Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 21. Senat | Entscheidungsdatum | 09.12.2021 | |
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Aktenzeichen | L 21 U 213/18 | ECLI | ECLI:DE:LSGBEBB:2021:1209.L21U213.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7, § 8 SGB 7 |
Das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 4. September 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2017 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 1. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2013 zurückzunehmen und das Ereignis vom 5. März 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten darum, ob das Ereignis vom 5. März 2012 als Arbeitsunfall festzustellen ist.
Der 1956 geborene Kläger war - nach eigenen Angaben - seit 2008 mehrere Jahre als selbständiger, TÜV zertifizierter Solarberater tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit vermittelte er für den Bau von Solaranlagen geeignete Grundstücke in Osteuropa an deutsche Solarunternehmen. Im Frühjahr 2011 vermittelte er ein in K in der S gelegenes Grundstück an einen Vertreter der - mittlerweile nicht mehr existenten - S, & Sch GmbH (S).
Nachfolgend wurde er in der Zeit vom 1. Juni 2011 bis 30. November 2011 für die Realisierung des Photovoltaik-Anlagenbaus auf diesem Grundstück bei der S als Projektleiter versicherungspflichtig beschäftigt.
Im Rahmen dieser Tätigkeit wurde der Kläger von der S mit einem PKW mit dem Firmenschriftzug, einer Tankkarte, einem Laptop mit Firmensoftware, einem Firmenhandy, Visitenkarten und dem Zugriff auf die sonstige Firmeninfrastruktur ausgestattet. Mit der Realisierung des Bauprojektes war der Kläger zunächst voll ausgelastet. Ende Juli 2011 wurde der Solarpark fertiggestellt. Während der Bauphase - in der der Kläger die Abläufe auf der Baustelle koordinierte - hatte er ein Büro auf der Baustelle. Nach der Inbetriebnahme des Solarparks war er im Wesentlichen von zu Hause tätig. Ab Spätsommer/Herbst 2011 war er - in Absprache mit S - auch wieder auf der Suche nach geeigneten Grundstücke für die S in B. Ca. ein- bis zweimal im Monat war er in den Räumlichkeiten von S.
Auf Wunsch der S und bedingt durch die angespannte Finanzsituation der Firma kam es nicht zu einer Verlängerung der Festanstellung über November 2011 hinaus. Dem Kläger wurde am 5. Dezember 2011 ein Arbeitszeugnis für seine Tätigkeit als Projektleiter in der Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2011 erteilt, in dem es lautet: „Herr R wurde in seiner Tätigkeit im Bereich Photovoltaik eingesetzt und hatte verschiedene Schwerpunktgebiete, zu denen vor allem
- Bauleitung der Baustelle K
- Koordinieren der Unterlieferanten
- Verantwortung für die Einhaltung der Zeitpläne
- Durchsetzung der Projektziele in Bezug auf Budget Einhaltung und technischen
Leistungsumfang
- Dokumentation
zählten.“
Nach Auslaufen des Arbeitsvertrages schlossen der Kläger und S am 1. Dezember 2011 einen „Handelsvertretervertrag“ (HV). Die vereinbarte Handelsvertretung erstreckte sich auf den Verkauf von Photovoltaikanlagen für die S (§ 1 HV), wobei es dem Kläger nach § 2 HV untersagt war, Interessen von Firmen zu wahren, die mit der S im Wettbewerb stehen. Der Handelsvertreter sollte als selbstständig Tätiger nach § 2 Nr. 9a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) rentenversicherungspflichtig und die Abführung der Rentenversicherung dessen Angelegenheit sein (§ 2 HV). Zu seinen Pflichten nach § 2 HV gehörte das eigenständige Erarbeiten eines vollständigen und den Örtlichkeiten entsprechenden Angebotes, wobei sich der Handelsvertreter verpflichtete, das Angebot kurzfristig nach dem Ortstermin dem Kunden zu übergeben. § 3 regelte die kostenfreie Zurverfügungstellung von Werbeunterlagen durch die S. Nach § 4 HV erhält der Handelsvertreter als Entgelt für seine Tätigkeit für alle Geschäfte, die er in seinem Gebiet abschließt oder vermittelt, eine Provision. Es war dem Handelsvertreter nicht gestattet, die betriebliche Telefonanlage zu privaten Zwecken zu nutzen (§ 8 HV): „Der Handelsvertreter stimmt der Feststellung und Auswertung der von ihm geführten Telefonate durch die Gesellschaft, insbesondere hinsichtlich Datum, Uhrzeit des Gesprächs, Anzahl und Dauer sowie Erfassung der Telefonnummer zu.“
Im Zusammenhang mit der Akquise eines in B gelegenen Grundstücks für die S erlitt der Kläger am 5. März 2012 in der S einen schweren Autounfall mit multiplen Verletzungen. Er hatte an diesem Nachmittag ab 15.00 Uhr an einem in S (S) bis ca. 17.00 Uhr stattfindenden Treffen mit der Firma G teilgenommen, die Module für das Projekt in B liefern sollte, und befand sich auf der Rückfahrt nach B, als er verunfallte.
Mit internem Schreiben vom 11. Juli 2012 teilte die Bezirksverwaltung Nürnberg der Hauptverwaltung der Beklagten mit, dass der Kläger als selbstständiger Handelsvertreter für die S tätig sei. Nach dem Auszug des Gewerbeamtes (Gewerbeummeldung) übe er folgende Tätigkeit aus: Solaranlagen, Handel, Vermarktung und Beratung. Der Kläger sei somit als Handelsvertreter tätig und stehe in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Nach Angaben der S sei er mit seinem Unternehmen auch bei keiner Berufsgenossenschaft gemeldet. Zuständige sei die Verwaltungs-BG (VBG).
