Gericht | OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 27.01.2022 | |
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Aktenzeichen | 10 UF 95/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0127.10UF95.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 09.12.2021 abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Kind J… T…, geboren am ….2017, mit derzeitigem Aufenthalt in 1… G…, …straße 50, Wohnungs-Nummer …, nach Polen zurückzuführen.
Der Antragsgegnerin wird eine Frist für die Erfüllung der Rückführungsverpflichtung bis zum 14.02.2022 gesetzt. Wenn sie innerhalb dieser Frist der Rückführungsverpflichtung nicht nachkommt, ist sie verpflichtet, das Kind an den Antragsteller oder an eine von ihm bevollmächtigte Person herauszugeben.
Es bleibt bei der erstinstanzliche Kostenentscheidung. Für das Beschwerdeverfahren werden Gerichtsgebühren nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert wird auf 5.000 € festgesetzt. Der Wert für das erstinstanzliche Verfahren wird anderweitig auf 4.000 € festgesetzt.
I.
Der Vater begehrt Rückführung des gemeinsamen Kindes in seinen Heimatort in Polen nach dem HKÜ.
Durch Beschluss vom 09.12.2021 hat das Amtsgericht den Antrag des Vaters zurückgewiesen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf jenen Beschluss Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Vater mit der Beschwerde. Er trägt vor:
Das Amtsgericht habe den Vorrang des HKÜ-Verfahrens vor den nationalen Normen verkannt. Dies gelte auch in Bezug auf den Beschluss des polnischen Gerichts vom 31.10.2021, zumal dieser noch nicht rechtskräftig sei, er, der Vater, vielmehr dagegen ein Rechtsmittel eingelegt habe. Wenn schon für ein Sorgerechtsverfahren in dem Zielland der Entführung eine Sperrwirkung gelte, müsse dies umso mehr für ein Sorgerechtsverfahren im Entführungsland gelten. In diesem Zusammenhang sei auch zu beachten, dass dem Sorgerechtsverfahren in Polen das Rückführungsverfahren in Deutschland ursprünglich nicht bekannt gewesen sei. Es habe somit zwei parallel verlaufende Gerichtsverfahren gegeben, die nicht miteinander in Verbindung gebracht werden könnten.
Das Landgericht habe seine Entscheidung zu Unrecht auf Art. 13 HKÜ gestützt. Diese Bestimmung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts restriktiv auszulegen. Eine unzumutbare Lage könne sich nur dann ergeben, wenn sich eine Gefährdung der Kindesinteressen bzw. des Kindeswohls als besonders erheblich, konkret und aktuell darstelle. Davon könne hier nicht ausgegangen werden. Vielmehr würde das entführte Kind bei einer Rückgabe in seine überkommene, gewohnte Lebensumgebung zurückgeführt. Sein eigenes Zimmer warte dort auf ihn. Sein Platz im Kindergarten sei nach wie vor für ihn reserviert. Der Junge sei weiterhin im Fußballklub angemeldet, in den er gern zum Training gegangen sei. Er finde bei seinem Vater gesicherte soziale, wirtschaftliche und finanzielle Verhältnisse vor.
Hingegen sei die jetzige Wohn- und Lebensumgebung für das Entführungsopfer ungewohnt und möglicherweise auch unzumutbar. Ob der entführte Sohn seinen eigenen Wohnbereich habe, entziehe sich seiner, des Vaters, Kenntnis. Die Mutter habe sich bislang geweigert, ihn in das neue Zimmer des Sohns zu lassen. Erstaunlicherweise habe sie lediglich dem Verfahrensbeistand erlaubt, das Zimmer zu betreten und sich von den Wohnverhältnissen des Kindes zu überzeugen. Er, der Vater, müsse also mit Nichtwissen bestreiten, dass sich sein Sohn in geordneten Verhältnissen aufhalte. Er kenne lediglich die Wohnung einer Freundin der Mutter, in der er sich auf deren Veranlassung mit seinem Sohn zu treffen habe und wo der Sohn in der Anfangszeit seines Aufenthalts in Deutschland seinen Aufenthaltsraum gehabt habe. Dieser Raum habe keinen Vertrauen erweckenden ordentlichen Eindruck vermittelt. Im Übrigen werde von der Mutter und dem Verfahrensbeistand heruntergespielt, dass das entführte Kind über keine Sprachkenntnisse in dem neuen Land verfüge. Die Mutter lebe auch nicht in gesicherten finanziellen Verhältnissen. Sie habe keine dauerhafte Beschäftigung und damit kein gesichertes Einkommen. Entsprechend habe sie für das Kind Unterhaltsvorschuss beantragt, wobei die deutsche Behörde sich schon im Hinblick auf Rückforderungsansprüche an ihn, den Vater, gewandt habe. Er empfinde es als Verhöhnung, wenn ihm zunächst sein Sohn entführt werde und er dann auch noch Unterhalt zahlen solle.
