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Entscheidung S 20 KR 27/13


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 20. Kammer Entscheidungsdatum 16.12.2021
Aktenzeichen S 20 KR 27/13 ECLI ECLI:DE:SGNEURU:2021:1216.S20KR27.13.00
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, die Zustimmung zu der Rücknahme eines (umgedeuteten) Antrages der im Februar 1949 geborenen Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu erteilen.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes verweist das Gericht gemäß § 105 Abs 1 S 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 136 Abs 2 S 1 SGG auf die Ausführungen auf Seite 2 (dort ab dem ersten Absatz“) des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 16. Januar 2013, mit dem diese den Widerspruch der Klägerin vom 11. Juni 2012 gegen die sozialverwaltungsbehördliche Entscheidung der Beklagten vom 05. Juni 2012, mit der diese es wiederum abgelehnt hatte, ihre Zustimmung zu der Rücknahme des Rentenantrages zu erteilen, als unbegründet zurückgewiesen hat. Wegen der Begründung der Beklagten verweist das Gericht gemäß § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 136 Abs 2 S 1 SGG auf die Ausführungen auf Seite 2 (dort ab dem zweiten Absatz) bis Seite 3 (dort bis zu dem Wort „Rechtsbehelfsbelehrung“) des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 16. Januar 2013.

Mit Schriftsatz vom 31. Januar 2013 – bei dem Sozialgericht Neuruppin eingegangen am 01. Februar 2013 – hat die Klägerin bei dem erkennenden Gericht Klagen erhoben, mit denen sie ihr auf Erteilung der Zustimmung zu der Antragsrücknahme gerichtetes Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung ihrer Begehren wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Antrags- und dem Widerspruchsverfahren. Sie hebt hervor, der Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen sei mit der Begründung abgelehnt worden, die Leistungseinschränkungen rechtfertigten nach den bisher vorliegenden Befundberichten keine vorzeitige medizinische Rehabilitation. Deshalb habe dieser Antrag auch nicht umgedeutet werden können, die Klägerin sei jedenfalls nicht erwerbsgemindert gewesen. Außerdem hindere der von der Klägerin bereits zuvor gestellte Antrag auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw Altersrente für Frauen die Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme; dieser Antrag sei daher verwirkt und könne nicht umgedeutet werden. Im Übrigen sei nach der zwischenzeitlich bindend gewordenen Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezuges einer solchen Rente der Wechsel in eine Rente wegen Erwerbsminderung ausgeschlossen. Selbst bei Vorliegen eines wirksamen Rentenantrages sei die Ablehnung der Zustimmung zu dessen Rücknahme jedenfalls unverhältnismäßig und verletze Vertrauensschutzgrundsätze.

Die Klägerin beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

die Beklagte unter Aufhebung ihrer mit dem Bescheid vom 05. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2013 verlautbarten ablehnenden Verfügung zu verpflichten, die Zustimmung zu der Rücknahme des umgedeuteten Antrages auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu erteilen, hilfsweise den Antrag der Klägerin auf Erteilung der Zustimmung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages wiederholt und vertieft sie ihre Erwägungen in dem – auch – angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2013. Sie betont, die Klägerin sei sowohl nach den Feststellungen der Beklagten als auch nach den Feststellungen der Deutschen Rentenversicherung Bund jedenfalls seit dem 10. Mai 2010 voll erwerbsgemindert. Angesichts dessen könne aus dem Umstand, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund den Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Rehabilitationsmaßnahme abgelehnt hatte, nicht geschlossen werden, dass die Erwerbsfähigkeit nicht gemindert gewesen sei.

Das Gericht hat die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Beschluss vom 25. Juli 2016 beigeladen. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich im Wesentlichen dem Vorbringen der Beklagten angeschlossen.

Nach dem zum 01. Juli 2020 erfolgten Wechsel in der Kammerzuständigkeit hat das Gericht die Beteiligten zuletzt mit Verfügungen vom 23. November 2021 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klagen haben keinen Erfolg.

1. Über die Klagen konnte das Gericht gemäß § 105 Abs 1 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten gemäß § 105 Abs 1 S 2 SGG zuvor mit den gerichtlichen Verfügungen vom 23. November 2021 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht vor seiner Entscheidung – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem vorherigen umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).

