Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer | Entscheidungsdatum | 12.01.2022 | |
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Aktenzeichen | 26 Ta (Kost) 6068/21 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2022:0112.26TA.KOST6068.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 33 RVG, § 182 InsO, § 209 InsO, § 208 InsO, § 42 GKG |
1. Hat der Arbeitgeber im Rahmen eines Kündigungsschutzrechtsstreits weitere Beendigungstatbestände in das Verfahren eingebracht, erhöhen diese den Gegenstandswert jedenfalls dann, wenn die klagende Partei zum Ausdruck gebracht hat, sich auch gegen diese Beendigungsgründe zur Wehr setzen zu wollen (hier: angeblich kein Zugang der Kündigung).
2. Wird zur Beendigung eines anderen Verfahrens hinsichtlich einer darin angegriffenen weiteren Kündigung eine Regelung in einen Vergleich aufgenommen, entsteht hierdurch grundsätzlich ein Vergleichsmehrwert.
3. Werden Masseverbindlichkeiten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zum Gegenstand eines Mehrvergleichs gemacht und liegen die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung im Rahmen der Festsetzung eines Gegenstandswerts für einen Vergleichsmehrwert vor (hier abgelehnt), ist die in § 182 InsO zum Ausdruck kommende Wertung entsprechend anzuwenden. In Ansatz zu bringen ist dann allein der zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses maßgebliche wirtschaftliche Wert.
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. Mai 2021 – 38 Ca 2094/21 – teilweise abgeändert. Der Gegenstandswert wird für das Verfahren auf 48.750,91 Euro und für den Vergleich auf 146.252,73 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
I.
Die Parteien haben einen Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vom 28. Januar 2021 geführt, welche zum 30. April 2021 ausgesprochen worden war. Zeitgleich ruhte ein weiteres Verfahren der Parteien mit dem Aktenzeichen 24 Ca 16068/17, in dem es um eine betriebsbedingte Kündigung vom 28. Januar 2018 ging. Der Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 31. März 2021 zudem darauf berufen, eine weitere Kündigung vom 27. August 2020 zum 30. November 2020 ausgesprochen zu haben, welche der Kläger nicht angegriffen habe. Mit Schriftsatz vom 6. April 2021 hat der Klägervertreter mitgeteilt, dass der Kläger „nach den Informationen des Unterzeichners“ im Jahr 2020 keine weitere Kündigung erhalten habe. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23. April 2021 das Zustandekommen eines Vergleichs festgestellt.
Im Rahmen des Vergleichs haben die Parteien sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. April 2021 geeinigt. Darüber hinaus haben die Parteien Einigkeit darüber erzielt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 28. Januar 2018 und auch nicht durch eine dem Kläger nicht zugegangene Kündigung vom 27. August 2020 beendet worden sei. Der Beklagte hat sich darüber hinaus verpflichtet, Vergütungsansprüche als Altmasseforderungen in das Masseverzeichnis aufzunehmen, sobald alle Beteiligten ihre Ansprüche angemeldet haben. Zudem haben sich die Parteien auf eine Abfindung verständigt und auf ein Zeugnis mit der Note „gut“ sowie Bedauerns- und Dankesformel und Zukunftswünsche. Es bestand Einigkeit, dass damit der Rechtsstreit 24 Ca 16069/17 miterledigt sein sollte.
Das Arbeitsgericht hat den Wert zum Zwecke der anwaltlichen Gebührenberechnung mit Beschluss vom 26. Mai 2021 auf 47.804,64 Euro festgesetzt. Es ist bei der Berechnung des Vierteljahreseinkommens von drei Monatseinkommen ausgegangen, wie sie die Parteien in dem Vergleich festgelegt haben. Ein Mehrwert sei für den Vergleich nicht festzusetzen. Die Kündigung vom 28. November 2017 sei Gegenstand des Rechtsstreits 24 Ca 16069/17 und daher dort zu berücksichtigen. Eine Kündigung vom 27. August 2020 sei nach Nr. 1 des Vergleichs nicht zugegangen und daher ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Annahmeverzugsansprüche erhöhten wegen wirtschaftlicher Identität den Gegenstandswert nicht.
Die Klägervertreter haben gegen den ihnen am 7. Juni 2021 zugestellten Beschluss mit einem bei dem Arbeitsgericht am 8. Juni 2021 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und beantragen, „den Verfahrensstreitwert auf 48.740,91 Euro sowie den Vergleichsmehrwert in Höhe von EUR 782.993,75 festzusetzen“. Zur Begründung führen sie aus, es müsse von der durchschnittlichen Vergütung ausgegangen werden. Der Vergleichsmehrwert sei durch die mitverglichene Kündigung vom 28. November 2017 gerechtfertigt. Zudem habe Streit über den Zugang der Kündigung vom 27. August 2020 bestanden. Für den Vergleichsmehrwert komme es auf den Zugang der Kündigung nicht an. Der Annahmeverzugslohn sei hier nicht vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängig gewesen. Das Arbeitszeugnis sei auch zu berücksichtigen, weil der Vergleich dazu inhaltliche Festlegungen beinhalte.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet.
