Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 24.02.2022 | |
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Aktenzeichen | 11 N 54/20 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2022:0224.11N54.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | 124a Abs 4 S 4 VwGO, 124a Abs 5 S 2 VwGO, 124a Abs 2 VwGO, 124a Abs 2 Nr 4 VwGO, 30 Abs. 1 S 1 Nr 2 AufenthG, 5 Abs. 1 S 1 Nr 1 AufenthG |
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. März 2020 wird abgelehnt.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Die Klägerin, eine 1995 geborene vietnamesische Staatsangehörige, begehrt ein Visum zum Nachzug zu ihrem in Saalfeld lebenden Ehemann. Mit Urteil vom 10. März 2020 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides verpflichtet, der Klägerin ein Visum zum Ehegattennachzug zu erteilen. Der hiergegen fristgemäß erhobene und begründete Antrag auf Zulassung der Berufung hat auf der allein maßgeblichen Grundlage der Darlegungen in der Antragsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) keinen Erfolg.
1. Das Berufungszulassungsvorbringen legt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils dar (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, juris, Rn. 15) und nicht nur die Begründung der angefochtenen Entscheidung oder nur einzelne Elemente dieser Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 – BVerwG 7 AV 4/03 –, juris). Davon ist hier nach dem Zulassungsvorbringen der Beklagten nicht auszugehen.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 31 Abs. 1 AufenthG habe. Es handele sich um eine durch Art. 6 GG geschützte Ehe. Die Klägerin verfüge über die nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen einfachen Kenntnisse der deutschen Sprache. Schließlich sei auch der Lebensunterhalt i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gesichert.
a. Unter Ziffer 1. des Begründungsschriftsatzes wendet die Beklagte ein, die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG lägen entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht vor. Entscheidend sei, ob die Klägerin die geforderten Sprachkenntnisse im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht besitze, wobei ein zwei Jahre altes A1-Zeugnis „regelmäßig“ nicht als Nachweis genüge. Dieses Vorbringen erschüttert die erstinstanzliche Entscheidung schon deshalb nicht, weil weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist, dass das Verwaltungsgericht von etwas anderem ausgegangen ist. Auch das Verwaltungsgericht hat hier maßgeblich auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgestellt und das zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als zwei Jahre alte Zeugnis nur im Einzelfall unter Berücksichtigung des konkret erzielten Prädikats und später unter Beweis gestellter Sprachkenntnisse der Klägerin als ausreichend erachtet. Denn es hat festgestellt, dass das Zertifikat über die bestandene Prüfung für das Niveau A 1 zwar vom November 2016 stamme, die Klägerin hierbei jedoch das Prädikat gut erhalten habe, so dass ein durch Zeitablauf bewirktes Absinken der Sprachkenntnisse unter ein für A1 noch ausreichendes Niveau nicht zu befürchten sei. Es hat weiter ausgeführt, dass sich Gegenteiliges hier auch nicht aus den schriftlichen Antworten einzelner Fragen bei der Visumsbeantragung ergebe, da die Klägerin hierbei zwar den Wochentag und die Farbe ihrer Schuhe nicht habe benennen und als Wohnort ihres Ehemannes ihren eigenen angegeben, indes die anderen Fragen nach dem Frühstück, den Medikamenten, dem Namen des Vaters, dem Lieblingsgericht und dem Wetter – wenn auch etwas ungelenk – korrekt beantwortet habe. Soweit die Beklagte auf die vier falsch bzw. nicht beantworteten Fragen verweist, räumt sie im Anschluss selbst ein, dass das Verwaltungsgericht dies gesehen hat. Der bloße Vortrag, das Verwaltungsgericht habe die vier falsch bzw. nicht beantworteten Fragen „ohne weitere Begründung“ hinter die sechs - wenngleich ungelenk, so doch richtig - beantworteten Fragen zurückgestellt, greift die vorgenannten Feststellungen des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht substantiiert an, denn er legt – was indes erforderlich gewesen wäre – nicht dar, inwiefern insofern eine weitere Begründung notwendig gewesen wäre.
b. Unter Ziffer 2. der Antragsbegründung macht die Beklagte geltend, das Verwaltungsgericht habe die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG rechtsfehlerhaft angenommen. Auch ihr Vorbringen hierzu zeigt ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils indes nicht auf.
