Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Asylrecht

Asylrecht


Metadaten

Gericht VG Cottbus 8. Kammer Entscheidungsdatum 16.12.2021
Aktenzeichen 8 K 1679/17.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2021:1216.8K1679.17.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 3 Abs 1 AsylVfG 1992, § 3 Abs 4 AsylVfG 1992, § 3a Abs 1 AsylVfG 1992, § 4 Abs 1 Nr 2 AsylVfG 1992, § 3a Abs 2 AsylVfG 1992

Leitsatz

Im Hinblick auf die mit einer Vergewaltigung regelmäßig einhergehende Traumatisierung oder sonst psychische Belastung sowie unter Berücksichtigung der ohnehin bestehenden interkulturellen Unterschiede im Umgang mit dieser Thematik vermag allein der Umstand, dass ein um internationalen Schutz nachsuchender Mensch in seiner Anhörung vor dem Bundesamt (noch) keine Angaben zu der von ihm erlittenen sexuellen Gewalt macht, nicht zwangsläufig gegen die Glaubhaftigkeit eines nachfolgenden entsprechenden Vorbringens sprechen. Erforderlich ist vielmehr auch insoweit eine umfassende Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Klägerinnen zu 1. bis 3. und Kläger zu 4. jeweils zu einem Viertel.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägerinnen und dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach diesem Urteil zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die am 1. Januar 1984 in Adi Ketina im Gebiet des heutigen Eritrea geborene Klägerin zu 1. aus der Volksgruppe der Tigrinia und ihre drei jüngsten Kinder, die Klägerinnen und Kläger zu 2. bis 4., begehren von der Beklagten ihre Anerkennung als international Schutzberechtigte.

Die Klägerin zu 1. stellte am 12. Juni 2017 bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) in E ...  für sich und ihre Kinder einen Asylantrag. Zur Begründung trug sie bei ihrer Anhörung am 14. Juni 2017 im Wesentlichen vor, dass ihr Ehemann am 15. Juli 2007 aus der Armee desertiert sei. Im Jahr 2010 habe ihr deshalb die örtliche Verwaltung das Ackerland weggenommen und so ihr Leben zerstört. Auch sei sie öfter wegen der Flucht ihres Mannes vernommen worden, das letzte Mal Ende des Jahres 2010. Aus Angst, auch verhaftet zu werden, habe sie im September 2011 Eritrea verlassen, was ihr wegen ihrer drei ältesten, in den Jahren 2002, 2004 und 2006 geborenen Kinder, die noch in Eritrea lebten, und aus finanziellen Gründen nicht früher möglich gewesen sei. Sie sei über Äthiopien und Sudan nach Israel gegangen, wo sie zusammen mit ihrem Ehemann bis zum Sommer 2015 gelebt und zwei weitere Kinder – die Klägerinnen zu 2. und 3. – zur Welt gebracht habe. Dann sei sie, erneut schwanger, wegen ihrer älteren Kinder, die sie bei ihrer jüngeren Schwester gelassen habe, nach Eritrea zurückgekehrt. Bei der Einreise habe es Vernehmungen gegeben, persönlich sei ihr aber nichts passiert. Kurz danach, im September 2015, habe die eritreische Regierung jedoch ihr Haus zerstört. Offiziell habe es nicht mit den Bauplänen übereingestimmt, tatsächlich sei es aber um ihre Rückkehr gegangen. Es seien mehrere Häuser zerstört worden, die alle Leuten gehört hätten, die etwas gegen die Regierung getan hätten. Damit sei ihre Lebensgrundlage zerstört gewesen, zumal ihre Familie sehr arm gewesen sei. Da sie außerdem Angst vor einer Verhaftung gehabt habe, habe sie Eritrea im Oktober 2015 in Begleitung der Klägerinnen zu 2. und 3. erneut verlassen habe. Der Kläger zu 4. sei dann in Sudan zur Welt gekommen. Von dort seien sie über Libyen nach Italien gereist, wo sie neun Monate geblieben und dann am 7. Juni 2017 mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien.

Mit Bescheid vom 6. Juli 2017, zugestellt am 8. Juli 2017, stellte das Bundesamt zugunsten der Klägerinnen zu 1. bis 3. und des Klägers zu 4. unter Ablehnung ihrer Asylanträge im Übrigen das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes fest. Zur Begründung der Ablehnungsentscheidung verwies das Bundesamt im Wesentlichen darauf, dass das Vorbringen der Klägerin zu 1. keine gezielte und damit individuelle Rechtsgutsverletzung unter Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal erkennen lasse. Der Vortrag sei zudem unglaubhaft, vage und ohne konkrete Details oder Wiedergabe bloßer Vermutungen. Die geschilderte Zerstörung des Hauses und die Wegnahme des Ackerlands hätten als Verfolgungsmaßnahmen nicht das erforderliche Maß an Intensität. Da der bereits 32jährigen, verheirateten Klägerin zu 1. als Mutter von sechs Kindern zudem insbesondere keine Heranziehung zum Nationaldienst drohe, sei sie auch nicht subsidiär schutzberechtigt.

