Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 14. Senat | Entscheidungsdatum | 06.02.2018 | |
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Aktenzeichen | L 14 KG 2/16 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf „Kindergeld für sich selbst“ nach § 1 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hat.
Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er beantragte mit Schreiben vom 26. Juni 2014 bei der Beklagten die Gewährung von Kindergeld für sich selbst und trug vor, dass er zwar den Aufenthaltsort seiner Eltern kenne, jedoch mit diesen keinerlei Kommunikation möglich sei.
Mit Bescheid vom 11. September 2013 wurde dem Kläger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Abschiebeverbot gem. § 60 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zuerkannt.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Kindergeld für ihn selbst mit Bescheid vom 4. Juli 2014 ab, weil dem Kläger der Aufenthalt seiner Eltern bekannt sei und daher die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 BKGG nicht vorlägen.
Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger vor, er habe keinen Kontakt zu seinen Eltern. Er habe aus schwerwiegenden religiösen, politischen und moralischen Gründen vor seinem Vater fliehen müssen. Sein Vater sei ein sehr einflussreicher Imam und habe ihn in ein Ausbildungszentrum für militante Islamisten in Pakistan schicken wollen. Seit seiner Flucht nach Deutschland am 9. Dezember 2012 bestehe kein Kontakt zu seinen Eltern mehr.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2015 als unbegründet zurück. Gemäß § 1 Abs. 2 BKGG erhalte Kindergeld für sich selbst, wer in Deutschland seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, Vollwaise sei oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kenne und nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen sei. Der Aufenthalt und die Adresse der Eltern des Klägers seien bekannt. Die Gründe, warum kein Kontakt zu den Eltern bestehe, blieben dabei unberücksichtigt.
Mit seiner hiergegen bei dem Sozialgericht Berlin (SG) am 12. Februar 2015 erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin Kindergeld für sich selbst begehrt. Zwar lägen in seiner Person die in § 1 Abs. 2 BKGG genannten Voraussetzungen nicht vor, er sei jedoch zu behandeln wie ein Kind, das den Aufenthalt der Eltern nicht kenne. Eine Kommunikation mit den Eltern sei nicht möglich. Für derartige Fälle liege eine planwidrige Regelungslücke vor. Der Gesetzgeber verfolge mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG den Zweck, die Benachteiligung der Kinder zu vermeiden, deren Eltern verstorben seien oder deren Aufenthalt sie nicht kennen würden, so dass niemand die Elternstelle einnehmen könne. Der bloße Auslandswohnsitz oder Auslandsaufenthalt der Eltern sei vom Gesetzgeber nur deshalb nicht in den Regelungsbereich für eine Alleinanspruchsberechtigung für das Kind aufgenommen worden, da durch einen einfachen Wohnsitzwechsel die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKGG erfüllt werden könnten. Im vorliegenden Fall sei es aber gerade nicht so, dass seine Eltern durch einen Wohnsitzwechsel die Anspruchsvoraussetzungen selbst erfüllen könnten. Vielmehr sei ihm gerade als Schutz vor seinen Eltern der Aufenthalt in Deutschland erteilt worden. Es sei mithin ausgeschlossen, dass jemand für ihn die Elternstelle im Sinne des Kindergeldrechts werde einnehmen können. Die Ablehnung der Leistung nach dem BKGG verstieße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).
Durch Gerichtsbescheid vom 22. Juni 2016 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung von Kindergeld für sich selbst habe. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG erfordere der Anspruch auf sozialrechtliches Kindergeld für sich selbst, dass das Kind Vollwaise sei oder den Aufenthaltsort seiner Eltern nicht kenne. Beides sei unbestritten nicht der Fall. Soweit der Kläger die wortgetreue Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG für verfassungswidrig erachte, sei dem nicht zu folgen. Schon zur alten Rechtslage vor 1986, auf deren Grundlage Vollwaisen vom Bezug von sozialrechtlichem Kindergeld ausgeschlossen waren, sei anerkannt gewesen, dass dieser Ausschluss verfassungsrechtlich unbedenklich sei (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 25. Oktober 1977, 8/12 RKG 15/77, juris). Der Gesetzgeber habe im Rahmen der Schaffung der Ausnahmeregelung des Kindergeldes für sich selbst auch anerkannt, dass diese Regelung aufgrund des eng gefassten Personenkreises zu einem Ausschluss der die Voraussetzungen nicht erfüllenden Person führe (vgl. Hessisches Landessozialgericht <LSG>, Urteil vom 25. Juni 2014, L 6 KG 3/11, juris), so dass eine planwidrige Regelungslücke nicht erkannt werden könne. Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung sei angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Bereich der steuerfinanzierten Sozialleistungen nicht zu erkennen.
