Gericht | VG Potsdam 12. Kammer | Entscheidungsdatum | 08.12.2021 | |
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Aktenzeichen | 12 K 2469/16.A | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2021:1208.12K2469.16.A.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 3 AsylVfG 1992 |
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 29. Juni 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der am 2 ... in D ... geborene Kläger ist Druse und syrischer Staatsangehöriger. Nach dem Abitur studierte er zwei Jahre Geologie.
Der Kläger verließ Syrien am 7. Januar 2016 auf dem Luftweg in die Türkei und reiste von dort auf dem Landweg nach Griechenland und sodann weiter nach Deutschland. Hier traf er am 1. Februar 2016 ein.
Der Kläger wurde mit Bescheid der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg vom 21. März 2016 dem Landkreis Oberhavel zugewiesen.
Am 20. April 2016 erhielt der Kläger die Gelegenheit, beim Bundesamt unter Vorlage des syrischen Personalausweises und Reisepasses seinen Schutzantrag zu stellen.
Am 23. Juni 2016 wurde der Kläger beim Bundesamt angehört. Er führte dabei, unter anderem, aus, die Religionsgemeinschaft der Drusen habe sich zur Neutralität entschieden. Die syrische Regierung habe sie aufgefordert, gegen die Freie Syrische Armee zu kämpfen. Diese Forderung der syrischen Regierung hätten sie abgelehnt. Früher habe die syrische Regierung die Drusen unterstützt, was mit ihrer Ablehnung vorbei gewesen sei.
Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte, antwortete der Kläger, er werde sofort zum Militärdienst eingezogen, davor habe er Angst. Entweder kämpfe man mit der syrischen Regierung oder, wenn man in einer anderen Region wäre, würde er mit einer der dort herrschenden Gruppe gegen die syrische Regierung kämpfen.
Mit einem am 29. Juni 2016 in Eisenhüttenstadt gefertigten Bescheid, der nicht unterschrieben ist, aber am 30. Juni 2016 ausgefertigt und dem Kläger am 4. Juli 2016 zugestellt wurde, wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt; sein weitergehender Schutzantrag wurde abgelehnt.
Daraufhin hat der Kläger am 13. Juli 2016 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben lassen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers trägt vor, die Weigerung, den Kriegsdienst zu leisten, führe zum Vorwurf der Illoyalität gegenüber dem Regime Assad, was eine politische Verfolgung nach sich ziehe. Es bestehe ein Anspruch auf Flüchtlingseigenschaft, wegen der Verweigerung an völkerrechtswidrigen Handlungen teilzunehmen. Als Druse lehne es der Kläger ab, die Regierung zu unterstützen, vielmehr wolle er neutral bleiben.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt für diesen,
die Beklagte unter Aufhebung der Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Juni 2016 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Prozessvertreterin der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, es gebe keine völkerrechtlichen Regelungen, die der Wehrpflicht in totalitären Staaten entgegenstehen. Den dem Kläger aufgrund der Wehrdienstentziehung drohenden Maßnahmen könne im vorliegenden Fall keine politische, ihn individuell treffende Richtung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entnommen werden. Ziel solcher Maßnahmen sei es vielmehr, ihn letztlich zur Teilnahme am Militärdienst zu bewegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 7. Mai 2021, Blätter 40 bis 45 der Gerichtsakten, verwiesen.
Die Prozessvertreterin der Beklagten räumt allerdings ein, dass sie den in Syrien geführten Krieg für einen völkerrechtswidrigen Krieg halte.
Die Beklagte erklärte sich mit Schriftsatz vom 10. August 2016 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2021 erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen das Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle der Kammer.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, insbesondere das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2021 sowie die zu den Gerichtsakten vorgelegten Ausdrucke elektronisch gespeicherter Daten des Bundesamtes verwiesen.
Der Berichterstatter ist anstelle der Kammer zur Entscheidung berufen, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben, § 87 Abs. 2 und 3 VwGO.
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Es kann dahinstehen, ob tatsächlich ein Originalbescheid des Bundesamtes vom 29. Juni 2016 existiert, weil einerseits auch für den Fall, dass tatsächlich das Erfordernis einer schriftlichen Entscheidung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 AsylG nicht erfüllt ist (vgl. zu dieser Problematik, Urteil des VG Potsdam vom 8. Januar 2020 - VG 12 K 2018 -, S. 7 des Urteilsabdrucks), die Klage als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig und andererseits auch im Falle eines wirksamen Bescheides vom 29. Juni 2016 die Klage fristgerecht gemäß § 74 Abs. 1 S. 1 AsylG erhoben worden ist.
