Gericht | SG Neuruppin 26. Kammer | Entscheidungsdatum | 01.03.2022 | |
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Aktenzeichen | S 26 AS 459/20 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen um die Höhe der den Klägern im Zeitraum vom 01. Januar 2020 bis zum 31. Juli 2020 zu gewährenden passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes verweist die Kammer gemäß § 136 Abs 2 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf die Ausführungen auf Seite 1 (dort unter „I.“) des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 09. April 2020, mit dem dieser den Widerspruch der Kläger vom 20. Februar 2020 gegen die abändernde sozialverwaltungsbehördliche Entscheidung des Beklagten vom 06. Februar 2020 als unbegründet zurückwies. Wegen der Begründung des Beklagten verweist die Kammer gemäß § 136 Abs 2 S 1 SGG auf die Ausführungen auf Seite 1 (dort ab „II.“) bis Seite 2 (dort bis zu dem Wort „Rechtsbehelfsbelehrung“) des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 09. April 2020.
Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2020 haben die anwaltlich vertretenen Kläger bei dem Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben, mit der sie ihr auf Gewährung von höheren passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II gerichtetes Begehren weiter verfolgen. Zur Begründung tragen sie ausschließlich vor, der gegen die Kläger ergangene Änderungsbescheid sei rechtswidrig, verletze diese in ihren Rechten und sei dahingehend abzuändern, dass im maßgeblichen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren seien.
Die Kläger beantragen (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),
den Beklagten unter Abänderung der mit dem Änderungsbescheid vom 06. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. April 2020 verlautbarten bewilligenden Verfügungen zu verurteilen, ihnen – den Klägern – für den Zeitraum vom 01. Januar 2020 bis zum 31. Juli 2020 höhere passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung seines Antrages führt er im Wesentlichen aus, höhere Leistungen stünden den Kläger nicht zu, insbesondere sei mangels schlüssigen Vortrages dazu, warum die Pauschalwerte für die Warmwasserbereitung zu gering bemessen seien, ein höherer Mehrbedarf für die Warmwasserbereitung nicht zu berücksichtigen.
Die Beteiligten haben mit ihren Schriftsätzen vom 18. Januar 2022 und vom 20. Januar 2022 jeweils ihre Zustimmung zu einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakte sowie die die Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Die Klagen haben keinen Erfolg.
1. Über die Klagen konnte die Kammer gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben und weil das Gericht vor seiner Entscheidung – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl hierzu etwa Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem vorherigen umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl hierzu etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).
2. Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens ist der Anspruch der Kläger auf Gewährung von höheren passiven Grundsicherungsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Bestimmungen des SGB II für den Zeitraum vom 01. Januar 2020 bis zum 31. Juli 2020. Dementsprechend sind Klagegegenstand die in der Antragstellung genannten sozialverwaltungsbehördlichen bewilligenden Änderungsverfügungen des Beklagten, mit denen er den Klägern für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere Leistungen bewilligte als er ihnen zuvor bewilligt hatte.
3. Die in der gebotenen sinnentsprechenden Auslegung des klägerischen Begehrens (vgl § 123 SGG) als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG, § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG und § 54 Abs 4 SGG sowie § 56 SGG) zu verstehenden Klagen, die die Kläger in Streitgenossenschaft (vgl § 74 SGG iVm § 59 der Zivilprozessordnung <ZPO> und § 60 ZPO) erhoben haben, und die darauf gerichtet sind, den Beklagten unter Abänderung der mit seinem Bescheid vom 06. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. April 2020 verlautbarten bewilligenden sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidungen zu verurteilen, ihnen höhere passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II für den Zeitraum vom 01. Januar 2020 bis zum 31. Juli 2020 zu gewähren, sind unzulässig.