1) Der für das Verfahren in Ansatz gebrachte Betrag war auf ein Vierteljahreseinkommen zu erhöhen. Das Vierteljahreseinkommen hat der Kläger in der Klageschrift mit 48.740,91 Euro berechnet. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts sind für die Bewertung des Kündigungsschutzantrags nicht nur drei Bruttoeinkommen in Ansatz zu bringen. Einen höheren Ansatz für das Verfahren haben die Klägervertreter nicht geltend gemacht
2) Bei der Berechnung des Gegenstandswerts für den Vergleich waren die Auseinandersetzungen über die angebliche zweite und die dritte Kündigung zu berücksichtigen. Die Einigung über etwaige Annahmeverzugsansprüche rechtfertigt jedoch ebenso wenig einen Vergleichsmehrwert wie die Zeugnisregelung.
a) Der Streit über die angebliche zweite Kündigung vom 27. August 2020 rechtfertigt einen Ansatz in Höhe eines Vierteljahreseinkommens. Die Kündigung war bereits Gegenstand des Verfahrens. Unter den Parteien bestand Streit darüber, ob die Kündigung zugegangen ist. Der Beklagte hat diesen Gesichtspunkt als weiteren Beendigungsgrund in das Verfahren eingebracht. Der Kläger hat sich hiergegen mit dem Einwand verteidigt, eine solche Kündigung nicht erhalten zu haben.
b) Ein Vergleichsmehrwert ist durch die Einigung über die erste Kündigung vom 28. Januar 2018 angefallen, welche Gegenstand des Verfahrens 24 Ca 16068/17 war. Die Einigung über etwaige Annahmeverzugsansprüche rechtfertigt jedoch ebenso wenig einen Vergleichsmehrwert wie die Zeugnisregelung.
aa) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber – und nicht worauf – die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).
Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).
bb) Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hat der Umstand, dass durch den Vergleich der Streit über die Kündigung vom 28. Januar 2018 miterledigt worden ist, den Gegenstandswert für den Vergleich um ein weiteres Vierteljahreseinkommen erhöht. Die Parteien haben sich ausdrücklich darauf geeinigt, dass ihr Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden sein soll, sondern erst durch die zuletzt ausgesprochene Kündigung.
c) Die Regelungen unter Nrn. 2. und 4. des Vergleichs rechtfertigen hingegen den Ansatz eines Vergleichsmehrwerts nicht.
aa) Die Parteien haben im Rahmen der Regelung unter Nr. 2 des Vergleichs eine reine Abwicklungsregelung getroffen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen des Vergleichs insoweit etwas geregelt worden wäre, was ein Streitpotential in sich getragen hat. Es gibt keine Hinweise darauf, dass unter den Parteien Streit oder Unsicherheit darüber bestanden hat, ob für die Zeit des Annahmeverzugs eine Masseverbindlichkeit begründet worden ist. Das kann auch nicht ernsthaft bezweifelt werden (vgl. dazu zB BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 586/02, Rn. 30). Zu einer Quote ist nichts geregelt. Unabhängig davon handelte es sich hier um einen Fall, bei dem eine Realisierbarkeit der vollen Vergütungsforderung eher zweifelhaft erscheint und daher auch eine wirtschaftliche Bewertung anzustellen gewesen wäre. Der Beklagte hatte bereits am 1. November 2017 drohende Masseunzulänglichkeit angezeigt, die durch § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gleichgestellt wird. In der vorliegenden Konstellation wären die zu § 182 InsO entwickelten Grundsätze und die darin zum Ausdruck kommende Wertung entsprechend heranzuziehen gewesen. Werden Masseforderungen zum Gegenstand eines Mehrvergleichs gemacht und liegen – anders als hier - die oben unter 1) genannten Voraussetzungen für ihre Berücksichtigung vor, ist § 182 InsO bzw. die darin zum Ausdruck kommende Wertung im Zweifel jedenfalls entsprechend anzuwenden. In Ansatz zu bringen ist allein der zu diesem Zeitpunkt maßgebliche wirtschaftliche Wert (vgl. dazu ausführlich LAG Berlin-Brandenburg 5. Juni 2019 - 26 Ta (Kost) 6036/19, Rn. 9 ff., mwN).
bb) Die Regelung unter Nr. 4 des Vergleichs (Zeugnis) erhöht den Vergleichsmehrwert ebenfalls nicht.
(1) Stand eine betriebsbedingte Kündigung im Streit, bedarf es zur Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts für eine Zeugnisregelung regelmäßig näherer Angaben, aus denen ein im Zeitpunkt des Vergleichs bestehender Streit bzw. eine Ungewissheit über den Zeugnisanspruch geschlossen werden kann (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 22. Mai 2018 - 26 Ta (Kost) 6036/18; 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 4).
(2) Hier sind keine Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass unter den Parteien Streit oder auch nur Unsicherheiten über den Inhalt des Zeugnisses bestanden. Das Arbeitsverhältnis wurde nicht aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen, sondern wegen dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gekündigt. Dass die Parteien vor Abschluss des Vergleichs über die Erteilung eines Zeugnisses mit dem geregelten Inhalt gestritten haben oder der Zeugnisanspruch ungewiss war, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Hierzu genügt es insbesondere nicht, dass der Beklagte ein Zeugnis noch nicht erteilt hatte. Die Nichterfüllung eines unstreitig bestehenden Anspruchs führt nicht zu einem Streit der Parteien und rechtfertigt auch nicht den Schluss, dass dieser Anspruch ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 27. Juli 2021 – 17 Ta (Kost) 6103/21, zu 2 d der Gründe).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Die Gebühr wird angesichts des teilweisen Erfolgs der Beschwerde auf 1/2 reduziert.
IV.
Die Entscheidung ist unanfechtbar.