Soweit die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht habe die „titulierbaren“ Unterhaltsansprüche der beiden Kinder in die Berechnung des Lebensunterhaltes einbeziehen müssen, da das Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 7. April 2009 – 1 C 17.08 – und vom 29. November 2012 – 10 C 4.12 – festgestellt habe, dass ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch grundsätzlich auch dann einkommensmindernd zu berücksichtigen sei, wenn er noch nicht tituliert worden sei, gibt sie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verkürzt wieder. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 7. April 2009 – 1 C 17/08 – (juris, Rn. 33) und vom 29. November 2012 – 10 C 4/12 – (juris, Rn. 27) ausgeführt, dass gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen grundsätzlich unabhängig von einer Titulierung einkommensmindernd zu berücksichtigen seien. Es hat jedoch im Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 4/12 – ausdrücklich klargestellt, dass dies nur solange gelte, wie die Erbringung bzw. Geltendmachung von Unterhaltsleistungen tatsächlich zu erwarten sei, wobei, wenn Unterhaltsleistungen über einen längeren Zeitraum weder erbracht noch erwartet wurden, regelmäßig davon auszugehen sei, dass dies auch in Zukunft der Fall sein werde (vgl. BVerwG, a.a.O., juris, Rn. 27; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. November 2014 – 7 B 11.14 – juris, Rn. 28). Die tatsächliche Annahme des Verwaltungsgerichts, die Geltendmachung eines höheren Unterhaltsbetrages durch die Kindesmutter sei in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, da bereits seit der Geburt der jüngsten Tochter im Februar 2016 der gleiche Betrag gezahlt werde, greift die Beklagte mit ihrem Vorbringen nicht ansatzweise an.
Das Vorbringen der Beklagten, der Ehemann der Klägerin unterhalte ausweislich des Verwaltungsvorganges zu einem früheren Antrag der Klägerin eine weitere Wohnung in Rosenheim, für die er Mietkosten in Höhe von 500,- Euro monatlich aufwende, weshalb von dessen monatlich verfügbaren Einkommen i.H.v. netto „2.413,00 Euro“ (offensichtlich gemeint: 2.113,00 Euro = „440,00 Euro“ aus Nebentätigkeit und „1673,00 Euro“ aus Betrieb des Nagelstudios) auch dieser Betrag abzusetzen sei, erschüttert die erstinstanzliche Entscheidung ebenfalls nicht. Zwar wurde ausweislich des vom Beklagten insofern allein in Bezug genommenen Verwaltungsvorganges zum Antrag der Klägerin vom 16. April 2014 bei diesem früheren Antrag ein Mietvertrag über eine entsprechende Wohnung in Rosenheim vorgelegt. Hieraus ergibt sich indes nicht, dass der Ehemann diese Wohnung auch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht noch unterhielt. Anhaltspunkte hierfür sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich, zumal die Klägerin zu ihrem Antrag vom 8. Juni 2018, um den es ausweislich des Tatbestandes des angegriffenen Urteils hier geht, eine Meldebescheinigung vorgelegt hat, wonach es sich bei der Wohnung ihres Ehemannes in der R_____ um dessen „alleinige Wohnung“ handelt (vgl. Blatt 31 des Verwaltungsvorganges zum Antrag vom 8. Juni 2018).
Ausgehend hiervon zeigt auch der bloße Vortrag, das Verwaltungsgericht habe bei der Frage der Sicherung des Lebensbedarfs den Regelbedarf für das ungeborene Kind der Klägerin i.H.v. 250,- Euro nicht berücksichtigt, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen Entscheidung auf. Denn einen Fehlbetrag für den Fall, dass nur 250,- Euro mehr an Bedarf bestünden, als das Verwaltungsgericht angenommen hat, macht die Beklagte mit ihrem Zulassungsvorbringen selbst nicht geltend. Vielmehr knüpft der behauptete Fehlbetrag gleichzeitig an die Relevanz weiterer Mietkosten bzw. Unterhaltsverpflichtungen des Ehemannes an, die die Beklagte indes nach dem oben Gesagten nicht mit Erfolg dargelegt hat.
2. Das Rechtsbehelfsvorbringen rechtfertigt auch nicht die Zulassung der Berufung wegen Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, auf die sich die Beklagte darüber hinaus beruft.
Eine Divergenz ist dann hinreichend bezeichnet, wenn ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz benannt ist, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellt hat, genügt insoweit nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – juris, Rn. 3). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen der Beklagten nicht gerecht.
Die Behauptung, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kindesmutter sei es zwar möglich, einen höheren Unterhaltsbetrag geltend zu machen und titulieren zu lassen, dies sei jedoch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 7. April 2009 – 1 C 17.08 – und vom 29. November 2012 – 10 C 4.12) ab, trifft aus den oben dargelegten Gründen nicht zu. Unabhängig hiervon zeigt dieses Vorbringen keinen divergierenden entscheidungstragenden abstrakten Rechtsatz im angegriffenen Urteil auf. Vielmehr macht die Beklagte damit nur eine – für eine Divergenz i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO indes nicht ausreichende – fehlerhafte Anwendung von Rechtssätzen geltend.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).