Die Klage ist begründet, denn die in Nr. 2 des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes vom 29. Juni 2016 ausgesprochene Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Der Kläger hat nämlich einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der rechtliche Rahmen der materiellen Prüfung stellt sich wie folgt dar: Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Wenn sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung wegen eines der genannten Merkmale außerhalb seines Herkunftslandes befindet und er dessen Schutz nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, ist er ein Flüchtling gemäß § 3 Abs. 1 AsylG. Dann wird gemäß § 3 Abs. 4 AsylG einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention keine Abweichung zulässig ist. Eine Verfolgungshandlung kann nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3 a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die dort im Einzelnen aufgeführten Handlungen gelten, insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1) und unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3). Weiter kann danach die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5).
Für die Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG enthält § 3 b AsylG nähere Bestimmungen darüber, was bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen ist. Insbesondere bestimmt § 3 b Abs. 2 AsylG, dass es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich ist, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3 b AsylG und den Verfolgungshandlungen nach § 3 a Abs. 1 und 2 AsylG muss nach § 3 a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen, d.h., dass die Verfolgung gerade wegen bestimmter Verfolgungsgründe drohen muss. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, juris Rn. 44).
Nach dem durch den Zufluchtgedanken geprägten normativen Leitbild des Flüchtlingsschutzes gelten für die Beurteilung, ob Flüchtlingsschutz zu gewähren ist, unterschiedliche Ansätze. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang, ob ein Schutzsuchender seinen Herkunftsstaat wegen eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung (Vorverfolgung) verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Im erstgenannten Fall müssen dann stichhaltige Gründe dafür sprechen, dass ein Schutzsuchender nicht erneut von solcher Verfolgung bedroht ist, Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (QualRL). Eine Bedrohung im Herkunftsstaat, die an die Rechtsgüter der §§ 60 Abs. 1 AufenthG und 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpft, kann auch auf Ereignissen oder Umständen beruhen, die eintreten, nachdem ein Ausländer seinen Herkunftsstaat verlassen hat (Nachfluchtgründe). Dann ist Flüchtlingsschutz zu gewähren, wenn ihm flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Die Feststellung einer an die Merkmale der §§ 60 Abs. 1 AufenthG und 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpfenden Verfolgung setzt voraus, dass sich das Gericht im vollen Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) von der Wahrheit des von einem Schutzsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft. Hierbei ist das Gericht nach § 86 Abs. 1 VwGO gehalten, alle für die Entscheidung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes in eigener Verantwortung durch ausreichende Erforschung des Sachverhaltes (vgl. Kopp/Schenke VwGO Kommentar, 24. Aufl., 2018, Anm. 4 zu § 108 VwGO) festzustellen und die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., Anm. 193 zu § 113 VwGO, m. w. N.). Dabei sind dem Gericht naturgemäß Grenzen dadurch gesetzt, dass in der Regel vielfach Lebenssachverhalte aufzuklären und zu bewerten sind, die sich im Ausland zugetragen haben (sollen). Insoweit unterliegt die Möglichkeit richterlicher Sachverhaltsermittlung Einschränkungen. Es ist in diesem Zusammenhang deshalb auch zu beachten, dass sich ein schutzsuchender Ausländer typischerweise in einem Beweisnotstand befindet, was die Vorgänge in seinem Herkunftsstaat und die Verfügbarkeit von Beweismitteln betrifft. Dies ist bei der richterlichen Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Würdigung des Vortrages eines schutzsuchenden Ausländers zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658; OVG Magdeburg, Urteil vom 25. Mai 2011 - 3 L 374/09 -, zitiert nach juris, Rn. 51; VG Potsdam, Urteil vom 16. September 2016 - VG 12 K 2187/14.A -, S. 8 des Urteilsabdrucks). Daher ist es ausreichend, wenn der Vortrag eines Schutzsuchenden substantiiert ist, eine nachvollziehbare Erklärung für etwaige Lücken gegeben werden kann, sein Vorbringen schlüssig und plausibel ist und nicht im Widerspruch zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen steht, Art. 4 Abs. 5 a bis c QualRL. Für die Glaubhaftigkeit des Verfolgungsvorbringens gilt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, dass es einem Schutzsuchenden obliegt, von sich aus umfassend die Gründe für das verfolgungsbedingte Verlassen des Heimatstaates unter Angabe genauer Einzelheiten in sich stimmig darzulegen. Der Vortrag, insbesondere zu den in die eigene Sphäre fallenden Ereignissen, muss geeignet sein, den Schutzanspruch zu tragen. Wesentliche Widersprüche und Steigerungen im Vorbringen führen regelmäßig dazu, dass dieses nicht als glaubhaft angesehen werden kann.