Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 14.10.2021 | |
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Aktenzeichen | 5 Sa 1051/21 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2021:1014.5SA1051.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 15 Abs 4 AGG, § 130 BGB |
Mit Ausnahme des Falles, dass Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG sogleich im Klageweg geltend gemacht werden, findet auf die Wahrung der Frist des § 15 Abs. 4 AGG durch schriftliche Geltendmachung die Vorschrift des § 130 BGB Anwendung.
I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.04.2021 – 6 Ca 10172/20 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten über eine Entschädigung.
Die Klägerin ist Muslimin und trägt aus religiöser Überzeugung ein Kopftuch. Der Beklagte ist ein gemeinnütziger anerkannter freier Träger der Jugendhilfe. Ausweislich seines Geschäftsschreibens vom 15. Mai 2020 hat er seine Geschäftszeiten montags bis donnerstags vom 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr (siehe Blatt 24 der Akte). Manchmal ist sein Büro aber noch bis 18.00 Uhr besetzt.
Anfang des Jahres 2020 bewarb sich die Klägerin bei ihm auf eine ausgeschriebene Stelle als Erzieherhelferin/Kitahelferin. Der Beklagte lud sie mit E-Mail vom 5. März 2020 für den 18. März 2020 zu einem Vorstellungsgespräch ein. Mit einer weiteren um 13.38 Uhr an die Klägerin versandten E-Mail vom 11. März 2020 sagte der Beklagte den Termin ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass bei ihm ein striktes Neutralitätsgebot gelte und das Tragen von Kopftüchern im Dienst nicht erlaubt sei (Blatt 16 der Akte).
Mit Schreiben vom 11. Mai 2020 wandte sich der A e.V. (Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit) mit einer Diskriminierungsbeschwerde an den Beklagten und machte für die Klägerin Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend. Das Schreiben übermittelte der Verein dem Beklagten um 18.08 Uhr per Telefax (Sendebericht Blatt 19 der Akte) und um 18.20 Uhr per E-Mail (Blatt 20 der Akte). Daneben machte die Klägerin ihre Ansprüche nach § 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) um 18.08 Uhr selbst per Telefax geltend (Sendebericht Blatt 23 der Akte). Unter Hinweis auf eine ihm nicht beigefügte Vollmacht der Klägerin wies der Beklagte das „Schreiben vom 11.05.2020“ mit Schreiben vom 15. Mai 2020 zurück (Blatt 24 der Akte) und verneinte die Ansprüche mit Schreiben vom 26. Mai 2020 (Blatt 26 f der Akte).
Mit ihrer am 10. August 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat vorgetragen, vom Beklagten unzulässig wegen ihres Glaubens benachteiligt worden zu sein, weshalb dieser ihr die Zahlung einer angemessenen Entschädigung von mindestens 2.000,00 Euro schulde.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu zahlen, deren genaue Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen, die Geltendmachungsschreiben der Klägerin seien ihm erst nach Schluss der Geschäftszeiten des 11. Mai 2020 und damit erst am 12. Mai 2020, also nicht innerhalb der Frist des § 15 Absatz 4 AGG zugegangen. Ferner sei die Geltendmachung mangels Einhaltung der erforderlichen Schriftform und aufgrund der mangels Vorlage der Originalvollmacht erfolgten Zurückweisung nicht wirksam gewesen. Schließlich sei die Klägerin nicht unzulässig benachteiligt worden, weil die Stelle ohnehin nicht besetzt worden sei und der Beklagte zu Recht das Zeigen religiöser Merkmale nicht zulasse.
Mit Urteil vom 30.04.2021 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein etwaiger Entschädigungsanspruch sei gemäß § 15 Absatz 4 AGG verfallen. Da der Klägerin die Ablehnung ihrer Bewerbung am 11. März 2020 mitgeteilt worden sei, habe dieser Anspruch gemäß § 15 Absatz 4 AGG bis zum 11. Mai 2020 schriftlich geltend gemacht werden müssen. Weder die entsprechende E-Mail noch das Fax der Klägerin vom 11. Mai 2020 seien dem Beklagten an diesem Tag gemäß § 130 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zugegangen. Denn dem Beklagten sei es zum Zeitpunkt des Eingangs der E-Mail und des Fax am 11. Mai 2020 nach 18.00 Uhr unter normalen Umständen nicht möglich gewesen, das Geltendmachungsschreiben zur Kenntnis zu nehmen. Die Geschäftszeiten des Beklagten endeten nämlich werktags um 16.00 Uhr, das Büro sei längstens bis 18.00 Uhr besetzt.