2. a) Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf Erteilung der Zustimmung zu der Rücknahme ihres (umgedeuteten) Antrages auf Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Hierneben ist – hilfsweise – auch der Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung ihres Antrages Streitgegenstand. Gegenstand des sozialgerichtlichen Klageverfahrens ist deshalb die mit dem Bescheid der Beklagten vom 05. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2013 verlautbarte sozialverwaltungsbehördliche Verfügung der Beklagten, mit der sie es abgelehnt hat, die begehrte Zustimmung zu erteilen.

b) Statthafte Klageart gegen die Verweigerung der Zustimmung durch die Beklagte ist eine Kombination aus Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG, § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 SGG iVm § 56 SGG). Dabei ist die Anfechtungsklage auf die Aufhebung der ablehnenden sozialverwaltungsbehördlichen Verfügung der Beklagten, die einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) darstellt, gerichtet. Die Verpflichtungsklage ist im Hauptantrag auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet, die begehrte Zustimmung zu erteilen (vgl § 131 Abs 2 S 1 SGG sowie § 131 Abs 2 S 2 SGG iVm § 131 Abs 3 SGG) und im Hilfsantrag im Sinne einer Verpflichtungsbescheidungsklage darauf gerichtet, die Beklagte zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Erteilung der Zustimmung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (vgl § 131 Abs 3 SGG).

c) Die so verstandenen statthaften Klagen sind auch im Übrigen zulässig.

3. Die danach insgesamt zulässigen Klagen sind jedoch unbegründet.

a) Die mit der Verpflichtungsklage kombinierte Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG ist unbegründet, weil die angegriffene Verfügung der Beklagten rechtmäßig ist und die Klägerin durch sie nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert ist (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG). Die angegriffenen Verfügungen der Beklagten sind rechtmäßig und beschweren die Klägerin nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten, weil es die Beklagte zu Recht abgelehnt hat, die Zustimmung zu der Rücknahme des (umgedeuteten) Antrages auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente im Sinne des § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) zu erteilen.

aa) aaa) Gemäß § 51 Nr 1 S 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) in der Fassung, die die genannte Vorschrift zum Antragszeitpunkt hatte, weil in Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist, was im Übrigen auch für die weiteren zitierten Vorschriften gilt – kann die Krankenkasse Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen haben. Gemäß § 116 Abs 2 SGB VI gilt ein Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben als Antrag auf Rente, wenn Versicherte vermindert erwerbsfähig sind und ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten ist (Nr 1) oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgreich gewesen sind, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben (Nr 2). Damit entfällt der grundsätzlich nach § 115 Abs 1 S 1 SGB VI notwendige Rentenantrag. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist, Versicherte, die nur einen Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen, aber noch keinen Rentenantrag gestellt haben, vor Nachteilen zu bewahren (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 50 mwN).

bbb) Rentenrechtlich können die Versicherten einen Antrag auf Gewährung von Rehabilitations- oder Rentenleistungen auch noch nach der Bekanntgabe der Verwaltungsentscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Leistungsgewährung zurücknehmen, zeitlich oder inhaltlich beschränken, die Leistungsinanspruchnahme hinausschieben oder der Umdeutung des Antrages auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen in einen Rentenantrag (§ 116 Abs 2 SGB VI) widersprechen. Dies gilt im Rahmen des Rentenrechts bis zur Bestandskraft der Entscheidung, dh bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist oder bis zum rechtskräftigen Abschluss eines ggf angestrengten Klageverfahrens. Dieses Gestaltungsrecht bezieht sich grundsätzlich auch auf den gemäß § 116 Abs 2 SGB VI „fingierten“ Rentenantrag (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 51 mwN).

