Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 21. Der Senat | Entscheidungsdatum | 09.12.2021 | |
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Aktenzeichen | L 21 U 117/17 | ECLI | ECLI:DE:LSGBEBB:2021:1209.L21U117.17.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 87 S 1 SGB 7, § 87 S 2 SGB 7 |
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des
Berufungsverfahrens voll zu erstatten. Im Übrigen verbleibt es bei der
Kostenentscheidung des Sozialgerichts.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Im Streit steht die Berechnung einer Verletztenrente, dabei die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV).
Der 1965 geborene Kläger absolvierte in der Zeit von 1990 – 1995 ein Studium der Naturwissenschaften/Biologie (Fischerei/Ressourcenmanagement) an der Universität Ch A D in Dakar, Senegal. Von 1995 bis 1997 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter dieser Universität. Ab 1998 bis ins Jahr 2002 forschte und promovierte er an der H Universität zu Berlin zum Dr. rer. nat. der Biologie. Vom 1. August 2002 bis 20. Februar 2004 war der Kläger Programmkoordinator von Umwelt- und Fischzuchtprojekten im Senegal der Fa. T S SARL, einem Unternehmen im Bereich Umwelt- und Ressourcenmanagement. Von 2004 bis 2006 publizierte er seine Promotionsarbeit. Nachfolgend forschte und publizierte er an der H-Universität zu Berlin bis 2008 im Status eines Gastwissenschaftlers, ohne hieraus ein Einkommen zu erzielen.
Seit dem 16. November 2008 war der Kläger als Entwicklungshelfer im Rahmen des GTZ-Programmes „PRODALKA“ im Tschad tätig. Er wurde hierbei nicht durch die Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) als Arbeitnehmer entsandt, sondern nach den Regelungen des Entwicklungshelfer-Gesetzes (EhfG). Träger war der Deutsche Entwicklungsdienste (DED), welcher am 1. Januar 2011 mit der GTZ zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fusionierte. Der Kläger war als Berater tätig und leitete das Projekt „Förderung der örtlichen Ressourcenschutzorganisationen" im Departement Léré. Im Jahr 2009 bezog der Kläger hierfür ausweislich der Verdienstnachweise Unterhaltsgeld in Höhe von 29.057,84 € Gesamtbrutto.
Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde der Kläger am 31. Januar 2010 bei einer Dienstreise Opfer eines Verkehrsunfalls, bei dem er als Folge einer Luxationsfraktur der Halswirbelsäule C5/C6 eine Querschnittlähmung mit Lähmung aller 4 Extremitäten, der Blase und des Mastdarms (komplette spastische Tetraplegie sub C4, neurogene Harnblasen- und Mastdarmlähmung) erlitt.
Im Zuge der Ermittlung zur Höhe des Jahresarbeitsverdienstes zog die Beklagte u.a. den Entwicklungshelfer-Dienstvertrag des Klägers mit dem DED bei und befragte die Ehefrau des Klägers. Diese teilte mit, dass der Kläger vor dem Eintritt in den Entwicklungsdienst kein Entgelt erzielt habe. Die Selbständigkeit ihres Mannes habe bereits im Dezember 2007 geendet. Es habe sich um eine von Beginn an zeitlich begrenzte nebenberufliche Selbstständigkeit, deren Grundlage ein begrenzter Auftrag gewesen sei, gehandelt. Der Gastwissenschaftlervertrag, der im Jahr 2007 abgeschlossen worden sei, habe keinerlei Einkommen erzeugt. Es habe sich nur um eine Vereinbarung gehandelt, die dem Kläger erlaubt habe, an der H-Universität in seinem Fachgebiet forschen und dabei die Infrastruktur der Universität nutzen zu können. Sie und der Kläger hätten in dieser Zeit von ihrem Einkommen gelebt.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2011 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit unter Berücksichtigung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. und eines Jahresarbeitsverdienstes von 42.311,13 €.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger, anwaltlich vertreten, mit Schreiben vom 28. August 2011 Widerspruch ein. Die Vollrente sei zu gering angesetzt. Es sei fehlerhaft ein Jahresarbeitsverdienst angenommen worden, der erheblich unter dem tatsächlich maßgeblichen Höchstjahresarbeitsverdienst liege. Die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit des Klägers zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles seien im Rahmen Ermessensausübung nicht in ausreichendem Maße gewürdigt worden. Zwar habe die Beklagte erkannt, dass der Kläger über eine erhebliche Qualifikation verfüge und demnach dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Festsetzung des Höchstjahresarbeitsverdienstes vorlägen. Dennoch sei die Beklagte fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Kläger nicht über einen längeren, vergleichsweise zu Grunde liegenden Zeitraum gearbeitet habe. Nach Ansicht der Beklagten fehle es ihm gegenüber einem GTZ- Beschäftigten an praktischer Erfahrung. Der Kläger habe jedoch eine verantwortungsvolle Position im Rahmen des Programms der GTZ eingenommen. Zudem verfüge er über 17 Jahre dauerhafter beruflicher Erfahrung. Er habe auch regelmäßig an Projekten der Entwicklungshilfe gearbeitet. Nur hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass die Berechnung auch rechnerisch zu beanstanden sei. So seien nicht die gesamten Arbeitsentgelte mit einbezogen worden. Der Kläger habe zusätzlich zum Unterhaltsgeld weitere Arbeitsentgelte enthalten. Diese fügte er tabellarisch im Widerspruchsschreiben bei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage zum Schreiben vom 17. Oktober 2012, Blatt 42 der Gerichtsakte (GA), Bezug genommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es habe eine fiktive Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes stattgefunden. Bei der Feststellung sei berücksichtigt worden, dass der Kläger vor der Tätigkeit in keinem Unternehmen über einen längeren Zeitraum praktische berufliche Erfahrung sammeln konnte und nach den vorliegenden Angaben und Unterlagen auch zu keiner Zeit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt habe. Damit sei die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Höchstjahresarbeitsverdienst hier nicht herangezogen werden könne. Es sei zum Ausdruck gebracht worden, dass ein fiktiv angenommener Mitarbeiter der GTZ durchaus den Höchstjahresarbeitsverdienst hätte erzielen können, sofern er bei vergleichbarem Ausbildungsstand und Qualifikationen zusätzlich über hinreichende praktische Berufserfahrung verfügen würde. Der Kläger aber habe vor der Tätigkeit bei der GTZ keinerlei Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt. Damit habe er auch nicht über eine vergleichbare Lebensstellung verfügt, die einem Beschäftigten der GTZ mit gleicher Ausbildung und Qualifikation entspräche. Damit sei es nicht angemessen, den Höchstjahresarbeitsverdienst zur Berechnung der Verletztenrente heranzuziehen.