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dem Kläger droht bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung, denn der Kläger ist aus einer grundsätzlichen Haltung heraus nicht bereit, Wehrdienst für das Regime Assad zu leisten. Der Kläger hat nicht nur schriftsätzlich durch seinen Prozessbevollmächtigten vortragen lassen, dass er nicht bereit ist, an den völkerrechtswidrigen Handlungen des Assad Regimes teilzunehmen, er hat dies auch persönlich in der mündlichen Verhandlung im Rahmen seiner Anhörung durch den Berichterstatter überzeugend dargelegt, indem er nachvollziehbar ausführte, er sei nicht dazu bereit, andere Menschen zu töten. Er sei insbesondere nicht bereit, in der syrischen Armee zu dienen, weil er im Jahr 2015 gesehen habe, wie diese Bomben auf die Menschen geworfen habe. Er habe mitbekommen, dass chemische Bomben in einem Nachbarort eingesetzt worden seien. Die Armee unterstützte nicht das Volk, sondern diene nur einer Person, womit der Kläger unzweifelhaft den Diktator Assad meint. Diese Haltung ist für den Kläger und veräußerlich. Bei der prognostisch zu unterstellenden Rückkehr des Klägers nach Syrien hat er mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dort mit Verfolgung durch staatliche Stellen zu rechnen, die an seine Haltung anknüpft.
Es kann dahinstehen, ob nicht bereits die Verweigerung des Militärdienstes von den syrischen Behörden unabhängig von den persönlichen Gründen des Klägers als ein Akt politischer Opposition ausgelegt wird. Dafür spricht im Übrigen neben dem gewichtigen Argument im Urteil des EuGH vom 19. November 2020 - C-238/19 - (juris Rn. 60) auch deutsches Recht im Zusammenhang mit der Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen in der DDR. Nach dem Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (StrRehaG) ist die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat. Dies gilt in der Regel für Verurteilungen nach Vorschriften über die Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung nach § 256 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik oder § 43 des Gesetzes über den Wehrdienst in der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. März 1982. Wenn die strafrechtliche Verurteilung für Wehrdienstentziehung oder Wehrdienstverweigerung in der Deutschen Demokratischen Republik in der Regel als eine Verurteilung gilt, die der politischen Verfolgung diente, muss dasselbe nach Auffassung des Gerichts erst recht für das ungleich menschenverachtendere und rechtsstaatswidrigere System des Baschar al-Assad in Syrien angenommen werden.
Letztendlich kommt es darauf nicht an, denn nach Maßgabe der Grundsätze des rechtlichen Rahmens ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil er zur Überzeugung des Gerichts in Syrien anknüpfend an eine persönliche Grundhaltung bei einer Rückkehr nach Syrien durch das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mindestens flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung in Form von Strafhaft zu befürchten hat. Diese Verfolgung knüpft an die von der Beklagten nicht substantiiert in Zweifel gezogenen Haltung des Klägers an, keinen Wehrdienst in der Armee des Diktators Assad leisten zu wollen.
Ein gesteigertes oder gar widersprüchliches Vorbringen sieht das Gericht nicht. Denn es ist nachvollziehbar, dass der klägerischen Grundhaltung nicht für das Regime des Baschar al Assads in dem syrischen Bürgerkrieg kämpfen zu wollen, ein ganzes Bündel an Motiven zugrunde liegt, wobei auch eine persönliche Angst vor dem Militärdienst in einem Bürgerkrieg und die aus der drusischen Geschichte erklärbare Haltung, neutral bleiben zu wollen, eine Rolle spielen kann. Es ist nachvollziehbar, dass die Haltung, nicht töten zu wollen, insbesondere nicht für den Diktator Assad, ein weiterer tragender Grund für eine Entziehung vom Kriegsdienst in der syrischen Armee ist. Insbesondere das Motiv, als Druse nicht für die syrische Armee kämpfen zu wollen, hat der Kläger bereits bei der Anhörung beim Bundesamt deutlich zum Ausdruck gebracht.