ccc) Allerdings ist der Versicherte aufgrund der krankenversicherungsrechtlichen Regelungen nach Abs 1 oder Abs 2 des § 51 SGB V nach einem Antrag, den er nach der Aufforderung der Krankenkasse  gestellt hat, in seiner Dispositionsfreiheit  eingeschränkt, wenn er von seiner Krankenkasse zur Antragstellung aufgefordert worden ist. Dann kann der Versicherte auch  gegenüber der Rentenversicherung nur wirksam auf die Umdeutung verzichten, wenn die Krankenkasse diesem Verzicht zustimmt. Die Aufforderung der Krankenkasse an den Versicherten, einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen, ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 S 1 SGB X, da sie zur Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Versicherten führt. Der Verwaltungsakt der Krankenkasse muss den Versicherten klar und unmissverständlich zur Antragstellung auffordern und eine Belehrung über die Rechtsfolgen enthalten. Er kann diesen Antrag wirksam nur noch mit Zustimmung der Krankenkasse zurücknehmen oder beschränken. Dies gilt ebenso für den Ausschluss der Rentenantragsfiktion des § 116 Abs 2 SGB VI. Darüber hat der Versicherte eine förmliche Entscheidung der Krankenkasse herbeizuführen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 52 mwN). Über die Fiktion des § 116 Abs 2 SGB VI gilt der gestellte Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen somit als Rentenantrag und führt so zu einem Wegfall des Krankengeldes (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 53 mwN).

ddd) Der Versicherte, der seinen (über § 116 Abs 2 SGB VI fingierten Renten-)Antrag zurücknehmen will, kann jedoch eine förmliche Entscheidung der Krankenkasse herbeiführen, ob sie die Zustimmung dazu erteilt oder nicht (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 56 mwN). Die Krankenkasse hat ihre Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen, wobei die Maßstäbe für die Entscheidung zur Aufforderung gelten. Bei der Ausübung des Ermessen muss die Krankenkasse alle Umstände des Einzelfalles sorgfältig abwägen, insbesondere die von § 51 SGB V geschützten eigenen Interessen und die berechtigten Interessen des Versicherten. Das Interesse der Krankenkasse an dem Übergang der Leistungszuständigkeit an den Rentenversicherungsträger hat nach dem Normzweck des § 51 SGB V grundsätzlich Vorrang. Das allgemeine Interesse des Versicherten, möglichst lange das zumeist höhere Krankengeld zu beziehen oder gegebenenfalls zugleich Vorteile für eine spätere Rente zu erlangen, ist gegen das sich aus dem Schutzzweck der § 51 Abs 1 SGB V ergebende Solidarinteresse abzuwägen, das grundsätzlich Vorrang hat. Maßgeblich ist das Abwägen der wechselseitigen Interessen im Einzelfall. Als bei der Ermessensentscheidung der Krankenkasse ausschlaggebende berechtigte Interessen der Versicherten werden nur solche anerkannt, die nicht in erster Linie darauf ausgerichtet sind, die der Krankenkasse zustehenden Befugnisse zu schmälern. Das bloße Interesse des Versicherten an der (Weiter-) Zahlung des im Vergleich zu anderen Leistungen regelmäßig höheren Krankengeldes begründet demgemäß keine Ermessensentscheidung zu Gunsten des Versicherten (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 57 mwN).

eee) Nur wenn der Versicherte ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse am Hinausschieben des Rentenbeginns hat, das die Belange der Krankenkassen an einer Begrenzung der Aufwendungen für ihre Leistungen überwiegt, muss diese ihre Zustimmung erteilen. Belange des Versicherten können zB eine erhebliche Verbesserung der Rente sein, wobei eine erhebliche Verbesserung der Rente nicht allein dann anzunehmen ist, wenn durch die Verschiebung des Rentenbeginns (nur) ein höherer Betrag zur Auszahlung kommt (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 58f mwN).

Allein die Minderung der Rente nach den Vorschriften über den Zugangsfaktor stellt keinen gewichtigen Grund zugunsten des Versicherten dar. Der Gesetzgeber hält es für eine zumutbare Belastung, dass Versicherte bei Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung eine Rentenminderung hinnehmen müssen. Eine Rentenminderung kann danach grundsätzlich nicht als wesentliche Belastung und ihre Abwendung durch einen späteren Rentenbeginn nicht als zu berücksichtigende Verbesserung angesehen werden, die eine Verschiebung des Rentenbeginns rechtfertigt (vgl § 77 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB VI; vgl dazu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 59 mwN).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat die Beklagte ihre Zustimmung zu der Rücknahme des Rentenantrages zu Recht verneint. Das Gericht sieht gemäß § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 136 Abs 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die Begründung der Beklagten auf Seite 2 (dort ab dem zweiten Absatz) bis Seite 3 (dort bis zu dem zweiten Absatz) ihres Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2013. Die so in Bezug genommenen Erwägungen der Beklagten hält das Gericht für überzeugend und legt sie deshalb auch ihrer eigenen Entscheidung zugrunde.