Bemerkenswert sei, dass das Amtsgericht in der Verfügung vom 31.10.2021 noch der Rückführung zugeneigt habe, in der Verfügung vom 17.11.2021 hingegen ihm, dem Vater, nahegelegt habe, seinen Rückführungsantrag zurückzunehmen. Dies sei offensichtlich auf den einseitigen Bericht des Verfahrensbeistands vom 10.11.2021 zurückzuführen. Der Verfahrensbeistand nehme seine Aufgabe nicht neutral wahr.
Die Mutter verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie vertritt die Auffassung, dass die Rückführung des Kindes nach Polen aufgrund der Entscheidung des Gerichtes des Heimatlandes zur sofortigen Rückgabepflicht des Vaters an die Mutter führen würde, eine Situation, die dem Kind in jedem Fall zu ersparen sei.
Der Verfahrensbeistand hat im Beschwerdeverfahren bekräftigt, dass eine Herausgabe des Kindes an den Vater nicht befürwortet werden könne, wenn das Kind aus rechtlichen Gründen sofort wieder an die Mutter herausgegeben werden müsste. Ob die Voraussetzungen einer Herausgabe an die Mutter aufgrund des polnischen Beschlusses vom 12.10.2021 vorlägen, bedürfe einer rechtlichen Überprüfung durch das angerufene Gericht, insbesondere bezüglich der Frage, ob die vom Vater eingelegten Rechtsmittel sich auf die Vollstreckbarkeit des Beschlusses auswirkten. Das gelte auch für den neuesten Beschluss vom 13.01.2022.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat die Beteiligten angehört. Insoweit wird auf das Protokoll und den Anhörungsvermerk zum Senatstermin vom 18.01.2022 verwiesen.
II.
Die gemäß § 40 Abs. 2 IntFamRVG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere im Hinblick auf § 40 Abs. 2 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 IntFamRVG i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist begründet.
1.
Die Voraussetzungen dafür, die Rückführung des Kindes zu seinem Vater, dem Antragsteller, nach Polen anzuordnen, liegen vor.
a)
Der Vater ist antragsberechtigt.
Macht eine Person, Behörde oder sonstige Stelle geltend, ein Kind sei unter Verletzung des Sorgerechts verbracht oder zurückgehalten worden, so kann sie sich entweder an die für den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zuständige zentrale Behörde oder an die zentrale Behörde eines anderen Vertragsstaats wenden, um mit deren Unterstützung die Rückgabe des Kindes sicherzustellen, Art. 8 Abs. 1 HKÜ. Eine solche Sorgerechtsverletzung macht der Vater hier geltend.
Gemäß Art. 32 des Familien- und Vormundschaftsgesetzbuches der Republik Polen vom 25.02.1964 (FVGB, abgedruckt bei de Vries, in: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Abschnitt „Polen“, Stand 01.07.2021, Seite 73) untersteht das Kind bis zur Volljährigkeit der elterlichen Gewalt bzw. Sorge. Die elterliche Gewalt wird grundsätzlich von beiden Elternteilen ausgeübt, Art. 93 § 1 FVGB. Treffen die Eltern nach der Trennung keine Vereinbarung, entscheidet gemäß Art. 107 § 2 FVGB (abgedruckt bei de Vries, a.a.O., Seite 75) das Gericht über die Art der gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge und kann diese auch einem Elternteil allein übertragen (vgl. dazu auch de Vries, a.a.O., Seite 39; Blümel, in: Rieck/Lettmaier, Ausländisches Familienrecht, Abschnitt „Polen“, Stand März 2020, Rn. 13). Eine solche gerichtliche Entscheidung hat es im Zeitpunkt der Ausreise der Mutter mit dem Kind nach Deutschland nicht gegeben. Danach ist der Vater als Mitinhaber der elterlichen Sorge antragsberechtigt.
b)
Die Mutter hat das Kind widerrechtlich nach Deutschland verbracht.
Ist ein Kind im Sinn des Artikels 3 HKÜ widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen, so ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde die sofortige Rückgabe des Kindes an, Art. 12 Abs. 1 HKÜ. So liegt es hier. Denn die Antragsgegnerin hat das Kind widerrechtlich nach Deutschland verbracht.
Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt gemäß Art. 3 S. 1 HKÜ als widerrechtlich, wenn
a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.
Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich gegeben.
Danach hat der Vater grundsätzlich einen Anspruch auf Rückführung des Kindes nach Polen.
c)
Die Rückgabe des Kindes kann nicht unter Anwendung der Ausnahmetatbestände des Art. 13 HKÜ abgelehnt werden.
Ungeachtet des Art. 12 HKÜ ist das Gericht nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist,
a) dass die Person, Behörde oder sonstige Stelle, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens oder Zurückhaltens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat oder
b) dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt,
Art. 13 Abs. 1 HKÜ.
Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde kann es ferner ablehnen, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn festgestellt wird, dass sich das Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen, Art. 13 Abs. 2 HKÜ.