Die Haltung des Klägers wird spätestens bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien auch gegenüber staatlichen syrischen Stellen zutage treten. Denn bei einer Rückkehr aus dem Ausland werden Berichten zufolge regelmäßig die Aufzeichnungen zum Wehrdienst der Rückkehrenden überprüft (vgl. UNHCR Februar 2017: Relevante Herkunftsland Informationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Leitfadens für Syrien, Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien -„illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, S. 28). Im Rahmen der Rückkehrbefragung werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Wehrdienst des Klägers und seine Loyalität zum Regime zum Thema gemacht. Wenn der Kläger seine Überzeugung nicht verleugnet oder gar aufgibt - wozu er nicht verpflichtet ist - oder der syrische Staat bereits aufgrund seiner Auslandsaufklärung Kenntnis von dieser Überzeugung hat (vgl. zur Spionagetätigkeit der syrischen Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsprechung des Gerichts, zuletzt VG Potsdam, Urteil vom 22. März 2018 - VG 12 K 2258/16.A -, S 8 ff. des Urteilsabdrucks, mit Nachweisen aus den Verfassungsschutzberichten 2012, 2013 und 2015, woran sich ersichtlich nichts geändert hat), wird der Kläger mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen anknüpfend an die auf seiner grundsätzlichen Haltung beruhende Ablehnung des Wehrdienstes zu rechnen haben. Damit ist sein Fall nicht mit denjenigen vergleichbar, die das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg seiner Rechtsprechung zugrunde legte, wonach männliche Rückkehrer im militärdienstfähigen Alter nicht allein wegen ihrer Flucht (gemeint: Ausreise), der Asylantragstellung und des Auslandsaufenthalts als potentielle Regimegegner angesehen werden (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. November 2020 – OVG 3 N 136/20 unter Verweis auf OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 21. März 2018 - OVG 3 B 23.17 -, juris Rn. 21 ff., - OVG 3 B 28.17 - juris Rn. 24 ff.; Urteil vom 10. Oktober 2018 - OVG 3 B 24.18 -, juris 21 ff.; anders noch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2014 - OVG 3 N 91.13 -, juris und auch das vorgehende Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 28. Juni 2013 - 3 K 370/10.A - sowie die Entscheidungspraxis der Beklagten bis in das Jahr 2016), denn in seinem Fall besteht eine Verknüpfung zwischen seiner Haltung und der ihm drohenden Verfolgung durch den syrischen Staat. Es handelt sich bei dem Kläger - anders als in den von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschiedenen Fällen - nicht um eine Person, die im wehrdienstpflichtigen Alter ist und die aufgrund ihrer Ausreise und ihres Auslandsaufenthalts nicht zum Wehrdienst in den syrischen Streitkräften herangezogen werden kann, sondern um jemanden, der angibt, sich bewusst dazu entschieden zu haben, dem syrischen Regime nicht in dessen Armee zu dienen. Dafür muss der Kläger mit Strafhaft rechnen. Die dem Kläger wegen seiner Haltung drohende Strafverfolgung stellt sich - entgegen der auch in der mündlichen Verhandlung aufrecht erhaltenen Auffassung des Bundesamtes - als politische Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Die Haltung des Klägers, an die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in Syrien anknüpfen wird, ist übrigens rechtlich nicht zu beanstanden, sondern steht vielmehr im Einklang mit fundamentalen Grundsätzen des internationalen Rechts. Sie ist eine geradezu rechtlich erwünschte Haltung und steht im Übrigen auch im Einklang mit den Grundsätzen einer demokratischen Armee, wie sie sich aus dem Konzept der Inneren Führung etwa der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Gemäß den Grundsätzen der Inneren Führung sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gefordert, selbst zu denken und nicht blind zu gehorchen. Die Ausführung verbrecherische Befehle müssen Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr verweigern. Umgekehrt sind Vorgesetzte verpflichtet, nur rechtmäßige Befehle zu erteilen. Die Wehrmacht war im Zweiten Weltkrieg in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt. Sie kann daher keine Tradition für die Bundeswehr begründen. Traditionsstiftend ist dagegen der deutsche Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, dem sich auch Soldaten der Wehrmacht wie Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg anschlossen (vgl. Die innere Führung – Das Wertegerüst der Bundeswehr, www.bundeswehr.de). Auch vor diesem Hintergrund erscheint die vom Bundesamt auch noch in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung als unhaltbar und mindestens bedenklich. Die Verweigerung des Kriegsdienstes durch den Kläger hingegen in der syrischen Armee steht im Einklang mit dem Prinzip der Inneren Führung in der Bundeswehr, deren Tradition und dem Völkerrecht.
