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Entscheidung S 42 AS 312/21


Metadaten

Gericht SG Potsdam 42. Kammer Entscheidungsdatum 20.12.2021
Aktenzeichen S 42 AS 312/21 ECLI ECLI:DE:SGPOTSD:2021:1220.S42AS312.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 50 Abs 3 SGB 10, § 50 Abs 4 S 1 SGB 10, § 52 Abs 1 S 1 SGB 10, § 52 Abs 2 SGB 10, § 40 Abs 2 Nr 1 SGB 2, § 328 Abs 3 S 2 SGB 3

Leitsatz

Die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 SGB X findet auf einen mit bestandskräftigem Erstattungsbescheid gemäß § 328 Abs. 3 SGB III festgesetzten Erstattungsanspruch keine Anwendung. Dieser verjährt gemäß § 52 SGB X in 30 Jahren.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Einziehung von Forderungen, die der Beklagte mit Erstattungsbescheiden vom 6.8.2014 und 2.3.2015 gegen sie festgesetzt hat. Mit Erstattungsbescheid vom 6.8.2014 wird von der Klägerin für die Zeit von April 2013 bis Februar 2014 ein Erstattungsbetrag von insgesamt 610,20 € gefordert, mit Erstattungsbescheid vom 2.3.2015 für die Zeit von März bis August 2014 ein Erstattungsbetrag von insgesamt 2586,75 €. In welcher Höhe die Klägerin hierauf bereits Zahlungen mit der Folge geleistet hat, dass in dieser Höhe die Erstattungsforderung erloschen ist und ob und ggf. welche Vollstreckungsmaßnahmen der Beklagte oder dessen Beauftragte bisher unternommen haben, ist dem Gericht nicht bekannt. Die Beteiligten haben hierzu nichts vorgetragen und in den übersandten Unterlagen, insbesondere der Verwaltungsakte finden sich hierzu keinerlei Anhaltspunkte. In ihrer Klageschrift teilt die Klägerin jedoch mit, nunmehr die Ratenzahlung einzustellen.

Dem Erlass der Erstattungsbescheide ging Folgendes voraus:

Die Klägerin stand in den vorgenannten Zeiträumen gemeinsam mit ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (im Weiteren: LSiLU) beim Beklagten. Ihnen waren für den Zeitraum von April 2013 bis Februar 2014 mit vorläufigen Bewilligungsbescheiden vom 14.3.2013 (4/13 bis 9/13) und vom 12.9.2013 in Gestalt des vorläufigen Änderungsbescheides vom 21.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2013 (10/13 bis 2/14) vorläufig LSiLU für

4/13 bis 9/13 in Höhe von 593,50 € monatlich,
10/13 in Höhe von 631,12 €,
11/13 bis 12/13 in Höhe von 829,43 € monatlich und
1/14 bis 2/14 in Höhe von 789,43 € monatlich
bewilligt und ausgezahlt worden.

Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 19.2.2014 in Gestalt des vorläufigen Änderungsbescheides vom 8.7.2014 waren ihnen vorläufig LSiLU für

3/14 in Höhe von 829,31 €,
4/14 bis 7/14 in Höhe von monatlich 888,11 € und
8/14 in Höhe von 791,80 €
bewilligt und ausgezahlt worden.

Mit Bewilligungsbescheiden vom 8.7.2014, die nicht mehr unter einem Vorläufigkeitsvorbehalt standen, bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Ehemann LSiLU für

4/13 bis 9/13 in Höhe von monatlich 552,01 €,
10/13 in Höhe von 436,84 €,
11/13 bis 12/13 in Höhe von monatlich 635,15 € und
1/14 bis 2/14 in Höhe von monatlich 595,15 €.

Mit Ablehnungsbescheid vom 27.2.2015 lehnte der Beklagte die Gewährung von LSiLU für den Zeitraum von März bis August 2014 für die Klägerin und deren Ehemann ab.