Am 20. Juli 2017 haben die Klägerinnen und der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Sie beziehen sich auf die Angaben der Klägerin zu 1. vor dem Bundesamt und tragen ergänzend vor, dass diese, als sie am 29. Juli 2015 von Israel wieder nach Eritrea eingereist sei, von dem Militär in eine Art Gefängnis verbracht worden sei. Sie sei immer wieder gefragt worden, wo sie gewesen und wie sie nach Israel gelangt sei, warum sie zurückkehre und wo ihr Ehemann sei. Ihre wahrheitsgemäßen Angaben seien nicht geglaubt und ihr sei gedroht worden, sie zu töten. Zunächst habe sie sich mit mehreren anderen Frauen in einem Raum befunden. Dann sei ein Mann gekommen und habe sie in ein Zimmer gebracht, in dem ihre Kinder gewesen seien. Nachts sei er in dieses Zimmer gekommen und habe angefangen, sie anzufassen. Auf ihre Gegenwehr hin sei er wütend geworden, habe sie auf den Boden gedrückt und ihr die Kleider heruntergerissen. Als sie geschrien habe, habe er ihr den Mund zugehalten und gedroht, sie zu töten, falls sie noch einmal schreie. Er habe sie vergewaltigt und geschlagen. Sie habe nichts mehr hören und sich nicht verteidigen können. Sie sei schockiert und beschämt gewesen, weil dies vor ihren Kindern geschah. Er habe sie eine Woche lang jede Nacht in dem Raum vergewaltigt, in dem ihre Kinder gewesen seien. Er habe gedroht, sie zu finden und zu töten, wenn sie es jemanden sagen würde. Nach etwas mehr als einer Woche seien andere Männer gekommen und hätten sie freigelassen. Sie fühle sich seitdem schlecht und habe niemandem sagen können, was passiert sei. Sie habe es auch nicht ertragen können, ihre Familie zu sehen. Als sie bemerkt habe, dass sie schwanger sei, habe sie noch mehr Angst gehabt, da die Schwangerschaft auf die Vergewaltigung zurückzuführen seien könnte. Deshalb habe sie entschieden auszureisen, ehe ihr Zustand sichtbar würde. Gegenüber dem Bundesamt habe sie darüber nicht sprechen können, weil sie dem Übersetzer dort nicht getraut und sich gesorgt habe, was geschehen würde, wenn ihr Mann davon erführe. Er würde dann weder sie noch ihren Sohn, den Kläger zu 4., akzeptieren. Dieser erinnere sie an den Vergewaltiger. Sie fühle sich schuldig, höre seitdem schlecht und habe andere gesundheitliche Probleme, über die sie sich schäme zu sprechen. Auch mit ihrem Prozessbevollmächtigten habe sie hierüber nicht sprechen können, sondern sich erst einer Dolmetscherin gegenüber geöffnet. Bei den Vergewaltigungen handele es sich um geschlechtsspezifische Gewalt, die der Klägerin zu 1. bei ihrer Rückkehr nach Eritrea erneut drohen würde. Ebenso drohe ihr aufgrund ihrer illegalen Ausreise eine menschenrechtswidrige Bestrafung und den Klägerinnen zu 2. und 3. die Genitalverstümmelung.

Die Klägerinnen und der Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1 und 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Juli 2017 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung und trägt ergänzend vor, dass die Klägerin zu 1. in ihrer Anhörung nicht angegeben habe, bei ihrer Wiedereinreise aus Israel mit den Kindern inhaftiert und vergewaltigt worden zu sein. Vielmehr habe sie ausgesagt, lediglich vernommen worden zu sein, während ihre Probleme erst später mit der Zerstörung ihres Hauses begonnen hätten. Es widerspreche jedoch jeder Lebenserfahrung, dass eine Person ihre Hauptfluchtgründe nicht angibt, um Schutz vor dem Verfolgerstaat zu erlangen. Zumindest ihre Inhaftierung hätte sie ohne Angst vortragen können. Zudem habe die Klägerin zu 1. in ihrer Anhörung angegeben, bereits bei ihrer Wiedereinreise nach Eritrea schwanger gewesen zu sein, während sie nunmehr behaupte, die Schwangerschaft sei Ergebnis der erst nachfolgenden Vergewaltigungen.

Im Termin der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin zu 1. von der Einzelrichterin informatorisch befragt worden. Diesbezüglich wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges (1 Heft) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 6. Juli 2017 ist, soweit die Beklagte darin unter den Ziffern 1 und 2 die Gewährung internationalen Schutzes für die Klägerinnen und den Kläger ablehnt, nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen und den Kläger nicht in ihren Rechten. Diese haben keinen Anspruch auf eine Anerkennung als Flüchtlinge (hierzu unter 1.) oder subsidiär Schutzberechtigte (hierzu unter 2.), § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

1.) Anspruchsgrundlage für die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling ist § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG.

Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von Abs. 1 der Regelung ist und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (lit. a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (lit. b). Eine derartige Verfolgung, als welche gemäß § 3 a Abs. 1 AsylG Handlungen gelten, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung oder durch Kulminierung unterschiedlicher Maßnahmen so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, kann gemäß § 3 c AsylG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten.