Hiergegen hat der Kläger am 7. Juni 2013 Klage zum SG Berlin erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat. Ergänzend zu seinem Vortrag aus dem Widerspruchsschreiben hat er ausgeführt, dass die berufliche Erfahrung als Wissenschaftler und die dann aufgenommene Arbeit beim DED hinsichtlich der praktischen Erfahrung als Einheit zu betrachten seien. Sämtliche berufliche Erfahrung, Qualifikationen und Praxiskenntnisse, die während der dargestellten beruflichen Stationen gewonnen worden seien (z.B. Aquakultur, Teichmanagement, Ökologie, Ressourcenmanagement, Management von Entwicklungsvorhaben, zentrales regionales Entwicklungsmanagement) seien gleichermaßen Inhalt der Arbeit beim GTZ und stellten dort den maßgeblichen Teil der täglichen Arbeit dar. Allein aufgrund seiner Fähigkeiten, seiner Ausbildung und der Lebensstellungen der Tätigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Versicherungsfalls sei der Höchstjahresarbeitsverdienst festzusetzen. Dieser betrug zum Zeitpunkt des Unfalls 61.320,00 €.
Außerdem seien nicht nur die Unterhaltsgelder, sondern auch alle anderen Einkünfte bei der Berechnung zu berücksichtigen. Unter Zugrundelegung der Aussagen der GIZ zu den Einkommensbestandteilen sei von einem JAV von mindestens 51.252,36 € auszugehen.
Angezeigt sei ein Vergleich mit der Vergütung eines GTZ- bzw. GIZ-Beschäftigten. Angesichts der Qualifikation und der Berufserfahrung des Klägers wäre er danach wenigstens bei der Obergrenze der unteren Zone des Vergütungsbandes einzustufen gewesen (Kollegen des Klägers in vergleichbarer Position mit vergleichbarer Erfahrung seien ebenso eingeordnet worden). Maßgeblich wäre danach ein Jahresverdienst von 63.650,72 €. Die Berücksichtigung des Unterhaltsgeldes als Berechnungsgrundlage sei eine unzulässige Benachteiligung von Unfallversicherten, die im Rahmen des EhfG ihren Dienst im Ausland verrichteten und werde auch dem im EhfG zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht gerecht, den Entwicklungshelfer im Gegenzug für seinen freiwilligen und regelmäßig mit hohen Risiken verbundenen Dienst, der durch das Unterhaltsgeld nur unzureichend kompensiert werde, jedenfalls sozialversicherungsrechtlich umfassend abzusichern.
Der Kläger hat vor dem SG beantragt.
den Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 31. Juli 2011 eine Verletztenrente unter Berücksichtigung des Höchstjahresarbeitsverdienstes als Berechnungsgrundlage zu gewähren,
hilfsweise
die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 21. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides 8. Mai 2013 zu verurteilen, zur Gewährung von Verletztenrente ab 31. Juli 2011 auf unbestimmte Zeit einen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gemäß § 87 SGB VII nach billigem Ermessen zu bestimmenden höheren Jahresarbeitsverdienst zugrunde zu legen und hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine Berechnung nach § 82 Abs. 1 SGB VII komme nicht in Betracht. Der Kläger habe seinen Unfall am 31. Januar 2010 erlitten. Maßgeblicher Berechnungszeitraum für den Jahresarbeitsverdienst sei demnach der Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2009. In diesem Zeitraum habe der Kläger lediglich Unterhaltsgeld bezogen, welches nicht als Arbeitseinkommen zu werten sei. Nachdem der Kläger vor dieser Tätigkeit kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen habe, komme auch eine Berechnung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 SGB VII nicht in Betracht. Gegebenenfalls käme eine Festsetzung des Mindestjahresarbeitsverdienstes in Betracht. Dies aber habe die Beklagte als unbillig angesehen, da der Kläger über eine qualifizierte berufliche Aus- und Weiterbildung verfüge. Im Vergleich zu einem GTZ-Beschäftigten fehle dem Kläger aber eindeutig praktische Erfahrung. Daher halte es die Beklagte für angemessen, das im Jahr vor dem Unfalltag bezogene Netto- Unterhaltsgeld als Berechnungsgrundlage heranzuziehen und diesen Betrag analog der Regelung bei Altersteilzeitbeschäftigten um das 1,5-fache zu erhöhen.
Die Summe aller in den vorgelegten Verdienstnachweisen aufgeführten Beträge unterschreite mit 39.922,35 Euro den von ihr berücksichtigten JAV deutlich. Insofern sei nicht zu erkennen, dass die Feststellung hier in ermessensfehlerhafter Weise erfolgt sei. Bei den ebenfalls aufgeführten Mietzuwendungen und Bewachungskosten im Tschad handele es sich offenbar um eine Kostenerstattung, die ebenfalls nicht zu berücksichtigen sei. Die Einkommenssituation des Klägers sei seit 2008 durch den Bezug des Unterhaltsgeldes geprägt gewesen. Die vorgelegten Verdienstnachweise aus dem Jahr vor dem Arbeitsunfall würden die Einkommensverhältnisse des Klägers widerspiegeln. Die Feststellung des JAV sei nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.