Mit Schreiben vom 1. August 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er - da er zum Unfallzeitpunkt in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit der Firma S gestanden habe - nicht zum versicherten Personenkreis gehöre.
Hiergegen legte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und bat um Berücksichtigung des Aspekts, dass er im Unfallzeitpunkt wie ein Beschäftigter i.S.v. § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) tätig gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers aus den im Ausgangsbescheid dargelegten Gründen zurück und führte darüber hinaus zu dem Aspekt des „Wie-Beschäftigten" aus, dass der Handelsvertretervertrag dem Kläger bei seiner Beratungs- und Verkaufstätigkeit hinsichtlich Zeit, Art, Ort und Dauer seiner Tätigkeit weitestgehend freie Hand lasse und hier keine Ähnlichkeit zu einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bestehe.
Die hiergegen am 23. September 2013 vor dem Sozialgericht Neuruppin (SG) erhobene Klage zum Aktenzeichen S 19 U 100/13 galt nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen, weil der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieb.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung des Bescheids vom 1. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. August 2013. Die Beklagte habe nicht hinreichend ermittelt, insbesondere sei der Geschäftsführer der S, Herr G, anzuhören. Hinsichtlich der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit des Klägers habe es nach und vor dem 30. November 2011 keinen Unterschied gegeben. Das Projekt in K sei bereits vor Ablauf des befristeten Arbeitsvertrages weitgehend abgeschlossen gewesen, und so sei es bereits vor dem 30. November 2011 Aufgabe des Klägers gewesen, andere Photovoltaik-Aufträge zu akquirieren. Des Weiteren sei der Handelsvertretervertrag so gelagert - insbesondere im Hinblick darauf, dass der Kläger nach dem Handelsvertretervertrag seine Dienste persönlich zu leisten gehabt habe -, dass letztlich auch über den 30. November 2011 hinaus ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. Im Übrigen habe am 6. März 2012 ein Gespräch über die Wiedereinstellung des Klägers in ein festes Beschäftigungsverhältnis bei S stattfinden sollen, was nur durch den Unfall verhindert worden sei. Wie allen Mitarbeitern der S sei auch ihm die Arbeitsnachweisregelung ab 1. Januar 2012 ausgehändigt worden.
Mit Bescheid vom 6. Dezember 2016 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass bei Erlass des Bescheides vom 1. August 2012 weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erwiesen habe. Der Handelsvertretervertrag in seiner konkreten Ausgestaltung, wonach der Kläger die Angebote eigenständig mit den Kunden erstelle und bei Abschluss oder Vermittlung eines Geschäfts eine Provision erhalte, belege eine eigenständige Unternehmertätigkeit. Dafür spreche auch, dass der Kläger ein eigenes Gewerbe angemeldet habe. Der Kläger sei auch nicht als sogenannter „Wie-Beschäftigter“ nach § 2 Abs. 2 SGB VII tätig geworden, da keinerlei Ähnlichkeit zu einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Der Kläger sei als Einzelunternehmer tätig geworden.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 15. Dezember 2016 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2017 zurück.
Mit der am 21. Februar 2017 vor dem SG erhobenen Klage hat der Kläger sein Anliegen weiterverfolgt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Er sei aus folgenden Gründen wie ein Beschäftigter nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII für die S tätig geworden: Die Beklagte habe am 11. Mai 2012 ein Kostenanerkenntnis gegenüber dem L Klinikum abgegeben. Seine Akquisetätigkeit während seiner befristeten Festanstellung vom 30. Juni 2011 bis 30. November 2011 für die S sei inhaltlich identisch gewesen mit seiner Tätigkeit nach dem 30. November 2011 als freier Handelsvertreter auf der Grundlage des Handelsvertretervertrages. Auch während seiner Angestelltentätigkeit im Rahmen des Fotovoltaik-Projektes in K sei es weiterhin Aufgabe des Klägers gewesen, andere Fotovoltaik-Aufträge zu akquirieren. So habe er auch am Unfalltag einen Termine für die S wahrgenommen und sei bei der Rückfahrt verunglückt.
Der damalige Geschäftsführer der S - der Zeuge M G - habe eine arbeitsvertragliche Wiedereinstellung des Klägers vorgesehen. Ein Termin zur Besprechung der Einzelheiten sollte mit dem Kläger am 6. März 2012 stattfinden, was durch den Unfall nicht mehr möglich war. Nach dem Unfall habe Herr G von dieser „bereits festen Überlegung“ Abstand genommen, da er die Kosten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers hätte zahlen müssen. Er habe die Kostenbelastung für sein Unternehmen vermeiden wollen. Herr I habe dem Kläger bereits zugesagt, dass rückwirkend zum 1. Dezember 2011 ein weiteres Arbeitsverhältnis mit der S abgeschlossen werde.