aaa) Das Gericht hält insbesondere für maßgeblich, dass die Beklagte – entgegen der Auffassung der Klägerin – aufgrund ihrer eigenen medizinischen Sachverhaltsaufklärung durch die Einholung von sozialmedizinischen Sachverständigengutachten bei dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen Berlin-Brandenburg e. V. vom 10. August 2010 und vom 06. Mai 2011 sowie jedenfalls aufgrund des Ergebnisses des von der Beigeladenen eingeholten neurologischen-psychiatrischen Sachverständigengutachtens der Dr. med. Gebert vom 10. Dezember 2011, das diese nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 22. November 2011 erstattet hat, davon ausgehen durfte, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seit dem 10. Mai 2010 erfüllt sind. Auf Grundlage dieser medizinischen Erkenntnisse war auch die Beigeladene – entgegen der Auffassung der Klägerin – berechtigt, den ursprünglich auf Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation bzw auf Teilhabe am Arbeitsleben gestellten Antrag, für dessen Verwirkung das Gericht schon mangels Vorliegen des Zeitmomentes im Zeitpunkt der sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidung der Beklaten keinerlei Anhaltspunkte zu erkennen vermag, in einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung umzudeuten, weil sich aus dem genannten Sachverständigengutachten zugleich ergibt, dass ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zu erwarten war (vgl § 116 Abs 2 Nr 1 SGB VI) und darüber hinaus bisherige Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgreich gewesen waren, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben (vgl § 116 Abs 2 Nr 2 SGB VI).

bbb) Auch darüber hinaus vermag das Gericht auch im Übrigen keine Rechtsfehler in der angegriffenen sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidung zu erkennen: Die Beklagte hat unter überzeugender Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Klägerin im Widerspruchsverfahren und unter nicht zu beanstandender Anwendung der maßgeblichen Regelungen zutreffend den Interessen ihrer Versichertengemeinschaft gegenüber den Interessen der Klägerin Vorrang eingeräumt, weshalb – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch für einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder Vertrauensschutzgrundsätze keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.

Die Beklagte hat dabei auch das ihr eröffnete Ermessen erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt. Die Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen, ob Ermessen überhaupt ausgeübt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (Rechtmäßigkeit, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle; § 39 Abs 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – <SGB I>, § 54 Abs 2 S 2 SGG).

Selbst wenn dabei – was hier nahe liegt – eine vollständige Ermessensausübung erstmals im Widerspruchsbescheid in Kenntnis der Probeberechnungen der Beigeladenen stattgefunden hätte, stünde dies der Rechtmäßigkeit nicht im Wege. Insoweit geht es nicht um die Heilung eines im Sinne des § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X lediglich formalen Begründungsmangels des Ausgangsbescheides im Widerspruchsbescheid, sondern um die Beseitigung des Fehlens der Ermessensbetätigung im Ausgangsbescheid im und durch das Widerspruchsverfahren auf Grundlage des § 78 Abs 1 S 1 SGG, wonach auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen ist. Die Widerspruchsbehörde ist auch im Widerspruchsverfahren befugt, und bei einem Ermessensausfall oder Fehlgebrauch im Ausgangsbescheid auch gehalten, selbst Ermessenserwägungen anzustellen (und diese gegebenenfalls an die Stelle der Ausgangsbehörde zu setzen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 64 mwN).