Das SG hat die Verdienstnachweise aus dem Jahr 2009 von dem Kläger beigezogen
und Auskünfte von der GIZ angefordert (Schreiben vom 24. Mai 2016 und vom 19. Januar 2017).
Mit Schreiben vom 1. Juli 2016 hat die GIZ eine Aufschlüsselung zu den weiteren von ihr für den Kläger aufgewendeten Kosten für Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Kranken- und Pflegeversicherung, sonstige Versicherungen, Mobilitätspauschale, Urlaubsgeld/Heimflüge und Erstattung der Unterkunftskosten überreicht. Wegen des genauen Inhalts wird auf Blatt 282 ff. GA verwiesen. Die Beteiligten haben hierzu jeweils Stellung genommen. Es lag zusätzlich vor die Endabrechnung des DED.
Mit weiterem Schreiben vom 6. März 2017 hat die GIZ nach Auswertung der vom Kläger erneut eingereichten Qualifikationsnachweise (Lebenslauf, Arbeitszeugnisse, weitere Beschreibung der durchgeführten Objekte, Kopien aller Abschlüsse) auf die Frage zu einer voraussichtlichen Vergütung des Klägers im Rahmen einer Anstellung bei der GIZ mitgeteilt, dass sich unter Außerachtlassung des Alters des Klägers ein Verhandlungsangebot von ungefähr 70.000 € Jahresgehalt ergeben hätte. Die Zuordnung werde in Bd. 4, „Zwischenzone unten“ (Z 2) des Vergütungsverzeichnisses gesehen, in dieser Zone bewege sich die Jahresvergütung zwischen 65.114,79 € und 75.088,25 €. Relevante Aspekte für die GIZ seien die sehr hohe Qualifikation des Klägers und die akademische Berufserfahrung sowie die Auslandserfahrung als Entwicklungshelfer des DED. Abstriche ergäben sich daraus, dass zuvor keine Einsätze für die GIZ erfolgt seien. Allerdings verfüge der Kläger über instrumentelle Kenntnisse wie nachhaltiges Wissensmanagement und besonders die Ausbildung im Seminar für Ländliche Entwicklung sei ein besonderer Pluspunkt. Die Zuordnung „nur“ in Band 4 und die Einstufung vornehmlich als „Berater“ werde damit verteidigt, dass keine umfassende Führungsverantwortung nachgewiesen worden sei. Ohne die tragische Beeinträchtigung wäre eine sehr positive und überdurchschnittliche Karriereentwicklung wahrscheinlich gewesen. Eine Vergleichsrechnung mit dem Vergütungsniveau des öffentlichen Dienstes – Entgeltgruppe 14, Stufe 6 – würde ein ähnliches Jahresgehalt ergeben.
Nachdem Vergleichsverhandlungen an der ablehnenden Haltung der Beklagten gescheitert waren, hat das SG die Beklagte mit Urteil vom 22. Juni 2017 unter Änderung des Bescheids vom 21. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2013 verurteilt, der Gewährung von Verletztenrente ab 31. Juli 2011 auf unbestimmte Zeit einen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gemäß § 87 SGB VII nach billigem Ermessen zu bestimmenden, höheren JAV zugrunde zu legen und hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Die zulässige Klage sei im tenorierten Umfang begründet. Die Beklagte habe eine erneute Ermessensentscheidung zu treffen.
Rechtsgrundlage der Berechnungsgrundlage für die dem Kläger dem Grunde nach unstreitig zustehende Verletztenrente sei der JAV des Verletzten. Grundsätzlich bestimme sich dieser nach dem Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§§ 14, 15 SGB IV) des Verletzten in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Arbeitsunfall eingetreten sei (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Das Auslandsunterhaltsgeld des Klägers sei jedoch kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen. Bei dem Entwicklungshelfer-Vertrag handele sich vielmehr um einen Vertrag, der im wesentlichen den Lebensbedarf des Entwicklungshelfers durch Unterhaltsleistungen des Trägers sichere (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 EhfG). Insbesondere die Vorschriften über die soziale Sicherung des Entwicklungshelfers machten deutlich, dass seine Tätigkeit nicht auf der Grundlage eines für Arbeitnehmer typischen Beschäftigungsverhältnisses stattfinde.
Nach § 82 Abs. 2 SGB VII werde unter anderem deswegen bei einem Entwicklungshelfer als Jahresarbeitsverdienst das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das er durch eine Tätigkeit erzielt hätte, die der letzten Tätigkeit vor den genannten Zeiten entspricht, wenn dies für ihn günstiger ist. Vor der dem 1. Januar 2009 habe der Kläger jedoch keine Tätigkeit ausgeführt, aus dem er Einkommen bezogen hätte. Er sei in dieser Zeit Gastwissenschaftler an der Humboldt Universität gewesen. Hieraus habe er ebenfalls kein Einkommen bezogen, so dass auch auf diese Regelung nicht zur Berechnung zurückgegriffen werden könne.