Bei der Beurteilung, ob eine Verfolgung im dargelegten Sinne droht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 -, juris Rn. 20 ff.). Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie)). Widerlegt werden kann diese Vermutung nur, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.

Die Glaubhaftmachung der Asylgründe setzt eine schlüssige, nachprüfbare Darlegung voraus. Der Schutzsuchende muss unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Jedenfalls in Bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse hat er eine Schilderung abzugeben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen (vgl. zum Ganzen VG Ansbach, Urteil vom 1. Dezember 2010 – AN 11 K 10.30384 -, juris, Rn. 16 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).

Unter Beachtung dieser Maßstäbe haben weder die Klägerin zu 1. noch ihre Kinder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht ist aufgrund des Vorbringens der Klägerin zu 1. unter Berücksichtigung der herangezogenen Erkenntnisquellen nicht der Überzeugung, dass diese vorverfolgt aus Eritrea ausgereist ist (hierzu unter 1.1.) und dass sie und ihre Kinder bei ihrer Rückkehr einer Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ausgesetzt wären (hierzu unter 1.2.).

Auf die Verhältnisse in Eritrea kommt es vorliegend maßgeblich an. Die Kammer hat keinen Anlass zu zweifeln, dass die Klägerin zu 1. - und dementsprechend auch ihre Kinder - eritreische Staatsangehörige sind. Zwar existierte der (völkerrechtlich anerkannte) Staat Eritrea im behaupteten Zeitpunkt der Geburt der Klägerin zu 1. am 1. Januar 1984 noch nicht, der vielmehr erst mit der Unabhängigkeitserklärung vom 24. Mai 1993 entstand. Zuvor war das Gebiet seit 1962 Teil Äthiopiens (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 9. Dezember 2020 i.d.F. vom 25. Januar 2021, Seite 7; EASO-Bericht Länderfokus Eritrea, Mai 2015, Seite 15 ff.). Ihre dementsprechend mit der Geburt zunächst erworbene äthiopische Staatsangehörigkeit hat die Klägerin aber nachfolgend durch Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit verloren (Art. 11 lit. a des seinerzeit geltenden äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1930, hier zitiert nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Äthiopien (Stand: 1. November 2004), Seite 18), wofür jedenfalls spricht, dass sie, ohne dass diesbezüglich Anhaltspunkte für Zweifel ersichtlich sind, bis zu ihrer Ausreise nach Israel im Jahr 2011 immer im Gebiet von Eritrea gelebt und damit nach Auffassung sowohl des äthiopischen als des eritreischen Staates zumindest durch „Betätigung“ auf ihre äthiopische Staatsangehörigkeit zugunsten der eritreischen verzichtet hat.

1.1.) Es lässt sich nicht hinreichend sicher feststellen, dass die Klägerin zu 1. vorverfolgt aus Eritrea ausgereist ist.

a) Soweit die Klägerin zu 1. – erstmals im vorliegenden Klageverfahren – geltend gemacht hat, bei ihrer Wiedereinreise nach Eritrea im Sommer 2015 zusammen mit den Klägerinnen zu 2. und 3. inhaftiert und sodann mehrfach vergewaltigt worden zu sein, ist ihr Vorbringen in einem Maße vage, unplausibel und in sich widersprüchlich, dass das Gericht durchgreifende Zweifel an dessen Glaubhaftigkeit hat. Zwar vermag im Hinblick auf die mit einer Vergewaltigung regelmäßig einhergehende Traumatisierung oder sonst psychische Belastung sowie unter Berücksichtigung der ohnehin bestehenden interkulturellen Unterschiede im Umgang mit dieser Thematik allein der Umstand, dass ein um internationalen Schutz nachsuchender Mensch in seiner Anhörung vor dem Bundesamt (noch) keine Angaben zu der von ihm erlittenen sexuellen Gewalt macht, nicht zwangsläufig gegen die Glaubhaftigkeit eines nachfolgenden entsprechenden Vorbringens sprechen. Die Möglichkeit, von einem traumatisierenden Ereignis zu berichten, hängt vielmehr von einer Vielzahl von Umständen ab, wobei regelmäßig auch der zeitliche Kontext bis hin zur Anhörung vor dem Bundesamt und deren Begleitumstände sowie etwa die Lebenssituation in der Bundesrepublik und die Tatsache eine Rolle spielen werden, ob die oder der Betroffene nachfolgend psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nimmt. Erforderlich ist daher auch insoweit eine umfassende Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles (vgl. hierzu auch Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 22. Februar 2021 – W 8 K 20.30200 –, juris Rn. 38).