Diese Ausnahmeklauseln sind restriktiv anzuwenden. Die Zwecke, die Lebensbedingungen für das Kind zu verstetigen, eine sachnahe Sorgerechtsentscheidung am ursprünglichen Aufenthaltsort sicherzustellen und Kindesentführungen allgemein entgegenzuwirken, weisen die Anordnung der sofortigen Rückführung grundsätzlich als zumutbar aus. Deswegen rechtfertigt nicht schon jede Härte die Anwendung der Ausnahmeklausel; vielmehr stehen nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls, die sich als besonders erheblich, konkret und aktuell darstellen, einer Rückführung entgegen. Härten für den entführenden Elternteil begründen in der Regel keinen solchen Nachteil. Die mit einer Trennung des Kindes von dem entführenden Elternteil verbundenen Beeinträchtigungen des Kindeswohls können meist dadurch vermieden werden, dass der entführende Elternteil gemeinsam mit dem Kind zurückkehrt. Ist die Rückkehr für diesen Elternteil mit staatlichen Sanktionen verbunden, so sind diese als Folge der rechtswidrigen Entführung hinzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 29.10.1998 - 2 BvR 1206/98, NJW 1999, 631, 632). Die Gefährdungseinschätzung hat überdies zu berücksichtigen, dass es dem entführenden Elternteil regelmäßig zuzumuten ist, mit dem Kind in den Herkunftsstaat zurückzukehren, um etwaige Belastungen aus einem Wechsel der Obhutsperson abzuwenden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.12.2020 – 1 UF 172/20, NJW 2021, 1960 Rn. 20).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt hier eine Anwendung der Ausnahmebestimmungen des Art. 13 HKÜ nicht in Betracht.
aa)
Im vorliegenden Fall scheidet angesichts des Alters des Kindes, das drei Tage vor dem Anhörungstermin des Senats erst das fünfte Lebensjahr vollendet hat, ein Ausnahmetatbestand nach Art. 13 Abs. 2 HKÜ aus. Gleiches gilt für die Bestimmung des Art. 13 Abs. 1 Buchst. a HKÜ. Denn von einer nachträglichen Genehmigung des Vaters kann nach seinem Verhalten nicht ausgegangen werden. Einen Genehmigungstatbestand macht auch die Mutter nicht geltend.
bb)
Doch auch der Ausnahmetatbestand des Art. 13 Abs. 1b HKÜ greift nicht ein.
(1)
Dafür, dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden wäre, ist nichts ersichtlich. Auch die Mutter hat hierzu nichts vorgetragen.
(2)
Das Kind wird durch die Rückgabe auch nicht auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht.
Allerdings ist der rechtliche Ansatz des Amtsgerichts, wonach eine unzumutbare Lage für das Kind auch dann entstehen kann, wenn die Voraussetzungen für die Rückführung des Kindes an sich zwar vorliegen, der entführende Elternteil aber auf Grund einer Entscheidung des Herkunftsgerichts in der Lage wäre, sofort die Herausgabe des Kindes an ihn mit der Folge des erneuten Verbringens nach Deutschland zu verlangen, zutreffend. Auch mag sich eine solche Lage mit Rücksicht auf die Entscheidung des polnischen Gerichts vom 12.10.2021 ergeben haben. Doch stellt sich die Situation jedenfalls jetzt auf Grund der aktuellen Entscheidung des polnischen Gerichts vom 13.01.2022, die der Antragsteller im Senatstermin vom 18.01.2022 vorgelegt hat, anders dar.
(a)
Eine unzumutbare Lage kann für das Kind auch dann entstehen, wenn durch eine zwischenzeitlich ergangene Sorgerechtsentscheidung im Herkunftsstaat der Hauptwohnsitz des widerrechtlich entführten Kindes vorläufig im Zufluchtsstaat bei dem entführenden Elternteil angeordnet wird. Dann verbietet sich eine Rückführung; denn ein „Hin-und-her-Verbringen“ würde das Kind in eine unzumutbare Lage bringen (BeckOGK/Markwardt, Stand 01.12.2021, HKÜ Art. 13 Rn. 43, 44).
