenannten Haftbefehl drei weitere Tathandlungen benannt.
Den Angeklagten wird vorgeworfen,
I. dem Angeklagten G...
durch 11 selbständige Handlungen
in 10 Fällen (3.-7., 10.-14.)
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben,
wobei er in einem Fall (7.)
als Mitglied einer Bande handelte, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden habe,
und in einem weiteren Fall (15.)
a) Betäubungsmittel besessen zu haben, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein,
und tateinheitlich dazu
b) entgegen § 2 Absatz 3 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 ein Dopingmittel in nicht geringer Menge zum Zweck des Dopings bei Menschen im Sport besessen zu haben.
II. dem Angeklagten R...
durch 10 selbständige Handlungen (1.-4., 6., 8-11., 14.)
a) Betäubungsmittel in nicht geringer Menge besessen zu haben
und tateinheitlich dazu
b) vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat, nämlich dem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Hilfe geleistet zu haben.
Den Angeklagten wird Folgendes zur Last gelegt:
Der Angeklagte G... soll im Tatzeitraum mehrfach verschiedenste Betäubungsmittel in erheblichen Mengen von verschiedenen Lieferanten beschafft haben, um diese gewinnbringend weiter zu verkaufen und sich daraus eine nicht unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen. Zum Zweck der wiederholten Herstellung von Amphetamin und des Handels mit Amphetaminöl habe er sich außerdem mit den gesondert verfolgten P... M... und D... W... zusammengeschlossen.
Die Betäubungsmittel habe der Angeklagte G... zumeist von dem Angeklagten R... transportieren und lagern lassen, der außerdem auch für den gesondert verfolgten P... M... als Lagerhalter und Kurierfahrer tätig gewesen sei. Der Angeklagte R... habe damit deren gewinnbringenden Handel mit Betäubungsmitteln unterstützen wollen. An dem Verkaufserlös sei er nicht beteiligt gewesen, er habe aber für seine Dienste ein Entgelt erhalten, durch das er seinen Lebensunterhalt zumindest teilweise finanziert habe.
Zur Kommunikation mit den Auftraggebern und Kunden hätten die Angeklagten jeweils ein abhörsicheres EncroChat-Telefon genutzt. Der Angeklagte R... habe dabei unter dem Nutzernamen „r…" und dem Spitznamen „R…" agiert, der Angeklagte G... unter dem Nutzernamen "t..." und dem Spitznamen "d…"
Beide Angeklagten hätten gewusst, dass es sich bei den Betäubungsmitteln jeweils um nicht geringe Mengen gehandelt habe und dass sie nicht im Besitz der für den Erwerb von Betäubungsmitteln erforderlichen Erlaubnis gewesen seien.
Die Angeschuldigten sollen im Einzelnen die folgenden Betäubungsmittelgeschäfte getätigt haben bzw. hieran beteiligt gewesen sein:
„1. (Übergabe von 500 g Kokain - R...)
Am Abend des 28.03.2020 gegen 19:30 Uhr übergab der Angeschuldigte R... an der Aral-Tankstelle in M... gegen 20:00 Uhr im Auftrag des gesondert verfolgten M... (encrochat-Nutzer „ke") 500 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 350 g Kokainhydrochlorid aus seinem Lager an einen unbekannten Abnehmer (encrochat-Nutzer „re") des M... und erhielt für seinen Dienst 50 Euro.
2. (Übergabe von 3 kg Amphetamin - R...)
Am 31.03.2020 gegen 14:30 Uhr übergab der Angeschuldigte R... in B... am EDEKA-Markt am S-Bahnhof F…(…) im Auftrag des gesondert Verfolgten M... 3kg Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 300 g Amphetaminbase an einen unbekannten Abnehmer (encrochat- Nutzer „sa") und erhielt hierfür 150 Euro.
3. (Übergabe/Handel mit 6 kg Amphetamin und 2 kg Marihuana - G..., R...)
Am 02.04.2020 um 21:19 Uhr bestellte der Angeschuldigte G... bei dem gesondert verfolgten M... für den 03.04.2020 zu 11:45 bis 12:00 Uhr 2 kg Haschisch zu einem unbekannten Preis, um dieses seinem Abnehmer P... A... gewinnbringend weiterverkaufen zu können. Der gesondert verfolgte M... und der Angeschuldigten G... verabredeten dafür ein Treffen am 03.04.2020 um 11:00 Uhr. Zugleich bot der Angeschuldigte G... dem gesondert verfolgten M... im Gegenzug 5 kg Amphetamin („5 Kisten Pepp") zu diesem Termin an, wobei M... die 5kg zeitnah an einen Abnehmer weiterverkaufen wollte.
a) Am 03.04.2020 gegen 17:00 Uhr übergab der Angeschuldigte R... im Auftrag des Angeschuldigten G... und in Absprache mit dem M... in B... in der S...straße die bestellten 5 kg Amphetamin an den Abnehmer des M... und erhielt für seinen Dienst 250 Euro.
b) Anschließend übergab der Angeschuldigte R... weitere 1 kg Amphetamin, die aus dem gleichen Lager stammten, an den Angeschuldigten G... unter der Anschrift Spreeufer 3 in 10178 B..., die dieser selbst gewinnbringend weiterveräußern wollte.
c) Von dem Angeschuldigten G... erhielt der Angeschuldigte R... bei der Gelegenheit (3b) die 2kg Marihuana, die der Angeschuldigte G... zuvor gegen 11:00 Uhr von M... für den Weiterverkauf an den P... A... erhalten hatte. Die 2 kg Marihuana übergab der Angeschuldigte R... im Auftrag des Angeschuldigten G... am 04.04.2020 vormittags in O.../ W... an P... A..., der hierfür mindestens 7.750 Euro an den Angeschuldigten G... bezahlte. Diese 2 kg Marihuana hatten einen Wirkstoffgehalt von mindestens 200g THC, die 6kg Amphetamin von mindestens 600 g Amphetaminbase.
4. (Besitz/Handel mit 200 g Kokain - G..., R...)
Am 04.04.2020 gegen 18:00 Uhr ließ sich der Angeschuldigte G... von dem Angeschuldigten R... 200 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 140 g Kokainhydrochlorid aus seinem Lager nach M… Land, S… C…, bringen, um dieses zeitnah danach gewinnbringend verkaufen zu können.
5. (Erwerb/Handel mit 1 kg Marihuana - G...)
Am 23.03.2020 bestellte der Angeschuldigte G... bei dem encrochat-Nutzer "sn" 1 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 100 g THC zum Preis von 4.400 Euro/kg, um dieses gewinnbringend weiterzuverkaufen. Der Angeschuldigte G... oder sein Fahrer nahmen das Kilo Marihuana am 05.04.2020 gegen 11:00 Uhr an einem unbekannten Ort entgegen.