Hier erscheinen die Angaben der Klägerin zu 1. auch unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe nicht glaubhaft. Insbesondere weist ihr Vorbringen in sich zahlreiche Abweichungen und Widersprüche auf, für die die Klägerin zu 1. keine nachvollziehbaren Erklärungen abgeben konnte. Soweit ihr Prozessbevollmächtigter geltend gemacht hat, dass sich die Erinnerung traumatischer Ereignisse im Laufe der Zeit ändere, vermag dies so pauschal nicht zu überzeugen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass - jedenfalls soweit ein traumatisierendes Ereignis im Erwachsenenalter erlebt wird - das Kerngeschehen regelmäßig durchaus erinnert wird. Das Vorliegen einer Traumatisierung oder gar Posttraumatischen Belastungsstörung hat die Klägerin zu 1. zudem ohnehin weder dargelegt noch mittels fachärztlicher Stellungnahme belegt. Ebenso wenig vermag angesichts der konkreten Widersprüchlichkeiten im Vorbringen der Klägerin zu 1. der bloße Hinweis auf Kommunikationsschwierigkeiten im Anwaltsgespräch zu überzeugen, zumal die Klägerin zu 1. sich bei ihrem Prozessbevollmächtigten ja gerade vertraulich gegenüber einer Dolmetscherin geöffnet haben will.

Im Einzelnen:

aa) Im Rahmen des behördlichen Asylverfahrens hat die Klägerin zu 1. nur angegeben, Eritrea im Oktober 2015 wegen der Zerstörung ihres Hauses verlassen zu haben. Diese Angaben finden sich gleichlautend sowohl in den beigezogenen Unterlagen der italienischen Behörden vom 25. Januar 2017 und vom 21. März 2017, in denen die Klägerin zu 1. zudem erklärt, keinerlei andere Probleme mit den eritreischen Behörden gehabt zu haben, namentlich zu keiner Zeit inhaftiert gewesen zu sein, als auch im Protokoll der Anhörung vor dem Bundesamt vom 14. Juni 2017, in der die Klägerin zu 1. aber zudem Repressalien im Vorfeld ihrer ersten Ausreise aus Eritrea im Jahr 2011 schildert, die auf die Desertion und illegale Ausreise ihres Ehemannes gefolgt seien. In ihrer schriftlichen Einlassung zu ihrer Klage hat sie dann erstmals dargelegt, das Land wegen der erlittenen Vergewaltigungen und der Befürchtung, dass sie davon schwanger sei, erneut verlassen zu haben. Insoweit ist eine stete Steigerung ihres Vorbringens zu verzeichnen.

Ausweislich der schriftlichen Klagebegründung habe die Klägerin zu 1. vor dem Bundesamt nicht über die Vergewaltigungen gesprochen, weil sie dem Übersetzer nicht getraut habe. Es überzeugt jedoch nicht, wenn sie in diesem Zusammenhang einerseits darauf verweist, dass der Dolmetscher ein Fremder für sie sei, andererseits aber die Sorge äußert, dass dieser die Geschichte weitererzählen und so ihr Ehemann – der sich zu dieser Zeit im Sudan befand - davon erfahren könnte. Dies erscheint vielmehr fernliegend und im Übrigen insofern auch widersprüchlich, als sich die Klägerin zu 1. zu den Befragungen durch ihren Prozessbevollmächtigten und im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens von männlichen Bekannten bzw. Verwandten begleiten ließ, obwohl sie wusste, dass sie zu ihrem Verfolgungsschicksal befragt werden würde. Ihre hierzu gegebene Erklärung, dass sie sich hier nicht auskenne und allein den Weg nicht finden würde, vermag im Hinblick auf ihre Biographie, namentlich die von ihr bewältigte Reise nach Europa, und ihren mittlerweile bereits fast fünfjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht im Ansatz zu überzeugen. Zudem hat sie angegeben, im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens ihrem Anwalt schließlich doch von den Vergewaltigungen erzählt zu haben, weil sie Angst gehabt habe, nach Eritrea zurückkehren zu müssen, was den Eindruck einer bloß asyltaktisch motivierten Steigerung des Vortrages stützt.

bb) In ihrer schriftlichen Klagebegründung hat die Klägerin zu 1. dargelegt, bei ihrer Wiedereinreise nach Eritrea inhaftiert und sodann wiederholt zu ihrem Israelaufenthalt und ihrem Ehemann befragt und im Zuge dieser Befragungen auch mit dem Tod bedroht worden zu sein. In ihrer Befragung durch die Einzelrichterin im Termin der mündlichen Verhandlung hat sie dagegen angegeben, in der Zeit ihrer Inhaftierung in keiner Weise vernommen worden zu sein und auch keine Erklärung unterschrieben zu haben, vielmehr hätten sie lediglich warten müssen. Eine plausible Erklärung für dieses Abweichen ihres Vorbringens hat die Klägerin auch auf Vorhalt nicht geben können; der bloße Hinweis, sie gebe nur wieder, woran sie sich erinnere, genügt dafür nicht.