(aa)
Der Zweck des HKÜ, entführte oder zurückgehaltene Kinder möglichst schnell wieder in den Herkunftsstaat zurückzuführen und auf diese Weise auch eine Sorgerechtsentscheidung des zuständigen Gerichts oder der zuständigen Behörde am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes sicherzustellen, erfordert eine Rückführung gerade nicht, wenn die zuständige Behörde im Ursprungsland bereits eine Entscheidung über den Aufenthalt des Kindes getroffen hat, so dass zu erwarten ist, dass der entführende Elternteil das Kind nach einer Rückführung jederzeit wieder mit nach Deutschland nehmen kann (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.12.2014 – 2 UF 266/14, NJOZ 2015, 1554 Rn. 53). Ein solches „Hin-und-her-Verbringen“ des Kindes ist auch durch den präventiven Zweck des HKÜ nicht zu rechtfertigen; das Kind würde ohne Rücksicht auf seine Bedürfnisse als bloßes Streitobjekt behandelt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 18.03.2015 – 17 UF 44/15, BeckRS 2015, 6196 Rn. 29). In einem solchen Fall würde sich das Gericht im ersuchten Staat gerade in Widerspruch zu dem Gericht im Herkunftsstaat setzen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 18.03.2015 – 17 UF 44/15, BeckRS 2015, 6196 Rn. 33). Dabei soll ausreichen, wenn ein Gericht oder eine zuständige Behörde in dem Herkunftsstaat zumindest vorläufig den Hauptaufenthalt des Kindes bei dem entführenden Elternteil im Zufluchtsstaat anordnet. Dies gilt auch, wenn die Entscheidung des Herkunftsgerichts von dem Elternteil, der sich gegen die Entführung gewendet, angefochten worden ist (OLG Karlsruhe, a.a.O.). Allerdings muss die Entscheidung des Gerichts in dem Herkunftsstaat wirksam i.S.v. Art. 17 HKÜ sein (OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 30). Darauf, ob die Vollstreckbarkeit der Entscheidung des Gerichts des Herkunftsstaates positiv festgestellt werden kann, soll es dagegen nicht ankommen (OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 32 ff.).
(bb)
Diesen Grundsätzen steht Art. 17 HKÜ nicht entgegen, sondern stützt sie eher. Nach dieser Bestimmung stellt der Umstand, dass eine Entscheidung über das Sorgerecht im ersuchten Staat ergangen oder dort anerkennbar ist, für sich genommen keinen Grund dar, die Rückgabe eines Kindes nach Maßgabe dieses Übereinkommens abzulehnen; die Gerichte oder Verwaltungsbehörden des ersuchten Staates können jedoch bei der Anwendung des Übereinkommens die Entscheidungsgründe berücksichtigen. Art. 17 HKÜ regelt das Spannungsverhältnis zwischen sich im Zufluchtsstaat und im Herkunftsstaat widersprechenden Sorgerechtslagen zugunsten derjenigen des Herkunftsstaats. Insofern wird der in Art. 3 HKÜ ausgesprochene Grundsatz betont, dass es für die Beurteilung der Widerrechtlichkeit eines Verbringens oder Zurückhaltens auf die Rechtslage im Herkunftsstaat ankommt. Ist etwa im Zufluchtsstaat eine Entscheidung über das Personensorgerecht ergangen oder dort anerkennungsfähig, was bei einer Rückentführung eines entführten Kindes oder bei einer Entführung in einen Vertragsstaat, in dem bereits im Rahmen eines Scheidungsverbundverfahrens über die elterliche Sorge entschieden wurde, der Fall sein kann, läuft die Sperrwirkung nach Art. 16 HKÜ ins Leere. Diese Regelungslücke schließt die Bestimmung des Art. 17 HKÜ, indem sie der Entscheidung des Herkunftsstaats den Vorrang einräumt, gleichzeitig den Gerichten des Zufluchtsstaates aber auch die Möglichkeit der Berücksichtigung von den Gründen der inländischen Sorgerechtsentscheidung eröffnet (BeckOGK/Markwardt, Stand 01.12.2021, HKÜ Art. 17 Rn. 2). Der aus dieser Bestimmung folgende Vorrang der Rechtslage im Herkunftsstaat spricht grundsätzlich für den gedanklichen Ansatz des Amtsgerichts und der von ihm zitierten Rechtsprechung und Literatur. Probleme treten auf, wenn die Entscheidung über die Sorge im Herkunftsstaat selbst ergangen ist. Auch eine solche Entscheidung kann nach in Deutschland wohl allgemeiner Ansicht nicht einfach beachtet werden, sondern wirkt sich nur indirekt auf die Rückführungsentscheidung aus. Die Rückführung scheidet daher nicht allein wegen der ausländischen Entscheidung über die Sorge aus, sondern nur, wenn zugleich Art. 13 HKÜ eingreift (MüKoBGB/Heiderhoff, 8. Aufl. 2020, HKÜ Art. 17 Rn. 3 f.). Mithin spricht im Ergebnis alles für den rechtlichen Ansatz des Amtsgerichts.
(cc)
Dem steht nicht die vom Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 07.01.2022 angeführte Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 28.12.2020 – 1 UF 172/20, NJW 2021, 1960) entgegen. Der Rechtssatz, den der Antragsteller insoweit aufstellt, nämlich dass der Begriff der unzumutbaren Lage im Sinne des HKÜ erkennbar so zu verstehen sei, dass damit eine tatsächliche – und nicht eine rechtliche – Situation gemeint sei, die für das entführte Kind untragbar sei, ist jener Entscheidung nicht zu entnehmen. Vielmehr geht es in der Entscheidung allein darum, dass die Rückführung nach Frankreich das Kind nicht wegen der Corona-Pandemie im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Buchst. b HKÜ auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt, was nachvollziehbar damit begründet wird, dass sich die Pandemielage in Frankreich von derjenigen Deutschland nicht so wesentlich unterscheidet.