Gegen dieses der Klägerin am 9. Juli 2021 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 29. Juli 2021 eingegangene und am 3. September 2021 begründete Berufung. Sie trägt vor, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass das Abstellen auf den Zugang des Geltendmachungsschreibens eine faktische Verkürzung der Frist des § 15 Absatz 4 AGG bedeute. Eine per Fax am 11. Mai 2020 um 18.08 Uhr eingereichte Klage habe die Frist gemäß § 167 Zivilprozessordnung (ZPO) wahren können, dies müsse auch für die schriftliche Geltendmachung gelten. Erst nach Ablauf der Frist des § 15 Absatz 4 AGG dürfe sich der Arbeitgeber darauf verlassen, dass keine Ansprüche mehr geltend gemacht würden. Andernfalls müssten diskriminierte Bewerber die üblichen Geschäftszeiten der Arbeitgeber herausfinden und der Fristablauf würde sich um Stunden verschieben. Dies liefe auf eine faktische Fristverkürzung hinaus.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.04.2021, Az. 6 Ca 10172/20, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin und Berufungsklägerin eine angemessene Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu zahlen, deren genaue Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 2.000,00 Euro liegen sollte.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, es sei zum Fristablauf am 11. Mai 2020 um 16.00 Uhr gekommen, auch durch § 167 ZPO habe eine bereits abgelaufene Frist nicht mehr gewahrt werden können. Im Übrigen sei die Klägerin nicht aus religiösen Gründe diskriminiert worden.
Wegen des weiteren Vortrages der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Klägerin vom 3. September 2021 (Blatt 77 bis 85 der Akte), des Beklagten (Blatt 89 bis 92 der Akte) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2021 (Blatt 95 bis 96 der Akte) verwiesen.
I. Die Berufung ist gemäß §§ 8 Absatz 2, 64 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 6, 66 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), 519 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und wurde gemäß §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 520 Absatz 3 ZPO ausreichend begründet.
II. Die Berufung ist unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt. Mit dem Antrag stellt die Klägerin die Höhe der geltend gemachten Forderung in das Ermessen des Gerichts und gibt 2.000,00 Euro als Mindestbetrag an. Mit diesem Inhalt ist der Antrag nach § 253 Absatz 2 Nummer 2 ZPO zulässig. Grundlage des Antrages ist § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG, der für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld vorsieht. Dem Gericht wird bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass die Klägerin Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (BAG, Urteil vom 13. Oktober 2011 – 8 AZR 608/10 –, Randnummer 16, juris). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn die Klägerin benennt als Berechnungsgrundlage einen Stundenlohn von 15,00 Euro bei voller Stelle.
2. Die Klage ist allerdings unbegründet. Darauf, ob die Klägerin aufgrund der Nichtberücksichtigung für die ausgeschriebene Stelle vom Beklagten aus Gründen der Religion benachteiligt wurde, kommt es nicht an. Die Klägerin hat den Anspruch aus § 15 Absatz 1 AGG nicht gemäß § 15 Absatz AGG innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Kenntniserlangung von der Benachteiligung schriftlich beim Beklagten geltend gemacht. Die Kammer folgt den unter I. angeführten Gründen der angefochtenen Entscheidung (§ 69 Absatz 2 ArbGG). Im Hinblick auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung gilt Folgendes:
a) Die Klägerin verweist ohne Erfolg auf die Regelung des § 167 ZPO. Die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sprechen nach der Rechtsprechung des BAG für eine Anwendung des § 167 ZPO bei einer Zustellung durch Vermittlung des Gerichts im Hinblick auf die Wahrung einer Frist, die auch durch außergerichtliche Geltendmachung eingehalten werden kann. Wer mit der Klage die stärkste Form der Geltendmachung von Ansprüchen wählt, muss sich deshalb darauf verlassen können, dass die Einreichung der Klageschrift die Frist wahrt (BAG, Urteil vom 22. Mai 2014 – 8 AZR 662/13 –, BAGE 148, 158-167, Randnummer 20). Vorliegend hat die Klägerin jedoch nicht den Klageweg für die Geltendmachung nach § 15 Absatz 4 AGG gewählt. Sie hat vielmehr ihre Ansprüche ohne Vermittlung durch ein Gericht direkt gegenüber dem Beklagten schriftlich geltend gemacht. Bei dieser Art der Geltendmachung handelt es sich um eine einseitige rechtsgeschäftsähnliche Handlung, da es bei ihr um eine auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Erklärung geht, deren Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintreten. Auf derartige einseitige rechtsgeschäftsähnliche Handlungen sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über Rechtsgeschäfte entsprechend ihrer Eigenart analog anzuwenden (Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 14. Februar 2008 – 11 Sa 1939/07 –, Randnummer 56, juris), also auch § 130 BGB. (BeckOGK/Benecke, 1.9.2021, AGG § 15 Randnummer 91). Die Erwägungen des BAG zu dem Fall, dass für die Wahrung der Frist des § 15 Absatz 4 AGG die Einreichung einer Entschädigungsklage gewählt wird, sind hier nicht einschlägig.