6. (Handel mit 3 kg Marihuana und 4 kg Amphetamin - G..., R...)
a) Am 07.04.2020 verkaufte der Angeschuldigte G... an den encrochat-Nutzer "br" 2 kg Marihuana für 4.500 Euro/kg sowie 2 kg Amphetamin zu einem Preis von mindesten 2800 Euro/kg. Der Angeschuldigte G... hatte die 2 kg Marihuana - zusammen mit weiteren 1 kg Marihuana für einen anderen Abnehmer - zuvor am Vormittag des 06.04.2020 von dem gesondert Verfolgten M... erworben und das Marihuana bei dem Angeschuldigten R... gelagert. Der Angeschuldigte R... übergab die vorgenannten 2 kg Marihuana zusammen mit schon im Lager befindlichen 2 kg Amphetamin im Auftrag des G... am 07.04.2020 gegen 17:00 Uhr in M... dem „br". Der Angeschuldigte G... erhielt von dem „br" mindestens 14.600 Euro als Kaufpreis.
b) Anschließend (am 07.04.2020 ab 17:00 Uhr) übergab der Angeschuldigte R... aus der gleichen Lagermenge noch weitere 2 kg Amphetamin an den Angeschuldigten G... in der Form, dass er die 2 kg in einer Rewe-Tüte in dem Trabant seines Vaters, der im Parkhaus A... in B... am A... abgestellt war, versteckte, da er den Angeschuldigten G... nicht zum vereinbarten Zeitpunkt um 18:00 Uhr antraf. Der Angeschuldigte G... holte sich die 2 kg dann am 08.04.2020 dort ab, um diese gewinnbringend weiterzuverkaufen. Die 3 kg Marihuana hatten einen Wirkstoffgehalt von mindestens 300 g THC, die 4 kg Amphetamin einen Wirkstoffgehalt von mindestens 400 g Amphetaminbase.
7. (Handel mit 35 Liter Amphetaminöl - G... -Bandentat)
Der Angeschuldigte G... und die gesondert verfolgten P... M... und D... W... hatten sich zu einem unbekannten Zeitpunkt entschlossen, künftig gemeinsam Amphetamin herzustellen und mit Amphetamin/-öl zu handeln. Als ihr zuvor hergestelltes Amphetamin zur Neige ging, erwarben der Angeschuldigte G... und die gesondert verfolgten M... und Wolf am 08.04.2020 35,5 I Amphetaminöl zum Preis von ca. 1.200 Euro/I bei einem Lieferanten aus den Niederlanden, um dieses gewinnbringend zu veräußern und/oder daraus Amphetamine für den späteren Verkauf herzustellen. Der gesondert verfolgte M... nahm die Lieferung gegen 12:30 Uhr in S... entgegen und lagerte sie sodann bei dem Angeschuldigten G... ein. Der gesondert Verfolgte D... W... hatte die Aufgabe, die Zutaten für die Herstellung des Amphetamins zu beschaffen. Den erwarteten Gewinn wollten die Beteiligten untereinander aufteilen.
8. (Übergabe von 2 kg Amphetamin - R...)
Am 09.04.2020 gegen 10:30 Uhr übergab der Angeschuldigte R... im Auftrag des gesondert verfolgten M... aus seinem Lagerbestand 2 kg Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 200 g Amphetaminbase in B... am S-Bahnhof M... an M... G..., die damalige Freundin des gesondert verfolgten M....
9. (Besitz/Übergabe von 100 g Kokain -R...)
Am 15.04.2020 gegen 17:30 Uhr übergab der Angeschuldigte R... im Auftrag des gesondert verfolgten M... in B... am S-Bahnhof B... 100 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 70g Kokainhydrochlorid an dessen unbekannten Abnehmer (encrochat-Nutzer „wi").
10. (Bestellung/Handel mit 1 kg Haschisch - G..., R...)
Am 13.04.2020 bestellte der Angeschuldigte G... 1kg Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 100 g THC zu einem Preis von 3.600 Euro von dem gesondert verfolgten P... A..., um dieses gewinnbringend zu veräußern. Der Angeschuldigte R... und der gesondert verfolgte P... A... trafen sich am 16.04.20 zur Übergabe des Haschisch gegen 19.00 Uhr in K....
11. (Handel mit 51 g Kokain - G..., R...)
Der encrochat-Nutzer „br" bestellte am 11.04.2020 bei dem Angeschuldigten G... 51 g Kokain zu einem unbekannten Preis. Der Angeschuldigte G... erteilte daraufhin dem Angeschuldigten R... den Auftrag, das bei diesem bereits gelagerte Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 35,7g Kokainhydrochlorid an „br" zu übergeben. Der Angeschuldigte R... und „br" verabredeten sich zur Übergabe am 17.04.2020 gegen 17:00 Uhr in M.... Ob die Übergabe stattgefunden hat, konnte nicht festgestellt werden.
12. (Erwerb/Handel mit 1 kg Kokain -G...)
Der Angeschuldigte G... bestellte spätestens am 24.04.2020 bei dem gesondert Verfolgen P… A... (encrochat-Nutzer „lo") 1 kg Kokain der Sorte Mercedes/MC, die dieser bei dem encrochat-Nutzer „in" gelagert hatte und von dem der Angeschuldigte G... das Kilo mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 700 g Kokainhydrochlorid am 25.05.2020 gegen 15:20 Uhr abholte. Die Bezahlung des Kaufpreises in Höhe von 30.500 Euro erfolgte in der Weise, dass der Angeschuldigte G... am 27.04.20 dem gesondert verfolgten P... A... das Geld für P… A... in W... an dem Steakhaus E… G… in der P... C... ... 144 übergab. Der Angeschuldigte wollte das Kokain gewinnbringend weiterverkaufen.
13. (Bestellung/Handel mit insg. mindestens 30 kg Marihuana - G...)
Der Angeschuldigte G... bestellte am 26.04.2020 verbindlich 20 kg Marihuana (Haze) mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 2 kg THC bei dem gesondert Verfolgten P... A.... Zeitgleich bestellte der P... A... nach einem entsprechenden ernsthaften Verkaufsangebot bei dem Angeschuldigten G... 10 kg Marihuana (Silverhaze) für 4300 Euro/kg. Am 30.04.2020 holte der Angeschuldigte G... die von ihm bestellten 20 kg in M... bei P… A... ab. Ob es auch zur Übergabe der 10 kg Silverhaze an P... A... kam, ist nicht festgestellt.
14. (Handel mit 1 kg Marihuana - G..., R...)
Der Angeschuldigte G... erwarb am 04.05.2020 1kg Marihuana (Hasch) mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 100 g THC für 3.500 Euro/kg von dem gesondert Verfolgten P... A..., um es gewinnbringend weiterzuverkaufen. Zur Abholung schickte er den Angeschuldigten R..., der das Kilo am 04.05.2020 gegen 11:30 Uhr bei dem Edeka-Markt in K... von P... A... übernahm.
15. (Sicherstellung - G...)
Bei der Durchsuchung am 16.01.2021 in der Wohnung des Angeschuldigten G... in B..., S… 3 wurden 1 g Codein, 0,8 g Marihuana, 44 Ampullen Testosterondepot und 280 Tabletten Oxycodon- HCL aufgefunden. Das Testosteron-Depot enthielt insgesamt 7920 mg Testosteron und überschritt damit die nicht geringe Menge von 1500 mg nach der Dopingmittelmengenverordnung, was der Angeschuldigte billigend in Kauf nahm, da er es zur Leistungssteigerung im Freizeitsport nutzen wollte.
