Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 27. Beschwerdekammer | Entscheidungsdatum | 11.11.2021 | |
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Aktenzeichen | 26 Ta (Kost) 6234/21 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2021:1111.26TA.KOST6234.21.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 39 GKG, § 45 GKG, § 33 RVG |
In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist, § 39 Abs. 1 GKG. Die Werte für Haupt- und Hilfsanträge - um solche handelt es sich auch bei Kündigungsschutzanträgen bezüglich mehrerer Kündigungen - sind zusammenzurechnen, soweit auch über den Hilfsantrag eine Entscheidung ergeht, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG, oder der Rechtsstreit auch insoweit durch Vergleich erledigt wird, § 45 Abs. 4 GKG.
Dies gilt allerdings wiederum dann nicht, wenn die Anträge denselben Gegenstand betreffen; dann ist nur der höhere Wert maßgebend, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. April 2018 – 42 Ca 16477/16 – wird zurückgewiesen.
I.
Die Parteien haben darüber gestritten, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung vom 16. November 2016 am 30. November 2016 - und damit vor Ablauf der Befristung am 31. Dezember 2016 - beendet worden ist sowie um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 1. Dezember 2016. Beide Kündigungsschutzanträge waren auf einen Zeitraum bis zum 31. Dezember 2016 begrenzt.
Die Parteien schlossen am 22. März 2018 einen Vergleich, in dem sie sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. Dezember 2016 einigten und die Zahlung von Vergütung für die Monate November und Dezember 2016.
Mit Beschluss vom 18. April 2018 hat das Arbeitsgericht den „Wert des Streitgegenstands“ für das Verfahren auf 1.600 Euro (ein Bruttoeinkommen) festgesetzt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin begehrt mit der Beschwerde eine Erhöhung des Gegenstandswerts auf zwei Bruttoeinkommen, zumal im Rahmen des Vergleichs auch die Vergütung für die Monate November und Dezember 2016 und eine Urlaubsabgeltung geregt worden seien. Der Urlaubsanspruch sei schon deshalb streitig gewesen, weil die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses in Abrede gestellt habe. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1) Für den auf die Kündigung vom 16. November 2016 bezogenen Kündigungsschutzantrag ist ein Betrag in Höhe von einem Bruttoeinkommen in Ansatz zu bringen (Höhe der Vergütung für Monate Dezember 2016).
a) Der Streit über die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich mit dem Vierteljahresverdienst zu bewerten, wenn nicht nach Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung nur ein Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von unter drei Monaten im Streit steht. Ist der Antrag auf einen kürzeren Zeitraum beschränkt, ist die auf diesen Zeitraum entfallende Vergütung für die Bemessung des Streitwerts/Gegenstandswerts heranzuziehen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kostenkammern des Landesarbeitsgerichts (vgl. zB LAG Berlin-Brandenburg 1. November 2021 – 26 Ta (Kost) 6225/21) und auch den Empfehlungen der Streitwertkommission für die Arbeitsgerichtsbarkeit vom 9. Februar 2018 (NZA 2018, 498).
b) Der Kündigungsschutzantrag war ausdrücklich auf den Zeitraum bis zum Ablauf der Befristung am 31. Dezember 2016 begrenzt.
2) Der Antrag zu 2) hat nicht zu einer Erhöhung des Gegenstandswerts geführt.
a) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist, § 39 Abs. 1 GKG. Die Werte von Haupt- und Hilfsanträgen sind zusammenzurechnen, soweit auch über den Hilfsantrag eine Entscheidung ergeht, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG, oder der Rechtsstreit auch insoweit durch Vergleich erledigt wird, § 45 Abs. 4 GKG. Dies gilt allerdings wiederum dann nicht, wenn die Anträge denselben Gegenstand betreffen; dann ist nur der höhere Wert maßgebend, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.
Unter dem Begriff „Gegenstand“ in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht der Streitgegenstand iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu verstehen. Der „Gegenstand“ iSd. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht mit dem Streitgegenstand in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO identisch. Ob unterschiedliche (prozessuale) Streitgegenstände vorliegen, ist danach für die Frage des Additionsverbots nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG unerheblich (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 14. Dezember 2018 – 26 Ta (Kost) 6136/18, Rn. 6).
Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich vielmehr um einen selbstständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert. Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht (vgl. BGH 24. Januar 2019 – IX ZR 110/17, Rn. 3; 12. September 2013 – I ZR 61/11, Rn. 6).
b) Werden mehrere Kündigungen ausgesprochen und greift die klagende Partei alle Kündigungen an, sind unterschiedliche Beendigungszeitpunkte danach idR werterhöhend zu berücksichtigen. Wird der Antrag bezüglich der zuerst greifenden Kündigung positiv entschieden, hat das nicht notwendigerweise die Abweisung des Antrags bezüglich der Kündigung mit dem späteren Kündigungstermin zur Folge. Vielmehr wird es seitens der klagenden Partei angestrebt, dass den Anträgen bezüglich aller Kündigungen stattgegeben wird, wodurch dann auch die Werthäufung zum Ausdruck kommt.
Im Ergebnis ist im Hinblick auf die Kündigung mit dem frühesten Kündigungstermin ein Vierteljahreseinkommen in Ansatz zu bringen, wenn nicht nach Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung nur ein Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von unter drei Monaten im Streit steht (siehe dazu oben unter 1). Bei den die weiteren Kündigungen betreffenden Anträgen handelt es sich notwendig um (unechte) Hilfsanträge (vgl. BAG 21. November 2013, Rn. 17; 10. Dezember 2020 – 2 AZR 308/20, Rn. 9). Für diese ist der Gegenstandswert nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG zu erhöhen, wenn über sie entscheiden wird oder sie in einem Vergleich sachlich mitgeregelt werden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 6. Oktober 2021 - 26 Ta (Kost) 6096/21; so auch Streitwertkommission Nr. 21.3: Mehrere Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten).
c) Bei gleichem Beendigungszeitpunkt sind die für die Kündigungsschutzanträge in Ansatz zu bringenden Werte aufeinander anzurechnen. Aufgrund wirtschaftlicher Identität ist es geboten, von einer Addition abzusehen. Die Kündigungsschutzanträge verfolgen wirtschaftlich das gleiche Ziel, nämlich den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 15. November 2019 – 26 Ta (Kost) 6086/19, Rn. 10 mwN; so auch Streitwertkommission Nr. 21.2 - Mehrere Kündigungen ohne Veränderung des Beendigungszeitpunktes).
d) Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist für die Kündigungsschutzanträge insgesamt nicht mehr als ein Bruttoeinkommen angefallen.
Die Kündigungszeitpunkte (Ablauf des 30. November 2016 und 1. Dezember 2016) liegen unmittelbar beieinander. Im Ergebnis ging es jeweils (nur) um den Bestand eines Arbeitsverhältnisses im Monat Dezember 2016.
3) Das Arbeitsgericht hat zudem auch die Berücksichtigung eines Vergleichsmehrwerts mit Recht abgelehnt.
a) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 der Anlage 1 zum RVG). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Demgegenüber ist die bloße Begründung einer Leistungspflicht in dem Vergleich für den Vergleichsmehrwert ohne Bedeutung; denn es kommt für die Wertfestsetzung darauf an, worüber – und nicht worauf – die Parteien sich geeinigt haben. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass durch den Vergleich ein Streit vermieden wurde. Ein Titulierungsinteresse kann nur dann berücksichtigt werden, wenn der geregelte Anspruch zwar unstreitig und gewiss, seine Durchsetzung aber ungewiss war (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 2).
Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen oder auf sonstige Weise ausschließlich einen künftigen Streit der Parteien vermeiden. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um dann im Wege des Nachgebens einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn. 3).
b) Danach ist die Vergleichsregelung hier nicht geeignet, einen Vergleichsmehrwert zu rechtfertigen.
aa) Die auf die Vergütung für den Monat Dezember 2016 bezogene Regelung der Parteien im Vergleich rechtfertigt schon angesichts wirtschaftlicher Identität mit dem Kündigungsschutzantrag keinen Vergleichsmehrwert.
bb) Der Akte lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Regelung über die Vergütungsansprüche für den Monat November 2016 unter den Parteien über eine reine Abwicklungsregelung hinausgegangen wäre. Die erste Kündigung sollte das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 30. November 2016 beenden. Die nächste Kündigung ist erst am 1. Dezember 2016 ausgesprochen worden.
cc) Dem Vergleich lassen sich auch keine Gesichtspunkte dafür entnehmen, ob und ggf. in welchem Umfang Urlaubsabgeltungsansprüche geregelt werden sollten.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist angefallen.
IV.
Die Entscheidung ist unanfechtbar.