Der Dienst beim syrischen Militär und dem Regime nahe stehenden Milizen umfasst gegenwärtig Verbrechen oder Handlungen, die im Sinne von § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, die sich mithin als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen (vgl. so auch VG Bremen, Urteil vom 27. April 2017 - 5 K 1228/16 -, zitiert nach juris, Rn.26 ff und VG Potsdam, Urteil vom 22. März 2018 - VG 12 K 4458/16.A -, S. 18 des Urteilsabdrucks).
Dass der Dienst in der syrischen Armee oder in den Regime nahestehende Milizen mit dem Zwang zu wiederholten und systematisch vorgenommenen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden ist, welche die Grundsätze der Menschlichkeit und des humanitären Völkerrechts missachten, scheint in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unbestritten (vgl. etwa Verwaltungsgericht Magdeburg, Urteil vom 12. Oktober 2016 - 9 A 175/16 -, VG Sigmaringen, Urteil vom 23. November 2016 - A 5 K 1372/16 -, VG Ansbach, Urteil vom 19. Oktober 2016 - AN 9 K 16.30460 -, VG Stade, Urteil vom 2. November 2016, 10 A 2183/16 -, alle zitiert nach juris, VG Bremen, Urteil vom 27. April 2017 - 5 K 1228/16 -, zitiert nach juris, Rn. 28). Es ist den Gerichten in Deutschland bekannt, dass die verschiedenen, teilweise durch Interessen von außen gesteuerten Konfliktparteien des Bürgerkriegs in Syrien schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen haben (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 18. Oktober 2018 - 2 LB 40/18 -, juris Rn. 66 m. w. N.). Es ist den deutschen Gerichten auch bekannt, dass das syrische Regime seit längerer Zeit einen durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichneten Vernichtungskrieg führt, der sich auch gegen die Teile der Zivilbevölkerung richtet, die in den von einer anderen Bürgerkriegspartei gehaltenen Gebieten leben und die damit auf der anderen Seite stehen (vgl. so VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Oktober 2018 - A 3 S 791/18 -, juris, Rn. 39).
Kriegsverbrechen sind z.B. Straftaten wie die vorsätzliche Tötung und Folterungen von Zivilpersonen, wahllose Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und das mutwillige Vorenthalten eines fairen und ordnungsgemäßen Gerichtsverfahrens gegenüber einer Zivilperson oder einem Kriegsgefangenen, Angriffe gegen jede Person, die nicht oder nicht mehr an Kriegshandlungen teilnimmt, wie etwa verwundete oder kranke Kombattanten, Kriegsgefangene oder Zivilpersonen (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 537 Rn. 23 und im Einzelnen Art. 8 des Gesetzes zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – IStGh-SatutG -).
Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind Handlungen wie Völkermord, Mord, Vergewaltigung, Ausrottung, Versklavung, Vertreibung, Folter und das Verschwindenlassen von Personen oder andere damit vergleichbare Handlungen. Diese Verbrechenskategorie zeichnet sich dadurch aus, dass es sich um gewöhnlich schwerste Verbrechen handelt, die ihren internationalen Charakter erst dadurch erhalten, dass sie zu Unterstützung einer zielgerichteten, staatlichen oder nicht staatlichen Politik begangen werden und zugleich Teil eines groß angelegten und systematischen Angriffs auf eine bestimmte Zivilbevölkerung darstellen (vgl. Marx, a. a. O.; S. 538 Rn. 26 und im Einzelnen Art. 7 IStGh-StatutG ).