Da es insofern an Anknüpfungspunkten fehle, könnte als Rechtsgrundlage § 85 SGB VII herangezogen und daher der Mindestjahresarbeitsverdienst zu Grunde gelegt werden. Dies habe die Beklagte jedoch nicht getan. Es sei sachgemäß davon auszugehen, dass diese Festsetzung (18.396 €) unbillig wäre, so dass der Rückgriff auf § 87 SGB VII nicht zu beanstanden sei. Nach § 87 SGB VII könne, wenn ein nach der Regelberechnung, nach den Vorschriften bei Berufskrankheiten, den Vorschriften für Kinder oder nach der Regelung über den Mindestjahresarbeitsverdienst festgesetzter Jahresarbeitsverdienst in erheblichem Maße unbillig erscheine, die Beklagte diesen nach billigem Ermessen im Rahmen von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst festsetzen. Hierbei würden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls berücksichtigt. Ob der berechnete JAV in erheblichem Maße unbillig ist, könne das Gericht in vollem Umfang selbst überprüfen, denn es handele sich um die Auslegung und Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Der Unfallversicherungsträger ist insoweit nicht befugt, nach seinem Ermessen zu entscheiden, da die erhebliche Unbilligkeit Tatbestandsmerkmal sei. Ihm stehe in dieser Frage auch kein Beurteilungsspielraum zu (Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. Dezember 2002 zur Vorgängerregelung § 577 RVO, Az.: B 2 U 23/02 R, zitiert nach juris). Damit sollten atypische Fallgestaltungen erfasst werden, die für den Versicherten sonst zu einem unbilligen Ergebnis führten. Ziel der Regelung sei es, den Jahresarbeitsverdienst als Grundlage der Rente so zu bemessen, dass der Lebensstandard gesichert werde, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet habe (Urteil des Bundessozialgerichts vom 15. September 2011 - B 2 U 24/10, zitiert nach juris). Die Anwendung des § 87 SGB VII könne deshalb im Einzelfall sowohl eine Erhöhung als auch eine Reduzierung des nach §§ 82 bis 86 SGB VII berechneten JAV bewirken.
Bei der Überprüfung seien die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen. In Bezug auf die erreichte "Lebensstellung" sei darauf abzustellen, welche Einkünfte die Einkommenssituation des Versicherten geprägt haben. In zeitlicher Hinsicht sei zu prüfen, welche Einkünfte der Versicherte innerhalb der Jahresfrist vor dem Versicherungsfall erzielt habe. Seine Einnahmen aus Erwerbstätigkeit im maßgeblichen Jahreszeitraum seien mit dem Ergebnis der gesetzlichen Berechnung zu vergleichen. Durch diesen Vergleich ergebe sich, ob der nach gesetzlichen Vorgaben festgesetzte Betrag des Jahresarbeitsverdiensts außerhalb jeder Beziehung zu den Einnahmen stehe, die für den Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls oder innerhalb der Jahresfrist vor diesem Zeitpunkt die finanzielle Lebensgrundlage gebildet haben. Dies zu Grunde gelegt wäre hier die Heranziehung des Mindestjahresverdienstes nicht billig. Berücksichtige man die Einnahmen des Klägers in den zwölf Monaten vor Eintritt des Versicherungsfalls, entspräche das Zugrundelegen von nur 18.396 Euro nicht dem erlangten Lebensstandard und auch nicht seinem Ausbildungsstand. Der Kläger habe promoviert und sich in den Jahren zuvor umfassend auf seine praktische Tätigkeit vorbereitet. Damit sei der Anwendungsbereich der Regelung des § 87 SGB VII, wie von der Beklagten erkannt, eröffnet.
Der festgesetzte Jahresarbeitsverdienst entspreche aber nicht billigem Ermessen, die Ermessensentscheidung sei teilweise zu beanstanden. Hier sei das Nettounterhaltsgeld berücksichtigt und sodann um das 1,5 fache erhöht worden. Dabei sei bereits die jeweilige Überweisungssumme (siehe BI. 110 bis 121 der Gerichtsakte) und nicht die dort angegebene Nettosumme berücksichtigt worden. Die Beklagte habe ihre Entscheidung, dies sei ausdrücklich dem Widerspruchsbescheid zu entnehmen, darauf gestützt, dass bei dem Kläger noch keine hinreichende Berufspraxis vorgelegen habe, die aber bei einem Vergleich zu einem GTZ Mitarbeiter zu einer Einstufung sogar zum Höchstjahresarbeitsverdienst geführt hätte. Eine Vergleichbarkeit mit einem solchen Mitarbeiter sei nicht gegeben.
Nach den Ermittlungen der Kammer sei die GIZ aber davon ausgegangen, dass die akademische Ausbildung weitaus überdurchschnittlich war und der Kläger durchaus über praktische Erfahrungen, wenn dabei auch nicht für die GIZ, verfügt habe. Somit habe die Beklagte die Erfahrungen und Fähigkeiten des Klägers nicht entsprechend gewürdigt, da anhaltend durch die Beklagte darauf verwiesen werde, dass eine Einstufung wie ein GTZ Mitarbeiter mangels praktischer Erfahrungen nicht in Betracht komme.
Dabei verkenne die Kammer nicht, dass der Kläger faktisch keinen höheren Verdienst in den 12 Monaten zuvor erhalten habe. Insofern sei der Beklagten zuzustimmen, dass er gerade noch nicht die Lebensstellung erreicht gehabt habe. Wie der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entnehmen sei, sei die Grundlage der Rente bei der Bestimmung des JAV grundsätzlich so zu bemessen, dass der Lebensstandard gesichert werde, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet habe. Unabhängig davon, ob nicht in der Begrifflichkeit des „Einrichtens" auch eine gewisse Ausrichtung in die Zukunft beinhaltet sei, vermöge die Kammer nicht zu erkennen, dass hier gerade bei der Prüfung des § 87 SGB VII diese Lebensstellung das einzige Bewertungskriterium darstelle. Anders als in den anderen Regelungen gehe es hier um mehrere Aspekte, die die Beklagte in ihrer Ermessensentscheidung miteinander abzuwägen habe. Hier habe sie jedoch die Lebensstellung (wohl zumindest nunmehr im Klageverfahren) als hauptsächlich ausschlaggebend gesehen. Dies dürfte nicht der Zielsetzung entsprechen. Eine Abwägung mit den Fähigkeiten und dem Ausbildungsstand, der auch die GIZ dazu gebracht habe, den Kläger sehr hoch in die Vergütung einzustufen, sei nicht umfassend erfolgt.