cc) Das Gleiche gilt, soweit die Klägerin zu 1. in ihrem schriftlichen Vorbringen erklärt hat, sie hätte sich zunächst mit mehreren anderen Frauen in einem Raum befunden, bis ein Mann gekommen sei und sie in ein Zimmer gebracht habe, in dem ihre Kinder gewesen seien. Dorthin sei dieser Mann dann des Nachts gekommen und habe sie im Beisein ihrer Kinder eine Woche lang jede Nacht vergewaltigt, bis andere Männer gekommen seien, die sie freigelassen hätten. In ihrer Schilderung der Vorgänge, die die Klägerin zu 1. in ihrer Befragung durch die Einzelrichterin abgegeben hat, hat der Mann sie dagegen zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten geholt und in einen separaten Raum gebracht, aus dem sie zwischendurch immer wieder zurückgekehrt sei, während sie ihre Kinder bei den anderen Frauen zurückgelassen habe. Sie hätten immer nur mit diesem Mann zu tun gehabt, dem sie ihre Telefonnummer – bzw. die ihrer älteren Kinder – habe geben müssen, bevor er sie gehen gelassen habe. Auch diesbezüglich hat die Klägerin zu 1. auf Vorhalt der abweichenden Darstellung nur darauf verwiesen, dass diese Ereignisse schon so lang zurückliegen würden, ohne freilich ihren Vortrag anhand des Vorhalts richtig zu stellen. Stattdessen hat sie an dieser Stelle auf ihr infolge der Schläge des Mannes krankes Ohr verwiesen, von dem sie schließlich bislang auch nicht berichtet hätte. Tatsächlich hatte sie dieses zuvor auf die ausdrückliche Frage der Einzelrichterin nach körperlichen Folgen der Vergewaltigungen nicht erwähnt, sondern nur über Magen- und Nierenbeschwerden gesprochen. Zu ihren Gunsten leitet sich hieraus jedoch nichts her, vielmehr ist der Eindruck eines mangelnden Bemühens entstanden, mit der gebotenen Ernsthaftigkeit an der Ermittlung des relevanten Sachverhaltes mitzuwirken. Im Übrigen erscheint es ausgeschlossen, dass sich die Klägerin zu 1. nicht mehr daran erinnert, ob sie im Beisein ihrer Töchter vergewaltigt wurde oder nicht.

Die Räumlichkeiten, in denen sie festgehalten worden sein soll, konnte die Klägerin zu 1. auch auf Nachfrage nicht im Ansatz beschreiben, außer dass auf dem Boden Matratzen gelegen hätten.

dd) In ihrer Befragung durch die Einzelrichterin hat die Klägerin angegeben, nach ihrer Freilassung durch den Mann, der sie vergewaltigt hatte, telefonisch belästigt worden zu sein, weil dieser sie immer wieder angerufen und wissen gewollt habe, wo er sie treffen könne. Gerade auch wegen dieser Belästigungen habe sie entschieden, das Land wieder zu verlassen. Abgesehen davon, dass die Klägerin hiervon in ihrer schriftlichen Einlassung nichts erwähnt hatte, wirkt dieser Vortrag auch für sich genommen wenig glaubhaft. Unplausibel ist insbesondere, dass der Mann, der ihr angeblich gedroht habe, sie zu töten, wenn sie ihn verriete, ihr während der Zeit der Vergewaltigungen seinen Namen genannt und unter diesem Namen sodann versucht haben soll, sie weiterhin zu treffen, indem er sie über die Telefonnummer ihrer Kinder anrief. Dass sie deren Telefonnummer an ihren Vergewaltiger herausgegeben haben will, weil ihre eigene – israelische – Telefonnummer in Eritrea nicht funktioniert hätte, erscheint nahezu grotesk.

ee) In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt hat die Klägerin zu 1. angegeben, bei der Einreise zu ihrem zweiten Eritrea-Aufenthalt im Sommer 2015 bereits schwanger gewesen zu sein. Im Klageverfahren hat sie schriftsätzlich dagegen vorgetragen, erst nach den Vergewaltigungen in Eritrea bemerkt zu haben, dass sie schwanger sei, und aus Angst, ihre Familie könnte das bemerken, erneut ausgereist zu sein, „bevor ihr Bauch größer“ werde. In ihrer Befragung durch die Einzelrichterin hat sie demgegenüber angegeben, Eritrea wegen der nachfolgenden telefonischen Belästigungen verlassen und erst im Sudan bemerkt zu haben, dass sie schwanger sei. Ihre auf Vorhalt der Einzelrichterin hierzu abgegebene Erklärung, sie habe in Eritrea aufgrund des Ausbleibens ihrer Menstruation nur die Vermutung gehabt, schwanger zu sein, vermag diese Widersprüche in ihren Angaben nicht hinreichend aufzulösen. Zudem erscheint es in sich nicht stimmig, dass die Klägerin zu 1. einerseits wiederholt von ihrer damaligen Angst spricht, dass ihre Familie von der aus einer Vergewaltigung resultierenden Schwangerschaft erfahren könnte, andererseits im Zeitpunkt ihrer Ausreise aber weder sicher gewusst haben will, ob sie überhaupt schwanger ist, noch ob das Kind überhaupt von ihrem Vergewaltiger oder nicht doch von ihrem Mann stammt. Ebenso wenig konnte sie plausibel erklären, wie ihre Familie überhaupt von der Vergewaltigung hätte erfahren sollen. Hiernach befragt, hat die Klägerin zu 1. zunächst erklärt, dass sie selbst nicht darüber reden werde, aber befürchte, dass es über die Dokumente dieses Verfahrens herauskommen könne. Darauf hingewiesen, dass es um den Zeitpunkt ihrer Ausreise aus Eritrea im Oktober 2015 gehe, hat sie nunmehr behauptet, sie hätte Angst vor sich selbst gehabt, dass sie in ihrer Verzweiflung darüber sprechen würde. Das ist widersprüchlich und angesichts der Tatsache, dass die Klägerin zu 1. immer wieder ihre enorme Angst vor dem Bekanntwerden thematisierte, weshalb sie selbst vor dem Bundesamt und gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten hierüber keine Angaben gemacht habe, auch nicht im Ansatz überzeugend.