Mit Erstattungsbescheid vom 6.8.2014 forderte der Beklagte von der Klägerin eine Erstattung für

4/13 bis 9/13 in Höhe von monatlich 20,75 € und
10/13 bis 2/14 in Höhe von monatlich 97,14 €,
mithin insgesamt 610,20 €.

Mit Erstattungsbescheid vom 2.3.2015 forderte der Beklagte von der Klägerin eine Erstattung für

3/14 in Höhe von 414,65 €,
4/14 bis 7/14 in Höhe von monatlich 444,05 € und
8/14 in Höhe von 395,90 €,
mithin insgesamt 2586,75 €.

Am 8.6.2017 beantragte die Klägerin die Überprüfung der vorgenannten Erstattungsbescheide und der diesen zugrunde liegenden abschließenden Entscheidungen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 30.4.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.7.2018 ab. Das hiergegen vor dem Sozialgericht Potsdam zum Aktenzeichen S 42 AS 1419/18 anhängige Verfahren ruht derzeit zwecks Abwarten des Ausgangs des Verfahrens vor dem Bundessozialgericht (im Weiteren: BSG) B 14 AS 57/21 R, in welchem eine Entscheidung zu der Frage, ob die verkürzte Ausschlussfrist des § 40 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II in Verbindung mit § 44 Absatz 4 Satz 1 SGB X Anwendung im Fall einer beantragten Überprüfung einer abschließenden Entscheidung findet, zu erwarten steht.

Am 11.1.2021 erhob die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Einrede der Verjährung hinsichtlich der vorgenannten Erstattungsbescheide und der diesen zugrundeliegenden abschließenden Entscheidungen.

Am 22.3.2021 hat die Klägerin vorliegende Klage vor dem Sozialgericht Potsdam erhoben. Sie vertritt die Ansicht, der Forderungseinziehung würde die Einrede der Verjährung entgegenstehen. Das BSG verlange für eine Anwendung von § 52 Abs. 2 SGB X eine bereits in Gang gesetzte Verjährungsfrist. Dem könne entnommen werden, dass ein Erstattungsbescheid selbst noch kein Bescheid im Sinne des § 52 Abs. 2 SGB X sein könne. Dies müsse auch für Erstattungsbescheide nach endgültiger Festsetzung gelten. Sie werde nunmehr die Ratenzahlung einstellen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagte zu verurteilen, die Einziehung aus den Erstattungsbescheiden vom 6.8.2014 und 2.3.2015 zu unterlassen,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Forderungen aus Erstattungsbescheiden vom 6.8.2014 und 2.3.2015 verjährt sind und der Beklagte nicht berechtigt ist, diese Forderungen einzuziehen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, dass vorliegend die 30-jährige und nicht die 4-jährige Verjährungsfrist gelte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig (I.), jedoch unbegründet (II.).

I.

Der Sozialrechtsweg ist gem. § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG eröffnet. Der Rechtsstreit betrifft eine Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Sinne dieser Vorschrift. Indem die Klägerin ihr Begehren darauf stützt, dass die nach dem SGB II begründeten Forderungen verjährt seien und der Beklagte es daher zu unterlassen habe, diese einzuziehen, macht sie ein Begehren geltend, das noch zu den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehört. Erst wenn die Vollstreckung durch die Vollstreckungsbehörden als Bundes- oder Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften des VwVG (§ 40 Abs. 6 HS 1 SGB II) eingeleitet ist und angegriffen wird, ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 FGO) eröffnet (vergleiche zum Ganzen LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.10.2016 zum Aktenzeichen L 7 AS 882/16 B ER).

