Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 09.02.2022 | |
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Aktenzeichen | 13 UF 156/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0209.13UF156.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 08.11.2021 - 29 F 193/21 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000,- € festgesetzt.
I.
Die Antragsbeteiligten streiten im zweiten Rechtszug nur noch um die Übertragung des Rechts zur alleinigen Ausübung der Schulwahl im Wege der einstweiligen Anordnung.
Sie sind die getrennt lebenden, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern des fünfjährigen L..., den sie gemeinsam mit seiner siebenjährigen Schwester Lu... seit ihrer Trennung Ende 2017 im paritätischen Wechselmodell betreuen. Ein beim Amtsgericht Strausberg aufgrund des Antrags des hiesigen Antragsgegners vom 03.09.2021 (Bl. 60) anhängiges Hauptsacheverfahren (29 F 167/21), mit dem dieser die Übertragung der elterlichen Sorge für beide Kinder auf sich allein beantragt und eine Fortsetzung des Wechselmodells ablehnt, ist nicht abgeschlossen. L... besucht seit November 2020 eine in der Nähe des mütterlichen Haushalts gelegene Kita, Lu... seit Sommer 2021 die zum Einzugsbereich des väterlichen Haushalts gehörende „Grundschule a… S…“. Beide Kinder sind einwohnermelderechtlich beim Vater gemeldet. Über die Entscheidungsbefugnis zur Wahl der Grundschule des Kindes Lu... streiten sich die Eltern vor dem Amtsgericht, nachdem der Senat mit Beschlüssen vom 05.11.2021 (13 UF 122/21) die diesbezüglichen Entscheidungen des Amtsgerichts in der Hauptsache und vom 10.11.2021 (13 UF 121/21) im einstweiligen Anordnungsverfahren aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen hat.
Mit verfahrenseinleitendem Antrag vom 02.09.2021 (Bl. 1) hat die Antragstellerin hinsichtlich des Kindes L... die Übertragung der Entscheidungsbefugnis betreffend des Melderechts und der Schulwahl für das Schuljahr 2022/2023 im Wege der einstweiligen Anordnung auf sich allein beantragt. Eine Einschulung in die im Einzugsgebiet des Haushalts der Mutter befindliche „M… Grundschule“ entspreche L...´ Wohl am besten. L...´ soziales Umfeld sei am Wohnort der Mutter. Er besuche dort die Kita und habe sich einen Freundeskreis aufgebaut. Er wünsche sich eine Einschulung in die „M… Grundschule“, da er erwarte, dass dort seine Kita-Freunde eingeschult würden. Diese Schule sei fußläufig in knapp 5 Minuten vom Haushalt der Mutter entfernt. Eine Geschwistertrennung könne durch einen Schulwechsel Lu...s verhindert werden. Die vom Antragsgegner favorisierte „Grundschule a… S…“, die Lu... gegenwärtig besuche, liege 4 km vom Haushalt des Vaters entfernt.
Die Antragstellerin hat beantragt (Bl. 1),
die Entscheidungsbefugnis betreffend des Melderechts sowie der Schulwahl für das Schuljahr 2022/2023 für das gemeinsame Kind L... H…, geboren am … 2016, im Wege der einstweiligen Anordnung auf sie zu übertragen.
Der Antragsgegner hat Antragsabweisung beantragt (Bl. 103).
L...´ Anmeldung in der „Grundschule a… S…“ obliege ihm bereits aufgrund der melderechtlichen Zuordnung des Kindes. L... sei in diese Schule einzuschulen, um eine Geschwistertrennung zu vermeiden. Der Junge habe am Wohnort des Vaters ein soziales Umfeld aus gleichaltrigen Kindern und nehme während seines Aufenthalts beim Vater montags und mittwochs von 16 Uhr 30 bis 18 Uhr am Fußballtraining des örtlichen Sportvereins teil.