I. Angeschuldigter G...:
Verbrechen und Vergehen gemäß §§ 30a Abs. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2, 29 Abs. 1 Nr.3, 33 BtMG, §§ 4 Abs.1 Nr. 3, 2 Abs. 3, 5 AntiDopG, §§ 52, 53, 73 Abs. 1, 73c, 73d, 74ff. StGB
II. Angeschuldigter R...:
Verbrechen gemäß §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 33 BtMG, §§ 27, 52, 53, 73 Abs. 1, 73 c, 73 d, 74 ff StGB.“
Die Anklageschrift ist am 28. Mai 2021 beim Landgericht Neuruppin eingegangen. Am folgenden Werktag, dem 31. Mai 2021, hat die Vorsitzende die Zustellung der Anklageschrift an die Angeklagten und deren Verteidiger unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von einer Woche gemäß § 201 StPO angeordnet. Die Verfügung wurde durch die Geschäftsstelle am selben Tag ausgeführt. Bereits am 09. Juni 2021 hat die Vorsitzende sodann mögliche Hautverhandlungstermine mit den Verteidigern abgestimmt. Hiernach wurde - vorbehaltlich einer Eröffnung des Hautverfahrens - der Beginn der Hauptverhandlung für den 02. September 2021 und die Fortsetzung für den 06., 13. und 16. September 2021 abgesprochen.
Das Landgericht Neuruppin hat sodann unter dem 24. Juni 2021 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Am selben Tag hat die Kammer unter Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Dezember 2020, Az. 45 Gs 2380/20, nach Maßgabe der Anklageschrift gegen den Angeklagten G... erneut Haftbefehl erlassen und die Untersuchungshaft angeordnet. Dieser Haftbefehl ist dem Angeklagten G... am selben Tag verkündet worden.
Die Strafkammer hat mit weiterem Beschluss vom selben Tage die Fortdauer der Untersuchungshaft für beide Angeklagte als erforderlich erachtet und die Akten dem Senat zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO vorgelegt. Die Akten sind bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht sodann am 07. Juli 2021 mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 05. Juli 2021 eingegangen, die Fortdauer der Untersuchungshaft hinsichtlich beider Angeklagten anzuordnen. Den Angeklagten wurde über ihre Verteidiger rechtliches Gehör gewährt.
II.
Der Senat entscheidet gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, da die Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft gegen die Angeklagten G... und R... gegeben sind.
1. Grundlage für die Entscheidung über die Haftfortdauer gegen die Angeklagten, die sich am 16. Juli 2021 sechs Monate in Untersuchungshaft befunden haben, ist für den Angeklagten G... der Haftbefehl des Landgerichts Neuruppin vom 24. Juni 2021 (13 KLs 11/21) und für den Angeklagten R... der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Dezember 2020 (45 Gs 2379/20).
2. Die Angeklagten sind der ihnen zur Last gelegten Betäubungsmittelstraftaten bzw. der hierzu geleisteten Hilfe aufgrund des in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) vom 25. Mai 2021 zusammengefassten Ergebnisses der Ermittlungen und der darin bezeichneten Beweismittel dringend verdächtig.
Zwar haben sich die Angeklagten bislang nicht zur Sache eingelassen, jedoch sind ihnen die vorgeworfenen Tat- bzw. Beihilfehandlungen durch die geständigen Einlassungen der gesondert verfolgten P... A... und K... B... sowie durch die sichergestellten und ausgewerteten Chat-Daten der von ihnen und ihren Mittätern zur Kommunikation genutzten, mit Verschlüsselungstechnik ausgestatteten „EncroChat-Telefone“ nachzuweisen. Die erlangten Daten unterliegen keinem Beweisverwertungsverbot.
a) Die durch die französischen Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit der Überwachung des Dienstleistungsanbieters für sogenannte Krypto-Handys (EncroChat) durch Entschlüsselung von Chat-Nachrichten gewonnenen, sichergestellten und ausgewerteten Chat-Daten sind dem Beweisverfahren zugänglich. Der Senat teilt die hierzu in der obergerichtlichen Rechtsprechung, auch vom 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (Beschluss vom 26. Juli 2021, 2 Ws 94/21; Beschluss vom 02. August 2021, 2 Ws (HeS) 102/21) vertretene Rechtsauffassung (vgl. Hierzu OLG Bremen, Beschluss vom 18. Dezember 2020, 1 Ws 166/20; OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021, 1 Ws 2/21; OLG Rostock, Beschluss vom 23. März 2021, 20 Ws 70/21; OLG Schleswig, Beschluss vom 29. April 2021, 2 Ws 47/21; ebenso LG Flensburg, Beschluss vom 11. Juni 2021, V Qs 26/21; zit. jeweils nach juris) und folgt insoweit nicht der entgegenstehenden, vereinzelt gebliebenen und nicht rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichts B... (Beschluss vom 1. Juli 2021, (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21), zit. n. juris; ein Verwertungsverbot ebenfalls bejahend Wahl ZIS 2021, 452ff.; Derin/Singelnstein NStZ 2021, 449ff.).
Für den 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts waren zusammengefasst im Wesentlichen folgende Überlegungen maßgeblich, denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt:
„a) Ein zu einem Beweisverwertungsverbot führender Verstoß gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung liegt nicht vor (§ 73 Satz 1 IRG).
Die Art und Weise der in Frankreich betriebenen Beweisgewinnung (näher dargestellt in der Entscheidung OLG Hamburg v. 29. Januar 2021, aaO.) unterliegt dabei nicht uneingeschränkter Überprüfung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht den deutschen Gerichten eine Nachprüfung der im Ausland getroffenen Maßnahmen nach dem dortigen innerstaatlichen Recht grundsätzlich nicht zu, soweit die dortige Beweiserhebung – wie hier – nicht auf einem inländischen Rechtshilfeersuchen beruht (BGH, Beschl. v. 21. November 2012 – 1 StA 310/12; eingehend Pauli NStZ 2021, 146ff.).
Dass die Anordnung der von den französischen Behörden durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen nach bisherigem Erkenntnisstand nicht den Anforderungen zu genügen scheint, die nach deutschem Recht an eine Überwachung des internetbasierten Datenaustausches und der Telekommunikation zu stellen wären, verbietet nach der hierbei zu treffenden Gesamtabwägung nicht die Verwertung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse. Dabei ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass zwar entsprechend der deutschen Rechtsordnung im Hinblick auf die hiermit verbundenen Eingriffe in Grundrechte (Art. 10 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine Überwachung nur aus Anlass eines konkreten Geschehens und gegen bestimmte Beschuldigte bei Vorliegen eines qualifizierten Verdachtes erlaubt, eine verdachtslose Überwachung der Kommunikation dagegen grundsätzlich unzulässig ist (§§ 100a, b, StPO; BVerfG, Urt. v. 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822). Dass entsprechende in Frankreich angeordnete und gerichtlich beschlossene Ermittlungsmaßnahmen, denen nach derzeitigen Erkenntnissen zunächst anscheinend nicht in jedem Einzelfall ein konkret gegen bestimmte Personen begründeter Verdacht der Begehung schwerwiegender Straftaten zu Grunde lag, in Deutschland so nicht hätten veranlasst werden dürfen, begründet dabei jedoch in der Gesamtschau der hierbei zu würdigenden Umstände noch kein Beweisverwertungsverbot, denn eine Verletzung allgemeiner rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Grundsätze, gemessen u.a. an Art. 6 Abs. 1 EMRK und dem ordre public, liegt nicht vor.