Auch als Handelsvertreter habe er ab 1. Dezember 2011 alle ihm vormals von der S überlassenen Betriebsmittel zur weiteren Verwendung behalten dürfen. So sei er auch weiterhin mit den notwendigen Arbeitsunterlagen von S ausgestattet gewesen, die er auch früher als Arbeitnehmer benutzt habe, so insbesondere den PKW mit dem Firmenlogo der S, den PC mit der Firmen-Software von S, die Visitenkarten der S. Unverändert habe er auch alle Firmen E-Mails erhalten, seine Firmen-E-Mail-Adresse sei ebenso gleich geblieben wie seine Einbindung im Sekretariat und alle betrieblichen Abläufe, z.B. Besprechungen mit S. Zwar habe er keine Tankkarte mehr von der S erhalten wie in seiner Zeit der Festanstellung und den PKW auch versicherungstechnisch auf sich umgemeldet, jedoch habe ihm die S die Kosten der mehrfachen Flüge nach B zur Verhandlung der Verträge erstatte. Er sei auch nach dem 30. November 2011 weiterhin vollständig in die Arbeitsabwicklung bei S eingebunden gewesen. So habe es regelmäßig Besprechungen am Firmensitz gegeben, er habe mit den gleichen Leuten in der Firma weiterhin den gleichen Kontakt in der gleichen Art und Weise gehabt, einen festen Arbeitsplatz in der Firma habe er auch bis 30. November 2011 nicht gehabt, da er als Projektentwickler im Auftrag von S umhergereist sei, um neue Projekte einzuschieben. Letztlich sei auch der Inhalt der Arbeit gleich geblieben. Feste Arbeitszeiten oder dergleichen habe es zu keiner Zeit gegeben. Die vom Kläger für die S vorbereiteten Projekte seien über weitere Jahre gelaufen und von der S verwertet worden. Wegen seiner Sprachkenntnisse im Osteuropäischen Bereich sei er für die S eine wichtige Kontaktstelle gewesen, um den osteuropäischen Markt zu erschließen. Während der projektbezogenen Festanstellung habe er ein Festgehalt bezogen. In der Zeit als Handelsvertreter habe er kein Geld erhalten. Er habe dies dennoch getan in der Hoffnung, dass danach eine Festanstellung erfolgen würde.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2017 sowie den Bescheid vom 1. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2013 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, das Ereignis vom 5. März 2012 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt.
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 4. September 2018 gehört. Zu den Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Mit Urteil vom 4. September 2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die zulässige Klage unbegründet sei. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig und beschwerten den Kläger nicht. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, das Ereignis vom 5. März 2012 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Denn dem Kläger stehe kein entsprechender Anspruch auf Feststellung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles lägen hier nicht vor. Der Kläger hat zwar durch den Autounfall unstreitig einen Gesundheitserstschaden erlitten. Es sei jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass es sich bei der dem Unfallereignis unmittelbar vorangegangenen Verrichtung um eine versicherte Tätigkeit gehandelt habe. Der Kläger sei kein Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und auch kein 'Wie-Beschäftigter". Ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Kläger und S sei nicht nachgewiesen, auch nicht die Grundstruktur eines Beschäftigungsverhältnisses. Es gebe - bei Zugrundelegung der Angaben des Klägers - keine hinreichenden objektiven Anhaltspunkte für die Eingliederung des Klägers in den Betrieb des S. Vielmehr habe sich der Kläger wie ein selbständiger Solarberater und Handelsvertreter verhalten.
Nach Überzeugung der Kammer belegten die Angaben des Klägers, dass er nicht in den „Betriebt' der S eingegliedert gewesen sei. So habe er von zuhause aus gearbeitet bzw. sei mit dem Auto unterwegs gewesen. Dabei habe er nach seinen eigenen Angaben nach Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung keinem Weisungsrecht der S unterlegen. Für die Ausgaben für Benzin, Telefon und Übernachtungen im Rahmen seiner Handelsvertretertätigkeit sei er alleine aufgekommen, während diese in der Zeit seiner Festanstellung per Tankkarte bzw. durch Einzelabrechnungen von S übernommen worden seien. Mit deren Mitarbeitern habe er nur nach Absprache und zu extra vereinbarten Terminen Kontakt gehabt. In seiner Aufgabenplanung und -durchführung habe er selbstständig und selbstbestimmt gehandelt, vergleichbar seinem Tun in den Jahren zuvor, in denen er unstreitig als selbständiger Solarberater tätig gewesen sei. Im Übrigen habe der Kläger nach eigenen Angaben jenseits seiner Festanstellungszeit auch keine Entlohnung durch S erhalten, sondern nur für den Fall der erfolgreichen Grundstücksakquise sei eine Prämie vereinbart gewesen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger das Auto, die Visitenkarten und den Laptop habe weiter nutzen dürfen. Zwar sei es grundsätzlich ein Indiz für ein Beschäftigungsverhältnis, dass der Arbeitgeber das Arbeitsmaterial zur Verfügung stelle. Allerdings sei es auch für ein Handelsvertreterverhältnis typisch, dass Werbeunterlagen gestellt werden. Dies sei hier auch im Handelsvertretervertrag vereinbart (vgl. dort § 3) gewesen.
Wie der Kläger selber angegeben habe, sei ihm der Laptop auch nach dem Unfall und nach Ende der Geschäftsbeziehungen zur S verblieben. Insofern stelle sich die Bereitstellung dieser Arbeitsmittel durch S eher als Ausdruck der Anerkennung, Motivation und Bindung für den Kläger, denn als Ausdruck dessen Eingliederung in den Betrieb dar. Und schließlich führe auch der Umstand, dass der Kläger erhofft habe, bei erfolgreicher Grundstücksakquise bei S eingestellt zu werden, nicht zur Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses im Unfallzeitpunkt. Gerade diese Hoffnung, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung mehrfach unterstrichen und glaubhaft versichert habe, verdeutliche, dass der Kläger selbst nicht vom Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgegangen sei. Jedenfalls führe diese Hoffnung für die Zukunft - unabhängig davon, ob seitens der S tatsächlich ein Beschäftigungsverhältnis ins Auge gefasst war - nicht dazu, dass zum Unfallzeitpunkt ein Beschäftigungsverhältnis angenommen werden könne. Die Kammer habe - da bereits der mitunter etwas widersprüchliche, aber im Wesentlichen glaubhafte - Vortrag des Klägers dessen Klageziel nicht trage, keine Veranlassung gesehen, weitere Zeugen, etwa die Geschäftsführer von S zu hören.