Das für die Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage zum Hauptantrag erforderliche Rechtsschutzinteresse ist darin zu erblicken, dass die angestrebte Entscheidung die Streitfrage endgültig zu erledigen verspricht und weitere Maßnahmen des Beklagten hinsichtlich der Erstattungsforderungen für den Fall des Klageerfolgs nicht mehr drohen. Das zum Hilfsantrag für die Zulässigkeit der Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (vgl. zur Verjährung als feststellungsfähigem Rechtsverhältnis bereits BSG, Urteil vom 09.02.1995 zum Aktenzeichen 7 RAr 78/93) ergibt sich daraus, dass der Beklagte vom Bestehen von unverjährten Ansprüchen auf Zahlung der Erstattungsforderungen ausgeht und deshalb deren Erfüllung weiterhin verlangen wird.

II.

Die Forderungen aus den Erstattungsbescheiden vom 6.8.2014 und 2.3.2015 sind noch nicht verjährt.

Gem. § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X hemmt ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs. Die Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder 6 Monate nach seiner anderweitigen Erledigung, § 52 Abs. 1 S. 2 SGB X. Ist ein Verwaltungsakt im Sinne des Abs. 1 unanfechtbar geworden, beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, § 52 Abs. 2 SGB X.

Bei den streitgegenständlichen Erstattungsbescheiden handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X. Der Beklagte als öffentlich-rechtlicher Rechtsträger hat diese zur Feststellung und Durchsetzung seiner kraft Gesetzes gem. § 328 Abs. 2 S. 2 HS 1 SGB III entstandenen Ansprüche erlassen, indem er darin die Gesamtüberzahlung nach erfolgter abschließender Entscheidung sowie die Erstattungspflicht der Klägerin verbindlich feststellte und die Erstattung des überzahlten Betrages von dieser forderte.

Die Forderungen aus den Erstattungsbescheiden sind nicht bereits gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X verjährt. Denn es handelt sich bei ihnen nicht um Erstattungsbescheide nach § 50 Abs. 3 SGB X (für zu Unrecht erbrachte Leistungen), sondern um Erstattungsbescheide nach abschließender Entscheidung im Sinne des § 328 Abs. 3 SGB III. Daraus, dass die Bewilligungsbescheide vom 8.7.2014 sowie der Ablehnungsbescheid vom 27.2.2015 jeweils nach Ablauf der in ihnen geregelten Leistungszeiträume ergingen und keinen Vorläufigkeitsvorbehalt mehr enthielten ergab sich auch nach dem für das Verständnis maßgebenden Empfängerhorizont mit hinreichender Klarheit, dass es sich um abschließende Entscheidungen handelte.

Seinem Wortlaut nach regelt § 50 Abs. 4 SGB X lediglich die Verjährung von Verwaltungsakten nach § 50 Abs. 3 SGB X. § 50 Abs. 3 SGB X gilt, wie Wortlaut und systematische Stellung dieser Vorschrift zeigen, für die Geltendmachung eines Erstattungsverlangens sowohl nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X (Leistungserbringung durch später aufgehobenem Verwaltungsakt) als auch nach § 50 Abs. 2 S. 1 SGB X (zu Unrecht erfolgte Leistungserbringung ohne Verwaltungsakt) (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2.7.2020 zum Aktenzeichen L 14 AS 553/20 B ER mit Verweis auf Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rn. 77). Darum handelt es sich vorliegend jedoch gerade nicht. Die streitgegenständlichen Verwaltungsakte setzen vielmehr nach der gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II a.F. entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 328 SGB III einen Erstattungsbetrag fest, der sich aus der Differenz zwischen zunächst aufgrund vorläufigen Verwaltungsaktes erbrachten Leistungen und den mit der abschließenden Entscheidung festgesetzten Leistungen ergibt. Nach dieser Vorschrift sind, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, Überzahlungen zwingend zu erstatten. Die Vorschrift entspricht § 42 Abs. 2 S. 2 SGB I und ist gegenüber § 50 SGB X lex specialis (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5.11.2020 zum Aktenzeichen L 14 AL 4/20; Düe in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 328 Rn. 27). § 328 Abs. 3 SGB III enthält damit einen eigenständigen Erstattungsanspruch – auf den allgemeinen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X kann nicht zurückgegriffen werden, da einerseits die vorläufige Geldleistung gerade nicht im Sinne des SGB X aufgehoben wird und andererseits auch nicht ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht wurde (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO; Schaumberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 328 SGB III, Rn. 116). Die vorliegend streitgegenständlichen Erstattungsbescheide beruhen nicht auf § 50 Abs. 3 SGB X, sondern auf § 328 Abs. 3 S. 2 HS 1 SGB III. Eine direkte Anwendung der Vorschrift des § 50 Abs. 4 SGB X scheidet daher aus.