Im Rahmen der Ermessensentscheidung hat sich die Beklagte jedenfalls im Widerspruchsbescheid mit den von der Klägerin vorgebrachten Gründen auseinandergesetzt. Die Beklagte durfte bei ihrer Entscheidung ermessensfehlerfrei annehmen, dass es jedenfalls seit dem 10. Mai 2010 nicht mehr Sache der Krankenversicherung, sondern der gesetzlichen Rentenversicherung ist, mit Leistungen einzutreten. Es liegt im Interesse der Versichertengemeinschaft der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung, dass die Krankenkasse kein Krankengeld (mehr) zahlt, wenn Erwerbsminderung vorliegt. Die Entscheidung der Beklagten folgt dabei aus dem Regelungszusammenhang des SGB V mit dem SGB VI. Die Regelung des § 51 Abs 1 S 1 SGB V will den Vorrang der Rentenzahlung vor Krankengeldleistungen bei dauerhafter Erwerbsminderung sicherstellen (§ 50 Abs 1 SGB V). Rentenzahlungen haben Vorrang vor Krankengeldleistungen, weil es in erster Linie Aufgabe der Rentenversicherung ist, bei dauerhafter Erwerbsminderung mit Leistungen einzutreten. Die Krankenkassen sollen gerade die Möglichkeit haben, den Versicherten zu veranlassen, einen Rentenantrag zu stellen und hierdurch Einfluss auf den Beginn der antragsabhängigen Leistungen zu nehmen (vgl § 19 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – <SGB IV>, § 115 Abs 1 SGB VI und § 116 Abs 2 SGB VI). Das kann einen Wegfall ihrer Leistungszuständigkeit schon vor Erreichen der Anspruchshöchstdauer nach § 48 SGB V bewirken. Die gesetzliche Risikozuordnung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und gesetzlicher Rentenversicherung unterliegt nicht der Disposition des Versicherten (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. November 2017 – L 16 KR 261/16, RdNr 65 mwN). Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte im Rahmen ihrer Interessenabwägung auch zu Recht entschieden, dass das Interesse der Klägerin an höheren Rentenleistungen zurückzutreten hat. Das Interesse an höheren Rentenleistungen, die sich aus der Berücksichtigung zusätzlicher Beitragszeiten wegen Krankengeldbezuges ergeben oder das Interesse länger das höhere Krankengeld in Anspruch zu nehmen, rechtfertigen die Zustimmung – wie bereits dargelegt – grundsätzlich nicht, wobei es auf die Höhe der ausgezahlten Beträge dabei nicht entscheidend ankommt, zumal die Differenz lediglich etwa monatlich 36,00 Euro beträgt.

ccc) Weil schließlich auch Anhaltspunkte für atypische Umstände, die von der Beklagten im Rahmen ihrer Ermessensausübung noch zu erwägen gewesen wären, nicht ersichtlich sind, für eine Verwirkung des umgedeuteten Antrages auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung – wie dargelegt schon aufgrund des fehlenden Vorliegens des Zeitmomentes im Zeitpunkt der sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidung der Beklagten – keinerlei Anhaltspunkte gegeben sind und schließlich – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht im Sinne des § 34 Abs 4 Nr 1 SGB VI ein Wechsel von einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen bzw Altersrente für Frauen in eine Erwerbsminderungsrente, sondern überhaupt die zeitlich vorhergehende Gewährung einer Erwerbsminderungsrente in Rede steht, muss der Anfechtungsklage im Hauptantrag insgesamt der Erfolg versagt bleiben.

b) Wenn nach alledem die Anfechtungsklage im Hauptantrag unbegründet ist, gilt Gleiches auch für die mit ihr kombinierte Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 SGG iVm § 56 SGG, weil in Verfahren der vorliegenden Art eine zulässige und begründete Verpflichtungsklage wegen des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits eine zulässige und begründete Anfechtungsklage voraussetzt und weil zugunsten der Klägerin – wie aufgezeigt – ein Anspruch auf Zustimmung zu der Rücknahme des umgedeuteten Rentenantrages nicht besteht.

c) Wenn danach ein Anspruch der Klägerin auf Zustimmung nicht besteht, kann die Klägerin auch mit dem Hilfsantrag nicht durchdringen. Die insoweit hilfsweise erhobene Kombination aus Anfechtungs- und Verpflichtungsbescheidungsklage im Sinne der § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG, § 54 Abs 1 S 1 Regelung 3 iVm § 56 SGG (vgl auch erneut § 131 Abs 3 SGG) kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Beklagte hat – wie dargelegt – ermessensfehlerfrei entschieden hat, so dass die Klägerin durch die sozialverwaltungsbehördliche Ablehnungsentscheidung auch insoweit hierdurch nicht in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung der Zustimmung beschwert ist (vgl 54 Abs 2 S 1 SGG).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten insgesamt einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Klägerin mit ihrem Begehren im Klageverfahren vollumfänglich unterlag. Die Aufwendungen der Beklagten und der Beigeladenen sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (vgl § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).