Gegen das ihm am 26. Oktober 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. November 2018 Berufung eingelegt. Wenn bereits das Sozialgericht die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 4. September 2018 als „etwas widersprüchlich“ bezeichne, so hätte es Veranlassung gehabt, die angebotenen Zeugen, etwa den Geschäftsführer der S, zu hören. Insoweit hätte sich erst durch die Vernehmung des Geschäftsführers der S tatsächlich klären lassen können, inwieweit zwischen den Parteien ein „Wie-Beschäftigungsverhältnis“ abgeschlossen worden sei, inwieweit die Tätigkeit des Klägers zum Unfallzeitpunkt für die S erbracht worden sei. Der Kläger sei nicht aus eigenem Antrieb als freier Handelsvertreter der Firma S unterwegs gewesen, sondern um für die Firma S tätig zu sein und Grundstücke für sie zu akquirieren, auf denen Solaranlagen errichtet werden können. Noch während des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses habe der Kläger der S zwei weitere Photovoltaikprojekte in B vermittelt und hierfür seit August Akquise betrieben. Mit der Vermittlung dieses Projektes sei er auch nach dem 30. November 2011 bis zum Unfall beschäftigt gewesen. An seiner Tätigkeit habe sich ab 1. Dezember 2011 nichts geändert, er habe weiterhin an der Akquise der zwei b Projekte gearbeitet. Der Arbeitsvertrag sei auf Wunsch der S nicht verlängert worden. Dennoch sei vereinbart worden, dass der Kläger weiter an der Akquise der bulgarischen Projekte zugunsten von S arbeiten solle, mit derselben Ausstattung wie zuvor. Dass der Kläger und die S davon ausgegangen seien, dass sie auch weiterhin rechtlich miteinander verbunden sein, ergebe sich aus folgenden Unterlagen: Schreiben vom 27. Dezember 2012 zu Lohnsteuerfreibeträgen und Hinzurechnungsbeträgen für das Jahr 2013, Arbeitsnachweisregelung ab 1. Januar 2012, Entsendungsregelung Stand 28. Januar 2010, Arbeitnehmer-Stammblatt 1. Juni 2011 bzw. 21. Dezember.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 4. September 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 1. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2013 zurückzunehmen und das Ereignis vom 5. März 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das angegriffene Urteil, welches sie für zutreffend hält. Weder die vertragliche Gestaltung noch die tatsächliche Durchführung des Handelsvertretervertrages ließen eine arbeitnehmerähnliche Stellung des Klägers erkennen.
Mit Beschluss vom 22. Juli 2021 hat der Senat die VBG beigeladen. Die mit gleichem Beschluss erfolgte Beiladung der S wurde in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2021 aufgehoben, da die Firma nicht mehr existent ist.
Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2021, eingegangen beim erkennenden Gericht um 10:02 Uhr, teilte die Beklagte mit, dass der Terminsvertreter „aufgrund einer kurzfristigen Erkrankung (Erkältungssymptome)“ ausfalle und daher zum heutigen Termin (11:15 Uhr) nicht erscheinen könne, was die Beklagte zu entschuldigen bitte. Zugleich beantragte die Beklagte, die Berufung zurückzuweisen und „rein hilfsweise ihr rechtliches Gehör durch Einräumung einer Frist zur Stellungnahme im Hinblick auf die Zeugeneinvernahme einzuräumen.“
In der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2021 wurde der Zeuge M G gehört. Zu den Einzelheiten der Zeugenaussage wird auf das Protokoll der Sitzung und wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten auf die Gerichtsakten sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.
Der Senat konnte in Abwesenheit der Beklagten sowie der Beigeladenen den Rechtsstreit mündlich verhandeln und entscheiden, da sowohl Beklagte als auch Beigeladene mit der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 1 und 3, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 143, 151 SGG). Sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2017 ist rechtswidrig. Die Beklagte hatte den Bescheid vom 1. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2013 zurückzunehmen und das Ereignis vom 5. März 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.
Die im Rahmen eines Zugunstenverfahrens auf Feststellung des PKW-Unfalls vom 5. März 2012 als Arbeitsunfall gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, § 56 SGGstatthaft (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 16. März 2021 - B 2 U 3/19 R -, juris Rn. 10) und auch im Übrigen zulässig.
Die Klage ist auch begründet, weshalb die Berufung Erfolg hat. Zu Unrecht hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Anerkennung des Ereignisses vom 5. März 2012 als Arbeitsunfall abgelehnt. Der Kläger stand bei der Fahrt am Unfalltag unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und hat einen Arbeitsunfall i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erlitten, als er mit dem PKW auf der Rückfahrt von S nach B verunglückte.
Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens auf Rücknahme des Bescheides vom 1. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2013 ist § 44 SGB X. Nach Abs. 1 Satz 1 der Regelung ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Im Übrigen - so Abs. 2 Satz 1 - ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Abs. 2 Satz 2), wobei eine solche Entscheidung im Ermessen der Verwaltung steht. Diese Bestimmungen ermöglichen eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte.
Im vorliegenden Fall findet § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X Anwendung. Zwar wurde im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 1. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2013 (nur) die Feststellung getroffen, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit der Firma S stand und („so dass“) somit nicht zum Kreis der versicherten Personen nach § 2 SGB VII gehöre. Soweit dem Bescheid damit zwar noch hinreichend bestimmt die Regelung entnommen werden kann, dass ein nach § 8 SGB VII versicherter Arbeitsunfall damit abgelehnt wurde, trifft er im Übrigen keine unmittelbare Ablehnungsentscheidung zu Leistungen, wie dies § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X - „Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht“- voraussetzt. Für die Anwendung dieser Regelung spricht jedoch, dass es bei der Feststellung eines Arbeitsunfalls letztendlich in der Regel doch (mittelbar) um Leistungsansprüche geht und dies den Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X eröffnet (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18).