Diese Lebensstellung sei nach der Regelung des § 87 SGB VII nur ein Anhaltspunkt für die Bestimmung im Rahmen der billigen Bestimmung. Es seien in dieser Beurteilung nach der gesetzlichen Regelung wie eingangs dargelegt die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen. Der Kläger habe über eine überdurchschnittliche akademische Ausbildung und über praktische Erfahrungen in der Entwicklungshilfe verfügt, die ihn dazu in die Lage versetzt hätten, bei der GIZ ein Gehalt von ungefähr 70.000 Euro zu beziehen. Eine Vergleichbarkeit mit Mitarbeitern
der GIZ sei nach Aussage dieser durchaus gegeben. Dies habe die Beklagte aber anhaltend negiert, ohne die GIZ um eine fiktive Einstufung zu bitten. Damit gehe die Kammer davon aus, dass die Beklagte gerade nicht alle Kriterien bei der Ermittlung des billigen JAV miteinbezogen habe. Ihr Ausgangspunkt der Nichtvergleichbarkeit der Stellung des Klägers mit einem Mitarbeiter der GTZ bzw. nunmehr GIZ werde durch die Kammer durchaus angenommen. Sofern die Beklagte auch im Widerspruchsbescheid darauf verweise, dass der Höchst-JAV hier nicht zu gewähren sei, da der Kläger nicht über eine Lebensstellung vergleichbar mit einem solchen Mitarbeiter verfügt habe, stimme die Kammer dem zu. Allerdings berücksichtige der hier zu Grunde gelegte JAV bereits den gesetzlich vorgegebenen Rahmen zwischen Mindest- und Höchst-JAV nicht ausreichend. Eine Parallele zu den Mitarbeitern der GIZ sei nunmehr ersichtlich geworden und hätte ggf. auch bei weiteren Ermittlungen im Verwaltungsverfahren in Erfahrung gebracht werden können. Der Ansatz des 1,5fachen des Unterhaltsgelds analog der Regelung bei Altersteilzeitbeschäftigten, erscheine in Anbetracht der Vergütungstabellen der GIZ als nicht nachvollziehbar.
Eine Einordnung in diese werde die Beklagte unter Berücksichtigung der Ausführungen der GIZ nunmehr noch nachholen müssen. Dabei könne die tatsächlich bestandene Lebensstellung bei der Ausnahmeregelung allerdings nicht als einziges dominierendes Kriterium durch die Beklagte herangezogen werden.
Mangels Ermessensreduktion auf Null könne die Kammer keine Verurteilung zur Berücksichtigung eines höheren JAV aussprechen. Es liege nach der letzten Auskunft der GIZ nahe, einen höheren JAV heranzuziehen. Dies obliege aber der erneuten Prüfung durch die Beklagte, die nunmehr nicht mehr darauf abstellen sollte, dass eine Vergleichbarkeit mit einem GIZ Mitarbeiter schon von der Erfahrung und den Kenntnissen her nicht möglich sei. Dem sei die GIZ ersichtlich entgegengetreten.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 29. Juni 2017 zugestellte Urteil am 3. Juli 2017 Berufung eingelegt, mit der sie die Abweisung der Klage begehrt. Mit der Festsetzung des JAV auf 42.311,13 € sei dem erreichten Lebensstandard vollumfänglich Rechnung getragen worden. Allein aus der Möglichkeit, dass ein höheres Einkommen hätte erzielt werden können lasse sich kein Rechtsanspruch auf einen höher festgesetzten JAV ableiten.
Bei der verwaltungsseitigen Berechnung sei bereits das eineinhalbfache des im Jahr vor Eintritt des Versicherungsfalls erzielten Unterhalts i.H.v. 28.000 € herangezogen worden. Damit sei allen maßgeblichen Kriterien im Rahmen der Ermessensausübung, insbesondere auch dem Umstand, dass der Lebensstandard im Tschad ein höherer gewesen sei, als er demjenigen bei einem vergleichbaren Einkommen in Deutschland entsprechen würde, vollumfänglich Rechnung getragen worden. Allein die Tatsache, dass der Kläger über eine Ausbildung und über Fähigkeiten verfügt habe, die ihm einen Jahresarbeitsverdienst in Höhe des Höchst-JAV ermöglicht hätten, rechtfertige keine höhere Bemessung. Eine Berücksichtigung des Höchst-JAV habe auch das Sozialgericht Berlin nicht für gerechtfertigt gehalten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Lebensstandard der versicherten Person sei nicht das einzige Bewertungskriterium, vielmehr seien zusätzlich die Fähigkeiten, die Ausbildung und die Tätigkeit im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zu betrachten.