Von der Einzelrichterin zu den Folgen eines Bekanntwerdens befragt, hat die Klägerin zu 1. lediglich erklärt, dass das „Gerede der Leute“ schrecklich wäre und sie Probleme hätte, damit umzugehen. Die von ihr behauptete seelische oder gar existentielle Notlage macht dies in keiner Weise nachvollziehbar.

ff) Hinzu kommt, dass die Klägerin zu 1. in ihrer Befragung durch die Einzelrichterin auch keinen glaubwürdigen Eindruck gemacht hat. Eine wirkliche Belastung durch die von ihr geschilderten Ereignisse hat sie zu keiner Zeit erkennen lassen, zumal sie namentlich die behaupteten Vergewaltigungen einerseits von sich aus und ohne Scheu angesprochen hat, auf die darauf aufbauenden Nachfragen aber in ihren Schilderungen allgemein und oberflächlich blieb und sich letztlich auf Allgemeinplätze beschränkte. Ihr Vortrag war weder hinreichend anschaulich noch in sich schlüssig, so dass sich der Eindruck, sie gebe etwas tatsächlich Erlebtes wider, nicht etablieren konnte. Anhaltspunkte für eine ihr Aussageverhalten etwa prägende Traumatisierung oder Traumafolgestörung wurden zu keiner Zeit erkennbar, zumal die Klägerin bislang offensichtlich auch keine Veranlassung hatte, entsprechende ärztliche oder therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine wirkliche Beteiligung ließ sie vielmehr nur in Bezug auf ihre ursprünglich in Eritrea verbliebenen, älteren drei Kinder erkennen, wobei ihr diesbezüglicher unvermittelter emotionaler Ausbruch in der mündlichen Verhandlung wiederum eher aufgesetzt-übertrieben wirkte.

Letztlich vermag die Kammer sich unter Berücksichtigung dieser Umstände keine hinreichende Überzeugung vom Wahrheitsgehalt der Angaben der Klägerin zu 1. bilden.

b) Im Hinblick hierauf kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob es sich bei den von der Klägerin zu 1 behaupteten sexuellen Übergriffen ausweislich der konkreten Umstände überhaupt um eine geschlechtsspezifische Verfolgung handeln würde, die an eines der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsmotive anknüpft, oder um rein kriminelles Unrecht.

c) Soweit die Klägerin zu 1. darüber hinaus vorgetragen hat, dass die eritreische Regierung kurz nach ihrer Wiedereinreise im September 2015 ihr Haus zerstört habe, vermag auch dies keine asylerhebliche Vorverfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG zu erkennen lassen. Vielmehr hat die Beklagte diesbezüglich berechtigt darauf verwiesen, dass dem nicht die in §§ 3, 3a Abs. 1 und 2 AsylG vorausgesetzte Verfolgungsintensität zukommt, zumal die Klägerin auch nicht hinreichend überzeugend darlegen konnte, dass die Zerstörung ihres Hauses tatsächlich in Reaktion auf die Desertion ihres Ehemannes im Jahre 2007 und ihre Ausreise nach Israel im September 2011 unter Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG erfolgt ist, was schon im Hinblick auf den zeitlichen Abstand wenig plausibel erscheint. Insbesondere hat die Klägerin zu 1. zur Begründung ihrer diesbezüglichen Vermutung im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt wiederholt auf ihre Vernehmung durch die eritreischen Behörden bei ihrer Wiedereinreise Ende Juli 2015 verwiesen. In ihrer Befragung durch die Einzelrichterin hat sie jedoch verneint, in diesem Kontext vernommen worden zu sein, so dass auch insoweit durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben bestehen.

1.2.) Ebenso wenig erscheint es überwiegend wahrscheinlich, dass den Klägerinnen und dem Kläger im Falle ihrer – wegen des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG nur hypothetischen - Rückkehr nach Eritrea eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG droht.

a) Im Hinblick auf die oben unter 1.1.) getroffenen Feststellungen sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Klägerin zu 1., die sich insoweit nicht auf die aus einer Vorverfolgung resultierende (widerlegbare) Vermutung stützen kann, dass sich die Verfolgung bei ihrer Rückkehr wiederholen wird, eine Verfolgung droht. Namentlich hat sie, wie bereits dargelegt, nicht hinreichend plausibel und glaubhaft gemacht, bei ihrer Wiedereinreise nach Eritrea im Sommer 2015 inhaftiert und vergewaltigt worden zu sein, so dass keine begründete Vermutung dafür spricht, dass ihr das bei ihrer Rückkehr nach Eritrea wiederfahren würde.

b) Ebenso wenig ergibt sich für die Klägerin zu 1. und ihre Kinder eine begründete Furcht vor Verfolgung aus dem Umstand, dass der Ehemann der Klägerin zu 1. nach ihrem Vorbringen im Jahr 2007 vom militärischen Teil des Nationaldienstes desertiert sei und das Land illegal verlassen habe.