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit finden vornehmlich seitens der Truppen und Milizen des Regimes von Baschar al-Assad und von mit ihm verbündeten Organisationen ebenso wie von seinen oppositionellen Kriegsgegnern auch derzeit in Syrien noch in erheblichen Umfang statt.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in seiner Sitzung am 22. Februar 2014 in der Resolution 2139 daran erinnert, dass der Zivilbevölkerung lebensnotwendige Gegenstände vorenthalten und der humanitäre Zugang zu ihnen verweigert wird, einschließlich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen, und dass diese Maßnahmen einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstellen können. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in der Resolution die weit verbreiteten Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht durch die syrischen Behörden und die Menschenrechtsmissbräuche und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch bewaffnete Gruppen entschieden verurteilt. Weiterhin hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verlangt, dass alle Parteien sofort alle Angriffe auf Zivilpersonen sowie den unterschiedslosen Einsatz von Waffen in bevölkerten Gebieten, einschließlich Beschuss und Bombenangriffen wie den Einsatz von Fassbomben, und Methoden der Kriegsführung, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötiges Leid zu verursachen, einzustellen. Er hat an die Verpflichtung erinnert, zwischen der Zivilbevölkerung und Kombattanten zu unterscheiden. Weiterhin hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen daran erinnert, dass nach dem humanitären Völkerrecht Verwundeten und Kranken so umfassend und so schnell wie möglich die für ihren Zustand erforderliche medizinische Pflege und Betreuung gewährt werden muss und dass medizinisches und humanitäres Personal, Einrichtungen und Transporte geschont und geschützt werden müssen. Zudem hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entschieden die willkürliche Inhaftierung und Folter von Zivilpersonen in Syrien, namentlich in Gefängnissen und Hafteinrichtungen, sowie den Menschenraub, die Entführungen und das Verschwindenlassen verurteilt und verlangt, dass diese Praktiken sofort beendet und alle willkürlich inhaftierten Personen, zuerst die Frauen und Kinder, sowie Kranke, Verwundete und ältere Menschen, einschließlich Personal der Vereinten Nationen und Journalisten freigelassen werden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterstreicht die Notwendigkeit, der Straflosigkeit für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und für Menschenrechtsverletzungen und -missbräuche ein Ende zu setzen.
In der Folgezeit hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in weiteren Resolutionen eine Einstellung der Feindseligkeiten in Syrien verlangt (vgl. UN Resolutionen 2254 und 2268). In der Resolution 2254 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut verlangt, dass alle Parteien alle Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte, einschließlich Angriffen auf medizinische Einrichtungen und Sanitätspersonal, sowie jeden unterschiedslosen Einsatz von Waffen, unter anderem Artillerie- und Bombenangriffe, sofort einstellen.
Bedauerlicherweise haben diese Resolutionen der Vereinten Nationen seitens der Konfliktparteien keine Beachtung gefunden. Die syrische Armee setzte weiterhin Fassbomben ein und verübte Kriegsverbrechen (vgl. so auch OVG Münster, Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2013/16.A -, zitiert nach juris, Rn. 93, m. w. N.). Es wurden Schulen, Märkte und Krankenhäuser angegriffen. Der Einsatz von Waffen erfolgte willkürlich. Neben Fassbomben werden auch Brandwaffen und Streumunition eingesetzt (vgl. UNHCR Februar 2017, a. a. O., S.22). Es kommt im Herrschaftsbereich des Assad Regimes immer wieder zu willkürlichen Festnahmen, Folterungen und Tötungen von Zivilpersonen durch bewaffnete Einheiten.
Ein Mensch, der sich - wie der Kläger - an einem derartigen Krieg durch Ableistung eines Kriegsdienstes aufgrund einer individuellen, aus der eigenen Herkunft und dem eigenen Erleben sowie einer gewissensbasierten Grundhaltung nicht beteiligen will, bei einer Entziehung vor einem solchen Kriegsdienst aber nach syrischem Recht in Kriegszeiten mindestens mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren bestraft würde (vgl. SFH-Länderanalyse vom 23. März 2017, S.8 ff), wird gemäß § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG flüchtlingsschutzrelevant verfolgt.