(dd)
Es kann dahinstehen, ob das Amtsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung - wie vom Vater vertreten - die Vorschrift des Art. 11 Abs. 4 Brüssel IIa-VO besonders berücksichtigen musste. Nach dieser Vorschrift kann ein Gericht die Rückgabe eines Kindes aufgrund des Artikels 13 Buchstabe b) des Haager Übereinkommens von 1980 nicht verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten. Ob der Vater sich hier aber mit Erfolg auf die Vorschrift berufen kann, erscheint fraglich. Wenn sich eine unzumutbare Lage für das Kind im Falle der Rückgabe ergeben sollte, wäre dies auf die rechtliche Situation, nämlich den Beschluss des polnischen Gerichts zugunsten der Mutter vom 12.10.2021, zurückzuführen. Dieser Rechtssituation dürfte durch angemessene Vorkehrungen nicht zu begegnen sein. Diese Ausnahmevorschrift spielt offensichtlich eher eine Rolle, wenn sich die Unzumutbarkeit für das Kind aufgrund tatsächlicher Umstände ergibt und der Elternteil, der die Rückführung begehrt, Maßnahmen ergreifen kann, um diese tatsächlichen Umstände abzumildern. So dürfte der Fall hier nicht liegen. Das kann aber auf sich beruhen. Denn – wie sogleich auszuführen ist – die Entscheidung des Amtsgerichts kann jedenfalls auf Grund der aktuellen Sach- und Rechtslage keinen Bestand haben.
(b)
Die vom Amtsgericht angenommene Lage, dass die Mutter auf Grund einer Entscheidung des polnischen Gerichts auch im Falle einer nach HKÜ angeordneten Rückführung des Kindes nach Polen berechtigt wäre, sogleich wieder die Herausgabe ihres Sohnes nach Deutschland zu verlangen, besteht nicht (mehr).
(aa)
Es spricht einiges dafür, dass mit der Entscheidung des polnischen Gerichts vom 12.10.2021 der Mutter die Befugnis eingeräumt werden sollte, den Aufenthalt des Kindes in Deutschland zu bestimmen und davon abweichende Begehren des Vaters abzuwehren.
Bei dem Beschluss des polnischen Gerichts vom 12.10.2021 handelt es sich um eine Entscheidung im Rahmen eines Antrags der Mutter auf Änderung einer Sicherheit. In der Begründung des Beschlusses vom 02.11.2021 ist ausdrücklich davon die Rede, dass über einen Antrag der Mutter auf Änderung der Sicherheit gemäß Art. 742 Abs. 1 der Zivilprozessordnung entschieden worden sei. Ausdruck des Sicherungscharakters der Anordnung des polnischen Gerichts ist, dass dieses auch bei der Festlegung des Wohnsitzes des Minderjährigen ausdrücklich die konkrete Adresse, unter der das Kind mit seiner Mutter leben sollte, nämlich …straße 50 in G…, angegeben hat und ebenso ausdrücklich den Antrag der Mutter abgelehnt hat, nur allgemein festzustellen, dass der Wohnsitz des Kindes derjenige seiner Mutter sei. Um die ordnungsgemäße Verwirklichung des Sorgerechts und des Umgangsrechts des Vaters zu gewährleisten, sei es erforderlich, den Wohnsitz des Minderjährigen durch die Angabe einer bestimmten Adresse des Wohnsitzes des Kindes für die Dauer des Verfahrens festzustellen. Das Amtsgericht ist nachvollziehbar davon ausgegangen, dass es sich bei der Entscheidung des polnischen Gerichts um eine Art einstweilige Anordnung handelt.
Wenn man davon ausgeht, dass diese Entscheidung auch wirksam ist, kommt es darauf, dass der Vater geltend macht, ein Rechtsmittel eingelegt zu haben, nicht an. Denn aus der Mitteilung der Verbindungsrichterin im Europäischen Justiziellen Netzwerk (EJN) vom 19.01.2022 ergibt sich, dass die Beschwerde des Vaters mit Beschluss des Gerichts vom 14.12.2021 zurückgewiesen wurde mit der Folge, dass der Beschluss vom 12.10.2021 endgültig und vollstreckbar ist. Die vom Amtsgericht befürchtete Lage, dass im Falle einer für den Vater positiven Entscheidung nach HKÜ die Eltern über einander inhaltlich widerstreitende Rechtspositionen verfügen, wäre damit wohl gegeben. Doch bedarf dies keiner abschließenden Entscheidung.
(bb)
Denn jedenfalls besteht eine Befugnis der Mutter, auf Grund der Entscheidung vom 12.10.2021 den Aufenthalt des Kindes bei sich in Deutschland zu bestimmen, nach Erlass des Beschlusses vom 13.01.2022 nicht mehr.
Der vom Antragsteller im Senatstermin im polnischen Original vorgelegte Beschluss vom 13.01.2022 lautet nach der vom im Termin anwesenden Dolmetscher spontan vorgenommenen mündlichen Übersetzung dahin, dass das Verfahren vor dem Amtsgericht Slubice vorläufig ausgesetzt ist. Die Verbindungsrichterin hat in ihrer Nachricht vom 19.01.2022 mitgeteilt, dass es sich um eine Aussetzung gemäß Art. 598 (2) § 1 der polnischen Zivilprozessordnung handele. Der im polnischen Original vorgelegte Beschluss lässt auch eine Bezugnahme auf diese Bestimmung erkennen.