Gegen den der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. Juli 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 17. August 2016 Berufung zum LSG Berlin-Brandenburg eingelegt und vorgetragen, der Kläger sei ohne Personalpapiere nach Deutschland geflüchtet und man habe in der C sein Alter auf 18 Jahre bestimmt. Nunmehr hätten die erforderlichen Dokumente aus seinem Heimatland beschafft werden können und sein aktueller Pass enthalte das korrekte Geburtsdatum ( 1995). Der Kläger habe seit August 2016 eine Vollzeitbeschäftigung als Einzelhandelskaufmann nach Absolvierung seiner Lehre im Juni 2016 aufgenommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2018 hat der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis vom 5. Januar 2017 mit gestatteter Erwerbstätigkeit, gültig bis zum 4. Januar 2020 sowie die davor gültige Aufenthaltserlaubnis vom Dezember 2013 bis Dezember 2016 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Januar 2015 zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 BKGG und die Informationen über die derzeit ausgeübte Beschäftigung seien für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich. Auswirkungen könnten sich allenfalls auf den Klagezeitraum ergeben. Da der Kläger im Juni 2016 seine Ausbildung beendet habe, sei davon auszugehen, dass er Kindergeld nur für die Zeit seiner Berufsausbildung, also bis Juni 2016, begehre.
Mit Schriftsatz vom 8. August 2017 hat die Familienkasse Bayern mitgeteilt, dass der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit mit Beschluss Nr. 11/2017 vom 28. April 2017 gem. § 13 Abs. 3 BKGG bzw. § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die örtliche Zuständigkeit der Familienkassen zum 1. August 2017 neu geregelt habe. Für Personen, die Kindergeld nach dem BKGG beanspruchten und deren Kindergeld keine Berührung zu zwischen- bzw. überstaatlichen Rechtsvorschriften aufweise, sei seither die Familienkasse Baden-Württemberg West zuständig. Die während eines gerichtlichen Verfahrens eintretende Zuständigkeitsänderung führe zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (BSG, Urteil vom 18. November 2015, B 9 V1/15 R).
Die Vertreterin der Beklagten hat im Termin ergänzend darauf hingewiesen, dass trotz der vom Kläger überreichten Aufenthaltstitel die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 BKGG wohl nicht gegeben sein dürften, weil der Ausländerstatus des Klägers nicht abschließend geklärt sei.
Durch Beschluss vom 13. Februar 2017 ist der Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Die Berichterstatterin konnte als Einzelrichterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, nachdem die Berufsrichter des Senats durch Beschluss vom 13. Februar 2017 von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben.
Die Beklagte ist passiv legitimiert. Denn zuständig für die Gewährung sozialrechtlichen Kindergelds nach dem BKGG ist für in Deutschland wohnhafte Antragsteller aufgrund der Zuständigkeitsübertragung (Beschluss des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit Nr. 11/2017 vom 28. April 2017) seit dem 1. August 2017 die Familienkasse Baden-Württemberg West. Die während eines gerichtlichen Verfahrens eintretende Zuständigkeitsänderung führt zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (BSG, Urteil vom 18. November 2015, B 9 V1/15 R).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat in seinem Gerichtsbescheid zu Recht entschieden, dass dem Kläger kein Kindergeld für sich selbst zusteht.
Nach § 1 Abs. 2 S. 1 BKGG erhält Kindergeld für sich selbst, wer in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist. Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers nicht vor und eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den Fall des Klägers kommt aus nachstehenden Gründen ebenso nicht Betracht. Das Gericht verweist zunächst auf die Ausführungen des SG im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid vom 22. Juni 2016, denen es nach eigener Überprüfung folgt (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist anzumerken, dass der Ausländerstatus des Klägers trotz der vorgelegten Titel nicht abschließend geklärt ist, worauf auch die Vertreterin der Beklagten zu Recht hingewiesen hat. So enthält die Verwaltungsakte neben den den Kläger betreffenden Unterlagen auch einen Antrag auf Kindergeld eines Herrn I D, geboren am 15. Oktober 1995, wohnhaft unter derselben Adresse wie damals der Kläger (K Straße, B), ferner Ablichtungen der Aufenthaltserlaubnis des Herrn I D sowie ein Beschluss des Amtsgerichts S über die Bestellung einer Frau Dr. E zu dessen Vormünderin. Des Weiteren gibt es 3 verschiedene mögliche Geburtsdaten des Klägers. Die Deutsche Rentenversicherung Bund weist im Versicherungsverlauf vom 3. April 2017 das Geburtsdatum 10. Juni 1994 aus, dieses findet sich auch im Vertrag über eine schulische Ausbildung, beginnend am 1. September 2013, wieder. Dagegen enthält der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. September 2013 als weiteres Geburtsdatum den 3. Mai 1997 wogegen die von der Rechtsanwältin vorgelegte Passkopie als Geburtsdatum den 2. Juni 1995 enthält (Schreiben vom 7. Juni 2017). Das auf dem Pass befindliche Foto weist auch – soweit auf einer Kopie auszumachen - gewisse Unterschiede zu dem Foto auf dem verlängerten Aufenthaltstitel auf.