Zum einen erlaubt § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO im Grundsatz und unter bestimmten Voraussetzungen die Verwendung und Verwertung von Daten zur Aufklärung von Straftaten, aufgrund derer Überwachungsmaßnahmen gemäß §§ 100a, b StPO [richtig: § 100b StPO] hätten angeordnet werden können (vgl. hierzu OLG Hamburg, OLG Schleswig, aaO.). Dementsprechend stellen im vorliegenden Fall die dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte besonders schwerwiegende Katalogtaten im Sinne der Norm dar, und die gewonnenen Daten berühren, soweit ersichtlich, keine den Kernbereich der privaten Lebensführung betreffenden Informationen. Ferner ist insbesondere das hohe Gewicht der dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten und das Ausmaß der durch den Betäubungsmittelhandel bedrohten Rechtsgüter der Gesundheit der Allgemeinheit im Rahmen der hinsichtlich der Zulässigkeit der Beweisverwertung vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen. Darüber hinaus begründete die Nutzung der mit Verschlüsselungstechnik versehenen, hochpreisigen Endgeräte nach derzeitigen Erkenntnissen jedenfalls einen gewissen Anfangsverdacht gegen deren Nutzer, wobei die Geräte nach bisherigen Erkenntnissen auch überwiegend bestimmungsgemäß für Absprachen krimineller Vorhaben verwendet wurden; hierauf deutet auch ein ermittelter 'Leitfaden' zur Vermarktung der offensichtlich nicht von einem regulären Kommunikationsanbieter vertriebenen Geräte hin, gemäß dem Zahlungen vorzugsweise in 'Krypto-Währung' (Bitcoin) erfolgen sollten, man sich gegenüber der Polizei bedeckt halten müsse und zu vermeiden habe, durch mengenmäßig zu große Lieferungen aufzufallen (vgl. hierzu OLG Hamburg, aaO.).
Hinzu kommt, dass hier nicht ein Fall vorliegt, bei dem deutsche Behörden durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung der maßgeblichen Vorschriften zur Kommunikationsüberwachung an der Datengewinnung mitgewirkt hätten. Vielmehr war Deutschland an den von den französischen Ermittlungsbehörden geführten Operationen nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht beteiligt. Die ermittelten Daten sind vielmehr ohne vorherige Absprache spontan an die deutsche Polizei übermittelt worden; die deutschen Behörden sind insoweit erst nachträglich aufgrund eines Ersuchens der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main um Genehmigung der Verwendung der übermittelten Daten tätig geworden (vgl. hierzu im Einzelnen OLG Bremen, aaO.). Bei dieser Sachlage ist der Fall einer gezielten und systematischen Umgehung von Vorschriften, die den Einzelnen gegenüber deutschen Behörden vor staatlichen Eingriffen in die verschlüsselte Kommunikation schützen sollen und die ein Beweisverbot begründen würde (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09, zitiert nach Juris), nicht gegeben.
b) Ein Verbot der Beweisverwertung ergibt sich auch nicht aufgrund von Verstößen gegen rechtshilferechtliche Bestimmungen zur grenzüberschreitenden Überwachung der Telekommunikation sowie zur Informationsübermittlung.
Soweit nach derzeitigem Ermittlungsstand anzunehmen ist, dass seitens der französischen Behörden für die grenzüberschreitenden Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung eine gemäß Art. 31 der Richtlinie 2014/41/EU über die europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen vom 3. April 2014 (RL EEA) vorgesehene Unterrichtung des Mitgliedstaats, in dem sich die Zielpersonen der Überwachung befanden, unterblieben ist, steht dies der Verwertung der Beweise nicht entgegen. Dass die zuständigen Behörden des unterrichteten Mitgliedstaates in Fällen, in denen die Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde, hätten widersprechen können, hat hinsichtlich der Zulässigkeit einer Beweisverwertung im unterrichteten Staat keine unmittelbare Bedeutung, sondern vermag nach der Konzeption der Regelung gegebenenfalls einen Beweisausschluss im überwachenden Staat auszulösen (vgl. hierzu Wahl ZIS 2021, 452, 457). Darüber hinaus ist jedenfalls aus den zu a) dargelegten Gründen nicht anzunehmen, dass allgemeine völkerrechtliche Grundsätze wie das allgemeine Fairnessgebot nach Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht gewahrt wurden und eine Beweisverwertung mit Rücksicht darauf ausgeschlossen wäre (vgl. OLG Bremen, OLG Hamburg, OLG Schleswig aaO.). Dies gilt auch insoweit, als die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main nicht zuständige Bewilligungsbehörde im Verfahren nach Art. 31 RL EEA, § 92d Abs. 1 Nr. 1 IRG war und insoweit aus formalen Gründen eine nachträgliche Heilung des Richtlinienverstoßes nicht herbeiführen konnte (so aber Wahl ZIS 2021, 452, 458).
Darüber hinaus begründet auch der Umstand kein Verwertungsverbot, dass die französischen Behörden den gemäß Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 (RB-Informationsaustausch) spontan übermittelten Daten anscheinend eine konkrete Verfahrenszuordnung oder bestimmende Zweckbindung nicht beigefügt haben (vgl. OLG Hamburg, aaO. Rn. 112ff., a.A. Wahl ZIS 2021, 452, 458ff.). Den insoweit entsprechend Art. 1 Nr. 4 RB-Informationsaustausch geltenden Anforderungen, dass im Falle der beabsichtigten Verwendung der Daten als Beweismittel die Einwilligung des Mitgliedstaats einzuholen ist, der die Informationen oder Erkenntnisse bereitgestellt hat, ist durch die am 2. Juni 2020 durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main beantragte Europäische Ermittlungsanordnung Genüge getan, aufgrund der die französischen Behörden einer Verwendung der Daten sodann zugestimmt haben; auch handelt es sich bei den übermittelten Daten um solche, bei denen konkrete Gründe für die Annahme bestehen, dass die Informationen und Erkenntnisse dazu beitragen können, dass die in Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl benannten Delikte aufgeklärt werden können (OLG Bremen, OLG Hamburg, aaO.). Allein aufgrund des Umstandes, dass im Rahmen der pauschal gefassten Europäischen Ermittlungsanordnung einzelne konkretisierte Strafverfahren noch nicht bestimmt worden sind und insoweit auch ein gerichtlicher Beschluss nicht ergangen ist, besteht insoweit unter Berücksichtigung der vorgenannten Abwägungskriterien kein Beweisverwertungsverbot (a.A. aber Wahl ZIS 2021, 458, 460).
c) Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist eine Verwertung der Chat-Daten auch nicht im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass die zugrunde liegenden „Rohdaten“ (bislang) nicht vorliegen, das konkrete (nachrichtendienstliche) Vorgehen bei der Datengewinnung seitens der französischen Ermittlungsbehörden nicht bekannt ist und die Kommunikationsinhalte von den Endgeräten möglicherweise bereits vor einer Versendung entschlüsselt und gesichert wurden.