Der Antragsteller hatte die genannte Vorschrift bereits im Schriftsatz vom 07.01.2022 angeführt und folgende deutsche Übersetzung beigefügt:
Während der Dauer eines Verfahrens über die Entführung einer Person, die der elterlichen Gewalt unterliegt oder unter Fürsorge steht, das sich auf das Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung bezieht, kann nicht über die elterliche Gewalt oder die Fürsorge über diese Person entschieden werden. Das Gericht suspendiert in diesen Angelegenheiten das Verfahren im Zeitpunkt des Beginns des Verfahrens über die Entführung der Person, die der elterlichen Gewalt unterliegt oder unter Fürsorge steht.
Der Dolmetscher hat im Senatstermin ebenfalls eine spontane mündliche Übersetzung der Vorschrift vorgenommen, die inhaltlich der vom Antragsteller vorgelegten Übersetzung entspricht. Auch die von der Verbindungsrichterin in einer weiteren Nachricht vom 19.01.2022 übermittelte Übersetzung deckt sich inhaltlich mit der Übersetzung im Schriftsatz vom 07.01.2022. Von einem entsprechenden Inhalt der Bestimmung kann daher ausgegangen werden.
Aus der genannten Vorschrift ergibt sich ein eindeutiger Vorrang des HKÜ vor den Verfahren der innerstaatlichen Gerichte. Diesem Vorrang hat das polnische Gericht mit seiner Aussetzungsentscheidung vom 13.01.2022 Rechnung getragen. Aus der zwischenzeitlich zu ihren Gunsten ergangenen Entscheidung vom 12.10.2021 kann die Mutter aktuell keine Rechte herleiten. Das ergibt sich auch aus der Nachricht vom 19.01.2022, mit der die Verbindungsrichterin die Übersetzung des Art. 598 (2) § 1 der polnischen Zivilprozessordnung übermittelt hat. Dort ist nämlich weiter ausgeführt, dass das Gericht erst nach Beendigung des HKÜ-Verfahrens das ausgesetzte Verfahren wieder aufnehmen wird.
(3)
Weitere Umstände, die das Kind im Falle seiner Rückführung auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringen könnten, sind nicht ersichtlich.
(a)
Allein die Überlegung, dass J… in Deutschland schon gut integriert sein könnte, reicht insoweit nicht aus.
Allerdings hat das polnische Gericht in seiner Beschlussbegründung vom 02.11.2021 festgestellt, das Kind habe sich an die vorschulische Umgebung angepasst und Beziehungen zu Gleichaltrigen aufgebaut. Andererseits hat der Vater mit der Beschwerde geltend gemacht, das Kind verfüge über keine Sprachkenntnisse im neuen Land. Schon in der Antragsschrift hatte der Vater vorgetragen, nach seinem Eindruck sehne sich J… in sein gewohntes Umfeld in Polen zurück, weil er sich in Deutschland fremd fühle. Wie sich die Sachlage im Einzelnen darstellt, ließ sich für den Senat auf Grund der Anhörung des Jungen nicht feststellen. Dieser war nur in Gegenwart der Mutter überhaupt bereit, sich auf eine Begegnung mit den Senatsmitgliedern einzulassen. Die einzigen kurzen Äußerungen, die er tätigte, erfolgten auf Polnisch und wurden vom Verfahrensbeistand für den Senat übersetzt.
Doch auf die Frage, inwieweit das Kind in dem Land, in das er von einem Elternteil entführt worden ist, schon integriert ist, kommt es im Verfahren nach dem HKÜ grundsätzlich nicht an. Anders kann es im Einzelfall liegen, wenn sich das Kind schon seit annähernd einem Jahr in Deutschland aufhält, hier fest in den Alltag integriert ist und auf Grund seines Alters einen autonomen Willen dahin äußern kann, bei dem in Deutschland lebenden Elternteil dauerhaft leben zu wollen (vgl. Senat, Beschluss vom 06.10.2021 – 10 UF 75/21, BeckRS 2021, 31323).
So liegt es hier bei dem gerade fünf Jahre alten J…, der sich gerade erst einige Monate in Deutschland aufhält, nicht.
(b)
Dass die Mutter in erster Instanz angegeben hat, der Grund ihres Auszugs liege darin begründet, dass sie psychischer Gewalt durch den Vater ausgesetzt gewesen sei, reicht für die Annahme einer unzumutbaren Lage für das Kind im Falle seiner Rückführung nicht aus.