Das Amtsgericht hat nach Anhörung der erwachsenen Beteiligten und des Kindes L... am 04.11.2021 (Bl. 115) durch die angefochtene Entscheidung vom 08.11.2021 (Bl. 116) unter Abweisung des Antrags im Übrigen die Entscheidungsbefugnis über die Schulanmeldung des Kindes L... zum Schuljahr 2022/2023 der Antragstellerin allein übertragen und dies auf den insoweit beachtlichen Willen des Kindes gestützt. L... habe während der persönlichen Anhörung am 04.11.2021 zum Ausdruck gebracht, die Schule am Wohnort der Antragstellerin besuchen zu wollen, da dort auch seine Freunde eingeschult würden.
Mit seiner Beschwerde vom 16.11.2021 (Bl. 124) wendet der Antragsgegner ein, L... habe im Gespräch mit der Verfahrensbeiständin am 30.09.2021 geäußert, es sei ihm egal, auf welche Schule er gehen solle. Der Junge sei aufgrund seines Alters leicht beeinflussbar. Eine Einschulung in der von der Mutter favorisierten Grundschule würde zu einer dauerhaften Geschwistertrennung führen und L...´ Fußballtraining am Wohnort des Vaters verunmöglichen.
Der Antragsgegner beantragt (Bl. 124),
den Antrag der Antragstellerin insgesamt zurückzuweisen,
die Entscheidungsbefugnis über die Schulwahl für das gemeinsame Kind L... H…, geboren am ...2016, auf ihn allein zu übertragen.
Die Antragstellerin beantragt (Bl. 139),
die Beschwerde zurückzuweisen.
Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags führt sie aus (Bl. 154), dass eine Beschulung von L... in der von ihr favorisierten Grundschule auch dann möglich sei, wenn Lu... zukünftig weiterhin die „Grundschule a… S…“ besuche.
Die Verfahrensbeiständin teilt in ihrer Stellungnahme vom 27.12.2021 (Bl. 144) mit, L... habe im Rahmen der Vorbereitung der erstinstanzlichen Anhörung geäußert, lieber am Wohnort der Mutter die Schule besuchen zu wollen. Im vorangegangenen Gespräch in ihrer Praxis habe er sich diesbezüglich unentschlossen gezeigt.
Der Senat entscheidet, wie angekündigt (Bl. 146), ohne Durchführung eines Termins, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG, von dem ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten ist.
II.
Die nach §§ 57 Satz 2, 58 ff. FamFG statthafte und in zulässiger Weise erhobene Beschwerde des Antragsgegners bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zurecht die Entscheidungsbefugnis für die im Sommer 2022 bevorstehende Einschulung des Kindes L... auf die Antragstellerin übertragen, da dies dem Kindeswohl am besten entspricht, §§ 1628 Abs 1, 1697a BGB.
Das Recht zur alleinigen Ausübung der Schulwahl fällt grundsätzlich ohne weiteres in den Anwendungsbereich des § 1628 BGB (BeckOKG/Amend-Traut, 1.11.2021, BGB § 1628 Rn. 34; MüKoBGB/Huber, 8. Aufl. 2020, BGB § 1628 Rn. 14; BeckOK BGB/Veit, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 1628 Rn. 9). Die Übertragung einer Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB setzt grundsätzlich voraus, dass dem Elternstreit eine Angelegenheit der elterlichen Sorge zugrunde liegt, über die die Eltern einen punktuell-sachbezogenen Konflikt führen (BeckOGK/Amend-Traut BGB § 1628 Rn. 34), der einen konkreten situativen Bezug zu einem bestimmten Einzelfall hat (MüKoBGB/Huber BGB § 1628 Rn. 10). Streiten die Eltern - wie vorliegend - in der Sache zugleich über den zukünftigen Aufenthalt des Kindes und das Betreuungsmodell, ist regelmäßig eine Entscheidung am Maßstab des § 1671 BGB zu treffen, da über den Weg der Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis für die Schulwahl nach § 1628 BGB nicht ein Aufenthaltswechsel erstritten werden kann (OLG Stuttgart, BeckRS 2018, 43543; OLG Koblenz, BeckRS 2018, 42038). Da jedoch vorliegend die Entscheidung über die Einschulung des Jungen zum Beginn des Schuljahrs 2022/2023 unmittelbar bevorsteht, die Auswahl der konkreten Schule nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Einvernehmen beider sorgeberechtigter Eltern erfordert (KG BeckRS 2017, 144822; OLG Schleswig, NJW-RR 2011, 581; BeckOGK/Tillmann BGB § 1687 Rn. 24), mithin nicht von demjenigen Elternteil bewerkstelligt werden kann, dessen Haushalt das Kind einwohnermelderechtlich zugeordnet ist, besteht ein dringendes Regelungsbedürfnis für eine vorläufige Übertragung des Rechts zur Ausübung der Schulwahl auf ein Elternteil, so das eine Entscheidung im Wege des § 1628 BGB erfolgen muss (vgl. KG BeckRS 2017, 144822).