Die Frage, inwieweit bei dieser Sachlage der Nachweis der Urheberschaft der Daten geführt (Datenauthentizität) und darüber hinaus belegt werden kann, dass die Kommunikationsinhalte und Standortdaten zu beweiserheblichen Umständen nicht durch Übertragungsfehler oder Manipulationen verändert und verfälscht worden sind (Datenintegrität), ist einer einzelfallbezogenen tatgerichtlichen Bewertung zugänglich und obliegt insoweit der Aufklärung und abschließenden Prüfung des Landgerichts im Rahmen der zu treffenden Beweiswürdigung. Diesbezügliche Einschränkungen hinsichtlich des Beweiswertes der Daten führen insoweit nicht dazu, dass ein generelles Verwertungsverbot anzunehmen wäre. Der Senat teilt die Ansicht der Verteidigung hierzu nicht. Vielmehr ist maßgeblich, dass nach dem gegenwärtigen Ermittlungsergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Angeklagte als encroChat-Nutzer „ke“ entsprechend und in Übereinstimmung mit den aktenkundigen Datenprotokollen mit den übrigen Tatbeteiligten kommuniziert hat. Die Umstände, die eine Identifizierung des Angeklagten als Urheber der Nachrichten ermöglichen, sind in der Anklageschrift zutreffend dargestellt [...]. Der Senat teilt im Übrigen die Auffassung der Kammer, dass auch im Hinblick auf die aus den Protokollen ersichtliche Kommunikation der Beteiligten miteinander nach derzeitigem Kenntnisstand nicht plausibel ist, dass der Kommunikationsaustausch nicht im Wesentlichen so stattgefunden hat, wie er dokumentiert ist. Dass die den Betäubungsmittelhandel konkret betreffenden Interaktionen zwischen dem Angeklagten und den weiteren Tatbeteiligten auf durch Übertragungsfehler entstandenen Verfälschungen beruhen sollen, liegt nach derzeitigem Erkenntnisstand fern. Auch wenn die Daten auf den Endgeräten zu einem Zeitpunkt entschlüsselt und gesichert wurden, bevor es zum Versand gekommen ist, spricht aufgrund der einen wechselseitigen Austausch von Mitteilungen beinhaltenden Chatverläufe nichts dafür, dass die Nachrichten gar nicht versandt wurden. Ebenso sind gegenwärtig keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Zusammenstellung des Datenmaterials auf bewussten Manipulationen und absichtlichen Fälschungen beruhen könnte und dem Ganzen ein groß angelegter Komplott zugrunde liegt.“
b) Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat darüber hinaus in ihrer Stellungnahme vom 22. Juli 2021 wie folgt ausgeführt:
„II.1
Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit der im Wege der Rechtshilfe erlangten Auskünfte der französischen Strafverfolgungsbehörden ist durch die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Bremen vom 18. Dezember 2020 (1 Ws 166/20), Hamburg vom 29. Januar 2021 (1 Ws 2/21), Rostock vom 23. März 2021 (20 Ws 70/21) und Schleswig vom 29. April 2021 (2 Ws 47/21) (alle nach Beck-Online) ausreichend geklärt.
II.2
Ausgangspunkt der Überlegungen hinsichtlich der Verwertung der Encrochat-Protokolle kann in tatsächlicher Hinsicht keine auf zufälligen Wissensbruchstücken fundierende Rekonstruktion des Ablaufs des französischen Ermittlungsverfahrens sein.
In rechtlicher Hinsicht darf die Betrachtung seriöserweise nicht mit einem diffusen Rekurs auf angebliche Rechtsverstöße der französischen Behörden eröffnet werden, der nicht durch klare rechtliche Maßstäbe geleitet wird und weder zwischen Unionsrecht und nationalem Recht noch zwischen Prozessrecht und Rechtshilferecht sauber scheidet.
Vielmehr muss in tatsächlicher Weise davon ausgegangen werden, dass der die Ermittlungen geführt habenden Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) die Beweismittel nun einmal so vorliegen wie sie sind, und ferner, dass - entgegen der verteidigerseitigen Behauptungen ins Blaue hinein - an ihrer Integrität (technischen Richtigkeit) auch keine vernünftigen Zweifel bestehen. Letzteres deshalb, da nicht entfernt ersichtlich ist, welches Interesse die französischen Behörden daran haben sollten, Kommunikationsinhalte gerade der Beschuldigten R... und G... unter Aufwendung erheblicher Ressourcen an Zeit, Technik und bösem Willen zu fälschen.
Damit lagen der Staatsanwaltschaft und liegen nunmehr der Strafkammer Beweismittel vor, die die Angeschuldigten R... und G... wegen schwerer Straftaten belasten. Angesichts des Amtsaufklärungs- und Legalitätsgrundsatzes, die es der Staatsanwaltschaft grundsätzlich ebenso wie dem erkennenden Gericht verbieten, vor existierenden Beweismitteln die Augen zu verschließen, kommt eine Nichtberücksichtigung dieser Beweismittel und mithin die Hinnahme der Straflosigkeit der Angeschuldigten trotz hoher Wahrscheinlichkeit, dass sie sich schwerer Straftaten schuldig gemacht haben, nur dann in Betracht, wenn ein im deutschen Strafprozessrecht anerkanntes Beweisverwertungsverbot besteht.
II.3
Ein solches Beweisverwertungsverbot besteht indes nicht und wird auch von den Verteidigern nicht überzeugend aufgezeigt.
Die kodifikatorisch fragmentarische, in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs häufig kasuistisch-unsystematische und auch terminologisch nicht einheitlich konturierte Ausgestaltung der Beweisverwertungsverbote im deutschen Prozessrecht ist vielfach beklagt worden. Auch eine konsistente Lehre von der Wechselwirkung zwischen Rechtshilferecht und nationalem Beweisverwertungsrecht liegt bislang nicht vor (vgl. hierzu: BGH NZWiSt 2013, 548, nach Beck-Online),
Als gesichert wird indes gelten können, dass Beweisverwertungsverbote entweder unselbstständig sind, d.h. aus einem Verstoß gegen Beweiserhebungsverbote folgen, oder aber selbstständig, d.h. aus überragenden Gründen anzunehmen sind, obwohl kein vorgängiger Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot vorliegt. Der Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot (im Falle der unselbstständigen Beweisverwertungsverbote) muss daher grundsätzlich durch deutsche Behörden begangen sein worden, da nur diese und weder ausländische Behörden noch z. B. Private die Beweismittel eigeninitiativ erheben und dann den Ermittlungsbehörden vorlegen, den Vorschriften der StPO unterworfen sind.
ll.3.a
Ein unselbstständiges, d.h. ein auf prozessordnungswidrigem Vorgehen der deutschen Ermittlungsbehörden basierendes Beweisverwertungsverbot scheidet vorliegend aus.
Denn die deutschen Ermittlungsbehörden haben vorliegend nicht durch eigene technische Maßnahmen, die an der StPO gemessen werden könnten, technische Überwachung betrieben.
Soweit diskutiert wird, dass unselbstständige Beweisverwertungsverbote auch dann in Betracht kommen könnten, wenn Behörden zwar nicht selbst prozessordnungswidrig handeln, aber gleichsam unter Umgehung der StPO Dritte, etwa Private oder aber ausländische Stellen, zu Maßnahmen aktiv bestimmen, die sie selbst nicht prozessordnungskonform durchführen dürften, so liegt auch ein derartiger Fall erkennbar nicht vor, da die deutschen Behörden - hier die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) - nur Datenmaterial verwendeten, das die französischen Behörden in dem bei ihnen anhängigen Verfahren ohnehin erhoben hatten.