Der Europäische Gerichtshof hat für die Regelung des Art. 9 Abs. 2 c der Richtlinie 2004/83, die insoweit mit der nunmehr gültigen QualRL identisch ist, welche wiederum § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zugrunde liegt, entschieden, dass diese Regelung nicht nur für hochrangige Militärs, sondern für alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen Unterstützungspersonals gilt. Auch kommt es danach nicht darauf an, ob der Betreffende persönlich Kriegsverbrechen begehen müsste oder ob er, da er nicht zu den Kampftruppen gehört, sondern etwa einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist, an deren Begehung nur indirekt beteiligt wäre. Denn nach dem Willen des Unionsgesetzgebers sollte dem allgemeinen Kontext, in dem dieser Militärdienst ausgeübt wird, objektiv Rechnung getragen werden. Der Umstand, dass der Betroffene aufgrund des lediglich indirekten Charakters einer Kriegsbeteiligung nicht persönlich nach den Kriterien des Strafrechts und insbesondere denen des Internationalen Strafgerichtshofs von Strafverfolgung bedroht wäre, steht dem aus Artikel 9 Abs. 2 e der Richtlinie 2004/83, der unverändert Art. 9 Abs. 2 e QualRL entspricht, resultierenden Schutz nicht entgegen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015, C-472/13 -, zitiert nach juris, Rn. 37). Erforderlich ist es nach der Auffassung des EuGH dagegen, dass der Betreffende die Kriegsverbrechen nicht auf andere Weise, etwa durch ein reguläres Anerkennungsverfahren als Kriegsdienstverweigerer, vermeiden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015, a. a. O., Rn. 44 ff.). Ein solches Verfahren steht dem Kläger in Syrien nicht zur Verfügung. Es gibt in Syrien keine legale Möglichkeit zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen (vgl. Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 23. März 2017, a. a. O., S. 4).
Mithin kommt es hier nicht darauf an, welcher Einheit der Kläger, der in Syrien keine Möglichkeit hat, sich dem Wehrdienst zu entziehen oder gar zivilen Ersatzdienst zu leisten, zugeteilt würde und ob diese Einheit selbst unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt sein wird. Vielmehr ist es ausreichend, dass durch die Truppen des Regimes und den ihnen nahestehende Milizen wiederholt und systematisch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden und der Kläger daher jedenfalls aufgrund der Massivität und Häufigkeit der von diesen Einheiten in unterschiedlichen Regionen Syriens begangenen Handlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, bei Ableistung eines Dienstes mit der Waffe, in welcher Einheit und durch welche konkrete Tätigkeit auch immer, durch sein Handeln jedenfalls die Begehung von Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterstützen oder mit vorbereiten würde. Im Kontext des syrischen Bürgerkriegs und in Anbetracht der wiederholten und systematischen Begehung von Kriegsverbrechen durch die syrische Armee einschließlich von Einheiten, die aus Wehrpflichtigen bestanden, erscheint die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wehrpflichtiger unabhängig von seinem Einsatzgebiet dazu veranlasst wurde, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung der betreffenden Verbrechen teilzunehmen, überwiegend wahrscheinlich.
Unabhängig von der bereits allein nach den vorstehenden Ausführungen flüchtlingsschutzrelevanten Bestrafung wegen einer Kriegsdienstverweigerung begründen auch die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Strafvollstreckung wegen Kriegsdienstverweigerung ebenfalls den Flüchtlingsschutz. Denn in diesem Fall ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass die Strafhaft in syrischen Gefängnissen mit gegen die Inhaftierten gerichteter willkürlicher Gewaltanwendung verbunden ist (vgl. dazu nur UNHCR Februar 2017, a. a. O., S. 23). Damit sind Verfolgungshandlungen gemäß § 3 a Abs. 2 Nr. 1 AsylG gegeben, die sich flüchtlingsschutzrelevant auswirken.
Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft in der Person des Klägers gemäß § 3 Abs. 2 AsylG sind nicht ersichtlich und werden auch von der Beklagten nicht angeführt.
Dem Kläger steht, wovon das Bundesamt im angefochtenen Bescheid im Übrigen selbst ausgeht, keine inländische Fluchtalternative gemäß § 3 e AsylG zur Verfügung. Namentlich wegen des in Syrien immer noch andauernden Bürgerkriegs an in fast allen Teilen des Landes herrschenden humanitären und wirtschaftlichen Notlage (vgl. Lagebericht des AA vom 4. Dezember 2020, S. 26 ff.) kann nicht davon ausgegangen werden, dass für den Kläger eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht.
Demnach ist der Kläger Flüchtling. Diese Eigenschaft hat die Beklagte festzustellen. Entsprechend ist die Beklagte vom Gericht zu verpflichten und somit die Rechtslage im Fall des Klägers wieder in Einklang mit dem Wertegerüst der beklagten Bundesrepublik Deutschland und ihrer Streitkräfte selbst zu bringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2 und 711 ZPO.