Die Beklagte habe bei der Bestimmung des JAV ihr Ermessen schon deswegen fehlerhaft ausgeübt, weil sie angenommen gehabt habe, dem Kläger fehle es gegenüber einem GIZ-Beschäftigten an praktischer Erfahrung. Der Kläger habe nach den Ermittlungen des Gerichts über eine überdurchschnittlich hohe Qualifikation verfügt und auch bei der praktischen Erfahrung sei nach den Auskünften der GIZ keine Abstriche zulässig gewesen. Auch den Lebensstandard, den der Kläger zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls erreicht hatte, habe die Beklagte fehlerhaft ermittelt. Sie habe nicht berücksichtigt, dass seine Einkünfte und sein Vermögen weit oberhalb des Durchschnittseinkommens eines Tschaders gelegen hätten. Das monatliche Pro-Kopf-Einkommen im Tschad betrage 70,33 €, dem Kläger hätten monatlich 2.350,62 € zur Verfügung gestanden, wobei er Ausgaben für das Wohnen, ein Fahrzeug und Versicherungen, einschließlich Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitslosen-und Haftpflichtversicherung nicht von diesem Betrag zu bestreiten gehabt habe. Weitere Leistungen seien Bewachungskosten für Haus und Grundstück gewesen, eine Transportpauschale „Gepäck“, eine Pauschale für Ausreisekosten, Wiedereingliederungsbeihilfe und Kosten für einen Heimflug pro Vertragszeitraum. Er habe sich beruflich und privat in Kreisen bewegt, die aus Führungskräften der Diplomatie, Wirtschaft und Politik sowie aus führendem Personal der international renommierten Organisationen wie FAO, WHO und UN bestanden. Auf diesen sozialen Status habe sich der Kläger eingerichtet gehabt. Ein solcher dürfte in gleicher Weise auch bei einer Entsendung in andere Entwicklungsländer bestanden haben. Bei der in absehbarer Zeit nicht geplanten Rückkehr nach Deutschland sei ihm aufgrund seiner weiter gewonnenen beruflichen Erfahrung und der damit verbundenen besten beruflichen Aussichten ein sehr hoher sozialer Status sicher gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (3 Bände) sowie der Rentenakte der Beklagten (27 Bände = 17 Akten) Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht mit dem angefochtenen Urteil entschieden, dass der Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung seiner Verletztenrente unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 21. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2013 hat.
Der Kläger macht einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung eines höheren Rechts auf Rente gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 82 Abs. 1 Satz 1, § 87 SGB VII geltend. Um dieses Rechtsschutzziel zu erreichen, ist die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die richtige Klageart (§ 54 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG).
Die Beklagte war zu verpflichten, den Kläger aufgrund erforderlicher Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) nach pflichtgemäßem Ermessen hinsichtlich der Höhe der Rente neu zu bescheiden (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2011 – B 2 U 24/10 R –, Rn. 15).
Der JAV ist zunächst nach der Regelberechnung des § 82 Abs. 1 SGB VII festzusetzen. Erst nach dieser Festsetzung ist in einem weiteren Schritt zu prüfen (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 15/02 R – juris Rn. 11), ob der im Einzelfall berechnete JAV in erheblichem Maße unbillig ist.
Der Begriff "in erheblichem Maße unbillig" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, bei dessen Prüfung der Unfallversicherungsträger keinen Beurteilungsspielraum hat und der vom Gericht in vollem Umfang überprüfbar ist (BSG, a. a. O., juris-Rn. 24 m.w.N.). Er setzt voraus, dass bei der Feststellung des JAV eine Ausnahmesituation aufgrund außergewöhnlicher Umstände vorliegen muss, die dazu führt, dass der JAV, welcher dann Grundlage für die gesamte Laufzeit der Rente wäre, als zu hoch oder zu niedrig anzusehen ist. Ob es sich um eine erhebliche Unbilligkeit handelt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls, u. a. insbesondere nach der Höhe der prozentualen Abweichung vom sonstigen Verdienstniveau. Eine starre Grenze hierfür gibt es nicht. In der Rechtsprechung sind Abweichungen als unbeachtlich angesehen worden, die sich im Rahmen bis zu 20% bewegen (zum Ganzen vgl. Becker in Becker/Franke/Molkentin, Kommentar zum SGB VII, 4. Aufl. 2013 § 87 Rn. 3-6 m. w. N.).
Zu Recht sind im vorliegenden Fall sowohl die Beklagte als auch das Sozialgericht davon ausgegangen, dass der nach § 82 SGB VII im vorliegenden Fall nur in Höhe des Mindestjahresarbeitsverdienstes (§ 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII), d.h. in Höhe von 18.396 EUR, festzusetzende JAV in erheblichem Maße unbillig im Sinne des § 87 SGB VII wäre. Der Senat folgt insoweit vollumfänglich den Ausführungen des Sozialgerichts und sieht insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darlegung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Beklagte war danach verpflichtet, den JAV unter Beachtung der Wertungskriterien des § 87 Satz 2 SGB VII im Rahmen von Mindest- und Höchst-JAV (§ 85 SGB VII) nach billigem Ermessen festzusetzen. Dem werden die angefochtenen Bescheide nicht gerecht.
Zu deren Überprüfung ist von Folgendem auszugehen: Soweit ein Leistungsträger ermächtigt ist, nach seinem Ermessen zu handeln, ist sein Handeln nur rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grundlagen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG sowie § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I zu Ermessensleistungen). Umgekehrt hat der Versicherte Anspruch auf eine pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I), nicht hingegen einen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Betrag z.B. bei einem Leistungsbegehren, sofern nicht eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist. Abgesehen von einer solchen Ermessensreduzierung auf Null hat der Gesetzgeber dem Leistungsträger mit der Einräumung von Ermessen eine Auswahlbefugnis hinsichtlich mehrerer gleichermaßen rechtmäßiger Entscheidungsmöglichkeiten auf der Rechtsfolgenseite eröffnet. Zur Sicherung der Funktionentrennung (Art 20 Abs. 2 Satz 2 GG) und der Entscheidungsfreiheit des Leistungsträgers über die Zweckmäßigkeit seines Handelns ist die Überprüfung seiner Ermessensentscheidung durch die Gerichte auf die Rechtmäßigkeitsprüfung begrenzt ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle"). Das Gericht hat nur zu prüfen, ob der Träger sein Ermessen überhaupt ausgeübt, er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Wenn der Bescheid rechtswidrig ist, darf das Gericht daher auch nur den Bescheid aufheben und den Träger zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilen, nicht aber eigene Ermessenserwägungen anstellen und sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Leistungsträgers setzen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 18. März 2008 – B 2 U 1/07 R –, BSGE 100, 124-131, juris Rn. 14).