Die bloße Entgegennahme der ohnehin vorliegenden, fertig ermittelten Beweismittel aus Frankreich stellt - angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes - kein rechtlich bemakeltes, sondern ein gebotenes Verhalten der Staatsanwaltschaft dar.
ll.3.b
In Betracht kommt demnach nur ein selbstständiges Beweisverwertungsverbot, d. h. eines, das nicht auf einem fehlerhaften Verhalten deutscher Behörden beruht.
Ein gesetzlich normiertes selbstständiges Beweisverwertungsverbot, wie es etwa § 252 StPO vorsieht, liegt dabei erkennbar ebenfalls nicht vor. Die StPO enthält keine Vorschriften, die vorliegend ein Beweisverwertungsverbot anordnen.
Demnach verbleibt die Möglichkeit eines selbstständigen Beweisverwertungsverbots aufgrund von (jedenfalls im Prozessrecht) ungeschriebenen Rechts, namentlich aus übergeordneten Rechtsgrundsätzen. Die Existenz derartiger ungeschriebener selbstständiger Beweisverwertungsverbote wird insbesondere in Form von absoluten (abwägungsfesten) selbstständigen Beweisverwertungsverboten erwogen, die wegen der schlechthin unerträglichen Bemakelung eines Beweismittels eingreifen.
Die Diskussion wurde bisher in erster Linie anhand der Fälle von „Auslandsfolter" sowie im Zusammenhang mit der Problematik der „Steuer-CDs" geführt. Dabei herrschte und herrscht ganz überwiegend außerordentliche Zurückhaltung bei der Annahme derartiger Beweisverwertungsverbote. So wurde etwa (bei dogmatisch gegenüber der hier vertretenen Auffassung leicht abweichender systematischer Einordnung der Beweisverwertungsverbote) sogar die Verlesung von ausländischen Vernehmungsprotokollen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit unter Folter zustande gekommen sind, für zulässig erachtet (OLG Hamburg, NStZ-RR 2005, 380), und zwar mit der Begründung, § 136a StPO (der ein absolutes unselbstständiges Beweisverwertungsverbot bei Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden durch deutsche Behörden vorsieht), sei auf die Verwertung von Aussagen, die im Ausland zustande gekommen seien, nur dann entsprechend anwendbar, wenn die dortige Vernehmung unter besonders krasser Missachtung der Menschenwürde erfolgt sei, zudem sei auch bei schwieriger Beweislage der Vollbeweis des Regelverstoßes zu verlangen.
Im Ergebnis wird - bei insgesamt wenig einheitlicher Rechtsprechung - angenommen werden können, dass ein selbstständiges absolutes Beweisverwertungsverbot jedenfalls dann in Betracht kommt, wenn Dritte, d.h. Privatpersonen oder ausländische Behörden, ein Beweismittel unter schlechthin unerträglichem Verstoß gegen elementare, weltweit anerkannte menschenrechtliche Grundsätze erlangt haben, insbesondere wenn angenommen werden muss, dass Geständnisse oder belastende Zeugenaussagen unter Folter oder entsprechend von Privatpersonen unter folterähnlichen Torturen aus der Beweisperson erpresst wurden.
Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Angesichts der gefestigten rechtsstaatlichen Verhältnisse in der Französischen Republik und der Charakteristik des französischen Ermittlungsverfahrens, dass es entweder (von Untersuchungsrichtern) richterlich geführt oder (von Ermittlungsrichtern) dicht überwacht wird, erscheint eine derartige Annahme auch abwegig.
Überdies stehen eklatante, nach weltweit anerkannten Maßstäben unerträgliche Menschen- rechtsverstöße, die einem Verstoß gegen das Folterverbot auch nur nahe kämen, auch gar nicht in Rede. Behauptet werden Verstöße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses jedoch, bei aller Bedeutung dieses Grundrechts insbesondere in der Judikatur des deutschen Bundesverfassungsgerichts, ist weder in seinem Stellenwert noch in seiner universellen Anerkennung noch in seiner Einschränkungs- und Abwägungsfestigkeit mit dem Folterverbot zu vergleichen.
Ein anderer tauglicher Prüfungsmaßstab als der eines Kerns von universell anerkannten Menschenrechten steht vorliegend nicht zur Verfügung.
Jegliche Diskussion, gegen welche Vorschriften der StPO die französischen Behörden verstoßen haben sollen, verbietet sich, da diese dem deutschen Gesetz nicht unterworfen sind. Die Verfahrensführung der französischen Untersuchungsrichterinnen und Untersuchungsrichter kann nicht von deutschen Gerichten - oder Verteidigern - anhand der StPO zensuriert werden sollen. Auch Spekulationen um einen (angeblichen) Verstoß gegen die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung sind nicht zielführend, da die RL EEA, wie jede Richtlinie des Unionsrechts, kein unmittelbar geltendes Recht darstellt, sondern vielmehr zunächst der Umsetzung in nationales Recht bedarf.
Eine Kontrolle, ob die ersuchte Behörde bei der Erhebung der nach Deutschland übergebenen Beweise ihr eigenes nationales ausländisches Recht eingehalten hat, findet jedoch mit Recht nicht statt.
Ungeachtet dessen, dass es keinen deutschen Rechtssatz gibt, wonach ein Verstoß ausländischer Behörden bei der Beweisgewinnung gegen ihr eigenes Prozessrecht zur Unverwertbarkeit des so erlangten Beweises in Deutschland führt, mangelt es hier im Übrigen auch an einer konsistenten Darlegung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, dass französisches Recht durch französische Beamte in gravierender Weise verletzt worden wäre. Dies würde auch die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen für französisches Strafprozessrecht erforderlich machen, wozu vorliegend mangels ausreichender Hinweise auf derartige Verstöße indes kein Anlass besteht.
II.3.c
Rechtslogisch denkbar - obgleich der Generalstaatsanwaltschaft keine derartigen Fälle aus der obergerichtlichen Rechtsprechung bekannt sind - wäre darüber hinaus die Annahme eines nicht absoluten, d. h. abwägungsfesten, sondern vielmehr eines relativen selbstständigen Beweisverwertungsverbots.
Dabei würde angenommen, dass die ausländische Behörde (oder der Private) nicht in unerträglicher, aber doch in schwerwiegender Weise gegen universell anerkannte Rechtsgrundsätze verstoßen hat, woraufhin - ähnlich wie bei unselbstständigen relativen rein inländischen Beweisverwertungsverboten, etwa nach Belehrungsverstößen - in eine Abwägung eingetreten werden müsste.
Der von Rechtsanwalt F... zitierte Beschluss einer Strafkammer des Landgerichts B... scheint einen solchen Ansatz zu verfolgen.
Abgesehen davon jedoch, dass dieser Beschluss seinen Prüfungsmaßstab nicht befriedigend offenlegt und die Deutung naheliegt, dass ein deutsches Gericht die Rechtmäßigkeit des Handelns eines französischen Gerichts anhand einfachen Rechts messen darf (was inakzeptabel ist), wäre dann tatsächlich stets eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich.