a) aa) Die Abänderungsanfechtungsklagen im Sinne der Regelung des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG und § 74 SGG iVm § 59 ZPO sowie § 74 SGG iVm § 60 ZPO sind unzulässig, weil die Kläger schon nicht behaupten können, durch die mit dem Änderungsbescheid vom 06. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. April 2020 verlautbarten bewilligenden Verfügungen im Sinne der Regelung des § 54 Abs 1 S 2 SGG beschwert zu sein. Denn diese Verfügungen sind angesichts der (bestandskräftig und damit für die Beteiligten und das Gericht bindend gewordenen <vgl § 77 SGG>) bewilligenden Verfügungen, die der Beklagte bereits mit seinem Bescheid vom 17. Juli 2020 für den Zeitraum vom 01. Januar 2020 bis zum 31. Juli 2020 verlautbart und die er auf die Regelungen des § 40 Abs 1 S 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 330 Abs 3 S 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) iVm § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gestützt hat – wegen der Gewährung höherer Leistungen unter teilweiser Aufhebung der vorherigen bewilligenden Verfügungen ausschließlich begünstigend, weshalb eine Beschwer der Kläger von vornherein und unter jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist.
Weil die Kläger schließlich auch nicht geltend machen und auch sonst dafür nichts ersichtlich ist, dass der Beklagte die nachträgliche Änderung zum 01. Januar 2020 in einem zu geringen Umfang leistungsrechtlich nachvollzogen hat, fehlt es den Klägern insgesamt schon an der die Zulässigkeit der Abänderungsanfechtungsklagen begründenden Beschwer.
bb) Soweit sich die Kläger auch gegen die mit dem Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 09. April 2020 verlautbarte zurückweisende Entscheidung des Beklagten wenden, sind auch die hiergegen erhobenen Anfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG iVm § 56 SGG und § 74 SGG iVm § 59 ZPO sowie § 74 SGG iVm § 60 ZPO nicht statthaft. Dies folgt daraus, dass die mit dem Widerspruchsbescheid verlautbarte Entscheidung nicht isolierter Gegenstand einer Anfechtungsklage sein kann. Denn Gegenstand einer Anfechtungsklage kann nach Maßgabe der Regelung des § 95 SGG (nur) der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, sein.
Die gesetzliche Regelung des § 95 SGG lässt es daher jedenfalls schon nach ihrem Wortlaut nicht zu, dass allein die mit dem Widerspruchsbescheid verlautbarte – den Widerspruch des Klägers zurückweisende – Entscheidung des Beklagten Gegenstand einer Anfechtungsklage sein darf. Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur – soweit ersichtlich – einhellig vertreten, dass die isolierte Anfechtung einer mit einem Widerspruchsbescheid verlautbarten Entscheidung des Beklagten aufgrund einer analogen Anwendung des § 79 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gleichwohl möglich sei (vgl hierzu etwa mwN Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 95 SGG, RdNr 16ff). Die Kammer ist von der Richtigkeit dieser „herrschenden“ Auffassung indes schon deshalb nicht ohne weiteres überzeugt, weil sie nicht zu erkennen vermag, dass deren Vertreter das Vorliegen der Voraussetzungen für den gezogenen Analogieschluss im Einzelnen dargelegt hätten (vgl hierzu auch schon Sozialgericht Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 10. August 2020 – S 26 AS 2753/15, RdNr 21).