Die Beklagte war danach verpflichtet, den nach §§ 77, 102 Abs. 2 Satz 1 SGG bestandskräftigen Bescheid vom 1. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2013 zurückzunehmen, da er rechtswidrig ist. Das Ereignis vom 5. März 2012 war ein Arbeitsunfall im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Betroffenen durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben und deshalb "Versicherte“ sind. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R -, SozR 4-2700 § 2 Nr. 35 Rz. 13 m. w. N.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, welche die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R-,BSGE 103, 45, 47 und vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 43 Rn. 17).
Die Tätigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt stand zwar nicht nach § 2 Abs. 1 SGB VII im Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung, da der Kläger am 5. März 2021 nicht Beschäftigter der S i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII war. Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigter liegt vor, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen nach dessen Weisungen (vgl. § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch, SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (vgl. § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll (vgl. BSG Urteile vom 19. Juni 2018 - B 2 U 32/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 43 Rn. 15 - und vom 16. März 2021 - B 2 U 3/19 R -, juris Rn. 15). Eine Beschäftigung i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht, oder er unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt (vgl. BSG Urteil vom 16. März 2021 - B 2 U 3/19 R -, juris Rn. 15).
Der Kläger wurde am 5. März 2012 nicht im Rahmen oder in Erfüllung der Pflichten eines Beschäftigungsverhältnisses tätig. Unbestritten bestand zwischen dem Kläger und der S kein Arbeitsverhältnis mehr. Es lag zwar seitens des Klägers ein insoweit einseitiger, jedoch nicht der erforderliche beiderseitige Rechtsbindungswillen vor, wie er für einen Auftrag (§ 662 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) erforderlich wäre. Ebenso wenig bestand zwischen dem Kläger und der S ein auftragsähnliches Rechtsverhältnis mit einklagbaren Erfüllungsansprüchen, denn der zwischen dem Kläger und der S geschlossene Handelsvertretervertrag beinhaltete keine beiderseitigen einklagbaren Ansprüche, sowohl nicht auf ein Tätigwerden des Klägers für die S als auch nicht auf Vergütung für dieses Tätigwerdens, ausgenommen möglicher, erfolgsabhängiger Provisionen.
Der Kläger war jedoch am Unfalltag als "Wie-Beschäftigter" gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII versichert. Voraussetzung einer "Wie-Beschäftigung" nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ist, dass eine einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (vgl. BSG Urteil vom 20. März 2018 - B 2 U 16/16 R - SozR 4-1300 § 105 Nr. 6 Rn. 20 m. w. N.). Eine versicherte "Wie-Beschäftigung" nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII setzt deshalb voraus, dass hinsichtlich der Handlung die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung anstatt der Merkmale einer unternehmerischen, selbstständigen Tätigkeit überwiegen und keine Sonderbeziehung besteht, die der wesentliche Grund für die Handlung war (vgl. Spellbrink/Bieresborn, NJW 2019, 3745, 3746).
Nach diesen Kriterien geht der Senat - anders als das SG - im Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass die Tätigkeit des Klägers unmittelbar vor dem Unfall durch Merkmale einer abhängigen Beschäftigung gekennzeichnet war und als eine versicherte "Wie-Beschäftigung" i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zu qualifizieren ist.
1) Die Tätigkeit des Klägers für die S entsprach dem Typus des Beschäftigten und nicht dem des selbständigen "Unternehmers". Der Kläger verrichtete als Solarberater eine einem fremden Unternehmen, der S dienende und deren Willen entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert, die ihrer Art nach von Solarberatern verrichtet werden kann, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (vgl. dazu BSG Urteil vom 20. März 2018 - B 2 U 16/16 R - SozR 4-1300 § 105 Nr. 6 Rn. 20 m. w. N.).
Aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen G, an dessen Glaubwürdigkeit der Senat keinerlei Zweifel hat, war der Kläger sowohl im zeitlichen Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses als auch danach und konkret kurz vor dem Unfall als Solarberater in B unterwegs, um ausschließlich für die S geeignete, seriöse Grundstücke für neue Solarprojekte der S in Osteuropa zu akquirieren und die Vertragsverhandlungen mit und für die S zu gestalten. Die S war dabei in besonderer Weise auf die Expertise, Kontakte und Sprachkenntnisse des Klägers im osteuropäischen Raum angewiesen, da zwar der Zeuge G als ehemaliger Geschäftsführer der S den Vertrieb steuerte, jedoch - so sein Bekunden - nicht über die nötige Qualifikation verfügte, um in Osteuropa zu akquirieren. Ein anderweitiger Mitarbeiter der S mit der erforderlichen Qualifikation stand nicht zur Verfügung. Die Verlagerung des Geschäfts der S nach Osteuropa war nach dem Wegbrechen des Geschäfts in Westeuropa und Deutschland seit 2010 notwendig geworden, die Fähigkeiten des Klägers daher für die S in besonderem Maße erforderlich, wie der Zeuge G nachvollziehbar dargelegt hat. Der Senat schlussfolgert daraus, das diese Qualifikationen des Klägers ihn für die S zu einem unentbehrlichen Multiplikator machten, um den Fortbestand der Firma im neuen osteuropäischen Marktsegment zu sichern. Wie der Zeuge G weiterhin glaubhaft bekundete, wurde eines der vom Kläger in B vermittelten Projekte später auch verwirklicht, was den wirtschaftlichen Wert der Tätigkeit des Klägers für die S abbildet.