Die Voraussetzungen für eine Ermessensunterschreitung oder einen Ermessensmangel, bei denen zwar Ermessenserwägungen angestellt werden, diese indes unzureichend sind, weil sie z.B. nur aus formelhaften Wendungen bestehen oder relevante Ermessensgesichtspunkte nicht berücksichtigt werden, sind vorliegend erfüllt. Denn die Beklagte hat bei der Ermessenserwägung im angefochtenen Widerspruchsbescheid maßgeblich darauf abgestellt, dass mangelnde praktische Erfahrung des Klägers gegen die Festsetzung eines höheren JAV und auch gegen dessen Vergütung entsprechend der von der GIZ genannten Vergütungsstufe sprechen würde. Insoweit heißt es, ein fiktiv angenommener Mitarbeiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit hätte den Höchstjahresarbeitsverdienst erzielen können, wenn er bei dem Ausbildungsstand und der Qualifikation des Klägers zusätzlich über hinreichende praktische Berufserfahrung verfügen würde, der Kläger habe jedoch vor seiner Tätigkeit bei der GIZ in keinem Unternehmen über einen längeren Zeitraum praktische berufliche Erfahrungen gesammelt.
Hierbei hat die Beklagte bereits auf einen unzutreffenden Zeitpunkt abgestellt. Denn nach § 87 SGB VII ist bei der Festsetzung des JAV nach billigem Ermessen abzustellen auf die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten „im Zeitpunkt des Versicherungsfalls“. Der Versicherungsfall war jedoch der 31. Januar 2010 und nicht der Zeitpunkt des Beginns der Tätigkeit des Klägers als Entwicklungshelfer am 16. November 2008. Zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls jedoch ist jedenfalls die GIZ aufgrund der vom Kläger eingereichten Tätigkeitsbeschreibung des DED vom 29. Juli 2010 - ausdrücklich positiv - von dessen praktischer Erfahrung durch die Tätigkeit als Entwicklungshelfer ausgegangen.
Als für die Tätigkeit eines Entwicklungshelfers einschlägige Berufserfahrung hatte der Kläger vor Beginn seiner Tätigkeit für den DED ausweislich der eingereichten Nachweise zwar lediglich die Tätigkeit für das Unternehmen T-Umwelt im Zeitraum von ca. zweieinhalb Jahren (vom 1. Juni 2002 bis zum 30. Dezember 2004) nachgewiesen. Aus den – hervorragenden – Zeugnissen der H-Universität zu Berlin (landwirtschaftlich-gärtnerische Fakultät) vom 13.12.2012 und des Museums für N Berlin vom 6. Januar 2017 ergeben sich herausragende Kompetenzen als Wissenschaftler jedoch keine praktischen Tätigkeiten. Abzustellen ist jedoch nicht darauf, welche Vergütung der Kläger bei den Vertragsverhandlungen vor Aufnahme seiner Tätigkeit, die später zum Versicherungsfall führte, hätte aushandeln können, sondern auf die Sachlage zum Zeitpunkt seines Unfalls.
Auf diesen Zeitpunkt hat die GIZ mit ihrer Auskunft vom 6. März 2017 abgestellt. Die Frage danach, wie der Kläger zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles mit seiner konkreten Vorerfahrung in das Vergütungssystem einzuordnen gewesen wäre, hat sie unter Einbeziehung der letzten Tätigkeit des Klägers im Auftrag des DED vorgenommen, da ihr auch die Tätigkeitsbeschreibung des DED vom 29. Juli sowie der auf diese Tätigkeit bezogene Bestandteil des Lebenslaufs des Klägers vorgelegt worden waren. Sodann ist in dem Schreiben der GIZ zur Einstufung des Klägers in das dortige Vergütungssystem ausdrücklich für den Kläger positiv dessen praktische Tätigkeit als Entwicklungshelfer berücksichtigt worden.
Hätte die Beklagte daher darauf abgestellt, welche Vergütung dem Kläger zum Zeitpunkt seines Unfalls zuerkannt worden wäre, wären die praktischen Erfahrungen beim DED einzubeziehen gewesen. Bei der Bestimmung des JAV hat die Beklagte somit – ermessensfehlerhaft – relevante Ermessensgesichtspunkte nicht bzw. fehlerhaft berücksichtigt.
Zutreffend hat das SG in der angefochtenen Entscheidung auch ausgeführt, dass im Rahmen der Ermessensentscheidung gemäß § 87 SGB VII nicht nur auf die Lebensstellung als ausschlaggebend abzustellen ist, sondern dass sämtliche in § 87 SGB VII genannten Aspekte, also auch Fähigkeiten, Ausbildungsstand und die Tätigkeit der Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles, in der Ermessensentscheidung miteinander abzuwägen sind. Eine solche umfassende Abwägung ist bisher durch die Beklagte nicht erfolgt. Auch insoweit folgt der Senat den Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG).
Im Übrigen ist auch von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt erläutert worden, aufgrund welcher Erwägungen sie bei der Bestimmung des JAV des Klägers den 1,5-fachen Betrag seines Unterhaltsgeldes zugrunde gelegt hat. Dies erscheint willkürlich erfolgt zu sein und wäre somit ebenfalls ermessensfehlerhaft, nämlich unter Überschreitung des eingeräumten Ermessens. Der Hinweis auf eine ähnliche Handhabung wie bei der Altersteilzeit ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Nach verbreiteter Auffassung errechnet sich der Jahresarbeitsverdienst bei einem Versicherten während einer Arbeitsteilzeit (Blockmodell) gem. § 82 Abs. 1 SGB VII aus dem gezahlten hälftigen Bruttoverdienst und unter Berücksichtigung gem. § 87 SGB VII der vom Arbeitgeber gezahlten Aufstockungsleistung (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01. April 2003 – L 3 U 334/02 –, Rn. 15, juris). Warum diese Regelung auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar sein und zu einer Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen eines Entwicklungshelfers multipliziert mit 1,5 führen sollte, ist nicht erkennbar.