Vorliegend wäre dann u. a. in Anschlag zu bringen, dass die in Rede stehenden Straftaten der Angeschuldigten G... und R... besonders schwer sind und dass die Telekommunikation, in die durch die französischen Maßnahmen eingegriffen wurde, angeschuldigtenseitig von Anfang an und ausschließlich auf die Ermöglichung und Begehung von schweren Straftaten abzweckte und damit nicht der Privat- oder Intimsphäre zuzurechnen ist.
Der Beschluss des Landgerichts B... zollt dem Erfordernis einer „Abwägung aller Umstände" zwar formal Anerkennung (S. 16 des Beschlusses im Original), verweigert diese in der Folge jedoch konsequent. Stattdessen wird im Wesentlichen lediglich pauschal auf die (lediglich postulierte) „überragende Bedeutung" der „individualschützenden Verfahrensregeln" abgestellt.
Als Begründung dafür, dass jede nähere Auseinandersetzung mit der Schwere der in Rede stehenden Straftat abgelehnt wird, wird darauf abgestellt, in Verfahren, in denen sich die Frage nach der Verwertbarkeit von Erkenntnissen stelle, die durch TKÜ-Maßnahmen gewonnen wurden, gehe es ohnehin stets um besonders schwere Straftaten (S. 18 des Beschlusses).
Hierbei handelt es sich jedoch um einen Zirkelschluss: Dass Polizei und Staatsanwaltschaft - rechtsstaatskonform - TKÜ-Maßnahmen nicht bei Bagatellkriminalität anwenden bzw. Straftaten der Bagatellkriminalität, die durch ausländische TKÜ-Maßnahmen aufgedeckt werden, nicht zur Anklage bringen, sondern insoweit etwa eingeleitete Verfahren - rechtsstaatskonform - einstellen, kann denkgesetzlich nicht dafür sprechen, dass dann auch in Fällen der Schwerkriminalität eine Anklageerhebung verboten sein soll.
Il.3.d
Lediglich am Rande sei bemerkt, dass der von der Verteidigung unternommene Versuch einer Skandalisierung des französischen Ermittlungsverfahrens mit Schlagworten wie „nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung" und „mangelnder Anfangsverdacht" von einer unangemessenen national verengten Sichtweise aus- und daher fehlgeht.
Der deutsche Strafprozess mit seinen hergebrachten Grundsätzen ist nur eine von zahlreichen Spielarten des modernen rechtsstaatlichen kontinentaleuropäischen Strafprozesses.
Tatsächlich zeigt sich im Vergleich der europäischen Prozessordnungen immer wieder, dass auch zahlreiche andere Konfigurationen als diejenige, die der Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung konzipiert hat, möglich sind, in denen ein angemessener, rechtsstaatlich unbedenklicher Ausgleich zwischen Strafverfolgungs- und Beschuldigteninteressen erreicht werden können.
So mag eine andere Rechtsordnung nachrichtendienstähnlich weite Möglichkeiten der Beweisgewinnung kennen, die dem deutschen Verständnis befremdlich anmuten, jedoch andererseits eine überaus straffe Kontrolle des staatsanwaltschaftlichen Handelns durch die Gerichte vorsehen.
Eine andere Rechtsordnung mag in der Hauptverhandlung die Verlesung von Aussagen, die im Ermittlungsverfahren zustande gekommen sind, zulassen und somit den Mündlichkeitsgrundsatz verwerfen, dies jedoch durch Mitwirkungsrechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren kompensieren, die nach deutschen Verständnis exzessiv erscheinen.
In einem dritten Fall mögen zwar wesentlich weniger Beweiserhebungsverbote als in Deutschland bestehen - z. B. Durchsuchungen zur Nachtzeit oder unterschiedslose Videoüberwachung öffentlicher Plätze zulässig sein - dafür jedoch jeder noch so kleine und lediglich formale Verstoß gegen die Beweisregeln ohne Möglichkeit der Abwägung selbst bei schwersten Straftaten zum absoluten Beweisverwertungsverbot (ggf. mit Fern- und Fortwirkung) führen.
Vor dem Hintergrund dieser Pluralität an validen und probaten Lösungsmodellen, die belegt, dass es nicht auf einzelne „skandalöse" elemente des Strafprozessrechts oder der Strafprozesspraxis, sondern stets auf das Gesamtbild ankommt, erscheint eine Verwerfung des französischen Prozessrechts mittels isolierten Herausgreifens eines einzelnen seiner elemente, das dann an ihm wesensfremden Grundprinzipien des deutschen und nur des deutschen Prozessrechts gemessen wird (vorliegend z. B.: „Handeln ohne Anfangsverdacht") inakzeptabel.
Il.3.e
Ebenfalls nur colorandi causa sei darauf hingewiesen, dass die Schaffung von Bausteinen zu einem künftigen unionsrechtlichen, transnationalen Recht der Beweisverwertungsverbote perspektivisch durchaus von Interesse sein könnte, jedoch nicht aus Anlass des vorliegenden Verfahrens.Denn ein solches gemeinsames Beweisverwertungsrecht dürfte erst dann denkbar sein, wenn tatsächlich eine auf einem mindestens partiell einheitlichen Verfahrensrecht basierende und gleichsam arbeitsteilig vorgehende, mindestens partiell einheitliche europäische Strafverfolgung vorliegt. Ansätze hierfür könnten in den nun erstmalig durch unmittelbar geltendes Unionsrecht geregelten Bereichen der Rechtshilfe (Verordnung Sicherstellung und Einziehung und künftig möglicherweise EPOC-VO) zu sehen sein, ferner möglicherweise in der Tätigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft. Für den vorliegenden Fall, der die weitgehend noch tradierten rechtshilferechtlichen Vorstellungen verhaftete RL EEA betrifft, ist dies indes nicht von Belang. Hier verbleibt es jedenfalls bei den vorstehend skizzierten herkömmlichen Grundsätzen des Beweisverwertungsrechts.“
Der Senat tritt aus diesen Ausführungen bei, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage.
3. Es besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getretenen Angeklagten G... und R... haben aufgrund der Schwere der zahlreichen Tatvorwürfe, bei denen angesichts des Umfangs von Menge und Wirkstoffgehalt der gehandelten Betäubungsmittel die Grenze der nicht geringen Menge um ein Vielfaches überschritten worden ist, jeweils mit der Verhängung von hohen Gesamtfreiheitsstrafen zu rechnen. Die sehr hohe Straferwartung gibt den Angeklagten einen starken Anreiz, sich dem Verfahren durch Flucht zu entziehen. Zwar vermag allein die Straferwartung die Fluchtgefahr nicht zu begründen. Sie ist jedoch Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme, ein Angeklagter werde ihm wahrscheinlich nachgeben und sich dem Strafverfahren entziehen, gerechtfertigt ist. Je größer die Straferwartung ist, desto weniger Gewicht kommt den Umständen zu, die gegen eine Fluchtgefahr sprechen. Bei einer sehr hohen Straferwartung – wie im vorliegenden Fall – beschränkt sich die Prüfung auf die Frage, ob Umstände vorhanden sind, die die hieraus herzuleitende Fluchtgefahr ausräumen können. Solche Umstände sind vorliegend bei den Angeklagten nicht gegeben und von ihnen auch nicht geltend gemacht worden. Ihre sozialen Bindungen u.a. zu Ehefrau, Kindern bzw. Freundin, können den angesichts der Straferwartung bestehenden hohen Fluchtanreiz nicht entkräften, zumal nahliegend ist, dass beide Angeklagte über finanzielle Mittel aus Drogengeschäften verfügen, die ihnen eine Flucht ermöglichen könnten.