Damit verrichtete der Kläger eine Arbeit mit einem wirtschaftlichem Wert, weil die S Aufwendungen ersparte. Sie hätte andernfalls - um den Fortbestand der Firma durch Aufträge in Osteuropa zu sichern - die Sprachmittlung und die Suche nach seriösen Projekten kostenpflichtig an Dolmetscher bzw. Makler vergeben müssen.
Die Tätigkeit verrichtete der Kläger auch fremdnützig (a.) und fremdbestimmt (b.). Diese Merkmale liegen vor, wenn die Tätigkeit mit fremdnütziger Handlungstendenz erfolgt und im Hinblick auf Zeitpunkt und Art ihrer Ausführung in Anlehnung an die für Beschäftigungsverhältnisse typischen Weisungsrechte i.S. des § 106 Gewerbeordnung (GewO) und damit eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts i.S. des § 315 BGB fremdbestimmt ist, ohne dass aber die für eine Beschäftigung im engeren Sinn charakterisierende Eingliederung in den Betrieb vorlag (vgl. zum Merkmal der Eingliederung insb. BSG Urteil vom 20. August 2019 - B 2 U 1/18 R-BSGE 129, 44; Urteil vom 19. Juni 2018 - B 2 U 32/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 43 Rn. 24).
a. Der Kläger handelte mit fremdnütziger Handlungstendenz. Dass er möglicherweise auch eigene Interessen hatte, weil er mit der Provision seine finanzielle Existenzgrundlage sichern und wieder in eine Festanstellung bei der S kommen wollte, lässt die fremdnützige Handlungstendenz im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit nicht entfallen. Denn die Verrichtung des Klägers diente auch einem fremden Unternehmen - hier wie dargelegt ausschließlich der S - und entsprach zugleich deren Willen.
Der Senat folgert dies sowohl aus dem am 1. Dezember 2012 geschlossenen Handelsvertretervertrag als auch aus den Bekundungen des Zeugen G. So war der Kläger nach § 2 HV u. a. vertraglich verpflichtet, die Interessen des Unternehmens zu wahren und die Geschäftsbeziehungen zu bestehenden potenziellen Kunden zu pflegen, das Angebot kurzfristig nach dem Ortstermin dem Kunden zu übergeben - wobei der Inhalt eines vollständigen Angebotes in § 2 HV bestimmt war und er die S über alle die Geschäftsbeziehung interessierenden Umstände zu informieren hatte. Nach § 2 Abs. 5 HV war es dem Kläger untersagt, Interessen von Firmen, die mit dem Unternehmen im Wettbewerb stehen, in irgendeiner Weise wahrzunehmen. Mit dieser Ausschließlichkeitsregelung/Wettbewerbsklausel hat der Unternehmer, die Firma S, die vollständige Arbeitstätigkeit des Klägers als Handelsvertreter im Rahmen des Verkaufs von Photovoltaikanlagen ausschließlich an sich gebunden. Aus der Beweisaufnahme ist für den Senat auch ersichtlich, dass der Kläger nur im Solarbereich und nicht auch in anderen Branchen tätig war.
Hierfür sprich ebenso, dass der Kläger auch nach dem Auslaufen seines Arbeitsvertrages für die weiterhin an S gebundene Akquise auch fortlaufend die ihm von der S zu Beginn der abhängigen Beschäftigung überlassenen Arbeitsmaterialien der S nutzen durfte. Dass dieser Umstand nicht allein einen Bindungswillen der S impliziert, hatte das SG in seinen Entscheidungsgründen deutlich gemacht. Jedoch sieht der Senat diesen Umstand im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung als Indiz dafür an, dass der Kläger fremdnützig und sowohl objektiv als auch subjektiv (ausschließlich) für die S-Firmeninteressen tätig war.
b. Er handelte auch fremdbestimmt. Die S hatte in diesem Sinne und insbesondere nach ihrer insoweit liberalen Firmenphilosophie ein Weisungsrecht gegenüber dem Kläger, soweit sie ihn hinsichtlich der Akquirierung neuer Projekte in Osteuropa, speziell in B, an sich band, ohne ihn im engeren Sinne in die Betriebsstruktur einzugliedern. Feste Bestimmungen im Sinne eines zwingenden Weisungsrechts bestanden in der S generell nicht.
Zwar ist es zutreffend, wenn die Beklagte hierbei maßgeblich insbesondere auf das Bestehen eines arbeitsvertraglichen bzw. auftragsbezogenen Weisungsrechts der S gegenüber dem Kläger abstellt. Denn zweifelsfrei ist die Eingliederung in die Organisation des Arbeitgebers und insbesondere das Weisungsrecht des Arbeitgebers und damit korrespondierend die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers das zentrale Abgrenzungskriterium bei der Bestimmung, ob eine Person als Arbeitnehmer/Selbständiger auf Grundlage eines Arbeitsvertrags (§ 611a BGB) oder als freier Mitarbeiter/Selbständiger auf Grundlage eines Dienst- (§ 611 BGB) oder Werkvertrags (§ 631 BGB) tätig ist (vgl. Bundesarbeitsgericht, BAG, Urteil vom 18.Oktober 2017 - 10 AZR 330/16 -, NZA 2017, 1452, 1458; Lembke in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 106 GewO Rn. 3).
Jedoch bleibt es letztlich dem Arbeitsgeber freigestellt, ob und in welcher Weise er von diesem, seinem Recht Gebrauch macht. Aus den besagten Normen resultiert keine Weisungspflicht des Arbeitgebers. Dies erschließt sich bereits klar aus dem Wortlaut der Normen und entspricht im Übrigen dem zivilrechtlichen Grundprinzip der Privatautonomie, die in der arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit ihren Ausdruck findet (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, GG).
So regelt § 106 GewO (Weisungsrecht des Arbeitgebers), dass der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb.