aa) Art. 37 Abs. 1 der eritreischen „Proclamation on National Service“ (Proklamation Nr. 82/1995) sieht für Personen, die sich dem aktiven Wehrdienst bzw. der allgemeinen Dienstpflicht entziehen, eine zweijährige Freiheitsstrafe und/oder eine Geldstrafe in Höhe von 3.000 Birr vor, verlässt der Deserteur das Land, beträgt die Freiheitsstrafe fünf Jahre. Deserteure verlieren außerdem das Recht auf Arbeit und Landbesitz. Art. 300 des eritreischen Strafgesetzbuches von 1991 legt zusätzlich fest, dass eine Desertion während Kriegszeiten eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren bis lebenslänglich, u. U. auch die Todesstrafe nach sich zieht; Wehrdienstverweigerung während Kriegszeiten wird gemäß Art. 297 mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft (vgl. EASO Herkunftsländer-Informationsbericht „Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr“, September 2019, Seite 43; SEM Focus Eritrea – Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22. Juni 2016 (aktualisiert am 10. August 2016), Seite 17; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2017 – 6 K 7338/16.A -, juris Rn. 67). Anfang 2015 hat Eritrea zwar neue Strafvorschriften erlassen, die jedoch nicht in Kraft gesetzt wurden bzw. in der Praxis nicht angewendet werden (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Eritrea vom 19. Mai 2021, Seite 7; SEM Focus Eritrea – Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22. Juni 2016 (aktualisiert am 10. August 2016), Seite 17).

Die Ein- und Ausreisebestimmungen Eritreas sind in der Proklamation 24/1992 geregelt. Gemäß Art. 11 sind für die legale Ausreise aus Eritrea unter anderem ein gültiges Reisedokument und ein gültiges Ausreisevisum erforderlich. Zuwiderhandlungen gegen die Ausreisebestimmungen sowie Versuche, die Grenze illegal zu überqueren oder Personen dabei zu unterstützen, werden gemäß Art. 29 Abs. 2 der Proklamation mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 10.000 Birr bestraft (vgl. SEM Focus Eritrea – Update Nationaldienst und illegale Ausreise vom 22. Juni 2016 (aktualisiert am 10. August 2016), Seite 26; EASO Herkunftsländer-Informationsbericht „Eritrea: Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr“, September 2019, Seite56 ff.; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 23. März 2017 – 6 K 7338/16.A -, juris Rn. 69).

bb) Ob die entsprechenden Verfolgungshandlungen des eritreischen Staates gegenüber Deserteuren und Wehrdienstverweigerern an einem Verfolgungsgrund gemäß §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG, namentlich die politische Überzeugung anknüpfen (vgl. ablehnend etwa Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. September 2020 – 19 A 1857/19.A –, juris Rn. 36 ff.; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. November 2021 – OVG 4 B 12/20 –, Seite 9 ff. UA, jeweils m.w.N.; a.A. Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil vom 27. August 2021 – VG 8 K 944/17.A –, Seite 14 ff. UA), kann hier dahin gestellt bleiben. Denn es ist vielmehr schon nicht ersichtlich, dass den Klägerinnen und dem Kläger als Angehörigen wegen der Desertion ihres Ehemannes bzw. Vaters mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen durch den eritreischen Staat drohen. Hiergegen spricht nicht nur der Zeitablauf – die geltend gemachte Desertion liegt im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits ca. 14,5 Jahre zurück –, sondern auch der Umstand, dass die Klägerin zu 1. selbst im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Desertion und in den nachfolgenden Jahren bis zu ihrer ersten Ausreise im Jahr 2011 keiner asylerheblichen Verfolgung ausgesetzt gewesen ist. Zwar hat sie insoweit vorgetragen, wiederholt wegen der Flucht ihres Ehemannes vernommen worden zu sein und ihr Ackerland verloren zu haben. Letzteres allerdings erst 2010, so dass begründete Zweifel an einem Zusammenhang mit der Desertion ihres Ehemannes bestehen. Insbesondere ist ihr aber im Übrigen nichts passiert, namentlich ist sie ihren eigenen Angaben zufolge weder bedroht noch geschlagen noch inhaftiert worden, so dass nichts dafür spricht, dass entsprechende Verfolgungshandlungen nunmehr zu befürchten wären.