Eine völlig unzumutbare Lage kann zwar für das Kind auch dadurch entstehen, dass es zu oder mit einem Elternteil zurückkehren müsste, der vom anderen ernsthaft bedroht wird (BeckOGK/Markwardt, Stand 01.12.2021, HKÜ Art. 13 Rn. 43). Allein das Empfinden eines Elternteils, psychischer Gewalt durch den anderen Elternteil ausgesetzt zu sein, ist mit einer solchen Situation aber nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass die Angaben der Mutter sehr pauschal sind. Sie lassen insbesondere nicht erkennen, inwieweit J… unter dem Konflikt seiner Eltern gelitten hat.
d)
Der Tenor dieses Beschlusses zur Hauptsache entspricht nicht wörtlich dem gestellten Antrag. Da Sachanträge der Verwirklichung des materiellen Rechts dienen sollen, müssen sie nach sorgfältiger Erforschung des wahren Willens des Antragstellers nach § 26 FamFG im Zweifel so ausgelegt werden, dass sie dem geltend gemachten materiellen Anspruch zum Erfolg verhelfen können (Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 13). Der die Rückführungsanordnung aussprechende gerichtliche Beschluss muss gerade im Interesse des Antragstellers einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben. Dies kann durch die im Tenor zum Ausdruck kommende gestufte Rückführungsanordnung erreicht werden (vgl. näher BeckOGK/Markwardt, Stand 01.12.2021, HKÜ Art. 12 Rn. 22; Dutta/Scherpe FamRZ 2006, 901, 906).
Kommt die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung zur Rückführung nicht nach, soll gegen sie gemäß § 44 Abs. 1 IntFamRVG ein Ordnungsmittel festgesetzt werden. Soweit § 44 IntFamRVG keine Regelung erhält, sind nach § 14 IntFamRVG ergänzend die Vorschriften des FamFG anzuwenden, und zwar insbesondere die §§ 86 bis 88, § 89 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 bis 4 sowie die §§ 90 bis 94 FamFG (Nomos-BR/Wagner IntFamRVG/Rolf Wagner, 1. Aufl. 2012, IntFamRVG § 44 Rn. 1 unter Bezugnahme auf BT-Drucks. 16/9733, 302). Daher wird die Antragsgegnerin hiermit gemäß § 89 Abs. 2 FamFG auf die Folgen einer Zuwiderhandlung gegen die Rückführungsanordnung hingewiesen. Als Ordnungsmittel können ein Ordnungsgeld von bis zu 25.000 €, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten und Gewalt in Form unmittelbarer Zwangs verhängt werden (MüKoFamFG/Gottwald, 3. Aufl. 2019, IntFamRVG § 44 Rn. 4).
2.
Soweit der Senat bei der Beurteilung der Rechtslage im Hinblick auf die Entscheidungen des polnischen Gerichts Kontakt mit der Verbindungsrichterin des EJN aufgenommen und deren Äußerungen in seine Beschwerdeentscheidung einbezogen hat, war dies im Hinblick auf das beschleunigt zu führende Verfahren nach den HKÜ geboten.
Der Tatrichter hat das ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln (§ 293 ZPO). Dies gilt im Hinblick auf § 26 FamFG auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 72 Rn. 54). Dabei hat der deutsche Richter das ausländische Recht so anzuwenden, wie es der Richter des betreffenden Landes auslegt und anwendet. Wie der Tatrichter sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen (BGH, Urteil vom 18.03.2020 – IV ZR 62/19, EuZW 2020, 580 Rn. 23, beck-online). Im Allgemeinen werden die Grenzen der Ermessensausübung des Tatrichters durch die jeweiligen Umstände des Einzelfalls gezogen. An die Ermittlungspflicht werden umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je komplexer oder je fremder im Vergleich zum eigenen das anzuwendende Recht ist. Von Einfluss auf das Ermittlungsermessen können auch Vortrag und sonstige Beiträge – etwa Privatgutachten – der Parteien sein. Tragen die Parteien eine bestimmte ausländische Rechtspraxis detailliert und kontrovers vor, wird der Richter regelmäßig umfassendere Ausführungen zur Rechtslage zu machen – gegebenenfalls sämtliche ihm zugänglichen Erkenntnismittel zu erschöpfen – haben, als wenn der Vortrag der Parteien zu dem Inhalt des ausländischen Rechts übereinstimmt oder sie zu dem Inhalt dieses Rechts nicht Stellung nehmen, obwohl sie dessen Anwendbarkeit kennen oder mit ihr rechnen. Auch dies hängt jedoch stets von den Besonderheiten des einzelnen Falls ab (BGH, Urteil vom 18.03.2020 – IV ZR 62/19, EuZW 2020, 580 Rn. 24, beck-online). Das Familiengericht kann sich unmittelbar oder durch Vermittlung der deutschen Verbindungsrichter im Europäischen Justiziellen Netz für Zivil- und Handelssachen an den jeweiligen ausländischen Verbindungsrichter wenden und um Auskunft zu dem in der Sache anwendbaren ausländischen Recht und