Das die nähere Ausgestaltung dieses Arbeitgeberrechts nach Maßgabe der Gesetze dem Arbeitgeber selbst obliegt, drückt auch § 315 Abs. 1 BGB aus, der bestimmt: „Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.“
Auch wenn im Handelsvertretervertrag nur eine Provisionsregelung, die Ausübung als selbstständige Tätigkeit und keine sonstigen Weisungsrechte hinsichtlich Ort und Zeit der Tätigkeit enthalten sind, sprechen jedoch die Bindung des Klägers ausschließlich an die S im Rahmen der Wettbewerbsklausel, die inhaltliche Pflichten-Beschreibung der Handelsvertretung (§ 2 HV) und die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des Klägers für die SES im Ergebnis der Beweisaufnahme für eine der S dienende, fremdbestimmte Tätigkeit.
Der Zeuge G hat glaubhaft bekundet, dass hin und wieder ein Mitarbeiter der Firma S mit dem Kläger gemeinsam im Rahmen dessen Handelsvertretertätigkeit nach Osteuropa geflogen ist und dort Verhandlungen etc. durchgeführt hat. Es sei „gelebte Firmenpolitik“ gewesen, dass die Mitarbeiter der S selbst entschieden haben, welche Reisen sie zu welchen Anlässen machen, abhängig davon, ob eine Projektentwicklung sinnvoll oder erfolgversprechend erschien.
Dass der Kläger auch nach dem 1. Dezember 2011 weiterhin und im unveränderten Maße mit der S und in deren Firmenstruktur zusammengearbeitet hat erschließt sich für den Senat ebenfalls aus der Zeugenaussage. Hierzu hat der Zeuge G ausgesagt, dass die S regelmäßig Kontakt mit dem Kläger hatte, wobei sich der Kläger selbständig meldete, E-Mails schrieb und Projektunterlagen zusandte.
Letztlich hat der Zeuge auch die Aussage des Klägers bestätigt, dass eine erneute arbeitsvertragliche Regelung bzw. eine Verlängerung maßgeblich deshalb nicht zustande kam, da sich die S dies „wegen der angespannten finanziellen Lage nicht erlauben konnte“ und es daher „der S angezeigt erschien, auf eine Handelsvertreterregelung umzustellen“.
2) Der Kläger war auch nicht "unternehmerähnlich" tätig. Er verrichtete trotz seiner Gewerbeanmeldung als Solarberater keine von den Organisationsstrukturen des S losgelöste, selbständige Tätigkeit. Vielmehr nutzte er weiterhin die ihm von der S Anfang Juni 2011 überlassenen Materialien (PKW, PC mit Software, Handy, S-Netzwerk, Visitenkarten). Seine fachliche Qualifikation als Solarberater brachte er in die Projektarbeit der S nicht im Sinne einer unternehmerähnlichen Stellung ein. Denn es war dem Kläger nicht wie einem Selbstständigen überlassen, ein Solarprojekt eigenständig auszuführen (zu den Kriterien der Tätigkeit "wie ein Unternehmer" vgl. BSG Urteil vom 20. März 2018 - B 2 U 16/16 R - SozR 4-1300 § 105 Nr. 6).
Der Zeuge G bestätigte insoweit die Angaben des Klägers, dass auch ab 1. Dezember 2011 weiterhin ein regelmäßiger Kontakt des Klägers mit der S im Rahmen der Projektenwicklung in Osteuropa (B: Objekt M P, Projekt A) über e-Mails, Treffen bei der S und Geschäftsreisen zum Zwecke der Vertragsverhandlungen gemeinsam mit einem S-Mitarbeiter nach Osteuropa stattfand. Dies bestätigt für den Senat, dass die - für die S notwendige - Tätigkeit des Klägers eng verzahnt war mit der Projektgestaltung und Steuerung aus der Zentrale der S selbst und insoweit nicht "unternehmerähnlich".
Der Kläger war damit beschäftigtenähnlich und "wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter" tätig.
3) Die Tätigkeit des Klägers basierte auch nicht auf einer - die versicherte "Wie-Beschäftigung" ausschließenden - Sonderbeziehung zur S.
Nach der Rechtsprechung ist eine Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 SGB VII zu verneinen, wenn die konkrete Tätigkeit ihr Gepräge durch eine Sonderbeziehung des Handelnden zu dem Unternehmer erhält. Eine solche Sonderbeziehung, die eine beschäftigtenähnliche Tätigkeit i.S. des § 2 Abs. 2 SGB VII ausschließt, liegt bei Erfüllung von Verpflichtungen gesellschaftlicher, insbesondere familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher, mitgliedschaftlicher, gesellschaftsrechtlicher oder körperschaftlicher Art vor. Auch bei Vorliegen einer solchen "Sonderbeziehung" sind allerdings alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen, sodass die konkrete Verrichtung auch außerhalb dessen liegen kann, was im Rahmen enger Verwandtschafts- oder Freundschaftsbeziehungen selbstverständlich getan oder erwartet wird (vgl. BSG Urteil vom 19. Juni 2018 - B 2 U 32/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 43 Rn. 28). Entscheidend ist, ob die Tätigkeit als übliche Hilfestellung unter guten Bekannten, Verwandten bzw. Freunden zu bewerten ist. Hierbei sind der zeitliche Umfang der Verrichtung, der Grad der Gefährlichkeit oder eine besondere Fachkompetenz des Handelnden zu berücksichtigen (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 29 und Urteil vom 20. März 2018 - B 2 U 16/16 R - SozR 4-1300 § 105 Nr. 6 Rn. 28; Spellbrink/Bieresborn, NJW 2019, 3745, 3749 f mwN).