b) Durch die Anwendung des § 130 BGB kommt es nicht zu einer faktischen Verkürzung der Frist des § 15 Absatz 4 AGG. Entgegen der Auffassung des Beklagten endete diese auch vorliegend nicht am 11. Mai 2020 bereits um 16.00 Uhr, sondern gemäß §§ 187 Absatz 1, 188 Absatz 2 BGB am 11. Mai 2020 um 24.00 Uhr. Bis dahin konnte die Klägerin den Zugang beim Beklagten bewirken. War es ihr aufgrund des Ablaufs der üblichen Geschäftszeiten am 11. Mai 2020 um 18.08 Uhr nicht mehr möglich, den Zugang am gleichen Tag durch Fax oder E-Mail an die Geschäftsadresse des Beklagten zu bewirken, so hätte sie diesen auch zu diesem Zeitpunkt noch durch Übergabe des Geltendmachungsschreibens an ein Organmitglied des Beklagten bewirken können. Zudem stand ihr die von ihr angesprochene Möglichkeit der Klageeinreichung bis um 23.59 Uhr zur Verfügung. Das Risiko aber, dass für eine fristgerechte Zugangsbewirkung am letzten Tag der Geltendmachungsfrist nach Ende der üblichen Geschäftszeiten nicht mehr alle zuvor bestehenden Möglichkeiten zur Verfügung stehen, hat auch im Falle des § 15 Absatz 4 AGG die abgelehnte Bewerberin zu tragen. Soweit die Klägerin auf die Schwierigkeit verweist, die Geschäftszeiten des Arbeitgebers herauszufinden, sei darauf verwiesen, dass sich diese hier aus dem Schreiben des Beklagten an den A e. V. vom 15. Mai 2020 ergaben.
c) Dass § 15 Absatz 4 AGG die Ansprüche diskriminierter Bewerberinnen vom Zugang einer fristgerechten schriftlichen Geltendmachung abhängig macht, ist im Übrigen auch europarechtlich nicht zu beanstanden. Ausdrücklich lassen Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft und Artikel 17 Absatz 3 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen einzelstaatliche Regelungen über Fristen für die Rechtsverfolgung betreffend den Gleichbehandlungsgrundsatz unberührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, zu bestimmen (BAG, Urteil vom 15. März 2012 – 8 AZR 37/11 –, BAGE 141, 48-72, Randnummern 29 - 32). Macht wie in § 15 Absatz 4 AGG die innerstaatliche Rechtsordnung die Wahrnehmung der Rechte aus § 15 AGG von einer fristgebundenen schriftlichen Geltendmachung abhängig, sind insoweit auch die Regelungen der innerstaatlichen Rechtsordnung zum Zugang rechtsgeschäftlicher und rechtsgeschäftsähnlicher Erklärungen anzuwenden.
d) Im Rahmen der Frage der fristgerechten Geltendmachung von Ansprüchen nach § 15 Absatz 1 und 2 AGG hat der Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat, dass und wann die Frist nach § 15 Absatz 4 Satz 1 AGG durch Zugang der Ablehnung beim Bewerber in Lauf gesetzt worden ist, während der Arbeitnehmer darzulegen und ggf. zu beweisen hat, wann seine schriftliche Geltendmachung dem Arbeitgeber zugegangen ist (BAG, Urteil vom 19. August 2010 – 8 AZR 530/09 –, Randnummer 38, juris). Dass es bei Anwendung des § 130 BGB vorliegend auf die vom Arbeitsgericht angeführten üblichen Geschäftszeiten ankommt, hat die Klägerin, die sich allein gegen die Anwendung des § 130 BGB an sich ausspricht, nicht in Abrede gestellt und entspricht im Übrigen höchstrichterlicher und instanzgerichtlicher Rechtsprechung (zum Beispiel: BGH, Urteil vom 05. Dezember 2007 – XII ZR 148/05 –, Randnummer 9, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juli 2011 – I-24 U 186/10 –, Randnummern 32 f, juris). Deshalb lag es an der Klägerin, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass abweichend von den auf dem Geschäftspapier des Beklagten Zeiten üblicherweise andere und werktags bis nach 18.00 Uhr reichende Geschäftszeiten im einschlägigen Verkehrskreis anzunehmen sind. Dazu hat sie nichts vorgetragen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.
IV. Gründe im Sinne von § 72 Absatz 2 ArbGG dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.