Abgesehen davon ist für die Kammer auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Gesetzgeber die Regelung des § 95 SGG, die seit ihrem Inkrafttreten zum 01. Januar 1954 (BGBl I 1953, S 1239; Neubekanntmachung vom 23. September 1975, BGBl I S 2535) – mithin seit mehr als sechzig Jahren – unverändert geblieben ist, nicht zwischenzeitlich um die in § 79 Abs 1 Nr 2 VwGO, § 79 Abs 2 S 1 VwGO und § 79 Abs 2 S 2 VwGO geregelten Fallgruppen ergänzt hat, die im Übrigen bereits bei Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung am 01. April 1960 (BGBl I S 17) normiert waren, nachdem die Regelung des § 79 VwGO auch erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahren um diese Fallgruppen ergänzt worden war (ursprünglich als § 80 der Entwurfsfassung in BT-Drs 1/4278, S 13 und S 42 sowie in BT-Drs 2/462, S 12 und S 40 gleichlautend mit § 95 SGG; erst später aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses um die normierten Fallgruppen ergänzt, vgl BT-Drs 3/1094, S 8 Zu § 80, S 42). Dies könnte im Ergebnis den Schluss zulassen, der Gesetzgeber habe die Fallgruppen als Sonderregelungen bewusst und gewollt lediglich für die Verfahren, in denen die Verwaltungsgerichtsordnung Anwendung findet, vorsehen wollen. Der Befund einer Sonderregelung nur für die Verfahren, die sich nach der Verwaltungsgerichtsordnung richten, könnte im Übrigen auch noch durch einen Vergleich mit der Regelung des § 44 Abs 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die mit der hier maßgeblichen Vorschrift des § 95 SGG im Wesentlichen identisch ist, gestützt werden. Auch die Regelung des § 44 Abs 2 FGO ist seit ihrem Inkrafttreten am 01. Januar 1966 (BGBl 1965 I S 1477, Neubekanntmachung vom 28. März 2001, BGBl I S 442) unverändert geblieben (vgl hierzu auch die Gesetzesmaterialien zu § 47 der Entwurfsfassung auf BT-Drs 2/1716, S 8 und S 37f, zu § 46 der Entwurfsfassung auf BT-Drs 3/127, S 10 und S 39, sowie zu § 42 der Entwurfsfassung auf BT-Drs 4/1446, S 8 und S 47 und auf BT-Drs 4/3523, S 17), ohne dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die in § 79 Abs 1 Nr 2 VwGO, § 79 Abs 2 S 1 VwGO und § 79 Abs 2 S 2 VwGO geregelten Fallgruppen auch in § 44 Abs 2 FGO zusätzlich normiert werden sollten oder sollen (vgl hierzu erneut Sozialgericht Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 10. August 2020 – S 26 AS 2753/15, RdNr 22).
Die Kammer musste ihren Bedenken hinsichtlich der analogen Anwendbarkeit von § 79 Abs 1 Nr 2 VwGO, von § 79 Abs 2 S 1 VwGO und von § 79 Abs 2 S 2 VwGO indes nicht weiter nachgehen, weil bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Regelungen des § 79 Abs 1 Nr 2 VwGO, von § 79 Abs 2 S 1 VwGO und von § 79 Abs 2 S 2 VwGO ersichtlich nicht vorliegen: Die mit dem Widerspruchsbescheid verlautbarte – den Widerspruch der Kläger zurückweisende – Entscheidung des Beklagten enthält weder erstmalig eine Beschwer, noch enthält sie eine zusätzliche selbständige Beschwer oder eine zusätzliche Beschwer durch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, die für die Widerspruchsentscheidung ursächlich geworden ist.
b) Wenn nach alledem bereits die Anfechtungsklagen unzulässig sind, gilt Gleiches auch für die mit ihnen kombinierten Leistungsklagen im Sinne des § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG und § 74 SGG iVm § 59 ZPO sowie § 74 SGG iVm § 60 ZPO, weil in Verfahren der vorliegenden Art zulässige (und begründete) Leistungsklagen wegen des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits zulässige (und begründete) Anfechtungsklagen voraussetzen.
4. Ob die genannten Klagen der Kläger begründet oder unbegründet sind, durfte die Kammer dagegen nicht prüfen, weil die Befugnisse des gesetzlichen Richters nur so weit reichen, wie die Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind.
5. a) Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten insgesamt einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Kläger mit ihren Begehren vollumfänglich unterlagen.
b) Die Aufwendungen des Beklagten sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (vgl 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).
6. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 183 S 1 SGG).
7. Die wegen der Unterschreitung des Wertes des Beschwerdegegenstandes zulassungsbedürftige Berufung (§ 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG) war nicht zuzulassen, weil Gründe für die Zulassung der Berufung nicht ersichtlich sind (§ 144 Abs 2 SGG).