Vor allem aber ist die Rechtsgrundlage der erteilten Aufenthaltserlaubnis unklar. Nach § 1 Abs. 3 BKGG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer wie der Kläger Kindergeld u.a. nur dann, wenn er eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2018 vorgelegte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG vom 5. Januar 2017 mit gestatteter Erwerbstätigkeit, gültig bis zum 4. Januar 2020, ist für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht relevant, denn sie betrifft einen Zeitraum nach Abschluss der Ausbildung, für den der Kläger ohnehin kein Kindergeld beanspruchen könnte. Die zeitlich davor ausgestellte Aufenthaltserlaubnis vom Dezember 2013 bis Dezember 2016 lässt keine abschließende Beurteilung des konkreten Ausländerstatus‘ des Klägers zu. Die vorliegenden Kopien sind dunkel und kaum leserlich und lassen keine Rechtsvorschrift erkennen, nach welcher der Aufenthalt gestattet ist. Lediglich die vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren übersandte Kopie (Anwaltsschreiben vom 12. April 2016) enthält einen handschriftlichen Zusatz „§ 25 Abs. 2 AufenthG“. Allerdings ist nach § 25 Abs. 2 AufenthG einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nur dann zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) oder subsidiären Schutz i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt hat. Diese Voraussetzungen treffen auf den Kläger nicht zu, wie sich dem Bescheid vom 11. September 2013 entnehmen lässt, in dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt und lediglich ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG ausgesprochen hat. Einschlägig für den Fall des Klägers wäre eher die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG gewesen, wonach einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Der Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3-5 AufenthG erhält aber Kindergeld für sich selbst nur dann, wenn er sich seit mindestens 3 Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig gewesen ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 BKGG) - sämtlich Voraussetzungen, die im Fall des Klägers nicht vorliegen.
Selbst wenn der Kläger aber nicht nach Bestimmungen des Aufenthaltsrechts vom Bezug von Kindergeld für sich selbst ausgeschlossen sein sollte, weil § 1 Abs. 3 BKGG auf ihn nicht Anwendung findet, wären die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 S. 1 BKGG - wie bereits oben erwähnt - nicht gegeben. Das vom Kläger angegebene Zerwürfnis mit seinen Eltern, insbesondere mit seinem Vater, erfüllt nicht das Tatbestandsmerkmal der Unkenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern i.S.d. § 1 Abs. 2 BKGG und ist diesem auch nicht im Wege analoger Gesetzesanwendung gleichzustellen. Nach der grundsätzlichen Konzeption des BKGG sollte das Kindergeld allein der elterlichen Entlastung dienen und deshalb aber nur Personen zustehen, die als Eltern oder ähnlich wie Eltern mit dem Unterhalt von Kindern belastet sind. Die Einführung eines Kindergeldes für Kinder stieß deshalb auf Schwierigkeiten im Rechtssystem, die man aber im Hinblick auf den Gesetzeszweck zu Gunsten eines sehr begrenzten Personenkreises hinten anstellen wollte (Bundestags-Drucksache <Bt-Drs.> 10/2563, Seite 3). Nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers sollten mit den Vorschriften des § 1 Abs. 2 BKGG (eingefügt in das BKGG mit Wirkung vom 1. Januar 1986 durch das 11. Gesetz zur Änderung des BKGG vom 27. Juni 1985 (Bundesgesetzblatt <BGBl> I, Seite 1251) ausschließlich alleinstehende Vollwaisen begünstigt werden. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass es als sozial ungerecht empfunden wurde, dass für Kinder, bei denen nach Tod oder Verschollenheit der Eltern niemand die Elternstelle im Sinne des Kindergeldrechts eingenommen hatte, kein Kindergeld gezahlt wurde, insbesondere dann, wenn sie selbst für ihre jüngeren Geschwister die Stelle der Eltern eingenommen hatten (Bundestags-Drucksachen <Bt-Drs.> 10/2563, Seite 3 und 10/3369, Seite 11). Aus diesem Grund erging der Vorschlag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, den Gesetzesentwurf der Bundesregierung trotz systemimmanenter Bedenken um eine eng begrenzte Ausnahmeregelung unter Härtegesichtspunkten zu erweitern und Kindergeld für sich selbst einem entsprechend eng begrenzten Personenkreis zukommen zu lassen. Das letztlich verabschiedete Gesetz geht sogar über die Beschlussvorlage hinaus, indem zusätzlich die Variante der Unkenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern eingefügt wurde. Die Gleichstellung der Unkenntnis des Aufenthalts der Eltern mit deren Tod oder Verschollenheit rechtfertigte sich aber allein daraus, dass in derartigen Fällen ein Kindergeldanspruch der Eltern unter keinen Umständen denkbar war. In Anbetracht der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BKGG (i.d.F. vom 21. Januar 1982 <BGBl I, Seite 13,14> sowie vom 21. Januar 1986 <BGBl I, Seite 222, 223>) sollte aber kein Anspruch auf Kindergeld für sich selbst für den Fall geschaffen werden, dass die Eltern leben, aber aufgrund eines ständigen Auslandsaufenthalts keinen Kindergeldanspruch haben oder dem Kind keinen Unterhalt leisten können (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 25. Juni 2014, L 6 KG 3/11, juris, Rn. 21). In den Genuss von Kindergeld für sich selbst sollen allein Kinder kommen, die mangels Kontakt nicht wissen, wo ihre Eltern sich aufhalten und letztlich nicht wissen können, ob sie noch am Leben sind und jemals die Elternstelle wieder einnehmen können (vgl. BSG, Urteil vom 8. April1992, juris). Der bloße Aufenthalt der Eltern im Ausland, wie im Fall des Klägers verbunden mit einem Zerwürfnis, begründet demnach keinen Anspruch des Kindes auf Kindergeld an sich selbst.