Die mit den Erstattungsbescheiden festgesetzten Forderungen sind auch nicht in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X verjährt. Eine solche entsprechende Geltung ist, anders als in § 42 Abs. 2 S. 3 SGB I, für Erstattungsansprüche nach § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III gesetzlich nicht angeordnet. Für eine entsprechende Anwendung bedürfte es daher einer zu schließenden planwidrigen gesetzlichen Regelungslücke. Diese wird für die Frage, wann der materiell-rechtliche Erstattungsanspruch im Sinne des § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III verjährt, bevor dieser durch einen Verwaltungsakt formell festgesetzt wurde, in Rechtsprechung und Literatur angenommen und durch eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X geschlossen. Übereinstimmend wird insoweit angenommen, dass der Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjährt, in dem der endgültige Bescheid unanfechtbar geworden ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO mit Verweis auf: Düe a.a.O.; Kallert in Gagel, SGB III, § 328 Rn. 88; Greiser in Eicher/Schlegel, SGB III n.F., § 328 Rn. 66; Schaumberg in Schlegel/Volzke, jurisPK-SGB III, § 328 Rn. 123; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Juni 2019 zum Aktenzeichen L 4 AS 272/17, Rn. 49; Thüringer LSG, Urteil vom 22. März 2018 zum Aktenzeichen L 9 AS 323/16, Rn. 44; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. April 2017 zum Aktenzeichen L 2 AS 1921/16, Rn. 51). Dem ist zuzustimmen. Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die in § 45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient (vgl. BSG, Urteil vom 11.9.2019 zum Aktenzeichen B 6 KA 13/18 R, Rn. 24 m.w.N.). Die vierjährige Verjährungsfrist ist nicht nur in § 45 SGB I für "Ansprüche auf Sozialleistungen", sondern etwa auch in den §§ 25 und 27 SGB IV sowie in § 113 SGB X enthalten. Auch die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X sieht für nachzuzahlende Forderungen, soweit Sondervorschriften (vgl. etwa § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II) nichts anderes bestimmen, eine Begrenzung auf vier Jahre vor. Die Verjährungsfrist von vier Jahren stellt nach allem ein allgemeines Rechtsprinzip im Sozialrecht dar (vgl. BSG a.a.O.). Dass die Verjährung von auf § 328 Abs. 3 SGB III beruhenden Erstattungsansprüchen gesetzlich nicht geregelt ist, stellt sich danach als planwidrig dar. Der Rückgriff auf eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X als sachnächste Verjährungsregelung ist in diesem Fall geboten.

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn – wie vorliegend – ein Erstattungsbescheid nach § 328 Abs. 3 SGB III innerhalb der 4-jährigen Verjährungsfrist seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die abschließende Entscheidung unanfechtbar geworden ist, ergangen ist. In diesem Fall liegt keine Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 SGB X rechtfertigt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2.9.2020 zum Aktenzeichen L 29 AS 998/20 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 15.12.2020 zum Aktenzeichen L 9 AS 546/20 B ER; Düe aaO). Denn in diesem Fall besteht mit § 52 SGB X eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Verjährung, so dass nicht im Wege einer Analogie zu der Verjährungsvorschrift des § 50 Abs. 4 SGB X eine 4-jährige Verjährungsfrist für bestandskräftige Erstattungsbescheide nach § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III anzunehmen ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg aaO; Hessisches LSG aaO; Düe aaO). Es ist auch nicht geboten, die Verjährung von gemäß § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III ergangenen Erstattungsbescheiden ebenso zu beurteilen, wie die Verjährung von gemäß § 50 Abs. 3 SGB X ergangenen Erstattungsbescheiden. Hierzu führt das LSG Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 2.7.2020 zum Aktenzeichen L 14 AS 553/20 B ER aus:

„Beide Regelungen weisen einen unterschiedlichen Charakter auf, so dass die Frage der Verjährung der auf ihrer Grundlage ergangenen Erstattungsbescheide nicht gleichlaufend beantwortet werden muss. § 50 SGB X regelt die Erstattung von Leistungen, die entweder zunächst aufgrund eines endgültigen Verwaltungsaktes, der im Nachhinein aufgehoben wurde, oder die zu Unrecht ohne Verwaltungsakt erbracht wurden. Die Vorschrift findet sich im Zweiten Titel des Ersten Kapitels des SGB X, der mit „Bestandskraft des Verwaltungsaktes“ überschrieben ist. Die Vorschrift selbst ist durch den Gesetzgeber mit „Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen“ überschrieben. Hingegen regelt § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III den Erstattungsanspruch nach zunächst erfolgter vorläufiger Leistungsbewilligung und knüpft damit von vornherein an einen völlig anderen Sachverhalt an: Weder wird die Bestandskraft eines Bescheides durchbrochen noch wurden Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht. Eine vorläufige Leistung begründet auch beispielsweise von vornherein keinen Vertrauensschutz darauf, diese auch endgültig behalten zu dürfen. Die Gewährung von vorläufigen Leistungen entfaltet keine Bindungswirkung für die endgültige Leistung; vorläufige Leistungen stellen gegenüber der endgültigen Leistungsbewilligung ein aliud dar (ständige Rechtsprechung des BSG, vergleiche z.B. Urteil vom 29. April 2015 zum Aktenzeichen B 14 AS 31/14 R Rn. 23 m.w.N.). Sollte § 50 Abs. 4 SGB X so zu verstehen sein, dass er als speziellere Vorschrift der Vorschrift des § 52 Abs. 2 SGB X vorgeht und erst wenn zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des durch Verwaltungsakt festgestellten Erstattungsanspruchs ergehen, diese dem § 52 SGB X unterfallen (wie derzeit wohl von der überwiegenden Meinung angenommen wird, vergleiche LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2018 zum Aktenzeichen L 34 AS 2224/18 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 2018 zum Aktenzeichen L 1 AL 88/17; Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 50 Rn. 126; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rn. 95; a.A. Gregarek in Jahn, SGB-Kommentierung, § 50 SGB X Rn. 39-40), käme ihm ein Ausnahmecharakter zum ansonsten bestehenden Grundsatz zu, dass bestandskräftige Verwaltungsakte, die zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wurden, nach dem Willen des Gesetzgebers gem. § 52 SGB X regelmäßig der 30-jährigen Verjährungsfrist unterliegen, was ebenso im Verwaltungsverfahren gemäß § 53 Verwaltungsverfahrensgesetz gilt sowie entsprechend im Bereich des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB] für rechtskräftig festgestellte Ansprüche (vergleiche § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Angesichts seines eindeutigen Wortlauts, seiner systematischen Stellung und seines geschilderten Ausnahmecharakters ist § 50 Abs. 4 SGB X auf die ausdrücklich von ihm erfassten Fälle beschränkt und im vorliegenden Fall nicht analog anwendbar (vgl. Geiger in info also 2019, 201ff; so wohl auch Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 52 Rn. 4).“