Zwar stand der Kläger bereits seit 2010 in geschäftlichem Kontakt mit der S, anfangs als selbständiger Solarberater. Eine Sonderbeziehung zur S oder einem dortigen Mitarbeiter im benannten Sinne bestand jedoch zu keiner Zeit und war daher auch nicht Motivation des Klägers zum Tätigwerden für die S.
Der Senat musste sich nicht zu weiteren Ermittlungen veranlasst sehen. Insbesondere war es zur Wahrung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör nicht geboten, ihr auf deren Hilfsantrag vom 9. Dezember 2021 hin eine Frist zur Stellungnahme auf die Zeugeneinvernahme einzuräumen.
Das Verfahrensgrundrecht des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Grundgesetz, GG,§ 62 SGG) soll nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können (vgl. BSG, Beschluss vom 23. Oktober 2003, B 4 RA 37/03 B, SozR 4-1500 § 62 Nr. 1; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr. 1 mwN; BVerfGE 84, 188, 190) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen mit einbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Der aus Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder von Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl. BVerfGE 78, 123, 126; BVerfG SozR 3-1500 § 161 Nr. 5; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr. 1; SozR 3-1500 § 112 Nr. 2; BSG Beschluss vom 25. Juni 2002, B 11 AL 21/02 B, juris). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass ein Verstoß gegen § 62 SGG nicht geltend gemacht werden kann, wenn der Beteiligte von gegebenen prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch gemacht hat, also seinerseits nicht alles getan hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl. BSG vom 20. Januar 1998, B 13 RJ 207/97 B, SozR 3-1500 § 160 Nr. 22; BSG, Beschluss vom 17. April 2013, B 9 V 36/12 B, juris Rn. 16).
Die Beklagte hat hier nicht alles - Erforderliche und ihr Zumutbare - getan, um sich zum Ergebnis der Zeugenvernehmung Gehör zu verschaffen.
Entscheidet das Gericht aufgrund mündlicher Verhandlung, muss es den Beteiligten Gelegenheit geben, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr. 4 S 5). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt, den Beteiligten den Verhandlungstermin mitteilt (§ 110 Abs. 1 Satz 1 iVm § 63 Abs. 1 Satz 2 SGG) und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet (vgl. BSG vom 28. April 1999, B 6 KA 40/98 R, juris Rn. 16). Im Falle einer in der mündlichen Verhandlung beabsichtigten Zeugenvernehmung hat das Gericht, um dem Anspruch auf rechtliches Gehör gerecht zu werden, die Beteiligten vor dem Termin auch über die anstehende Vernehmung eines Zeugen zu benachrichtigen (Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 28. Mai 2004, 104/02, juris). Die Beklagte wurde durch Terminmitteilung des Gerichtes vom 7. September 2021 sowohl ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen als auch darauf hingewiesen, dass zur Beweiserhebung der Zeuge G zum Beweisthema „Tätigkeit des Klägers für die S Group in den Jahren 2010-2012“ geladen wurde. Den Erhalt der Ladung hat die Beklagte mit Empfangsbekenntnis vom 13. September 2021 bestätigt.
Vor dem Hintergrund der angekündigten Beweisaufnahme genügt der auf Gewährung eines Schriftsatznachlasses gerichtete Hilfsantrag der Beklagten mit Entschuldigungsanzeige für das Nichterscheinen im Termin wegen kurzfristiger Erkrankung (Erkältungssymptome) nicht, um zur Wahrung des rechtlichen Gehörs alles getan zu haben.
Denn die Beklagte hat eine krankheitsbedingte Verhinderung ihres als Terminvertreters vorgesehenen Mitarbeiters geltend gemacht, ohne die Unzumutbarkeit der Terminwahrnehmung durch einen anderen Mitarbeiter ihrer Behörde auch nur ansatzweise darzulegen. Hinsichtlich des Vorbringens der Beklagten, es sei eine kurzfristige Erkrankung des Terminvertreters in Form von Erkältungssymptome eingetreten, kann offenbleiben, ob im Falle von Behörden mit der pauschalen Behauptung, der als Bevollmächtigter (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGG) für den Termin eingeteilte Mitarbeiter sei „kurzfristig erkrankt“, ein erheblicher Grund iSv § 227 Abs. 1 ZPO hinreichend vorgetragen wäre. Eine Terminverlegung hatte die Beklagte nicht zugleich beantragt. Zudem war der Senat nicht gehindert, in Abwesenheit der Beklagten zu entscheiden (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 SGG). Jedoch selbst wenn der Senat eine zur Verhandlungsunfähigkeit führende Erkrankung ihres vorgesehenen Terminvertreters unterstellt, hat die Beklagte nicht in ausreichender Weise erläutert, weshalb die Wahrnehmung des Termins - mit Auswertung der Beweisaufnahme - durch einen anderen Mitarbeiter ihrer Behörde unmöglich oder unzumutbar war. Solche Gründe müssen im Einzelnen vorgetragen werden, sofern sie nicht offenkundig sind (BSG, Beschluss vom 17. März 2014, B 13 R 315/13 B, juris Rn.: 13 zum Antrag auf Terminverlegung). Nichts anderes gilt dann, wenn wie hier darzulegen ist, alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.
Konkrete Umstände, aus denen sich im vorliegenden Fall die Unzumutbarkeit einer kurzfristigen Übernahme der Terminvertretung vor dem LSG durch einen anderen Mitarbeiter ergeben könnten, hat die Beklagte nicht ansatzweise vorgebracht, obwohl sie insbesondere mit Blick auf die angekündigte Zeugenvernehmung besonderen Anlass gehabt hätte, die Terminvertretung anderweitig abzusichern bzw. die nicht mögliche anderweitige Terminvertretung dann zumindest hinreichend zu erklären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG vorliegen.