4. Wichtige Gründe im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO haben bislang eine Verurteilung nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus.
Die Ermittlungen sind aufgrund des großen Umfangs der Sache bis zur Anklageerhebung und Vorlage der Sache an den Senat ohne durchgreifende Verstöße gegen das in Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgebot gefördert worden (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK). Rechtsstaatlich bedenkliche Verzögerungen bei den eine Vielzahl von Einzeltaten umfassenden Ermittlungen und der staatsanwaltschaftlichen Auswertung der Beweisergebnisse sind nicht festzustellen.
Auch ist das Verfahren beim Landgericht nach Eingang der Anklageschrift am 28. Mai 2021 und deren umgehender Übermittlung an die Angeklagten und die Verteidiger am 31. Mai 2021 zur Stellungnahme binnen einer Woche zügig betrieben worden. Das Landgericht hat im Hinblick auf den großen Umfang des zugrunde liegenden Aktenmaterials, die Vielzahl der zu prüfenden Chatdaten und sonstigen Ermittlungsergebnisse ausreichend zeitnah am 24. Juni 2021 die Eröffnung beschlossen. Als Hauptverhandlungstermine sind nach der Ladungsverfügung vom 24. Juni 2021 nunmehr der 2., der 6., der 13. und der 16. September 2021 vorgesehen. Soweit der Verteidiger des Angeklagten G..., Rechtsanwalt Dr. K..., im Schriftsatz vom 09. Juli 2021 ausgeführt hat, es gäbe keine Ladung zum 02. September 2021, ist dies nicht zutreffend. Die auf der telefonisch geführten Terminsabsprache zwischen der Vorsitzenden und den Verteidigern beruhende, sich aus der Akte ergebende an Rechtsanwalt Dr. K... versendete Ladung vom 24. Juni 2021 beinhaltet zweifelsfrei den 02. September 2021 als Hauptverhandlungsbeginn. Das Empfangsbekenntnis zu dieser Ladung wurde vom Rechtsanwaltsbüro Dr. K… am 29. Juni 2021 unterzeichnet.
Zudem hat Rechtsanwalt Dr. K... mit Schriftsatz vom 29. Juni 2021 unter Bezugnahme auf die vorgenannte Terminsladung des Landgerichts vom 24. Juni 2021 die Verlegung des Hauptverhandlungstermins vom 02. September 2021 beantragt, da er an diesem Tag einen Termin beim Landgericht Magdeburg wahrzunehmen habe.
Strafgerichte haben alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um eine gerichtliche Entscheidung über die einem Angeklagten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, wobei an den zügigen Fortgang des Verfahrens umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Angesichts der besonderen Bedeutung des Beschleunigungsgebots bei der Behandlung von Haftsachen ist der Begriff "anderer wichtiger Grund" im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO eng auszulegen. Es kommen nur Gründe von solchem Gewicht in Betracht, die es rechtfertigen, das Beschleunigungsinteresse und den Freiheitsanspruch des Angeklagten hinter den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zurücktreten zu lassen (vgl. BVerfGE 36, 264, 274). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 17, 517, 523; BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 -2 BvR 2098/12-).
Mit Rücksicht darauf begegnet die Terminierung drei Monate und eine Woche nach Anklageerhebung angesichts der Komplexität der Sache und der vorstehenden Ausführungen noch keinen durchgreifenden Bedenken.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass es auch den Richtern einer mit Haftsachen befassten Strafkammer möglich sein muss, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Wie sich aus einem Vermerk der Vorsitzenden vom 09. Juni 2021 ergibt, haben die Vorsitzende und der Berichterstatter ihre Jahresurlaube in den gleichen Zeitraum gelegt, um nur ein kleines Zeitfenster durch Richteurlaube zu blockieren (26. bis 27. bzw. bis 28. KW). Darüber hinaus haben auch die Urlaube der Verteidiger einen maßgeblichen Anteil an der vorgenannten Gesamtdauer. So befindet sich Rechtsanwalt Dr. K... vom 29. Juli bis 13. August 2021 (30. bis 32. KW) im Jahresurlaub. Ein Beginn der Hauptverhandlung in der 29. KW war nicht möglich, da innerhalb der Unterbrechungsfrist kein Fortsetzungstermin gefunden werden konnte. Rechtsanwalt Dr. K... stand für eine Hauptverhandlung zwar am 17., 24. und 26. August 2021 zur Verfügung. An diesen Tagen war jedoch Rechtsanwalt F... verhindert, so dass als frühester Termin nur der 02. September 2021 in Betracht kam.
Zudem hat die Vorsitzende mitgeteilt, dass es sich bei dem Berichterstatter auch um den stellvertretenden Kammervorsitzenden handelt und die Kammer am 16. und 26. August 2021 eine andere Haftsache verhandelt sowie am 23. und 30. August 2021 bereits langfristig Termine in einem umfangreichen Wirtschaftsverfahren (Eingang Mai 2020) anberaumt sind, dessen Hauptverhandlung am 23. August 2021 beginnt und für das weitere Fortsetzungstermine im September 2021 anberaumt sind.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Strafkammer durch besonders zügige Abläufe im Zwischenverfahren, u.a. eine schnelle Eröffnung des Hauptverfahrens sowie durch eine dichte Terminierung der Hauptverhandlung (vier Termine in 14 Tagen) die unvermeidlichen Verzögerungen erfolgreich kompensiert hat.
Damit sind im Ergebnis Verstöße gegen das für Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot - insbesondere durch grobe Fehler oder Säumnisse - nicht erkennbar.
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung für die Angeklagten zu erwartenden hohen Freiheitsstrafen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Bei Abwägung der Freiheitsgrundrechte der Angeklagten mit dem Gebot einer effektiven Strafverfolgung überwiegt der Gesichtspunkt der Gewährleistung eines verfahrensmäßigen Abschlusses der Strafsache, weil den Angeklagten schwerwiegende Betäubungsmittelstraftaten bzw. Beihilfe zu diesen zur Last gelegt wird und die Förderung des Verfahrens dem besonderen Beschleunigungsgebot noch gerecht wird.
6. Der Zweck der Untersuchungshaft kann aufgrund der bestehenden hohen Fluchtgefahr für keinen der beiden Angeklagten durch eine Haftverschonung gegen Auflagen erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Eine hinreichend begründete Erwartung, dass Ersatzmaßnahmen zur Erreichung des Haftzwecks genügen, besteht nur dann, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, ein Angeklagter werde sich bei Anordnung geeigneter Sicherheitsauflagen dem Strafverfahren und der Strafvollstreckung nicht entziehen. Diese Voraussetzung liegt hier für beide Angeklagte nicht vor.
7. Die Übertragung der Haftkontrolle an das Landgericht Neuruppin beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.