Dem schließt sich die Kammer aufgrund eigener Überzeugung an.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht daraus, dass das BSG mit Urteil vom 4.3.2021 zum Aktenzeichen B 11 AL 5/20 R nunmehr entschieden hat, dass ein Erstattungsanspruch nach Aufhebung eines Verwaltungsakts nur dann erst nach 30 Jahren verjährt, wenn ein weiterer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs während einer bereits laufenden Verjährung dieses Anspruchs bindend wird. Denn vorliegend liegt kein Fall der Aufhebung eines Verwaltungsaktes vor. Anders als in dem dort entschiedenen Fall hingen vorliegend Beginn und Lauf der Verjährungsfrist der Erstattungsforderung auch nicht vom Erlass eines die zu erstattende Leistung festsetzenden Verwaltungsaktes nach § 50 Abs. 3 SGB X ab, sondern die Regelung des § 328 Abs. 3 S. 1 HS 1 SGB III beinhaltet bereits einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der kraft Gesetzes in dem Moment entsteht, in dem sich aus einem Vergleich zwischen gewährter Vorleistung und (endgültig) zu gewährender Leistung eine Überzahlung ergibt (vgl. Schaumberg aaO Rn. 125; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, § 328 SGB III Rn. 300; Greiser in Eicher/Schlegel, SGB III, § 328 Rz 65, Stand II/2017) und der ab dem Zeitpunkt seiner Entstehung der laufenden Verjährung unterliegt. Eine besondere Regelung zur Verjährung wie in § 50 Abs. 4 SGB X, der den Beginn der Verjährung des Erstattungsanspruchs erst mit einem ihn konkret festsetzenden schriftlichen Verwaltungsakt im Sinne des § 50 Abs. 3 SGB X und dessen Unanfechtbarkeit verknüpft, besteht vorliegend nicht.

Darauf, ob es bezüglich vorgenannter Erstattungsforderungen des Beklagten Stundungs-, Niederschlagungs-, Erlass- bzw. Ratenzahlungsanträge der Klägerin gab und diese als Anerkennungshandlung im Sinne des § 212 Abs. 1 BGB den Neubeginn der Verjährungsfrist ausgelöst haben könnten, kommt es daher nicht an. Ebenso wenig kommt es nach alledem darauf an, ob die Klägerin tatsächlich Raten auf die Forderungen entrichtet hat und dies als „Abschlagszahlung“ im Sinne des § 212 Abs. 1 S. 1 BGB den Neubeginn der Verjährung ausgelöst haben könnte, oder ob das Stellen eines Überprüfungsantrages im Jahr 2017 eine Hemmung der Verjährung im Sinne des § 203 BGB bewirkt haben kann.

Andere Gründe, die gegen eine derzeitige Berechtigung des Beklagten zur Einziehung der Erstattungsforderungen sprechen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere stellt das noch anhängige Klageverfahren zum Überprüfungsantrag der Klägerin bezüglich der abschließenden Entscheidungen und der Erstattungsbescheide keinen Grund dafür dar, die weitere Einziehung während dieses Verfahrens für rechtsmissbräuchlich zu erachten und die Einziehung bis zum Abschluss dieses Verfahrens einzustellen. Dies gilt schon deshalb, weil ansonsten ein Überprüfungsantrag – gegen seine eigentliche Funktion – allein dazu gestellt werden könnte, um ein Zwangsvollstreckungsverfahren zu verzögern (vgl. für den Fall eines Erlassantrages: Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 44 [Stand: 07.05.2021], Rn. 38). Sollte ein anhängiges Überprüfungsverfahren keinerlei Wirkungen auf den Verjährungsablauf der bestandskräftig festgestellten Forderung haben, würde zudem bei einem Aussetzen der Einziehung der Forderung bis zum Abschluss des Überprüfungsverfahrens der Eintritt der Verjährung drohen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Berufung war für den Fall, dass die Berufungssumme von mehr als 750 € nicht erreicht sein sollte, vorsorglich zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.