dessen Anwendung in der ausländischen Rechtspraxis bitten (AG München, Beschluss vom 29.06.2021 – 528 F 12176/20, NJW 2022, 252 m. zust. Anm. Menne; AG Hamm, Beschluss vom 12.03.2021 – 3 F 25/21, FamRB 2022, 61; Menne, NJ 2021, 497, 499; Menne FamRZ 2018, 1644, 1646). Angesichts des Umstands, dass das Verfahren nach dem HKÜ besonders beschleunigt geführt werden soll (§ 38 Abs. 1 IntFamRVG, vgl. auch Art. 11 Abs. 2 HKÜ), liegt ein bedeutsamer Vorteil eines Vorgehens über die Verbindungsrichter darin, dass die vermittelte Rechtsauskunft in aller Regel sehr schnell vorliegt (Menne, NJW 2022, 252, 253). So war es auch hier. Der Senat hat mit der Verbindungsrichterin erstmals am 13.01.2022 Kontakt aufgenommen. Zwar nicht bereits zum Tage des vom Senat anberaumten Anhörungstermins, aber doch nur einen Tag später, am 19.01.2022, hat die Verbindungsrichterin nicht nur zu den vom Senat aufgeworfenen Fragen Stellung genommen, sondern weitere Umstände zum vorliegenden Verfahren mitgeteilt. Auf die weitere Nachricht vom 26.01.2022, in der noch einmal der Verfahrensverlauf bis zum entscheidenden Beschluss vom 13.01.2022 nachgezeichnet worden ist, kommt es nicht mehr an, so dass es auch im Hinblick auf den gebotenen beschleunigten Abschluss des Verfahrens ausreicht, dass die Übermittlung dieser Nachricht an die Beteiligten zusammen mit diesem Beschluss erfolgt.
3.
Da der Senat der Beschwerde des Vaters stattgibt, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit dessen in der Beschwerdebegründung hilfsweise gestellten Antrag, dem EuGH bestimmte Rechtsfragen zur Beantwortung vorzulegen.
4.
Auch wenn dem Vater mit diesem Beschluss die Grundlage dafür gegeben wird, seinen Sohn nach Polen zurückzuführen, sollte er erwägen, insoweit behutsam vorzugehen. Im Senatstermin ist deutlich geworden, dass J… sehr an seiner Mutter hängt. Inwieweit dieser Umstand bei der vom polnischen Gericht im dortigen Verfahren zu treffenden Entscheidung von Bedeutung ist, lässt sich nicht verlässlich beurteilen. Der Vater hat sich im Senatstermin ein Wechselmodell vorstellen können und war für eine erneute Mediation – allerdings nach Abschluss des Verfahrens nach dem HKÜ – offen. Auch sein Verfahrensbevollmächtigter hat sich vor dem Senat entsprechend geäußert. Dies sollte die Grundlage sein für Gespräche mit der Mutter und deren Verfahrensbevollmächtigten, wie unter Berücksichtigung des Ergebnisses dieses Beschwerdeverfahren einerseits und der in Polen noch anhängigen Verfahren andererseits die für das Kind am wenigsten belastende und auch für einen längeren Zeitraum tragfähige Lösung gefunden werden kann.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Die Wertfestsetzung ergeht auf der Grundlage von § 45 Abs. 1, 3 FamGKG. Die Abänderung des Verfahrenswertes für die erste Instanz beruht auf § 55 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FamGKG.
Das Amtsgericht hat den erstinstanzlichen Wert auf 8.000 Euro festgesetzt und sich zur Begründung ebenfalls auf § 45 Abs. 1 und 3 FamGKG bezogen. Doch ist bei einem HKÜ-Verfahren nicht stets von einer besonderen Schwierigkeit auszugehen, die eine (deutliche) Anhebung des Wertes rechtfertigt.
Abgesehen davon, dass besondere Rechtsvorschriften zu beachten sind, ist der Arbeitsaufwand in Verfahren nach dem HKÜ, wie dem vorliegenden, nicht übermäßig groß. Eine rasche Terminierung ist auch in den am häufigsten vorkommenden Kindschaftssachen, die dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG unterliegen, angezeigt. Im Hinblick auf das bereits angesprochene besondere Beschleunigungsgebot gemäß § 38 IntFamRVG besteht eine gewisse Nähe zu den Verfahren der einstweiligen Anordnung gemäß §§ 49 ff. FamFG; insbesondere ist es auch hier grundsätzlich nicht angezeigt, im Wege der Amtsermittlung ein Sachverständigengutachten einzuholen, welches zusätzlichen Arbeitsaufwand erfordern würde (Senat, Beschluss vom 06.10.2021 – 10 UF 75/21, BeckRS 2021, 31323). Vor diesem Hintergrund ist der Verfahrenswert für die erste Instanz gemäß § 55 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FamGKG auf 4.000 € herabzusetzen. Im Hinblick darauf, dass es im Beschwerdeverfahren auch auf eine Beurteilung der Rechtslage in Polen ankam, hierzu Kontakt mit der Verbindungsrichterin des EJN aufgenommen worden ist und deren Äußerungen den Beteiligten bekannt gegeben worden sind, ist der Beschwerdewert maßvoll auf 5.000 € anzuheben.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.