Das Sozialgericht hat mithin zu Recht die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Festsetzung des JAV wegen Ermessensfehlern aufgehoben und die Beklagte zu einer erneuten Ermessensbetätigung verpflichtet. Auch hinsichtlich der vom Sozialgericht als in die Ermessensbetätigung einzustellenden Gesichtspunkte folgt der Senat den Ausführungen des Sozialgerichts (§ 153 Abs. 2 SGG) und weist ergänzend im Hinblick auf die Ausführungen im Berufungsverfahren auf die folgenden Gesichtspunkte hin, die die Beklagte bei der Neufestsetzung der Rente zu beachten haben wird.
1) Die Verletztenrente hat Einkommensersatzfunktion. Sie soll das Arbeitsentgelt oder -einkommen ersetzen, das ein erwerbsgeminderter Versicherter wegen des Versicherungsfalls nicht mehr erzielen kann (auch Entgeltausfallprinzip, vgl. BVerfG vom 15. Februar1993 - 1 BvR 1754/92 - Juris Rn. 7). Dies wird durch die §§ 82 f SGB VII erreicht. Ziel der Regelung des § 87 SGB VII ist es hierbei, den Jahresarbeitsverdienst als Grundlage der Rente so zu bemessen, dass der Lebensstandard gesichert wird, den der Versicherte zeitnah vor dem Versicherungsfall erreicht und auf den er sich eingerichtet hat (Bundessozialgericht Urteil vom 15. September 2011 – B 2 U 24/10, juris Rn 24; Schudmann, in: jurisPK-SGB VII, § 87 Rn. 6). Hierbei ist aber entgegen den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht auf den vom Kläger zuletzt innegehabten Lebensstandard im Tschad abzustellen, in dem der Kläger in einer bewachten Villa mit Dienstpersonal gelebt und sich in den höchsten Kreisen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bewegt hat, was in der Bundesrepublik Deutschland nur mit einem 6-stelligen Jahreseinkommen im oberen Bereich zu realisieren sein dürfte. Einen jedenfalls vergleichbaren Lebensstandard könnte der Kläger - im Tschad - möglicherweise sogar annähernd mit der ihm von der Beklagten zugesprochenen Verletztenrente in Höhe von monatlich 2.373,89 € pflegen.
Eingerichtet haben dürfte sich der Kläger aber jedenfalls auf einen Lebensstandard, wie er sich einem fest angestellten Mitarbeiter der Entwicklungshilfeorganisation – hier der GIZ - auf seiner Position und mit seinen Qualifikationen bieten würde. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind die Angaben der GIZ zu berücksichtigen, dass einem solchen Mitarbeiter ein Gehalt im Bereich zwischen 65.114,79 € und 75.088,25 € gezahlt worden wäre.
2) Bei der Festsetzung des JAV nach billigem Ermessen gemäß § 87 SGB VII ist nach dem Gesetzeswortlaut abzustellen auf die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten im Zeitpunkt des Versicherungsfalls. Hinsichtlich der Kriterien „Fähigkeiten und Ausbildung“ des Klägers dürfte im Hinblick auf die von diesem zum Verfahren gereichten Qualifikationsnachweise und Zeugnisse von einer weit überdurchschnittlich hohen Qualifikation des Klägers auszugehen sein.
3) In Bezug auf die erreichte "Lebensstellung" ist darauf abzustellen, welche Einkünfte die Einkommenssituation des Versicherten geprägt haben (BSG, Urteil vom 26. April 2016 – B 2 U 14/14 R –, juris Rn. 24). In zeitlicher Hinsicht ist – grundsätzlich - zu prüfen, welche Einkünfte der Versicherte innerhalb der Jahresfrist vor dem Versicherungsfall erzielt hat. Die Beklagte hat aber bisher verkannt, dass nach der Rechtsprechung des BSG unter "Lebensstellung" i.S. des § 87 Satz 2 SGB VII der „durch sämtliche ihrer Einkünfte bestimmte (geprägte) soziale Status einer Person zu verstehen [ist], ohne dass die betreffende Person im relevanten Zeitraum Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat“ (BSG, Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 15/02 R –, juris Rn. 33, mit Hinweis auf Urteil vom 3. Dezember 2002 - B 2 U 23/02 R, juris Rn 29f.).
Insoweit hat sich die Beklagte daran zu orientieren, was dem Kläger im maßgeblichen Zwölfmonatszeitraum durch die Unterhaltsleistungen des DED nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 EhfG tatsächlich zur Verfügung stand. Dies waren zusätzlich zum Nettounterhaltsgeld jedenfalls (ersparte) Aufwendungen für das Wohnen, ein Kfz, Versicherungen sowie für die auf den Arbeitnehmer entfallenden Sozialversicherungsbeiträge (Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung). Nicht zu folgen ist der noch im Berufungsverfahren aufrechterhaltenen Auffassung der Beklagten, dass es sich bei den Mietzuwendungen um eine Kostenerstattung handele, die (deswegen) nicht zu berücksichtigen sei. Hierbei verkennt die Beklagte, dass dem Kläger insoweit gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 EhfG Sachleistungen in Form der Übernahme von Unterkunftskosten gewährt wurden. Diese Leistungen prägten die Lebensstellung des Klägers zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles und sind zu berücksichtigen. Bei den Aufwendungen für das Wohnen dürfte hierbei jedoch nicht auf etwaige Mietkosten im Tschad, sondern auf Mietkosten am Heimatort des Klägers, d. h. in Berlin, abzustellen sein. Der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers auf der Grundlage der von der GIZ mit Schreiben vom 1. Juli 2016 mitgeteilten Werte errechnete Gesamtbetrag von 51.252,36 € – ohne Unterkunftskosten für angemessenen Wohnraum - dürfte sich daher eher am unteren Rand des zur Verfügung stehenden „Einkommens“ bewegen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).