Maßstab für die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung ist das Kindeswohl, § 1697a BGB. Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für eine einzelne sorgerechtliche Angelegenheit trifft das Gericht keine eigene Sachentscheidung, sondern prüft nur, welche Auffassung welches Elternteils dem Kindeswohl am besten entspricht. Die Entscheidungsbefugnis ist auf den Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Kindeswohl besser gerecht wird. Ob und inwiefern das Kindeswohl berührt ist, ist nach der Eigenart der zu regelnden Angelegenheit zu beurteilen, aus der sich auch die konkreten Anforderungen an die für die Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffende Prüfung ergeben (BGH FamRZ 2017, 1057; OLG Hamburg, NZFam 2021, 876; BeckOGK/Amend-Traut BGB § 1628 Rn. 58; BeckOK BGB/Veit BGB § 1628 Rn. 12). Dabei sind sämtliche relevanten Kriterien zu prüfen und gegeneinander abzuwägen. Bei der Entscheidung über die Wahl der Schule ist die Auswirkung der jeweiligen Schulwahl auf das soziale Umfeld des Kindes in die Erwägung mit einzubeziehen (BVerfG FamRZ 2003, 511; OLG Hamburg, NZFam 2021, 876; Döll in: Ermann, BGB, 16. Aufl. 2020, § 1628 BGB Rn. 13a), insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - das Schulkonzept kein entscheidendes Kriterium für die zwischen den Eltern streitige Frage ist, an welcher Schule die Einschulung für das Kind am besten ist (KG BeckRS 2017, 144822).
Das Kindeswohl ist bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Schulwahl auf die Antragstellerin am besten gewahrt. Bei ihr ist der Aspekt der Auswirkung der Schulwahl auf das soziale Umfeld des Kindes L... besser gewährleistet als beim Antragsgegner. Die sozialen Kontakte, die der Junge durch den Kitabesuch im Umfeld des mütterlichen Haushalts geknüpft hat, sind für das Gelingen des Wechsels von der Kita zur Schule von erheblicher Bedeutung. Dem steht nicht entgegen, dass L... erst seit November 2020 die Kita in Wohnortnähe der Antragstellerin besucht, da gerade das letzte Kitajahr vor der Einschulung mit der Vorbereitung auf den Wechsel in die Grundschule regelmäßig Kinderfreundschaften prägt. Die Wahrscheinlichkeit, dass L... in der von der Antragstellerin favorisierten Grundschule Kinder antrifft, die er aus der Kita kennt, ist hoch, auch wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig nicht sämtliche Kitakinder die der Kita nächstgelegene Grundschule besuchen. Die Einschulung in einer Schule zusammen mit Kindern, die das einzuschulende Kind bereits kennt, dient dem Kindeswohl, da dadurch bereits geknüpfte soziale Beziehungen aufrechterhalten werden können und die Umstellung leichter verkraftet werden kann (vgl. KG BeckRS 2017, 144822, Rn. 19). Anhaltspunkte für eine vergleichbar hohe Wahrscheinlichkeit, bei Einschulung an bereits bestehende Spielfreundschaften aus der Zeit vor der Schule anzuknüpfen, bestehen bei einer Einschulung in die vom Antragsgegner favorisierte Grundschule nicht. Die Teilnahme am selben Fußballtraining schafft in der Regel nicht vergleichbar intensive soziale Beziehungen wie der gemeinsame Kitabesuch. Auch die tatsächliche und seelische Unterstützung, die L... in der vom Antragsgegner favorisierten Schule durch die Anwesenheit seiner Schwester Lu... erfahren kann, überwiegt nicht die Bedeutung der in der Kitazeit geknüpften sozialen Beziehungen, zumal die Geschwister typischerweise nicht demselben Klassenverband angehören werden.
Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Schulwahl auf die Antragstellerin ist auch die Einbeziehung des sachlich begründeten Willens des Jungen sicher gewährleistet, was der Stärkung des Selbstwirksamkeitserlebens als bedeutsamem Aspekt des Kindeswohls dient (Senat, Beschluss v. 20.09.2018, 13 UF 21/17, juris). L...´ im erstinstanzlichen Anhörungstermin geäußerte Erwartung, die Kitafreunde in der Schule wiederzutreffen, ist - ungeachtet der Frage, ob sich diese Erwartung realisiert - zu berücksichtigen, auch wenn der Junge wenige Tage vorher diesbezüglich noch unentschlossen war. Es ist nachvollziehbar, dass eine mit dem Wechsel von der Kita zur Schule einhergehende Anspannung durch die Hoffnung, in der Schule an bereits bestehende Freundschaften anzuknüpfen, gemildert wird.
Weiter streitet auch das Argument der Antragstellerin betreffend den fußläufig zu bewältigenden Schulweg für die Kindeswohldienlichkeit ihres Lösungsvorschlags. Zwar wird die Begleitung des Jungen durch einen Erwachsenen auch bei einer fußläufigen Entfernung von wenigen Minuten nicht von Anbeginn der Schulzeit an entfallen. Jedoch ist zu erwarten, dass der Junge nach einer gewissen Zeit den Schulweg unbegleitet bewältigen können wird, was aufgrund der damit einhergehenden Selbständigkeit und Übernahme von Selbstverantwortung seinem Wohl besser dient als die deutlich später erst mögliche selbständige Bewältigung des 4 km langen Schulwegs zu der vom Antragsgegner favorisierten Schule.
Demgegenüber spielt bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Schulwahl vorliegend keine Rolle, dass der Antragsgegner sich für die Grundschule ausspricht, die L...´ Schwester Lu... besucht. Soweit der Antragsgegner hervorhebt, der Besuch unterschiedlicher Schulen würde zur Geschwistertrennung führen, betrifft dieses Argument die - im Hauptsacheverfahren vor dem Amtsgericht Strausberg zum Aktenzeichen 29 F 29 F 167/21 - verfahrensgegenständliche - Zuordnung des Lebensmittelpunkts. Die Vermeidung einer Geschwistertrennung zum Zweck der Aufrechterhaltung der Geschwisterbindung kann einen gewichtigen Aspekt des Kindeswohls darstellen, wenn das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder das Betreuungsmodell in Rede steht (OLG Brandenburg, 1. Senat für Familiensachen, BeckRS 2012, 23811). Für die hier allein streitentscheidende Frage der Schulwahl spielt aber die Geschwisterbindung eine untergeordnete Rolle, insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - nicht Mehrlinge betroffen sind, sondern Geschwister, die ohnehin typischerweise nicht in demselben Klassenverband unterrichtet werden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Diese Entscheidung ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, § 70 Abs. 4 FamFG.