Das Gericht teilt nicht die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Einbeziehung nur dieses eng begrenzten Personenkreises. Eine Gefährdung des Existenzminimums ist beim Kläger im streitigen Zeitraum nicht eingetreten, zumal er ergänzende Leistungen nach dem BAföG und ergänzende Kosten der Unterkunft nach § 20 Abs. 3 SGB II erhalten hat. Eine unzulässige Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 GG des Klägers gegenüber Vollwaisen bzw. Personen, denen der Aufenthalt der Eltern nicht bekannt ist, liegt ebenso wenig vor. Zwischen der Gruppe von Normadressaten (Kinder, deren Eltern verstorben sind oder deren Aufenthalt sie nicht kennen) und dem Kläger besteht ein die Ungleichbehandlung rechtfertigender sachlicher Unterschied, da er den Aufenthaltsort seiner Eltern kennt. Eine erweiternde Auslegung der Vorschrift im Hinblick auf deren eng begrenzten Ausnahmecharakter auf Fälle, bei denen ein Kind mit seinen Eltern zerstritten ist und nicht zu erwarten ist, dass die Eltern durch einen Wohnsitzwechsel die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruches erfüllen würden, hält das Gericht nicht für geboten. Abgesehen davon, dass die Feststellung des Todes oder des dem Kind unbekannten Aufenthalts der Eltern im gerichtlichen Verfahren eindeutiger zu treffen sein dürfte als die Bewertung der Schwere eines Zerwürfnisses mit den Eltern zeigen auch die beiden vom Gesetzgeber normierten Ausnahmetatbestände, dass Kinder nur dann Kindergeld für sich selbst beantragen können, wenn es aufgrund objektiv feststellbarer Umstände ausgeschlossen erscheint, dass die Eltern den Kindergeldanspruch realisieren können. Bereits die hypothetische Möglichkeit, den Wohnsitz ins Inland zu verlegen, schließt den Kindergeldanspruch des Kindes für sich selbst aus, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern diese Möglichkeit wahrnehmen können oder wollen. Für eine analoge Anwendung auf den Fall des Klägers fehlt es mithin an einer planwidrigen Gesetzeslücke, denn der Gesetzgeber hat gesehen, dass die eng begrenzte Ausnahmeregelung zu einem Ausschluss von Personen führt, die die Voraussetzungen insbesondere im Fall eines beiderseitigen Auslandsaufenthalts der Eltern, die ihrem Kind aus welchen Gründen auch immer kein Kindergeld zahlen, nicht erfüllen.
Auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht anzunehmen. Abgesehen davon, dass Art. 6 GG die Ehe und Familie und damit die Eltern schützt, ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, einen Kindergeldanspruch für Kinder vorzusehen, deren Eltern im Ausland leben und deswegen von der Kindergeldberechtigung ausgeschlossen sind. Bei der Ausgestaltung der durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Familienförderung kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BverfG, Beschluss vom 29. Oktober 2002,1 BvR 16/95, juris). Die Entscheidung des Gesetzgebers, Kindergeld grundsätzlich nur an im Inland lebende oder Einkünfte erzielende Eltern und an Kinder nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen zu zahlen, hält sich in diesem Rahmen. Die Beschränkung auf Eltern mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt oder zumindest Einkünften im Inland rechtfertigt sich daraus, dass die durch die Aufwendungen für Kinder belasteten Einkünfte im Inland erzielt werden, wogegen ein sozialer Ausgleich in andere Staaten nicht in die Kompetenz des deutschen Gesetzgebers fällt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG liegen angesichts des klaren Gesetzestextes und der Materialien nicht vor.