Insofern, hierauf sei nur am Rande verwiesen, erscheint es auch schon nicht überzeugend, dass die Klägerin zu 1. im Jahr 2011, also erst vier Jahre nach der Desertion und Flucht ihres Ehemannes, das Land aus Angst vor ihrer Verhaftung verlassen haben will, ohne dass ihr zuvor Entsprechendes widerfahren ist. Zudem hat sie gegenüber den italienischen Behörden angegeben, nach Israel gegangen zu sein, um bei ihrem Mann zu sein; in ihrer Befragung durch das Bundesamt heißt es an einer Stelle entsprechend, sie hätte ihre Kinder zu Hause gelassen, um in Israel ein bisschen Geld zu verdienen. Wäre die Klägerin tatsächlich aus politischen Gründen – und also absehbar dauerhaft – aus Eritrea emigriert, hätte es nahegelegen, ihre Kinder mitzunehmen. Eine plausible Erklärung, warum dies nicht geschah, konnte die Klägerin zu 1. trotz ausführlicher Befragung durch die Einzelrichterin nicht geben. Weder ihr Hinweis auf finanzielle Erwägungen noch das Alter der Kinder vermochten zu überzeugen, zumal sie die Klägerinnen zu 2 und 3 wiederum in sehr jungem Alter auf die noch beschwerlichere Reise nach Europa mitgenommen hat.

c) Der Klägerin zu 1. droht eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung bei einer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch nicht wegen ihrer illegalen Ausreise und ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Staat Eritrea bereits die illegale Ausreise oder die Asylantragstellung ohne weiteres als Ausdruck einer Regimegegnerschaft bewertet (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. September 2020 – 19 A 1857/19.A –, juris Rn. 131 m.w.N.), insbesondere da vorliegend die Klägerin zu 1. als verheiratete Mutter von sechs Kindern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zumindest faktisch von der (militärischen) Nationaldienstpflicht befreit ist (vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Oktober 2021 – 4 Bf 106/20.A –, juris Rn. 49 ff.; Verwaltungsgericht Bayreuth, Urteil vom 22. November 2021 – B 7 K 21.30675 –, juris Rn. 22 ff.) und deshalb mit ihrer Ausreise selbst keine Wehrdienstentziehung verwirklicht hat.

d) Soweit die Klägerin erstmals schriftsätzlich im vorliegenden Klageverfahren geltend gemacht hat, ihren Töchtern, den Klägerinnen zu 2. und 3., drohe bei einer Rückkehr nach Eritrea eine Genitalverstümmelung, sprechen ebenfalls keine beachtlichen Anhaltspunkte für eine insoweit zu befürchtende asylerhebliche Verfolgung.

Zwar stellt die an Mädchen vorgenommene Beschneidung grundsätzlich eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung dar, die an einen Verfolgungsgrund i.S.v. § 3b AsylG anknüpft (vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 22. Februar 2021 – W 8 K 20.30200 –, juris Rn. 30; Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 23. Juli 2019 – 11 K 5586/16.A –, juris Rn. 167 ff.). Abgesehen davon, dass die weibliche Genitalverstümmelung in Eritrea seit 2007 verboten ist und die Anzahl der in Eritrea durchgeführten Beschneidungen in den vergangenen Jahren stark abgenommen hat (vgl. BAMF, Länderreport 9, Eritrea, Weibliche Genitalverstümmelung, Stand: 3/2019, S. 3 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea vom 9. Dezember 2020 i.d.F. vom 25. Januar 2021, Seite 17), ist hier aber schon deshalb nicht ersichtlich, dass den Klägerinnen zu 2. und 3. eine Beschneidung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen würde, weil die Klägerin zu 1 in ihrer Befragung durch die Einzelrichterin glaubhaft und mit Vehemenz selbst verneint hat, dass es sich hierbei um eine relevante Thematik handelt. So hat sie nicht nur erklärt, dass sie eine Beschneidung ihrer Töchter nicht vornehmen oder zulassen würde, auch sie selbst und ihre älteste, 2006 geborene Tochter sind nach ihren Angaben nicht beschnitten. Vielmehr kenne sie überhaupt keine Person, die beschnitten sei, so dass auch nicht davon auszugehen ist, dass ein entsprechender sozialer oder familiärer Druck besteht, zumal die 2013 und 2014 geborenen Klägerinnen zu 2. und 3. das übliche Alter für die Vornahme einer Genitalverstümmlung bereits überschritten haben.

e) Sonstige Anhaltspunkte für eine flüchtlingsrelevante Verfolgung der Klägerinnen und des Klägers in Eritrea haben diese weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.

2.) Auch der auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes gerichtete Hilfsantrag bleibt ohne Erfolg.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Hier ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerinnen und der Kläger subsidiär Schutzberechtigte im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG sind. Insoweit gilt auch hier – wie bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft – der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die für die Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht besitzen und gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen, wobei das Gericht sowohl von der Wahrheit des geltend gemachten Schicksals als auch von der Richtigkeit der Gefahrenprognose die volle Überzeugung gewinnen muss (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 -, juris Rn. 20 ff.; Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 3. Mai 2013 – 6a K 6153/12.A -, juris Rn. 20; Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 7. November 2016 – Au 5 K 16.31853 -, juris Rn. 35).

Dafür, dass den Klägerinnen und dem Kläger in Eritrea ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht, haben diese unter Berücksichtigung der obigen Feststellung, dass das hierauf gerichtete Vorbringen der Klägerin zu 1. schon nicht glaubhaft ist, keinerlei hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen und ist auch sonst nichts ersichtlich. Namentlich liefen auch die Klägerinnen zu 2. und 3 und der Kläger zu 4. als Kleinkinder derzeit nicht Gefahr, absehbar zum eritreischen Nationaldienst eingezogen zu werden.

3.) Die Kostenentscheidung für das nach § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Verfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.